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Erstes Kapitel

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Ich sah sie, bevor sie mich sahen, daher konnte ich mich seitlich im Schatten der dichten Bäume verbergen, die sich an beiden Ufern des Flusses Harbourne bis ans Wasser drängten. Es war kurz vor Tagesanbruch, und ein kalter, klebriger grauer Nebel sickerte durch die ineinander verschlungenen Äste von Eiche und Erle, Esche und Buche und schützte mich vor den näher kommenden Räubern.

Sie gingen im Gänsemarsch; ihre Füße machten kein Geräusch auf dem dicken Laubteppich vom vorigen Jahr, der jetzt von den Regenfällen Anfang April durchweicht war. Einmal knisterten Bucheckern, und ein Zweig knackte, als einer achtlos darauf trat, was seine Gefährten sofort mit einem wütenden Zischen tadelten. Inzwischen roch ich sie auch – roch diese Mischung aus Feuchtigkeit, Schweiß und Dreck, die aus ihrer Kleidung aufstieg, und verstohlen zog ich mich noch tiefer in den Schutz der Sträucher zurück, legte eine Barriere aus Stechpalme und verkrüppeltem Holunder zwischen mich und diese schrecklichen, zu allem entschlossenen Männer; denn ein Blick hatte mir genügt, um mich davon zu überzeugen, daß es Banditen waren, Wolfsschädel, die in den Forsten von Süd-Devon hausten.

Als der Anführer auf gleicher Höhe mit meinem Versteck war, drang ein Strahl wäßrigen Sonnenlichts durch den überhängenden Baldachin der Bäume und beleuchtete ein schmales, frettchenähnliches Gesicht und einen Rücken, der unter der Last eines über die Schulter geworfenen Sacks tief gebeugt war. Zu seiner nächtlichen Beute gehörten unverkennbar auch Tiere von einer abseits gelegenen Farm, nach dem Blut zu urteilen, das aus der groben Sackleinwand tropfte und sich als dunkler Fleck auf dem weitmaschigen Gewebe ausbreitete. Auch der nächste Mann schleppte einen prallen Sack, dessen Höcker und Ausbuchtungen allerdings keinen Hinweis darauf gaben, was er enthalten mochte. Der dritte Bandit hatte sich nicht die Mühe gemacht oder es in der Eile nicht geschafft, seinen Sack ordentlich zuzubinden, der jetzt aufklaffte und seinen Inhalt preisgab – Gemüse aus den geplünderten Gärten und Kleinbauernhöfen. Der vierte Halunke hielt eine lebendige, sich heftig wehrende Henne unter dem Arm fest, der er mit einem schmutzigen Stoffstreifen den Schnabel zugebunden hatte, um ihr hysterisches Gackern zu dämpfen. In diesem Augenblick verblaßte das Sonnenlicht jedoch wieder, und der Rest der zerlumpten Prozession verlor sich als Schatten auf dem Pfad, der von vielen Füßen ins Unterholz getrampelt worden war. Ich zählte insgesamt zehn, eine Bande von Halsabschneidern, die offensichtlich die Umgebung der Gemeinde Totnes terrorisierten. Daß sie verzweifelte Männer waren, die vor nichts haltmachen würden, nicht einmal vor Mord, erkannte man an den gefährlich aussehenden Messern und Dolchen, die in ihren Gürteln steckten. Ich bezweifelte nicht, daß jeder einzelne von ihnen genauso zum Vergnügen wie aus Habgier morden würde und nicht die geringsten Gewissensbisse hätte, jede arme Seele vom Leben zum Tode zu befördern, die das Unglück hatte, seinen Weg zu kreuzen. Ich, ein fahrender Händler, der über Land zog, Geld und Waren bei mir trug, wäre ein toter Mann gewesen, hätten sie mich auch nur zu Gesicht bekommen.

