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Lilly

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»Was willst du damit sagen, du hast mit ihm geschlafen?« Kristen schiebt eine lange blonde Strähne hinter ihr Ohr und reißt die Augen auf. »Mit Braden Bennet? Wieso? Und wann, in Gottes Namen?«

»Vor fünf Jahren.« Ich knibble mit beiden Händen das Etikett von der Weinflasche, die neben der Kerze zwischen uns steht. »Kurz bevor ... kurz bevor Jonathan und ich geheiratet haben.«

»Ach du Scheiße.« Kristen stößt geräuschvoll Luft aus. »Weiß Jonathan, dass du ihn betrogen hast? Mit ihm?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein. Und das darf er auch nicht erfahren, sonst kann ich mir den Gang vor Gericht gleich sparen.«

»Na ja, es war vor eurer Ehe, daher zählt es wohl nicht für die Schuldfrage.« Kristen legt den Kopf schief und streckt eine Hand über den Tisch, um meine zu greifen. »Hey, mach dir keinen Kopf! Braden ist vernünftig, er kann damit ganz bestimmt umgehen. Und er ist eindeutig der beste Scheidungsanwalt, den ich dir besorgen kann. Der Rest meiner Kollegen ...« Sie hebt beide Arme und lässt sie fallen. »Du hast mit Jonathan natürlich den härtesten Gegner. Also brauchst du jemanden, der es mit ihm aufnimmt. Und ich bin mir sicher, dass Braden das schafft.«

»Ja, bestimmt.« Meine Stimme klingt verzweifelt. Langsam halte ich das abgeknibbelte Etikett in die Kerzenflamme und sehe zu, wie es nach kurzem Glühen zu schwarzem Staub zerfällt. Ein beißender Geruch dringt mir in die Nase. »Aber es ist wirklich ... seltsam.«

»Ich kann dich ja verstehen.« Kristen grinst. »Er ist scharf. Wenn er nicht so ein fieser Hund wäre, könnte ich sogar in Versuchung kommen.«

Ich muss lachen. »Bist du schon mal gegen ihn angetreten, vor Gericht, meine ich?«

Sie nickt. »Oh ja. Und ich habe kläglich verloren. Eine meiner schlimmsten Erfahrungen.« Dann beugt sie sich über den Tisch und senkt die Stimme. »Oder hast du Angst, es könnte wieder was passieren? Mit euch, meine ich?«

Erschrocken hebe ich beide Hände. »Nein, um Gottes willen! Glaub mir, ich habe fürs Erste genug von Männern. Außerdem wäre das tödlich für meine Aussichten.«

»Ja, das wäre es. Schließlich geht es um ziemlich viel Kohle.« Kristen rümpft die Nase und nippt an ihrem Rotwein. Die Weingläser in dem kleinen italienischen Restaurant sind so groß, dass man die ganze Flasche auf einmal hineinschütten könnte, ohne einen Tropfen zu verschwenden. Im Gegensatz zu Kristen schaffe ich es nicht, meines elegant am Stiel zu halten und greife stattdessen mit beiden Händen um das bauchige Glas.

»Auf wie viel klagst du?« Kristen sieht mich neugierig an. Ich zucke mit den Schultern und trinke einen Schluck Wein.

»Das weiß ich nicht. Die Hälfte seines Vermögens, schätze ich. Aber wie viel das genau ist ... keine Ahnung. Er hat sich ja in den ganzen Jahren nie in die Karten gucken lassen.«

Kristen lacht. »Das sieht ihm ähnlich, dem alten Fuchs. Braden wird das für dich rausfinden, glaub mir. Das ist seine Spezialität! Er hat schon vielen betrogenen Ehefrauen zu ihrem Recht verholfen.«

Zu ihrem Recht ... Mein Magen verkrampft sich. Ich bin selbst Juristin, wenn auch keine besonders erfolgreiche. Im Gegensatz zu Kristen, die in einer Kanzlei als Partnerin arbeitet, habe ich die Sicherheit und Bequemlichkeit einer Angestelltenposition vorgezogen. Weil mir meine Freizeit wichtig war, und weil ich glaubte, bald Mutter zu werden. Mutter von Jonathans Kindern. Wie sehr man sich doch täuschen kann.

Ich leere mein Glas in einem Zug und stelle es so heftig auf den Tisch zurück, dass er sanft wackelt. Kristen zieht eine Braue hoch, sagt aber nichts.

