Читать книгу Die doppelköpfige Nymphe - Kasimir Edschmid - Страница 7
4. Keyserling und die Gefühls-Mosaikler oder der impressionistische Roman
ОглавлениеDie Gefahr des Feudalismus warfen die französischen Revolutionen schon gegen die Wand. Adel ist heut keine Drohung mehr gegen die Freiheit, Feind ist allein die geistverdickende Bourgeoisie. Adel ist heute ausgewählter Stoff und Symbol der Züchtung. Seine Männer sind körperlich Träger guter Gewohnheiten, seine Frauen haben allein (neben Jüdinnen) Rasse und Körper und Takt des Anzugs. Der Ausleseprozeß hat sie durch Generationen müd gemacht, aber er hat sie gestaltet. Kosmopolitische Ansicht einigt sich gern mit dem Weitblick alter Magnaten, nie mit dem kleinen und schneidigen Vertreter raschen Reichtums oder bedachtsamer Bürgerlichkeit. Zwischen guten Revolutionären und alter konservativer Rasse ist immer ein Findepol, denn beide haben die Kühnheit und die Rücksichtslosigkeit von Ideen um sich. Wird das Gezüchtete, Adlige sogar geistige Auslese, ergibt sich unbedingt eine Hochsteigerung des National-Möglichen. Vielleicht, daß es beschränkt und problematisch, verfluchbar oder politisch hymnisch ist, jedenfalls wird es eine ganze Sache sein. Denn in solchen Verfeinerungen trifft sich der aus dem Jahrhundertwerden aufsteigende Saft mit der Wellenbrechung der Zeit. Nicht in Büchern, Reden und Museen setzt sich Kultur und Bewußtsein ausgeglichner und großer Vergangenheit fort, sondern wie jede große Musik nur in den Menschen. Der Reinhalteprozeß der Aristokratie ist irgendwie inferior, weil er, nach bornierten Gesichtspunkten angelegt, nur Macht, Würde oder Ansehen, nicht Geist und überhaupt Führerqualität durch die Jahrzehnte mischt und schleudert. Aber es ist ein wenn auch enger, so doch unbestreitbarer Züchtungsvorgang. Hier kommt aus gepflegter und immer wachgehaltener Tradition Tat, Leidenschaft und Dasein vergangenen Geistes heraus. Nichts Gelebtes, Gedachtes, was eine Zeit groß machte, was hier nicht in dem Bewußtsein noch säße. Darum ist ihre Bewegung mehr nach rückwärts geneigt, weil sie früher stark nach vorne gingen. Sie sind belastet und nicht aktiv mehr, aber das Reservoir, die große Stauung des Seitherigen, ein enormer Besitz. Hier einigt sich Überliefertes mit Blut, ein unerhörtes Zusammentreffen.
Denn wirkender Stil ist ja nicht Oberfläche, sondern tiefe Verankerung. Nie Gewohnheit, sondern aus dem Muß herausgegangene immer wieder bejahte Form, die stündlich begründet, sekündlich durchatmet wird. Stil sind die drei Kronen auf den schwedischen Banknoten, auf den Eisenbahnpolstern, das Zeichen ist selbstverständlich, räumlich schön, ist, kurz, symbolisch geworden, in den Volkskörper übergegangen. Stil ist Walpurgis auf Haselbakken, ist ein Allgäuer Haferlschuh, ist der Kontakt der Gräfin M. mit den Pergamentbüchern und Wappen in ihrem Burgturm, ist das Lächeln einer Pariser Hure im lateinischen Viertel, Essen im Café de la Paix, das Fest nach der Hopfenernte am Bodensee, Smörgasbord auf skånischen Schlössern, ist die Anmut einer verschlossenen Dame, die Geistiges andeutet. All das erbt man, aber lernt es nicht. Überall ist die Form wie Nebensächliches, ja schon souverän jenseits des Formalen, beherrscht von einem alten Gehalt, von Errungenem und sich in den Sitten und Äußerlichkeiten spielerisch weiterbewegende Wahrheit. Stil ist kein Korsett, keine Rückenmarkstarre, sondern die ungemeine Lebendigkeit derselben Sache. Stil ist ganz rund, ganz eindeutig, ganz bestimmt und präzisierbar wie ein Körper, jedoch in seiner Vollkommenheit so vibrierend, so erregend und derart ungewöhnlich