Noch lange nachdem der letzte Räuber aus meinem Blickfeld verschwunden war, stand ich mucksmäuschenstill und wagte kaum zu atmen, für den Fall, daß ein Nachzügler in aller Eile versuchte, seine verbrecherischen Genossen einzuholen. Ich war mir der tiefen Stille des Waldes bewußt, der wie Säulen aufragenden Bäume und des undurchdringlichen Dickichts, das bis an den Rand des Flusses reichte; ebenso wie des ruhig dahinziehenden Wassergefunkels, das man dort sah, wo der Harbourne friedlich durch sein steiniges Bett plätscherte. Als ich schließlich sicher sein konnte, daß die Banditen außer Hörweite waren, kehrte ich wieder auf den Pfad zurück und setzte meine Reise fort, der Heiligen Jungfrau für meine Rettung dankend. Denn wenn er seine Kumpane nicht zu Hilfe rufen konnte, bereitete ein einzelner Mann, der vielleicht noch daherkam, mir keine Sorgen. Meine Größe und mein Körperumfang reichten – wie Leser meiner früheren Aufzeichnungen wissen – damals aus, um mich aus jedem Kampf von Mann zu Mann als Sieger hervorgehen zu lassen.

Ich war jetzt seit mindestens zwei Monaten unterwegs, zog von Bristol, das nach den Ereignissen des vergangenen Jahres mein Zuhause geworden war, gen Süden. Den Winter hatte ich im Cottage meiner Schwiegermutter Margaret Walker verbracht und in den Monaten mit Frost und Schnee meine Waren nur in den umliegenden Dörfern feilgeboten, während ich versuchte, Margaret wenigstens ein wenig über den Verlust meiner Ehefrau, ihres einzigen Kindes, hinwegzutrösten. Dabei half mir Elizabeth, meine kleine Tochter, deren Geburt den vorzeitigen Tod ihrer Mutter verursacht hatte. Am tiefsten bedauerte ich und bedaure – inzwischen ein alter Mann von siebzig Jahren – bis zum heutigen Tag, daß ich um Lillis so wenig trauern konnte. Aber ich hatte sie, als sie starb, weniger als ein Jahr gekannt. Ich war nicht darauf ausgewesen, seßhaft zu werden, doch die Umstände hatten mich zur Heirat gezwungen. Und hätte Gott in Seiner Weisheit nicht beschlossen, Lillis zu sich zu nehmen, wären wir vielleicht miteinander glücklich geworden, obwohl ich es irgendwie bezweifle. Lillis war zu besitzergreifend und ich zu versessen darauf, auf die Straße zurückzukehren, sobald der Frühling mit helleren Nächten und längeren Tagen gekommen war, so daß es um den häuslichen Frieden bei uns wohl nicht sehr gut bestellt gewesen wäre.

Meine Schwiegermutter war viel eher bereit, mich als das zu nehmen, was ich war. Obwohl sie es offenkundig lieber gesehen hätte, wenn ich in Bristol geblieben wäre und ihr geholfen hätte, das Kind aufzuziehen, versuchte sie nicht, mich zurückzuhalten, als ich lange vor Ostern meine Absicht verkündete, bald aufzubrechen.

«Ich komme wieder, ehe der Winter zu weit fortgeschritten ist», sagte ich, küßte sie auf die wettergegerbte Wange und hievte meinen Packen auf die Schultern. «Paß mir gut auf Elizabeth auf.»

Sie nickte, und ich beschwichtigte mein schlechtes Gewissen damit, daß ich ihr genug Geld daließ, damit sie ihre Arbeit, das Spinnen, nicht wiederaufnehmen mußte, wenn sie nicht wollte. Sie trat an die Tür des Cottage und sah mir nach, als ich mich zum Redcliffe Gate hin entfernte, doch selbst mit ihren Augen im Rücken brachte ich es nicht fertig, den frühlingshaften Schwung zu unterdrücken, den die Aussicht auf Freiheit meinen Schritten verlieh.