»Ich bin auf Jonathans Geld nicht angewiesen. Am liebsten würde ich meine Ansprüche ablehnen, wenn er dafür einer schnellen Scheidung zustimmt. Ich will endlich wieder frei sein.«

Kristen rümpft die Nase und mustert mich eindringlich. »Lilly, das wäre nicht nur dämlich von dir, sondern ... ach, mir fällt gar kein passendes Wort dafür ein. Du warst fast fünf Jahre mit ihm verheiratet. Du solltest nehmen, was du kriegen kannst. Zum Teufel, früher warst du auch nicht so rücksichtsvoll. Ich hatte dich eigentlich immer als harte Staatsanwältin gesehen, aber in den letzten Jahren hast du dich echt nicht gut entwickelt. Manchmal kommst du mir vor wie ein Teenager. Oder wie deine Mutter.«

Ich muss lachen. »Lass meine Ma aus dem Spiel«, scherze ich mit dem Weinglas drohend und lehne mich im Stuhl zurück. »Sie ist prima, so, wie sie ist.«

»Klar. Für dreckige Schuhe wäre sie perfekt. Als lebendiger Fußabtreter. Aber sonst ...« Kristen hebt die Schultern und schenkt uns Wein nach. Der letzte Tropfen, der sich aus der Flasche quält, fällt in mein Glas. »Noch eine?«

»Nein, lass mal«, winke ich ab. »Ich glaube, das reicht mir für heute. Ich möchte dringend auf meine Couch. Aber danke, dass du dir so spontan Zeit für mich genommen hast.«

»Hey.« Kristen greift nach meiner Hand und drückt sie. »Das ist doch klar. Du bist meine beste Freundin, Lilly. Seit Jahren.«

»Ich bin deine einzige Freundin«, erwidere ich und zwinkere ihr zu. »Vor lauter Ehrgeiz hast du irgendwie vergessen, dich um dein Privatleben zu kümmern. Und das bezieht sich nicht nur auf deinen fehlenden Ehemann.«

»Ich brauche keinen Mann, der mich nicht ausreden lässt, mich betrügt und im Urlaub die Restaurantrechnung mit mir teilt«, erklärt sie bitter, und ich zucke zusammen. Sofort ziehe ich meine Hand zurück.

»Meinst du das ernst?«, frage ich sauer. Gut, ich habe selbst kaum ein gutes Haar an Jonathan gelassen, seit ich weiß, dass er fremdgeht. Aber es ist ein Unterschied, ob ich so über meinen Ehemann spreche oder jemand anderes. So, wie sie es sagt, könnte man denken, er ist ein totaler Arsch. Nur wäre ich dann eine Idiotin, weil ich es so lange mit ihm ausgehalten habe. Und das bin ich nicht. Jonathan hat auch gute Seiten, obwohl er sich in den letzten zwei Jahren redlich Mühe gegeben hat, sie vor mir zu verbergen.

»Es tut mir leid, Lilly. Ich wollte dich nicht verletzen. Aber du weißt schon, was ich sagen will.« Sie trinkt einen Schluck, ohne mich anzusehen. Ihr Blick schweift durch das etwas düstere Lokal. Die meisten Gäste sind schon gegangen und der blasierte Kellner sieht aus, als ob er uns einen Magen-Darm-Virus wünscht, damit wir endlich auch verschwinden und er aufräumen kann. Hoffentlich waren die Meeresfrüchte auf den Spaghetti, die ich vorhin appetitlos gegessen habe, frisch. Mein Magen rumort, was vermutlich eher an der Aufregung von heute liegt.

»Hast du am Wochenende Zeit? Ich dachte, wir könnten am Samstag ausgehen oder so. So wie früher.« Lächelnd krame ich in meiner Handtasche nach dem Portemonnaie und winke ab, als Kristen ihres auf den Tisch legt. »Lass nur, ich hab dich eingeladen.«? Kristen schüttelt den Kopf und steckt die Brieftasche wieder ein. »Danke. Am Wochenende kann ich leider nicht, sorry. Ich fahre zu meiner Familie.«

»Nach Schottland rauf? Schon wieder?« Ich staune sie an, während ich dem Kellner winke. »Du warst ganz schön oft oben in letzter Zeit, oder?«

Sie zuckt die Achseln. »Meinem Vater geht es nicht besonders. Der Hodenkrebs ist zurück und du weißt ja, wie er ist.«

