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Lilly

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Meine letzte Hoffnung stirbt, als der Türsummer ertönt. Enttäuscht stopfe ich den Schlüssel in die Manteltasche zurück und drücke das Tor auf.

»Guten Tag.« Seine Begrüßung ist frostig. Er ist unrasiert und trägt keinen Anzug, was selten vorkommt. Die Tatsache, dass er nicht in der Kanzlei hockt, sollte mir Sorgen machen. In den letzten Jahren hat er sich weder an unserem Hochzeitstag noch an meinem Geburtstag frei genommen, seine Arbeit war immer wichtiger. Erinnerungen beißen mich in die Eingeweide.

»Hallo, John«, sage ich. »Ich bin nur hier, um ...«

»Ich weiß. Komm rein.« Er öffnet die Tür weiter und macht eine einladende Handbewegung, die allerdings ebenso gut mit dem international verstandenen Zeichen für Kopf ab verwechselt werden könnte, so scharf und hektisch ist sie. Es ist unfair, dass er mich so behandelt. Schließlich hat er das Ende unserer Ehe provoziert, wenn mir auch klar ist, dass daran immer zwei Menschen beteiligt sind. Die Ansicht meiner Mutter, dass ich ihm im Bett nicht genug geboten und ihn somit in das einer anderen gezwungen hätte, ist zwar lächerlich. Trotzdem weiß ich, dass ich Fehler gemacht habe in den letzten Jahren. Der größte Fehler war sicherlich, ihn geheiratet zu haben. Ich hätte es wissen müssen.

»Ich habe mir einen Anwalt genommen«, sage ich, während ich einen Karton hochnehme, den er gepackt hat. Fotos und Bücher Lilly steht darauf, das Ding ist verdammt schwer. Meine Arme werden länger, draußen wartet ein Taxi. Als ob das hier nichts weiter als ein langweiliger, stinknormaler Botendienst wäre. Ich bin aber gerade dabei, mein Leben aus diesem Haus zu radieren, das für beinahe fünf Jahre mein Zuhause war.

»Du willst es also durchziehen, ja?« Er reibt sich über das Kinn und sieht müde aus.

»Jonathan, ich kann nicht«, versuche ich auf ihn einzuwirken, obwohl ich weiß, dass es hoffnungslos ist. »Es ist besser so. Für uns beide. Wir hatten doch schon lange keine Ehe mehr.«

»Wie du meinst.« Sein Gesicht ist unbeweglich. Mit starrer Miene hält er mir die Tür auf und lässt mich den schweren Karton nach unten auf die Straße tragen. Der junge Taxifahrer stürmt mir entgegen und nimmt mir die Kiste ab, nicht ohne einen missbilligenden Blick auf meinen Noch-Ehemann zu werfen, der in der Tür stehenbleibt und uns unbeteiligt beobachtet.

»Es kommen noch zwei. Oder drei«, sage ich. »Viel ist es nicht mehr.«

»Verstehe.« Der Junge nickt. Sieht aber nicht so aus, als ob er wirklich verstünde. Wie sollte er auch? In dem Alter glaubt man noch an die Liebe. An den Seelengefährten, der irgendwo auf der Welt auf einen wartet. Dieser eine Mensch, der die perfekte Ergänzung ist und alles in einem zum Flattern bringt. Und nicht daran, dass die meisten Menschen doch denjenigen heiraten, mit dem sie zufällig um ihren dreißigsten Geburtstag herum zusammen sind. Weil sie müde sind von der jahrelangen Suche, gebrannt von zahlreichen Enttäuschungen und desillusioniert. Weil sie endlich irgendwo ankommen wollen.

Jonathan sieht mich an wie einen Eindringling, als ich an ihm vorbei in das riesige Wohnzimmer zurückgehe und den nächsten Karton hole. Kellerkram Lilly. Es gibt noch Müll oder Lilly und Badezimmerzeugs. Fast muss ich über seine Kritzeleien lachen, doch ich verspüre ebenso einen Stich im Herzen. So endet es also. Irgendwie hatte ich es mir schlimmer vorgestellt. Oder anders. Es hätte sich zumindest anders anfühlen sollen. Im Moment spüre ich gar nichts, keine Trauer, keine Wehmut. Ich bin nicht einmal mehr wütend auf ihn. Wohin ist meine Wut verschwunden? In was hat sie sich verwandelt? Ich habe keine Ahnung, aber wenn ich in mich hineinlausche, höre ich nichts. Als ob ich verstummt wäre.

Nachdem der junge Fahrer mir den letzten Karton abgenommen und im Kofferraum verstaut hat, bleibe ich unschlüssig in der offenen Tür stehen.