scheinend, daß er nicht zu bestimmen ist. Ganz feminin im Reiz. Nicht heute Köchin, morgen Dame, dann Dirne, dann Weib, sondern das Weibliche schlechthin und zwar in der Form der tadellosen Dame, jedoch mit solchem Geschiller und derartiger Möglichkeitslinie in Gesicht, Geruch und Stellung, daß alles, was ausdenkbar und erwünscht in weiblichem Weltbild, darum ist. Stil ist darum nie Mode. Nur Kindische und flache Denker verwechseln seine Äußerung und seinen treibenden Grund. Was heute Expressionistisches ist, bleibt in den echten Äußerungen nach zwanzig Jahren dasselbe, nur mit anderem Namen. Ewiges ward immer in die Spirale modischer Formen gebaut und was Dürer, was Rembrandt seinen Mitmenschen bedeutsam zu machen schien, war sicher das Nebensächliche, nicht sein Kern. Schreien im Jahre Neunzehnhundertzwanzig Dadaistenjünglinge den Tod des Expressionismus aus, ist das ein Zeichen ihres Hirnes, das im Tempo der Schreibmaschinen nur Zeit und Symptome faßt, nur sieht, daß eine seit Persiens Miniaturen, seit Amenophis, Böhme, Ekkehard, Büchner, Strindberg bestehende geistige Richtung in ihrer modischen Schale falsch verstanden und von Knaben und Snobs zu blendenden Exercitien vergewaltigt wird. Irgendwo ist unter uns, ist in uns der dunkle Strom eingeschaltet, der das nie versiegende Feuer des Geistes auf uns richtet und die uralten Gehalte weitertreibt in die Kanäle des großen Ausbruchs und der inneren Verbundenheit. Auch das ist Stil. Er hat keine Gesetze, sondern Berufung. Ein Bauer, ein Proletarier kann fortsetzen, was vor hundert Jahren an erlauchter Stelle herauskam. Fritz v. Unruh schreibt manchmal, als ginge keine Überlieferung ihm voraus. Der Sohn eines Mehlhändlers schwärmt in verzücktesten Adelstraditionen. Die Völkerattitüden selbst vertauschen sich manchmal sogar scheinbar. Der Däne Jensen schreibt wie ein Norweger, Madelung wie ein halber Russe. Deutsche manchmal wie Österreicher. Auch zwischen Deutschen und Franzosen beginnen Wechselspiele. Am deutlichsten bleibt immer der Russe, trotzdem ist Kusmin vollständig französiert. Dennoch gibt es dem Kenner und Einsauger des Vorgesetzten letzthin keinen Zweifel. Aus der Zivilisationsgier des kleinen Mannes dringt die Geilheit, mehr zu scheinen, durch, neben der Sehnsucht, die vielleicht vorhanden, nach wahrer Erhöhung. Irgendein Fadendünnes ist auch in Jensens Wolfsgebiß. Das Weltgefühl, die geistige Substanz, die das Ganze gliedert, ihm den Aufbau gibt und die Wärme, in der es atmet, schwankt unentrinnbar hinauf. Nichts ist delikater wie Stil. Vor so langer Pflege besteht nichts, was nicht auserwählt ist und was seine Natur verläßt, wird verlogen und ist erledigt. Nur innere letzte Wahrheit bringt ans Ziel, und die grobe und wilde Geste des zupackenden Stürmers hat genau die Überlieferung des Geistes, wie jene des Besingers der langen schönen Finger und der abgewandten in sich selbst zufriedenen Gebärden. Nur gibt es einen Unterschied: Wohl ist auch Zusammenhang zwischen Revolutionär und Revolutionär. Aber das Weltgefühl einer Rasse, das in ihr aufgespeichert in jeder Bagatelle des banalen Lebens Ausdruck und Sinn fand, kommt in ganz anderer Abgeschlossenheit, ganz anderer Endgültigkeit ins Kunstwerk, hat einer dieser Rasse selbst den Funken, der ihn aufsteigen läßt und reden. Hier ist alles vorbereitet. Eine innere Größe des Stils ist als Vorbedingung vorhanden von einer Sicherheit, die tötlich, einer Glätte des Seelischen, die souverän, einer inneren Haltung, die von vorn herein grenzenlos überlegen steht über Ahnungslose, die stumpf und unklar nach dem noch forschen, was jener im Blut hat.