Ich zog nach Süden, verkaufte meine Waren in den Dörfern und Weilern an der Küste von Somerset und Devon, wo mein Handel blühte, denn die Bewohner waren nach den langen Wintermonaten nach Besuchern und Neuigkeiten ausgehungert. Sie behandelten mich fürstlich, wie es sich für einen ihrer ersten Frühlingsboten geziemte, und boten mir aus Dankbarkeit so manche freie Mahlzeit und ein kostenloses Bett. Ich wiederum versorgte sie mit dem Klatsch über ihre Nachbarn, den ich im Lauf meiner Reisen zusammengetragen hatte, und konnte sie auch über die Gerüchte informieren, die kurz vor meiner Abreise Bristol erreicht hatten: König Edward schmeichelte einem widerstrebenden Parlament Geld ab und sammelte seine Streitkräfte, um die Invasion Frankreichs vorzubereiten. Schließlich wandte ich mich landeinwärts, über das Ödland von Dartmoor und weiter hinunter auf die üppige Halbinsel südlich und östlich von Plymouth. The Hams nannten sie unsere angelsächsischen Vorfahren, eine Landschaft, die mit ihren hellen, anmutigen Höhen und den geheimnisvoll schattigen Tälern gewiß keiner anderen auf Gottes Erde nachsteht. Und so erreichte ich langsam das Häusergewirr an der Mündung des Dart, folgte dann dem Südufer des Flusses, bis ich den Bow Creek und den Nebenfluß des Dart, den Harbourne, erreichte, wo ich bei den Ehefrauen und Töchtern von Tuckenhay, einer entlegenen Ansiedlung, gute Geschäfte machte; man war dort ebenso begierig, Neues zu erfahren, wie überall auf meiner Reise.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, hatte ich geruht, dann eine unerwartet warme Nacht im Freien verbracht und war vor Tagesanbruch aufgestanden, um mir Gesicht und Hände im kristallklaren Wasser des Harbourne zu waschen. Irgendwo hoch über mir flimmerte zwischen den Ästen der Bäume der letzte Stern blauweiß wie Frost, bevor auch er im heller werdenden Licht zu verblassen begann. Und die ersten gedämpften Vogelstimmen waren eben an mein Ohr gedrungen, als ich die Räuberbande entdeckte, die mir mit fast lautlosen Schritten entgegenkam.

Als ich Bow Bridge erreichte, hungerte mich, also setzte ich mich ans Ufer, stellte meinen Packen auf die Erde und holte den Kanten Weizenbrot und den Ziegenkäse heraus, die mir eine der Frauen in Tuckenhay gestern zum Abendessen gegeben hatte. Die Portionen waren sehr groß gewesen, daher hatte ich mir wohlweislich einen Teil für heute morgen aufgehoben, wohl wissend, wie mein leerer Magen sich nach dem Aufwachen fühlte. Am gegenüberliegenden Ufer stieg der Wald steil bergan, und mir stand ein schwerer Aufstieg bevor, daher legte ich mich, nachdem ich gegessen hatte, ins Gras und schloß für ein paar Minuten die Augen. Zumindest war das meine Absicht gewesen. Denn als ich die Augen wieder öffnete, stand die Sonne schon hoch über dem Horizont, und ihr flach über die Landschaft gebreitetes Licht versprach einen Tag, genauso warm wie der vorhergehende. Ein Mann, der mit einer Axt auf der Schulter die Brücke überquerte, wünschte mir grinsend einen guten Tag. Ihm folgten bald darauf andere, von denen der erste eine Hippe trug und der zweite einen Spaten in der sehnigen Hand schwenkte. Ich erinnerte mich, daß es jetzt, im April, im Wald viel Arbeit gab; das Holz mußte gefallt werden, bevor der Boden für die Karren, die es wegbrachten, zu weich wurde; für die Gerbereien mußte die Rinde abgeschält und der Wald wieder aufgeforstet werden.

Ich rappelte mich auf die Beine und winkte dem letzten Mann, der, wie mir schien, ein wenig ungeduldig wartete, bis ich meinen Packen geschultert hatte und auf ihn zukam. Dennoch lächelte er freundlich, bis ich die Banditen erwähnte.

«O ja!» rief er erbittert. «Und ob wir die kennen. Terrorisieren unsere Gegend seit Monaten. Der Sheriff und sein Aufgebot haben schon lange vor Weihnachten nach ihnen gesucht, aber ohne Erfolg. Sie haben Schlupflöcher, die keiner findet, es sei denn, er kennt jeden Zoll dieser Forste. Und das tut natürlich niemand. Ich möchte wissen, welche Farmen und Kleinbauernhöfe sie gestern nacht überfallen haben, diese Teufel.»