»Also ... dann«, sage ich und sehe Jonathan in die Augen. Sie sind verhangen, er sieht aus, als hätte er wenig geschlafen oder sogar getrunken. Dabei trinkt er selten und nur in Gesellschaft, niemals allein. Trotz der Müdigkeit ist er immer noch sehr attraktiv. Er könnte jederzeit zu einem Casting für einen James Bond-Film gehen, und ich bin mir sicher, dass er genommen würde. Seine Ausstrahlung hat mich damals schwer beeindruckt, als ich Studentin war und er mir ein Leben bieten konnte, von dem ich als Mädchen in meinem winzigen Zimmer, das ich mit meinem Bruder teilen musste, immer geträumt habe. Er war mein weißer Prinz auf dem Pferd. Und sein Pferd war ein Aston Martin von 1969, in dem ich mich zum ersten Mal verführen ließ. Hummer, Austern, Champagner, ein teures Auto, Geschenke in Schatullen von Cartier. Und schon war seine Hand unter meinem Rock, sein Mund in meiner Bluse.

Ich schüttle die Erinnerung ab und halte ihm die Hand hin. »Bis bald, Jonathan. Du siehst erschöpft aus. Vielleicht solltest du mal Urlaub machen?«

Er schnaubt durch die Nase. »Natürlich. Damit du in Ruhe einen Plan schmieden kannst, wie du an mein Geld kommst. Das hast du dir wohl so vorgestellt.«

»Du weißt, dass ich nie an deinem Geld interessiert war«, sage ich nachdrücklich. »Und ich bin es auch jetzt nicht. Du kannst es behalten. Ich will einfach nur ... weg.«

»Du hörst dich an, als ob ich ein mieses Arschloch wäre. Als hätte ich dich verprügelt, eingesperrt, sonst was. Dabei hattest du bei mir den Himmel auf Erden, und zum Dank ruinierst du meinen Ruf als Anwalt. Weißt du, was die Leute denken, wenn ich geschieden werde? Wegen angeblicher Untreue? Weißt du, dass sich die Presse darauf stürzen wird? Sie werden sich daran ergötzen, Lilian. An uns. An unserem Leid.«

»Du hast mich verletzt, Jonathan. Auch wenn das vielleicht nie deine Absicht war, aber ... ich war eine Gefangene. Und jetzt will ich frei sein. Du hörst sicher bald von meinem Anwalt. Er regelt alles für mich. Mach es gut.«

Ich drehe mich um, doch er reißt mich am Oberarm zurück. Fast falle ich rückwärts die Treppe hinunter, strauchle in der Luft und schaffe es gerade so, mein Gleichgewicht zurückzuerlangen. Weil er mich festhält. Seine Finger spannen sich wie ein Schraubstock um meinen Arm.

»Ich werde es dir nicht leicht machen, Lilian«, knurrt er. Seine grauen Augen glänzen. »Glaub nicht, dass ich es dir leicht machen werde.«

»Das weiß ich. Und es ist mir egal.« Ich schüttle seine Hand ab und gehe mit heftig pochendem Herzen die Stufen zur Straße runter. Ohne einen Blick auf das weiße viktorianische Haus zu werfen, in dem ich die letzten fünf Jahre gelebt habe, setze ich mich ins Taxi und ziehe die Tür geräuschvoll zu.

»So schnell wie möglich zurück«, sage ich, dann schließe ich die Augen und atme zum ersten Mal heute tief ein und aus. Es ist vorbei. Noch nicht ganz durchgestanden, aber es ist vorbei. Ich bin allein, ich bin frei und ich muss mich zwingen, glücklich zu sein. Weil ich Angst davor habe, einsam zu sein. Abends nach der Arbeit in eine leere Wohnung zu kommen und niemanden zu haben, mit dem ich reden kann. Ich hatte nie viele Freunde, doch die wenigen Freunde, die ich hatte, reichten mir. Bis auf Kristen ist mir keiner geblieben, alle anderen haben sich auf Jonathans Seite geschlagen. Was verständlich ist, schließlich waren sie seine Freunde, und ich habe mich durch die Ehe in ihre Leben gemogelt.

Ich bin trotzdem stolz auf mich. Weil ich es durchgezogen habe. Weil ich meine Angst endlich überwunden und ihn verlassen habe. Weil ich nicht länger ein menschlicher Fußabtreter sein wollte. Ich sollte das heute feiern. Und seltsamerweise sendet mein Körper Signale an mein Gehirn, die mir klar machen, dass er eine ganz eigene Idee für diese Feier hat.