Als daher die Jünglinge und Männer scharenweise begannen, die Welt in kleine Teile zu zerlegen und mit Watte, Sachet und Sentiment umbrämt die einzelnen Stücke nebeneinanderzustellen, als ein Dilettantismus des Schreibens ausbrach, der keine Scham trug neben so ausgezeichneten Künstlerleistungen der impressionistischen Malerei zu existieren, als die Mädchen und Jungfrauen Deutschlands in Ansammlungen sich aufmachten, Kellermann zu lesen, blieb Keyserling, Graf, Balte und Dichter die einzige Entschuldigung, die einzige Rechtfertigung dieser Zeit. Er ist nahe bei Renoir. Er hält Deutschland allein gegen Bang und Jacobsen. Was Kellermann im Virtuosen, Altenberg im Albernen mit Erfolg unternahmen, rechtfertigte er in Stille. Sonst haben wir niemand. In der Malerei Liebermann, Slevogt. Dieser Stil hat wenig Positives jenseits der Trikolore geschaffen, wo Renoir über Manet und Pissaro die glänzende und ruhige Schönheit eines Jahrhunderts in silbernen Rausch fing. Präsentiert man uns Pierre Loti, die Dänen, den Schweden Gejerstam, Peladan, den Engländer Wells, den Russen Korolenko, Brjussow, den Anfang des Spaniers Baroja, ständen wir mit schlappen Mäulern, hätten wir den einen nicht. Er ist sogar, was kein deutscher Maler der Zeit, kein Dichter sagen kann, unbeeinflußt. Die anderen schlugen krachend in Zolas Kerbe, schielten nach Monet, Cézanne, warfen sich den Nordländern in die Hände, die das feine Gestrichel der Impressionen mit Gefühlen weich im Kreise schwangen, und deren sinnierendes und augenblickshaftes Leben den Boden abgab, wo dieser Stil glänzend und fast national ward. Er ist der einzige Nenner gegen die Zeitblamage, wo in Deutschland Autoren begannen ein Raum- und Stilgefühl aufzulösen, das gar nicht vorhanden war, und nur süßliche Vapeurs in eine übelriechende Luft wälzten: Eine Revolution, die in alten Rahmen vor sich ging, die Sensation eines roten Fracks, aber im Salon der Frau Meyer. Er war ein Adliger in der Zeit der sozialsten Anfangskämpfe, der Literaturbarrikaden, des Proletariatszusammenschlusses. Zu seiner Zeit schwoll das Gesinnungshafte auf in zerflatternden Elendszenen, in naturalistischer Photographie. Was blieb? Wenn heut Aktivisten den Tod der Kunst brüllen und nur gesinnungshafte Sauhatz loben, fällt dies Echo als barbarischer Keil in einem Dezennium auf ihre nackten Schädel. Ich bin mit jedem Aktivisten gegangen, ich habe ihn im Krieg als einzige Flamme gesehen der Jugend. Ich habe ihn geschützt, weil die Idee wichtig war, weil das Prinzipielle mehr gilt als dies und das darum, was grün und faul und dumm war. Ich habe jede Überschärfung der Forderungen gebilligt, weil ich weiß, da ich das Leben aus den Tiefen her und mehr in den Höhen auch als viele kenne, daß die Forderungen säbelscharf überspitzt wurden, weil man auf dem Weg zum Gestaltwerden der Idee die besten Stücke aus den Lenden beißt. Aber liebe Freunde, werdet Ihr starr und kalt und dogmatisch wie deutsche Professoren, diktiert, verbannt, richtet, nehme ich mir freie Luft und die Möglichkeit jeder Bewegung. Ich bin für jede Aktivität, aber für jede Duldung. Ist Handlung nur Motor, Geist nur Zweckmaschine, rette ich mich in jene Landschaft, wo Menschen an Wachstum und Fülle, Tropischem und Bodenfrucht still und menschlich Freude haben. Wächst aus Politik kein gutes und rasches Machtgefühl, werdet Ihr geschliffen zu Kastratenkompromissen, und, wo Illuminierte eingingen, speien die Tore Zwitter aus. Was heut proklamiert wird, soll von der ersten Eizelle an den Menschen bessern, es wird nicht mit Kommandos gehn, er muß willig sein, überredet werden, nicht