«Ist es nicht möglich, nachts Wachen aufzustellen?» fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. «Ein paar tollkühne Kerle haben es versucht, Master, doch es sind zu viele Banditen, und es sind Mordbuben. Einen Mann, der sich ihnen entgegenstellte, haben sie mit seiner eigenen Heugabel durchbohrt und einem anderen den Arm abgehauen. Schlimmer noch, sie haben ein paar Kinder getötet. Seit damals stecken wir alle nachts den Kopf unter die Decke und hoffen, daß wir sie nicht hören, wenn sie unseren Besitz überfallen. Es ist besser, seiner ganzen Habe beraubt zu werden und am Leben zu bleiben, um es erzählen zu können, als ein toter Held zu sein.»

Ich nickte zustimmend und sagte mit gezwungener Fröhlichkeit: «Eines Tages wird das Gesetz die Burschen schon erwischen.»

Der Mann knurrte zweifelnd. «Vielleicht. Wahrscheinlicher ist, daß sie sich in einen anderen Teil der Grafschaft verziehen und so plötzlich verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Das ist verständlich, nehme ich an. Keiner im Aufgebot des Sheriffs möchte sein Leben sinnlos aufs Spiel setzen, und die Schurken morden skrupellos. Du warst schlauer, als du wußtest, als du dich versteckt und nicht mit ihnen eingelassen hast. Sie hätten selbst aus einem so großen Kerl wie dir Hackfleisch gemacht. Aber wenn du in die Stadt willst, kannst du einem Warden berichten, was du beobachtet hast. Er wird es dem Bürgermeister erzählen, und der wiederum wird es dem Sheriff sagen. Und so hast du auch deine Pflicht getan.»

«Das will ich gern tun», versprach ich und wünschte ihm einen guten Morgen. Als ich die Brücke etwa zur Hälfte überquert hatte, rief er hinter mir her: «Chapman!»

Ich drehte mich fragend um. Der Waldarbeiter grinste. «Sei gewarnt! Die Frauen der Dörfer hier herum sind heute außer Rand und Band.» Ich muß ein verwirrtes Gesicht gemacht haben, denn er fügte ungeduldig hinzu: «Es ist der zweite Montag nach Ostern – Hock-Montag!»

War es tatsächlich schon wieder zwei Wochen nach Ostern? Meine Zeitrechnung schien durcheinandergeraten zu sein. Ich hob die Hand. «Danke für die Warnung, Freund. Ich werde vorsichtig sein. Hat man dich schon erwischt?»

Er schüttelte den Kopf. «Ich bin außen herum gekommen. Aber jetzt wird man ihnen nicht mehr ausweichen können. Um ein Pfand zu ergattern, stehen alle früh auf. Ich wette, ehe es dämmert, werden sie auch mich geschnappt haben.» Doch er sagte es fröhlich, wie einer, der sich darauf freute.

«Na gut, aber du und die anderen Männer könnt es ihnen morgen heimzahlen.»

Die Augen des Waldarbeiters funkelten abenteuerlustig, als er sich verabschiedete. «Kann nicht den ganzen Tag hier rumstehen und klatschen. Hab eine Menge zu tun. Ich wünsch dir viel Glück, wenn du den Frauen in die Hände fällst.» Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. «Sie werden einen so gutaussehenden jungen Kerl wie dich nicht so leicht davonkommen lassen. Ich kann mir schon vorstellen, was für ein Pfand sie von dir verlangen werden.» Mit einem dröhnenden Lachen verschwand er zwischen den Bäumen.

Die Sonne brannte derweil schon ziemlich heiß und sagte einen jener Apriltage voraus, die oft wärmer sind als die Tage im Hochsommer, so launisch ist das Wetter auf dieser Insel. Ich plagte mich den Hang hinauf, wo die Bäume allmählich spärlicher wurden und zu beiden Seiten des Pfades zurückblieben, bis kaum noch einer oder zwei den furchigen Weg säumten. Ich hatte meinen Warenvorrat auf einem Frachtschiff ergänzt, das in der Wasserstraße von Dartmouth vor Anker lag, und kam von meiner Last gebeugt daher, den Kopf gesenkt, ohne darauf zu achten, wohin ich ging. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf meine Füße gerichtet, um sicher zu sein, daß ich nicht stolperte und mir den Knöchel verstauchte. Dabei half mir ein kräftiger Knüppel, mein zuverlässiger «Plymouth-Degen», wie man solche Waffen in diesem Teil des Landes nannte, so daß ich den Aufstieg ohne allzu große Mühe schaffte. Dennoch war ich müde, als ich den Kamm erreichte, und meine Aufmerksamkeit hatte nachgelassen.

