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Drittes Kapitel

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In seiner Historia regum Britanniae berichtet Geoffrey of Monmouth, daß Brutus, Sohn des Sylvius, Enkel von Aeneas dem Trojaner, Totnes gegründet und seinen Namen der ganzen britischen Insel gegeben hat – doch ein paar Dinge gibt es, die man nicht als feststehende Tatsachen betrachten, sondern dem Zweifel überlassen sollte. Andererseits würde ich, da ich es selbst gesehen habe, jedermann Glauben schenken, der sagt, Totnes sei eine wohlhabende und blühende Stadt, die ihren Reichtum der Wolle zu verdanken habe. Jedes Gewerbe, das mit der Bearbeitung dieses Rohstoffes befaßt ist – mit Walken, Zupfen, Spinnen, Weben, Färben –, ist innerhalb und außerhalb der Stadtmauern häufig vertreten; und obwohl dort natürlich auch andere Berufszweige florieren, ist es das Vlies des Devonshire-Schafs, das den allgemeinen Wohlstand begründet hat. Oder vielleicht sollte ich sagen «war», denn ich habe die Stadt seit vielen Jahren nicht mehr besucht.

Doch zumindest eines weiß ich, das sich verändert hat. In jenem Frühling 1475 war die Burg noch im Besitz der mächtigen Familie Zouche, leidenschaftlichen Anhängern des Hauses York, und natürlich waren auch die Bürger der Stadt Yorkisten. In der Zeit, die ich dort verbrachte, hörte ich nicht ein einziges geflüstertes Wort, das sich gegen König Edward oder seinen jüngeren Bruder, Prinz Richard, gerichtet hätte. Heute jedoch herrscht dieser freibeuterische Anhänger des Hauses Lancaster, Sir Richard Edgecombe of Cotehele, über Totnes und ernennt die Burgvögte.

Aber ich schweife ab … Ich folgte Grizeldas Hinweisen und betrat die Stadt durch das Westtor, in der Nähe des Viehmarktes. Direkt vor mir führte ein Viehtreiber zwei seiner Tiere ins Schlachthaus, und ich fragte ihn, an welche Amtsperson ich mich wenden könne, um zu melden, daß ich die Banditen gesehen hatte. Er nannte mir die Namen mehrerer Town Warden, die meine Information an den Bürgermeister weitergeben würden, der dann entschied, ob sie wichtig genug war, daß der Sheriff davon unterrichtet werden sollte.

«Doch wenn du das Morgengeschäft noch mitnehmen willst», riet mir der Mann und wies mit einem Nicken auf meinen Packen, dann würde ich an deiner Stelle meine Bürgerpflicht bis später aufschieben. Die Frauenzimmer werden heute schon bald unterwegs sein. Die meisten sind seit dem Morgengrauen auf, haben ihr Mütchen an uns Männern gekühlt und sind jetzt in der Laune, Geld auszugeben. Wenn du blaue Bänder in deinem Packen hast», fügte er hinzu, «dann heb ein paar für mich auf. Mein Weib gefällt sich mit einem blauen Band, wenn ich auch nicht weiß, warum. Ein häßlicheres Gesicht als das ihre wirst du zwischen hier und Dartmoor kaum finden. Wenn du einen guten Platz haben willst», fügte er wohlmeinend hinzu, «dann such dir einen gegenüber vom Kloster in der Nähe des Zunfthauses.»

Ich bedankte mich bei ihm und ging weiter. Er rief mir nach: «Wegen der anderen Sache versuch’s bei Thomas Cozin, dem Warden des Leech Well. Er wird dir aufmerksam zuhören und nicht zu viele peinliche Fragen stellen.» Die freundlichen Augen zwinkerten. «Zum Beispiel, warum du die Schurkenbande nicht ganz allein gefangen hast.»