»Das tut mir leid. Bestell ihm liebe Grüße von mir, ja?«

Ohne die Rechnung auch nur anzusehen, schiebe ich dem Kellner meine Kreditkarte hin und stehe auf, um meinen Blazer anzuziehen. »Dann vielleicht nächste Woche?«

»Ja, mal sehen.« Sie wirkt auf einmal fahrig. Wahrscheinlich deprimiert sie der Gedanke an ihren Vater, was ich sehr gut verstehen kann. Im Angesicht solcher Krankheiten erscheinen mir meine eigenen Probleme immer winzig. Wie ein lästiger Pickel oder ein Juckreiz, der einen zwar quält, aber nicht lebensbedrohlich ist. Ich bin gesund, ich habe einen vernünftigen Job und sollte zufrieden sein. Was bedeutet heutzutage schon eine Scheidung? Ich bin damit in bester Gesellschaft.

Draußen empfängt uns kühle Abendluft. Fröstelnd ziehe ich die Schultern zusammen und halte Ausschau nach einem Taxi.

»Bis bald.« Kristen nimmt mich in den Arm und drückt mich an sich. »Und viel Erfolg mit Braden. Wenn er dir an die Wäsche will, hau ihm auf die Finger.« Sie grinst mich an. Ihr Lippenstift ist kaum noch zu sehen, das Essen hat ihn abgewaschen. Aber ich finde sie viel schöner ohne das Make-up. Im Gegensatz zu mir hat sie das Zeug nicht nötig. Ich hingegen fühle mich ohne völlig neutral, von meinen rötlichen Haaren abgesehen. Sogar meine Klamotten sind in den letzten Jahren farblos geworden. Als ob ich mich in Unbedeutsamkeit auflösen wollte.

Als ein schwarzes Taxi mit leuchtendem Schild sich nähert, springe ich auf die Straße und halte meinen Arm hoch. Kristen wohnt in der Nähe und geht zu Fuß, aber ich wohne neuerdings in einer kleinen Wohnung in Camden. Das gesamte Apartment ist nicht viel größer als das Wohnzimmer in Jonathans Haus in Kensington, was egal ist. Denn es ist meins, ich bin frei dort. Und die Freiheit genieße ich, seitdem ich vor vier Wochen ausgezogen bin.

Nach einer halben Stunde Fahrt sind wir angekommen. Ich bezahle mit meiner Kreditkarte, schlüpfe aus dem schwarzen Wagen und eile auf die Haustür zu. In diesem Moment vibriert mein Handy in der Handtasche, und ich schaue verdutzt nach, wer mich so spät abends noch anrufen könnte. Die Nummer ist mir nicht bekannt, also gehe ich ran.

»Hallo?«

»Lilly? Hier ist Braden.« Ich hole tief Luft. Seine Stimme löst eine Gänsehaut bei mir aus. Was will er denn um diese Uhrzeit von mir? Mit einer Hand schließe ich die Haustür auf, klemme das Handy zwischen Schulter und Kinn und schaue in den leeren Briefkasten. Dann gehe ich die Treppe hoch in den dritten Stock.

»Braden. Tut mir leid, es ist spät und ich bin gerade erst nach Hause gekommen.« Und nicht mehr ganz nüchtern, stelle ich innerlich kichernd fest, als ich fast über die Fußmatte stolpere. Kristens Spruch über meine Mutter schießt mir durch den Kopf, aber ich versuche, nicht dran zu denken und sperre die Tür auf.

»Sorry, ich wusste nicht, dass du noch unterwegs warst. Ich wollte mich nur erkundigen, wann du Zeit für mich hast?«

»Für dich?« Mein Herz klopft schneller. Er will sich doch wohl nicht mit mir verabreden? Himmel, die Situation ist so seltsam, da kann er mich unmöglich fragen, ob ich ...

»Wegen der Unterlagen. Ich habe sie vorhin grob durchgesehen, aber es gibt natürlich eine Menge offener Fragen. Insbesondere die Schuldfrage dürfte in eurem Fall wichtig sein, da ich annehme, dass dein Ex-Mann möglichst günstig aus der Ehe rauskommen will. Und in Anbetracht seines Vermögens ...«

Ich schnaufe und schiebe die Tür mit dem Fuß zu, während ich mich unbeholfen aus dem Blazer quäle. Dummerweise habe ich die Heizung heute Morgen voll aufgedreht und nicht abgeschaltet, bevor ich das Haus verlassen habe. Jetzt herrschen in der kleinen Wohnung Saunazustände.