Plötzlich wickelte sich etwas um meine Schienbeine, und ich landete bäuchlings, mit der Nase im Staub, auf dem Boden. Einen Moment oder auch zwei lag ich da, schnappte nach Luft und versuchte, meine fünf Sinne zu sammeln und festzustellen, was mit mir passiert war. Bevor es mir so recht klar wurde, hörte ich lautes Gelächter und fand mich von drei oder vier Frauen umringt. Alles, was ich in meiner Lage sehen konnte, waren ihre Rocksäume und ihre Schuhe. Ich richtete mich auf die Knie auf, wobei mir peinlich bewußt war, daß ich eine lächerliche Figur abgab, was mich keineswegs sanftmütig stimmte.

Tatsächlich hatte ich mich von den Hockers einfangen lassen und mußte mich mit einem Pfand auslösen. Ich ließ meinen Packen von den Schultern gleiten und erhob mich zu meiner vollen Größe – in jenen Tagen, bevor der Rheumatismus mich ein wenig gebeugt hatte, maß ich über eins achtzig. Es war eine stattliche Größe und auffallender als heute, da die jungen Leute viel größer werden, und nicht sehr viele Männer, denen ich begegnet bin, konnten sich damals mit mir messen. (Eine Ausnahme war natürlich König Edward, dieser goldene Riese, Großvater unseres derzeitigen Henry.)

Ich hörte, wie eine der jüngeren Frauen erstaunt den Atem anhielt, während die älteste der Gruppe, ein zahnloses Großmütterchen, gackernd lachte.

«Gott bewahre uns! Goliath selbst ist zu uns gekommen. Nun, Master Chapman, du kennst die Regeln. Du mußt uns ein Pfand geben.»

Die Hockers, ein halbes Dutzend etwa, hatten jetzt einen Kreis um mich gebildet. Das Seil, das zwischen zwei Bäumen gespannt gewesen war und mich zu Fall gebracht hatte, wurde losgebunden und mir locker um die Handgelenke geschlungen.

«In meinem Packen habe ich vielerlei Sachen», sagte ich hastig. «Nadeln, Faden, Bänder, Spitze und eine Bahn Seidenbrokat, erstanden von einem portugiesischen Handelsmann, der bei Dartmouth vor Anker lag. Bedient euch bitte.»

Die alte Frau lachte wieder. «Die feinen Mädchen hier können sich diese Dinge von dem Nadelgeld kaufen, das sie von ihren Ehemännern bekommen. Ein kräftiger, junger Kerl wie du hat Besseres zu bieten.»

Das Blut schoß mir ins Gesicht, was bei den Frauen große Heiterkeit auslöste. Ich habe im Lauf meines Lebens oft bemerkt, daß eine Frau allein zwar mädchenhaft erröten und sich spröde zieren mag, Frauen im Rudel jedoch derber und rauher sein können als Männer. Eine, die aussah, als sei sie die Jüngste, ein apfelbäckiges Mädchen von kaum – so schätzte ich zumindest – vierzehn oder fünfzehn Jahren, sagte kichernd: «Bitten wir ihn doch um die Verschnürung seines Hosenbeutels.»

Ich wurde noch röter und machte instinktiv einen Schritt zurück, rief damit bei meinen Peinigerinnen jedoch einen noch größeren Heiterkeitssturm hervor.

«Er ist schüchtern!» rief ein hübsches junges Mädchen mit großen kornblumenblauen Augen und einer weizenblonden Locke, die vorwitzig unter seinem Häubchen herausschaute. «Ein großer Lümmel wie er, und er wird rot!»

«Alles, was ihr wollt aus meinem Packen», bot ich ihnen wieder verzweifelt an.

Großmütterchen wackelte warnend mit dem uralten Zeigefinger. «Du stehst in unserer Schuld, Chapman. Kennst die Regeln so gut wie wir. Morgen sind die Männer an der Reihe, heute wir. Wenn Jane hier die Verschnürung deines Hosenbeutels haben will, dann ist das ihr gutes Recht.» Sie grinste zahnlos, genoß ganz unverhohlen meine Verlegenheit.