Ich lachte, weil ich begriff, wie scharfsinnig der Viehtreiber durchschaute, welche Fallstricke man sich im Umgang mit den Obrigkeiten selbst legen konnte, dankte ihm noch einmal und ging weiter, vorbei am Pranger und am Schlachthaus, vorbei an wohlhabend aussehenden Häusern und Geschäften und kam schließlich in der Nähe des Osttors auf den offenen Platz vor dem Zunfthaus. Einige wenige Händler waren schon da, boten Kuchen und heiße Schweinsfüße, Binsenbündel und irdene Töpfe feil. Ein fahrender Spielmann blies auf seiner Flöte eine Gigue, und drei Jongleurs unterhielten die Bürger, die ihr Geld schon ausgegeben hatten, aber noch nicht zum Mittagessen nach Hause wollten.

Zu meinem größten Glück hatte sich noch kein anderer Hausierer eingefunden, um seine Waren feilzubieten, daher konnte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Frauen auf mich lenken, nachdem ich meinen Packen geöffnet und den Inhalt ausgelegt hatte. Ich machte bei Ehefrauen und Großmüttern ein gutes Geschäft mit Nadeln, Faden, Spitzen und ähnlichen praktischen Dingen; aber die flatterhafteren jüngeren Frauen überboten einander im Kauf von Bändern und Broschen, bunten Lederquasten für ihre Gürtel und mit Honitonspitze besetzten Tüchlein aus feinem weißem Linnen.

Ich hatte schon mehr als die Hälfte meines Vorrats verkauft, als sich mir eine kleine Gruppe von Frauen näherte, deren lebhafte Gesichter großes Interesse für meine Waren verrieten. Ein zweiter Blick überzeugte mich, daß ich es mit einer Mutter und ihren drei sehr jungen Töchtern zu tun hatte, so ähnlich waren sie sich in ihrer natürlichen Lebhaftigkeit und strahlenden Gesundheit. Alle waren drall und rund wie junge Rotkehlchen mit einem feinen, zurückhaltenden Benehmen, das sie über den Durchschnitt hinaushob. Aber von Adel waren sie nicht; sie wurden von einer Dienstmagd begleitet, die den Korb trug, und ihre Mäntel waren aus Kamelott, mit Eichhörnchenfell, nicht mit Pelz besetzt und mit Seidenband gepaspelt. Die Familie eines reichen Städters, sagte ich mir, obwohl eine Schlußfolgerung, die so auf der Hand lag, gewiß kein Kunststück war.

Während sie mich lachend und schwatzend umringten, sah ich, daß der Altersunterschied zwischen Mutter und ältester Tochter höchstens sechzehn Jahre betrug; es war ein Mädchen an der Schwelle zur Frau und sich dieser Tatsache sehr bewußt, nach den herausfordernden Blicken zu schließen, die es mit funkelnden haselnußbraunen Augen allen in der Nähe stehenden Männern zuwarf. Ich selbst war das Ziel mehr als eines Blickes, weigerte mich jedoch standhaft, ihn zu erwidern, richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Ältere der beiden und war überaus dankbar, daß Joan, wie ihre Schwestern sie nannten, nicht zu dem Frauentrupp gehört hatte, von dem ich in die Falle gelockt und beinahe um ein «Pfand» erleichtert worden wäre. Die beiden jüngeren Mädchen, Elizabeth und Ursula genannt, interessierten sich noch nicht für das männliche Geschlecht, mit Ausnahme ihres Vaters, den sie, nach ihrer Unterhaltung zu schließen, als treusorgenden Ernährer und Quell aller guten Dinge betrachteten.

«Mutter, darf ich diese Brosche haben? Sie ist so hübsch, und ich bin sicher, Vater wäre es recht, wenn ich sie bekomme. Meinst du nicht auch?»

«O Mutter, schau dir diese Puppe an! Vater hat gewiß nichts dagegen, wenn du sie mir kaufst.»

«Mutter, ich möchte ein neues Nadelkästchen, und hier ist eins aus Elfenbein, groß genug für wenigstens ein halbes Dutzend Nadeln. Wenn ich Vater erkläre, daß ich es wirklich brauche, hat er bestimmt nichts dagegen, wenn du’s mir kaufst.»

«Mutter, dieses Tüchlein aus feinstem Leinen paßt sehr gut in den Ausschnitt meines grünen Wollkleides. Vater hat erst gestern gesagt, daß es ein bißchen zu schmucklos ist.»