militarisiert zum Geist. Dann kommt nur aus großer Zeitkunst, wo Form, Idee, Kraft und Genie sich zu geheimnisvoller Schöpfung vereinigt, zurück, was bleibt, da ist, und ein neues Geschlecht begeistert, befittigt. An Zweckkunst allein erbricht sich das Gefühl wie der Steiß an Jugendstilmöbeln. Nicht Kunst ist unwichtig, sondern nie war sie wertvoller und von größeren Sonnen beschienen. Geist ist nicht Enge, nicht Diktat, sondern wie jede Äußerung des Ungewöhnlichen und Großen loyal und auch in der Duldung voll Größe. Schaut in ein Dutzend Erdumdrehungen die Erde nach anderen Schwüngen, sind die Voraussetzungen heutiger Ekstasen vorbei. Nichts bleibt als Gestaltung.
Immer war die Muse die große Trösterin und die schön Aufnehmende unseres Leides, und kein Gott hat gewagt, ihrem unerbittlich großen Gang sich entgegenzustellen. Eine seltsame Erleuchtung hat es unternommen, daß, als erste soziale Feuer sich entfachten und hymnische Knaben erfanden, daß „Freiluftkunst“ und Fidus, Naturstimmung und Stammeln Höhen des Erlebnisses seien, ein Aristokrat die reinste Musik seiner Jahrhundertshälfte in der Prosa formte, indem er in vollendeter und schöner Schwäche den Todesgesang und das entzückende Sichneigen seiner Rasse und seiner Generation begann. Außer Menschen, die die Wehmut seiner Sprache liebten oder Dandysmus des Gefühls in der spielerischen Geste zu sehen glaubten, außer Frauen und emporgekommenen Jünglingen hat niemand seine Sprache vernommen, niemand diesen großen Abschluß begriffen. Ehe er starb, war er jahrelang blind. Jenseits der Menschen schon, wie er über der Form stand, gleich Klee und Renoir ein Handwerkszeug so meisterlich beherrschend, daß er es fast nicht mehr gebrauchte. Eine Könnerschaft ging weg, wie in der Ausbalanzierung der Worte, in der Elastizität der schwankenden Sätze, in der tragischen Grazie dieses Land sie generationenlang nicht besaß. Wie allein Sternheim in der unheimlichen Knappheit jahrhundertalter Hirnkultur sie konstruktiv danebenstellen kann, aber niemals diese Gelassenheit erreicht, in der alte Möbel und Schlösser, Schlachten, Heiraten, Herbste, Ernten, Rokoko und erlauchte Blutmischungen Farbe und Erinnerung hineingaben. Da wir Kraft des Ausdrucks scheints mehr schätzen und haben als erlesene Prozesse der inneren Läuterung, liegt dem Deutschen und Kaffern das Einfühlen dahinein schwer. Weltgefühl hatten Staufer, die Ottonen. Man hat es nicht bewahrt. In der Breite blieb keine Form. Kommt ein Spätling damit ans Licht, zeigt in sieben Sätzen davon mehr als der Durchschnitt heutiger Autoren aufweisen kann, schelten sie ihn, achselzucken sie: Artist. Niemand ahnt, keiner weiß, welche Leiden, Mühen und Jahrzehnte es erst braucht, setzt aus den Stürmen und Kämpfen unseres Weltgefühls heut sich einmal nur die erste Stufe glatter Tradition, so daß irgendeiner schon jenseits all unserer Kämpfe leicht wie in luftloser Freiheit Summen und süße Kraft zieht. Im Chaos unserer Bewegung durch die Jahrhunderte steckt beste Kraft. Aber das ist kein Zustand, ist barbarische Gewohnheit. Lästerern, die sich der Roheit brüsten, ja uns allen, die an der Roheit wir ohne Schuld tragen, ist nur selten ein Zeichen gekommen, das zur Arbeit an der Gemeinsamkeit einer Harmonie riefe. Hier verscholl eines. Sein Gedanke war in andere Welt gekehrt. Kein Fanatismus, keine Problematik gab es mehr. Zeitfragen waren Stoff und Vorwurf, der so unwesentlich ihm war wie irgendeinem. Zum Schluß sah er nur noch Menschen. Die Melodie, mit der eine Welt aufwuchs noch einmal, war beste europäische, männlich, zurückhaltend und auch in der Schwäche ernst.