Kichernd und sich gegenseitig in die Rippen stupsend, rückten meine Peinigerinnen näher. Ich bemühte mich nach Kräften, mich von der Fessel zu befreien, mit der sie mir die Hände auf den Rücken gebunden hatten, stellte jedoch fest, daß das Seil, obwohl locker geschlungen, dennoch fest verknotet war. Wenn ich Fersengeld gab, verstieß ich nicht nur gegen die Regeln und die Tradition des Hock-Tages, ich mußte auch meinen Packen und meinen Knüppel zurücklassen, die von den Frauen dann als ihre rechtmäßige Beute betrachtet werden konnten.

Plötzlich kam mir eine zu Hilfe, die bisher ein wenig abseits gestanden, gelächelt, sich aber nicht an der überschäumenden, lärmenden Fröhlichkeit der anderen beteiligt hatte. Sie trat zwischen mich und ihre Gefährtinnen und breitete die Arme aus, um mich zu schützen.

«Genug!» protestierte sie lachend. «Fordert euer Pfand, und laßt den armen Jungen gehen! Wir haben unseren Spaß gehabt. Also, was soll es sein? Ich glaube, ein Kuß für jede würde genügen, meint ihr nicht? Großmutter Praule, aus Ehrerbietung für dein Alter, du kannst als erste gehen.»

Sie schrien zwar: «Spielverderberin, Grizelda!», schienen jedoch im allgemeinen mit dieser Lösung zufrieden. Großmutter Praule preßte ihre welken, trockenen Lippen auf die meinen, und erleichtert gab ich ihr einen schmatzenden Kuß, für den sie sich mit einem neuerlichen Gackern und einem Klaps auf meinen Arm bedankte.

«Oh, oh!» Sie machte einen kleinen Freudensprung. «Du bist ein guter Junge, Chapman! So hat mich seit dreißig Jahren keiner mehr geküßt! Du hast mir die Erinnerung an meine Jugend zurückgebracht, von der ich dachte, ich hätte sie vergessen. Ich war ein hübsches Mädchen, wenn es dir auch schwerfallen wird, mir das heute noch zu glauben. Die Männer schwirrten um mich rum wie die Bienen um den Honigtopf.»

Die anderen Frauen holten sich der Reihe nach ihr Pfand – einige kecker als die anderen – und preßten sich an mich, wenn sie den Mund auf meinen legten. Meine Retterin, von den Frauen Grizelda genannt, kam als letzte, und aus der Nähe sah ich, daß sie nicht mehr so jung war wie die meisten ihrer Gefährtinnen. Ich schätzte sie auf einige dreißig Jahre; eine schöne Frau mit kraftvollen Zügen und sehr dunklen braunen Augen. Auch ihr Teint war dunkel, und wäre sie ein Mann gewesen, hätte ich vielleicht dazu geneigt, sie schwarz zu nennen, doch dazu war ihre Haut zu weich und zu zart. Ihre Farben erinnerten mich an die von Lillis, daher wußte ich, ohne es zu sehen, daß ihr Haar, säuberlich unter der schneeweißen Haube und der blauen Kapuze versteckt, schwarz war. Damit aber hatte die Ähnlichkeit auch schon sein Ende. Grizelda war größer und viel kräftiger als meine verstorbene Frau. Sie strahlte auch eine gewisse Reife aus, anders als Lillis, die trotz ihrer zwanzig Jahre noch kindlich gewesen war.

Zwei der Frauen bereiteten, nachdem sie meine Handgelenke losgebunden hatten, die Falle für ihr nächstes ahnungsloses Opfer vor, während die anderen sich im Gebüsch versteckten. Alle außer Grizelda, die sich verabschiedete, Als ihre Freundinnen protestierten, schüttelte sie lachend den Kopf.

«Ich habe zu arbeiten. Muß Käse machen und die Henne füttern. Das arme Ding ist heute den ganzen Vormittag noch nicht aus seinem Stall herausgekommen, weil ich so früh aufgebrochen bin.» Sie wandte sich an mich. «Master Chapman, wenn Ihr mich zu meinem Besitz begleiten wollt, kann ich Euch vor anderen Frauenzimmern schützen, die es vielleicht auf Euch abgesehen haben, und ihnen sagen, daß Ihr Euer Pfand schon abgeliefert habt. Mein Name», fügte sie hinzu, «ist Grizelda Harbourne.»