Die Mutter, die nur mit halbem Ohr auf die Wünsche der beiden jüngeren Töchter hörte, war für sich selbst beschäftigt, begutachtete die Waren, die kleinen weißen Hände wie Raubvögel über meinem geöffneten Packen von einem Stück zum anderen flatternd, zuerst dieses berührend und dann jenes, nicht imstande zu entscheiden, wonach es sie am meisten gelüstete. Auch sie schien nicht zu befürchten, daß ihr Gatte ihr wegen ihrer Verschwendungssucht Vorwürfe machen könnte, denn unbekümmert wählte sie Bänder, Spitzen, zwei schön gehämmerte Gürtelschnallen aus Zinn und ein Paar in Spanien gearbeitete Handschuhe aus. Doch das Objekt ihres größten Verlangens war der elfenbeinfarbene Seidenbrokat, ebenso wie die Handschuhe aus dem Frachtraum des portugiesischen Handelsmannes stammend, der in der Nähe von Dartmouth vor Anker lag. Sie betastete ihn sehnsüchtig, doch als ich ihr den Preis nannte, zögerte sie, als würde ein solcher Kauf die Nachsicht selbst des treusorgendsten Ehegatten auf eine zu harte Probe stellen.

«Kauf ihn, Mutter», drängte die mittlere Tochter, die wie mein Kind nach unserer Königin Elizabeth hieß. «Vater hat erst vor ein paar Tagen gesagt, daß du ein neues Kleid brauchst, nicht wahr, Joan? Und wenn er über den Preis murrt, bin ich überzeugt, daß Onkel Oliver entzückt wäre, dir den Brokat zu schenken. Erst gestern hat er gefragt, wie er dir deine Gastfreundschaft vergelten könnte. Er ist jetzt seit fast drei Wochen bei uns.»

Ihre Mutter zögerte jedoch noch immer. «Du hast sicherlich recht, Liebling, aber ich will weder die Großzügigkeit eures Onkels noch den guten Willen eures Vaters ausnutzen. Doch schön ist er», hauchte sie und strich wieder über den Brokat. «Sieh, wie er im Licht schimmert.» Sie überlegte einen Moment und schien dann einen Entschluß zu fassen.

«Handelsmann», sagte sie, «wärt Ihr so freundlich, mir nach dem Mittagessen, wenn Ihr hier fertig seid, den Seidenstoff in mein Haus zu bringen, damit mein Gatte ihn begutachten und sich von der Qualität selbst überzeugen kann?»

«Ich bin Euch nur allzugern gefällig», antwortete ich, «wenn Ihr mir sagt, wohin ich mich wenden muß.»

Sie winkte mit der zarten Hand, an der Ringe in allen Regenbogenfarben funkelten. «Ein Stückchen den Hügel hinauf. Fragt nach Warden Thomas Cozin. Jedermann weiß, wo wir wohnen.» Sie sprach mit der Selbstsicherheit einer Frau, die in der Gemeinde eine gewisse Stellung einnahm, und ich hatte auch von Anfang an bemerkt, daß die meisten Vorübergehenden sie und ihre Töchter mit einer Verbeugung, einem Knicks oder einem respektvollen Gruß bedachten.

«Thomas Cozin?» Ich blickte scharf auf. «Der Warden des Leech Well.»

Sie war geschmeichelt. «Ihr habt von ihm gehört?»

So schnell ich konnte, erklärte ich die Umstände, unter denen das geschehen war, und sie runzelte die Stirn, wobei ihre Brauen beinahe über der Wurzel der zarten Stupsnase zusammenstießen.

«Die Räuberbande hat gestern nacht wieder geplündert? Ach je, ach je! Sie wird zu einer schweren Bedrohung für unsere Gegend.» Sie senkte die Stimme, damit ihre Töchter nicht hörten, was sie sagte. «Wir befürchten sehr, daß die Schurken irgendwann frech genug sein werden, nachts Zugang in den oberen Teil der Stadt zu finden. Die Tore sind zwar von Sonnenuntergang bis zum Angelusläuten geschlossen, doch wie Ihr selbst seht, sind wir an einer Stelle nur durch einen einfachen Graben und durch einen Wall geschützt. Entschlossene, verbrecherische Männer können gewiß einen Weg in die Stadt entdecken.» Sie schauderte. «Und sie haben bewiesen, daß sie fähig sind, zu morden.»