*

»Das schwarze oder das dunkelrote Kleid? Was meinst du?«, frage ich mein Spiegelbild. Auf dem Nachttisch, den ich letzte Woche bei Ikea gekauft habe, steht ein angetrunkenes Champagnerglas. In Ermangelung einer Freundin, die ich um Rat bitten könnte, rede ich halt mit mir selbst. Was eigentlich ganz nett ist, schließlich widerspreche ich mir selten. Jetzt, so allein in einer kleinen Wohnung, fühle ich mich frei für solche Dinge. Halte in der Dusche Dankesreden für irgendwelche Preisverleihungen in eine Shampooflasche. Führe Interviews über meine Zukunftspläne, während ich ein Fertiggericht zubereite.

Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor, Lilly?

Oh, ich werde beruflich erfolgreich sein, aber nicht zu sehr, weil mir meine Freizeit immer noch wichtig ist. Ich werde einen liebevollen Ehemann haben, der mich auf Händen trägt und der auch nach vielen Ehejahren die Finger nicht von mir lassen kann. Zwei oder drei reizende Kinder und eine verschmuste Katze, die mir abends die Füße wärmt. Ich werde glücklich sein. Vollständig.

Ich grinse mich im Spiegel an und zupfe an einer Haarsträhne, die aus meinem Pferdeschwanz gerutscht ist. Im Gegensatz zu Kristens sind meine Haare nicht glatt und geschmeidig wie aus einer Shampoowerbung, sondern sehr widerspenstig, weshalb ich sie aus Bequemlichkeit meistens hochstecke. Das mag daran liegen, dass ich sie nur zweimal in der Woche wasche und keine Lust dazu habe, regelmäßige Pflegepackungen und Friseurbesuche auf mich zu nehmen. Normalerweise ist es mir egal, aber ausgerechnet heute frage ich mich ständig, ob ich überhaupt noch attraktiv genug bin. Dabei habe ich nichts weiter vor, als mich mit meinem Scheidungsanwalt zu treffen. Wieso stören mich die Fältchen auf der Stirn jetzt? So sehr, dass ich vor dem Spiegel verschiedene Gesichtsausdrücke übe, um zu prüfen, bei welchem Ausdruck so wenig Falten wie möglich zu sehen sind.

»Schwarz ist seriös und stilvoll, damit machst du nichts falsch«, sagt mein Spiegelbild und nickt mir aufmunternd zu. Dann runzelt es die Stirn. »Aber dunkelrot wirkt nicht so düster und nach Trauerfeier.«

»Danke, du bist mir eine großartige Hilfe.« Seufzend stopfe ich beide Kleider in den Schrank zurück und öffne die Kiste, die Jonathan mit Müll oder Lilly beschriftet hat. Ich ziehe ein uraltes Kleid heraus. Tausend Ameisen kribbeln durch meinen Körper, als mir einfällt, wann ich es zuletzt getragen habe. Es ist das Kleid, das ich für meine Abschlussfeier an der Uni gekauft habe. Sie war an jenem Abend, drei Tage vor unserer Hochzeit. Jonathan war zu beschäftigt, um mich zur Uni zu begleiten, aber ich wollte feiern. Das Studium ist mir nicht leicht gefallen, ich habe mich ziemlich gequält und die erste Abschlussprüfung versaut. Deshalb wollte ich unbedingt diesen Tag gebührend begehen, und ich zog mit meinen Kommilitonen durch die Pubs in Hackney, wo wir nach der letzten Runde betrunken in der Bar des McQueens landeten. Und dort traf ich ihn. Braden.

Ob mir das Kleid überhaupt noch passt? Seit der Hochzeit habe ich ein paar Kilo zugenommen, die sich zum Glück auf die richtigen Stellen verteilt haben. Mein Busen ist immer noch relativ klein, aber er ist fest und prall und ich muss nicht ständig einen BH tragen, was ich besonders im Sommer zu schätzen weiß. Ohne zu zögern, öffne ich den durchgehenden Reißverschluss am Rücken und streife es über. Es passt perfekt. Besser sogar als damals. Der tiefe Ausschnitt lässt meine Brüste größer wirken, obwohl ich nur einen normalen BH trage und keinen von diesen Push-up-Dingern. Das Kleid liegt am Oberkörper eng an, der bodenlange Rock wird nach unten hin etwas weiter. Schwarze Seide mit blutroten Mohnblumen, die stellenweise mit funkelndem Strass verziert sind, schmiegt sich an meinen Körper. So sehr, dass ich selbst die Luft anhalte, als ich mich im Spiegel betrachte.

Meine Körperhaare richten sich auf, und ich weiß: Das ist es. Das Kleid, das ich tragen soll. Heute Abend. Wer weiß, wozu es gut ist.

Mad about you

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