Zwischen Rußland und Deutschen hat die baltische Kultur sich in abgeschlossenen Jahrhunderten zu Reife und Enge entwickelt. Chinesisches kam aus ähnlicher Einsamkeit. Die Herrenkaste haßte Deutsches und Preußisches, schwang in Rußland die Geißel. Schon das Kokettieren mit Preußen, als der slavische Imperialismus die Brücken und Stoßwagen verbrannte, hätte diese über Zeit und Jahrhunderte unwahrscheinlich gebogenen Zustände innerlich zerstört. Zwischen Bolschewiken und Junkern laviert eine Kaste, die ein Jahrhundert zu lang Kondottieri und Ritter geblieben war. Um ihre Wälder und Schlösser aber staute sich die Zeit wie eine Schale gegen den Himmel. Darin wuchs wie aus Urformen Gewohnheit und Blutstraße sich zu einem Daseinsrhythmus, der in seiner Überzüchtung weit über Wien hinausgehend, den Rekord auf deutschredendem Boden mit tausend Längen schlug. Hier war ein Volk noch aristokratisch, noch mittelalterlich, flackten Feuer, Feste, Fackelzüge übers Eis in Übung und Sinn des achtzehnten, des zwölften Jahrhunderts. Stoffe und Menschen, der Frühling und die Geburt kamen in Einstellung auf ein Dasein, dessen Inhalte diese Vorgänge nie gliederte, sondern nur beherrschte. Alles ist abgerichtet, fertig. Den letzten Dichter der Epoche läßt das Schicksal sterben, ehe eine neue Zeit das alles zerstört. Was er findet aber, ist so vorbereitet, so vollendet, so voll verhaltenem, kaum ertragbarem Ton, ist so in seine Hand hineingetrieben und ihren Rinnen gemäß gebaut, daß seiner geringsten Bewegung alles gehorcht. Er denkt die Vorgänge in seine Prosa, nie schreibt er. Das Mechanische ist tief unter ihm. Wissende spüren, wie ungeheuer das Bedeutendste bei ihm zwischen den Zeilen ist, wie bei Hamsun in der Atmosphäre so nah liegt, daß es nie, sondern nur Unwichtiges gesagt wird. Barbaren warfen mykenischen Stuten Menschen zum Fraß vor. Religiöse und Erschauerns fähige Völker wagten den Namen Gottes nie auf die Lippe zu nehmen und umschrieben ihn mit einfachen Symbolen.