«Sie haben zwei Kinder getötet, habe ich gehört.»

Mistress Cozin nickte, einen Augenblick nicht imstande weiterzusprechen. Endlich flüsterte sie: «Zwei unschuldige Kinder, zwei kleine, fromme Unschuldige, beide zusammen noch nicht zwölf Jahre alt.» Sie legte mir die Hand auf den Arm, und diese Vertraulichkeit einem Händler gegenüber war ein Beweis dafür, wie groß ihre Verzweiflung sein mußte. «Ihr müßt meinem Mann auf jeden Fall alles erzählen, woran Ihr Euch im Zusammenhang mit diesen Verbrechern erinnert. Die kleinste Kleinigkeit kann wichtig und nützlich sein.»

Ich bezweifelte es, denn es war noch nicht sehr hell gewesen, und wenn ich sie beschreiben sollte, waren sie nur Männer wie hundert andere. Keiner hatte einen Klumpfuß oder einen monströsen Buckel gehabt, die ihn von seinen gesetzestreuen Zeitgenossen unterschieden hätten. Dennoch, da ich das Haus der Cozins jetzt ohnehin aufsuchen mußte, sollte ich auch meine Pflicht tun und dem Warden berichten, was ich gesehen hatte.

«Ich komme nach dem Mittagessen zu Euch», versprach ich. «Wenn die Geschäfte weiterhin so gut gehen, wird mein Packen schon viel früher leer sein.»

Mistress Cozin drückte mir die Hand und ließ mich dann los, weil sie sich plötzlich ihres ungehörigen Benehmens bewußt wurde.

«Ich werde meinem Gatten sagen, daß er Euch erwarten soll. Kommt, Mädchen», fügte sie mit lauterer Stimme hinzu, «wir müssen gehen. Legt eure Einkäufe in Jennys Korb. Ursula, Elizabeth! Beeilt euch jetzt. Joan, trödle nicht, bitte.»

Letztere wandte sich zögernd von einem jungen Mann ab, der dem Spielmann lauschte und den sie nachdenklich betrachtet hatte, warf mir unter den Wimpern hervor einen langen, glühenden Blick zu und folgte widerwillig Mutter und Schwestern. Ich wurde rot und wandte hastig die Augen ab. Mistress Cozin rief über die Schulter: «Vergeßt es nicht, Handelsmann!» Und mit der getreuen Jenny im Schlepp, die hinter ihnen hertrottete, begannen Mutter und Töchter den Hügel hinaufzusteigen.

Lange bevor die Sonne im Zenit stand, hatte ich den größten Teil meiner Waren verkauft und dachte ans Mittagessen. Es schien mir viele Stunden her, seit ich in Grizeldas Cottage gefrühstückt hatte, und mein Appetit, der immer groß war, sagte mir, es sei Zeit, mich auf die Suche nach etwas Eßbarem zu machen. In einem Pastetenladen kaufte ich mir zwei Fleischpasteten und eine Flasche Ale und ging durch das Westtor zurück. Von da folgte ich dem Weg, der hügelabwärts führte, vorbei am Viehmarkt, an der Heilquelle der Stadt, dem Leech Well, vorbei am St.-Magdalenen-Hospital für Aussätzige und gelangte zu den Wiesen um den St. Peter’s Quay in der Nähe der uralten Domäne von Cherry Cross. Hier, in Sichtweite des ruhig fließenden Dart und des Deichs, der die Gezeitenmarschen südlich des vorderen Tores gezähmt hatte, stillte ich meinen Heißhunger und dachte über die Ereignisse des Vormittags nach.