«Ich heiße Roger», antwortete ich, «und nehme Euer Angebot mit Vergnügen an. Ich würde höchst ungern Euren Mitschwestern in die Hände fallen, wenn sie so sind wie Ihr und Eure Gefährtinnen.»

Sie kreischten vor Entzücken über dieses Kompliment, verstummten jedoch sehr schnell, als die Jüngste der Gruppe – sie hieß Janet, wenn ich mich recht erinnere – darauf aufmerksam machte, daß ein anderer Mann den Weg heraufkam. Hastig schulterte ich meinen Packen und bot Grizelda Harbourne den Arm.

Wir umgingen das winzige Dörfchen Ashprington, durchquerten einen Baumgürtel und kamen schließlich auf eine Lichtung. Hier stand ein niedriges eingeschossiges Cottage inmitten eines kleinen Gehöftes, zu dem ein Stückchen Land gehörte, wo Getreide gesät und ein paar Gemüse gepflanzt werden konnten, außerdem gab es einen Hühner- und einen Schweinestall und eine Wiese, auf der eine Kuh weidete. Im Cottage selbst standen ein Tisch auf zwei Böcken, zwei an die Wand gerückte Bänke, von denen eine mit einem bunten Teppich bedeckt war; auch ein Herd war da und drum herum alle nötigen Küchenutensilien. An einem Ende des Raumes verdeckte ein zweiter ausgeblichener und geflickter Teppich nur unvollkommen ein Bett, dessen Fußende ein paar Zoll darunter hervorragte.

Ich war überrascht, als ich, von Grizelda aufgefordert, über die Schwelle trat. Es gab keinen Grund für mein Erstaunen; das Cottage war ganz typisch in seiner Art und nicht anders, als ich es normalerweise auf jedem Kleingehöft zu finden erwartet hätte. Doch da war etwas an meiner Gastgeberin – an ihrer Haltung, dem herrischen Ton, mit dem sie zu den anderen Frauen gesprochen hatte, dem leicht geringschätzigen Blick, mit dem sie ihr derzeitiges Heim betrachtete –, das mir den Eindruck vermittelte, sie habe bessere Zeiten gekannt, sei eine edlere Umgebung gewohnt gewesen.

«Habt Ihr gegessen?» fragte sie und winkte mich auf eine Bank.

«Vor ungefähr einer Stunde Brot und Käse, unten am Fluß. Was ich eben so von gestern abend übrig hatte.»

Sie lächelte verständnisvoll. «Nicht genug für einen so großen Mann wie Euch. Wenn Ihr eine Weile wartet, bekommt Ihr ein Frühstück. Ale und Brot und gesalzenen Speck, ich kann Euch aber auch Rühreier machen, wenn Euch das lieber ist.»

«Eier wären eine erfreuliche Abwechslung», sagte ich. «Habt Ihr vielleicht auch einen Topf heißes Wasser, damit ich mich rasieren kann?»

Sie nickte. «In dem großen Kessel über dem Feuer ist genug heißes Wasser.» Sie nahm einen Eisentopf mit Stiel vom Bord. «Hier, nehmt den. Und während Ihr Euch rasiert, hole ich die Eier und befreie den armen Vogel aus seinem Stall.»

Sie ging hinaus, ich nahm das Rasiermesser aus meinem Packen und sah mich nach etwas um, woran ich es schärfen konnte. An einem Haken hinter der Tür entdeckte ich einen ledernen Streichriemen. Ich fragte mich, wem er gehören mochte, denn es gab im Cottage keine weiteren Anzeichen für die Anwesenheit eines Mannes. Ich tauchte den Eisentopf in das siedende Wasser, seifte mir das Kinn mit der billigen schwarzen Seife ein, die ich immer bei mir trug, und begann mir die Stoppeln abzukratzen. Ich hatte kaum angefangen, als Grizelda schon wieder auf der Schwelle erschien. Sie streckte die Hände aus. «Nun, hier sind die Eier, aber von der Henne ist weit und breit nichts zu sehen. Jemand hat die Tür des Hühnerstalls aufgebrochen, und auf dem Boden liegen Federn. Ich fürchte, man hat sie gestohlen.»

Fromme Unschuld

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