Er filtriert Menschen nicht zur Idee, denn was Menschen damit meinen, ist in ihrer langen Vergangenheit schon irgendwie ihnen begegnet, in sie eingetaucht, Probleme gibt es nicht mehr. Die Zeit ist so alt geworden, daß alles bekannt und freund ist. Leidenschaften werden nicht mehr von Belang. Sie werden getragen, sind sie zu stark, stirbt man unter ihnen wie bei zu sehr Geliebten. Ein Heroimus des stillen Unterliegens und der passiven Widerstände erhebt sich und wird allgemein, nicht besonders. Gutes, Böses, Soziales und die Forderungen, mit denen Zeit und Schicksal die ewige Drehung des Gestirns begleiten und dirigieren, werden nicht mehr bewußt, das ist geregelt, Widerstand wird nicht erdacht. Es würde Unsinn, denn in welche Welt wäre zu scheiden aus dieser, es sei denn in den Tod? Man trägt. Wie bei den Russen. Auch hier wie bei Tschechow. Aber erlesener, man hat mehr an Süßigkeit vergangener Zeit und ungemeinen Geschehens auf seinen Leib gesammelt. Die großen Gebärden waren schon da, sie werden aus Achtung nicht wiederholt. Die Welt ist ganz in Zurückhaltung zusammengewachsen. Was den Neu-Aufgekommenen bestaunbar, stürmisch, durchwatbar und Meersehnsucht des Unendlichen scheint, belächelt man. Es war zu den Kreuzzügen schon Fanal. Die Landschaft gliedert sich in Alleen mit Nebel, auch etwas Sonne. Natürlich ist es sehr farbig im Herbst, der Sommer bringt zum tausendsten Mal Frucht. Die Seelen der Frauen sind sehr seltsam geworden in diesen Wiederholungen der Körper. Bild an der Wand gleicht Bild an der Wand und denen, die sie beschauen. Der Makrokosmos ist in ihre Seelen schattenhaft eingegangen. Man kennt nicht viel, weiß aber fast alles. Daher ist die Wehmut in allem, im Glück, in der Zeugung, im Schrei. Manchmal hat sie die äußersten Grade des Süßen erreicht, vollendet bis zum Glanz des Porzellans und starr geworden wie die Welt asiatischer Miniaturen, dünn im Atem und tötlich in der Tragödie und von einer Selbstverständlichkeit der menschlichen Schwünge und Charaktere, daß die zitternde Hand vor dem Sausen der Natur zurückschreckt.
Mit feinem Anschlag kommt eine Hand an die Tastatur. Beherrscht, klar, Gefühl bei Gefühl, die tanzende Weltkugel in der Mitte auf Wasserstrahl in absoluter Geschlossenheit, mit gewähltestem Anstand, beginnt ein Orchester. Bläser und Trommeln sind nicht vonnöten. Man sieht überhaupt keine Instrumente. Nur ein großer Dirigent hat eine heimliche Melodie angeschlagen, aber, als er begann, waren Solisten und Instrumente schon in jenen Nebel entzogen, den die Zeit vor die Abschlüsse stellt. Doch da sie zur Katastrophe den guten Ton setzt, haben, lang noch, Engel und Verfluchte Glanz und erlesene Substanz irgendwo im Raum von einer Wolke abgelesen.