»Hast du einen Vorschlag? Ich bin relativ frei diese Woche, aber nächste Woche fliege ich nach New York, da wäre es nicht so günstig. Also sollten wir es vielleicht schnell hinter uns bringen.«

»Donnerstag? Oder Freitag? Ich richte mich nach dir.« Er klingt besonnen, wie immer. Ganz bei sich. Nachdenklich lasse ich mich auf mein Ledersofa fallen und strecke die müden Beine aus. Meine blickdichte Strumpfhose reflektiert das Licht der Deckenleuchte.

»Dann ... morgen?« Meine Finger kribbeln, nachdem ich es entschlossen ausgesprochen habe. Ich nehme das Handy in die andere Hand und betrachte meine nicht manikürten Nägel. Ich mache mir nicht viel aus dem typischen Frauenkram, aber seltsamerweise finde ich meine Hände überhaupt nicht schön. Meine Finger sind lang und dünn, einigermaßen gerade, doch meine Nägel sind kurz und eckig, nicht filigran oval und schon gar nicht rund gefeilt.

Ich höre ihn mit Papier rascheln. Benutzt er etwa noch einen altmodischen Papierkalender? Grinsend warte ich auf seine Antwort und knabbere Nagelhaut von meinem Daumen.

»Morgen ist gut. Das kriege ich hin. Um acht im McQueens? Weißt du, wo das ist?«

Oh. Mein. Gott. Das macht er mit Absicht. Mein Magen schrumpft auf Erbsengröße.

»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst?«

»Wieso, ich ... Ach, herrje.« Er lacht rau. Der Klang jagt einen Schauer über meinen Rücken. »Tut mir leid, das hatte ich ... Vergiss es. Dann woanders. Hast du eine Idee?«

»Nein«, höre ich mich selbst sagen. »Das McQueens ist prima.« Davon abgesehen, dass es mich an eine Nacht vor fünf Jahren erinnern wird. Und ich gezwungen sein werde, durch die halbe Stadt zu fahren, weil ich morgen Nachmittag bei Jonathan in Kensington bin, um meine restlichen Sachen abzuholen. Der Gedanke lässt mich aufstöhnen.

»Lass uns dort treffen. Vielleicht hilft es sogar und mir kommt das Ganze nicht mehr so schrecklich peinlich vor.«

»Es muss dir nicht peinlich sein, Lilly. Wenn überhaupt, bin ich derjenige, der sich schämen muss.« Seine Stimme klingt dunkler als vorhin. Verführerisch wie warme Schokolade, und sie fährt mir umgehend in den Bauch – und in tiefere Regionen. Mein Verstand schickt Alarmsignale an meinen Körper, aber mein Unterleib ist offenbar stärker und reagiert auf seine ganz eigene Art auf ihn. Ich sollte auflegen und die Sache beenden. Ich kann bloß nicht. Weil ich eigentlich gar nicht will? Weil das Spiel mit dem Feuer nach all den Jahren in Jonathans kalter Gegenwart so verlockend ist?

»Morgen um acht«, sage ich nur noch kurz. »Gute Nacht, Braden. Schlaf gut.«

»Gute Nacht, Schönheit«, flüstert er, dann höre ich, wie er auflegt. Mein Puls rast. Ich gehe in meine winzige Küche, hole eins von zwei alten Gläsern aus dem Schrank und schenke mir einen Whisky ein. Mit geschlossenen Augen leere ich ihn in einem Zug, dann lehne ich meinen Hinterkopf gegen den Küchenschrank und presse eine Hand auf mein pochendes Herz.

Das hier ist nicht gut. Gar nicht gut. Ich hätte heute Nachmittag direkt die Flucht ergreifen sollen, als ich noch eine Chance dazu hatte. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich muss mich beherrschen, auf keinen Fall darf ich eine Affäre mit meinem Scheidungsanwalt anfangen. Schon gar nicht vor meiner Scheidung. Ich trinke ein zweites Glas Whisky, dann gehe ich ins Bad und putze mir auf dem Klo sitzend die Zähne. Auf einmal bin ich entsetzlich müde, aber vor meinem inneren Auge taucht immer wieder ein Lächeln auf. Ein ganz bestimmtes Lächeln.

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