Jedes Schachteln und Bestimmen hört damit auf. Er wurde aus einer Schule heraus groß. Ein Schlagwort hat immer allgemeinen Sinn, und sage ich zögernd expressionistisch, meine ich Cheops so gut wie Roswida, Däubler, den Baalschem, den William Shakespeare. Mir wächst das Wichtige ins Gesicht, nicht die gorillahafte Färbung. Heut ist mir’s Ausdruck des Weltgefühls meiner Epoche, es bedeutet mir Phalanx mit Pazifisten, Mutigen und Aktivisten und Malern. Es können Blasse dabei sein und Fliegerleutnants. Es sind Brüder zum Ziel. Messe ich nach fünf Jahren, lasse ich nur die Leistungen passieren, das, was hart und dick geworden ist. Das Schlagwort zerflattert. Wahrscheinlich ist mir dann, ich habe es nie gewußt. Daß, als Keyserling lebte, getüpfelt ward, Bang strichelte, Jacobsen schraffierte, Gejerstam an dem Filetrahmen saß, Programme darauf geschrieben wurden, Gierige sie ausschrien und sich damit kostümierten, hat nie eine Zeile des Mannes umgedreht. Zuviel war hinter ihm. Stil und Haltung, die ihn trugen, waren geschmeidig genug, den Luftzug aufzunehmen und sich untertänig zu gestalten, wie alles, was die Zeit herantrug. Als van Gogh und Cézanne tot waren, schlug sich der Pöbel, der von ihnen lernte und lebte, darum, ob sie als Im- oder als Expressionisten sich gedacht hatten, solange sie sehnsüchtig oder überdrüssig den romanischen Teil der Oberfläche Europas besiedelten. Sie haben schwer sich geschunden und um den Ausdruck ihrer Kraft gerungen. Was große Persönlichkeiten einfängt in die Spiegeleien an den vier Wänden der aktuellen Zeit, ist nur von sekundlichem Belang. Was säuselte in impressionistischen Kapiteln, ist abgefallen, nicht mehr da. Die Zeit drängt enorm zusammen. Bald werden Renoir und Picasso dicht nebeneinander liegen. Das ist die große Einstellung. Im Ausscheiden und Niveaudurchbilden von Monat und Jahr geht es ums andere, ums Gegeneinanderstellen, um die Kontraste, ums Deutlich- und Gesundmachen der problematischen Vereiterungen durch Operation. Von denen der letzten fünfzig Jahre ist Wassermann durch Romancierfülle in einer asketischen und mager gewordenen Romanzeit, Heinrich Mann durch die große Geistigkeit, Sternheim über seine schmale und glitschige Florettbegabung durch die Zeitprophetie und sein unerschütterliches Bekennertum weit und sehr über Schulehaftes hinausgestrebt.
Da gibt es nach dem Durchbruch eine Luftschicht, wo unten sich Befeindendes zusammenrückt. Man ist unter sich, Cervantes, Chrestien von Troies, Tomas a Kempis und Hutten, Heine und Hölderlin. Zola und Maupassant. Man darf in dieser Höhe die unten wichtigen Unterscheidungen der Stile nicht zu ernst nehmen. Man tut es im letzten Grund überhaupt nicht, auf Gipfel, Kerle, Leistungen bedacht. Die kleinen Gefühlvollen haben den großen Dichter deutscher Prosa einen Ästheten genannt. Manchmal war er allerdings gegen feuchte Hände und Röllchen. Es war ein Reinlichkeitstrieb, den selbst Papageien und Hunde haben, mit Dichtung hat dies nichts zu tun. Fortgeschrittene liebten ihn wegen seiner Milieus und seiner Gefühle. Sie waren nicht gefährlich, auch Gouvernanten erkannten im Leben der Vielen, die sich selbst unterdrückten, ihre geschundene Kreatur wieder und beschlagnahmten ihn für sich. Kenner aber statuierten ihn zum Impressionisten. Liebe Ahnungslose, er war nicht von euch, der das Martyrium reiner Menschlichkeit in zu sehr auserlesenen Exemplaren zu Hyperbel und Schleife über den Schicksalsrücken zog. Indem er jenseits von Kunst stand, weil er zusehr sie beherrschte, war er nicht mehr kategorisierbar. Wohl war nicht stark seine Hand, ein Knick in jedem Buch, langsam das Blut und fadendürftig das Rollen des Vorgangs, aber es war ein Bild. Ein Erdbild. Schon als er begann es auszusprechen, war er Symbol einer Zeit, die fast nicht mehr bestand, als er endete, war sie vorüber. Ihr Weltgefühl ist nur noch in seinem Werk. Ein kleiner Narr nur redet von Kunstform vor solcher Wölbung aus der Jahrhundertkurve. Dieser Mann nur, nicht Hauptmann, nicht Thomas Mann, nicht euer dummer Liliencron, kann auf solcher Höhe mit solchem Anspruch neben France, Chesterton, D’Annunzio auf irgendeinem Olympos der Völker, wo schon nicht mehr um Forderung und um Zeit gefeilscht, sondern um Repräsentation der Gefühle und Gezeiten gefochten wird, in erster Linie und mit der Haltung solcher Würde eingeführt und empfangen werden.