So viel war geschehen, seit ich im Schutz einer Hecke kurz vor Tagesanbruch die Augen aufgeschlagen hatte, daß ich mißtrauisch wurde; mißtrauisch, daß der Herr bei meinen Angelegenheiten wieder einmal die Hand im Spiel hatte und mich als Sein göttliches Instrument gegen das Böse benutzte. Denn seit ich vor viereinhalb Jahren mein Noviziat aufgegeben hatte, kurz nachdem meine Mutter gestorben war und ihren Wünschen zuwider, war ich in eine Reihe von Abenteuern gestolpert, die mich einigen Gefahren aussetzten, aber am Ende stets dazu führten, daß ich Verbrecher der strafenden Gerechtigkeit auslieferte. Ich wußte nun, daß ich ein Talent hatte, Rätsel zu lösen und Geheimnisse zu enthüllen, die andere Leute verwirrten; und längst hatte ich akzeptiert, daß Gott mich auf diese Weise für die Lossagung vom religiösen Leben bestrafte. Natürlich nahm ich es nicht demütig und mit ganzem Herzen hin. Weit davon entfernt! Ich war zornig auf Gott. Ich sagte Ihm ganz offen, ich fände es sehr unfair, daß Er sich ständig so in mein Dasein einmischte. Ich sagte Ihm, es gebe keinen Grund, warum ich Ihm gehorchen sollte, und ich das Recht auf ein ruhiges Leben ohne Ärger und ohne Risiko hatte. Er hörte mitfühlend zu. Das tat Er immer. Und ich verlor immer.

Langsam trank ich mein Ale, blickte in die Ferne jenseits des anderen Ufers, wo der Horizont verschleiert und die Umrisse der Hügel im Nachmittagsdunst weich und verwischt aussahen. Vielleicht hatte ich doch unrecht, denn bisher war nichts geschehen, das meine besonderen Talente erforderlich gemacht hätte. Ich hatte nicht das Gefühl, daß man von mir erwartete, ich hätte ganz allein eine Bande gefährlicher Verbrecher verfolgen sollen; dazu bedurfte es der unermüdlichen, mit einer guten Portion Glück verbundenen Hartnäckigkeit des Sheriffs und seines Aufgebots. Doch ebensowenig konnte ich den nagenden Zweifel abschütteln, daß es etwas gab, das mir entgangen war; irgendeine Botschaft, daß Gott mich wieder für Seine Zwecke brauchte.

Ich rappelte mich auf die Füße, wechselte ein paar freundliche Worte mit den Arbeitern am Kai, die dabei waren, ein Schiff mit Stoffballen zu beladen, und nahm den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich war auf gleicher Höhe mit dem Spital für Aussätzige – einem lobenswert großen Gebäude mit Kapelle und Saal und Unterbringungsmöglichkeit für etwa ein halbes Dutzend Lazarusse – und wandte mich dem Weg zwischen Krankenhaus und Leech Well zu, als ich das Klirren von Zaumzeug und das Donnern von Hufen hörte, die einen näher kommenden Reiter ankündigten. Den Kopf wendend, sah ich einen großen Braunen mit heller Mähne und hellem Schweif, der mir aus hochmütigen Augen einen leuchtenden Blick zuwarf. Das Licht rann wie flüssige Bronze über sein glänzendes Fell und die mächtigen Muskeln. Ein herrliches Tier, das seinen Besitzer ein Vermögen gekostet haben mußte.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den Reiter, einen Mann, dessen untere Gesichtshälfte von einem dichten, vollen dunkelbraunen Bart bedeckt war. Er war modisch und vornehm gekleidet, mit Reitstiefeln aus weichem rotem Leder, einem kurzen, mit Zobel besetzten roten Umhang und einer schwarzen Samtkappe, die eine kostbare Brosche zierte – ein mit Perlen eingefaßter großer, schimmernder Rubin. Offensichtlich ein wohlhabender Mann, der jedoch irgendwie nervös wirkte, als sei er es nicht gewohnt, ein so feuriges Pferd zu reiten. Er hielt den Zügel zu kurz und saß linkisch im Sattel. Ich beobachtete seinen hektischen Ritt den Hügel herunter in Richtung der Brücke über den Dart. Dann stieg ich den Abhang zum Westtor hinauf und kehrte in die Stadt zurück.

Wie Mistress Cozin vorhergesagt hatte, fiel es mir nicht schwer, das Heim zu finden, in dem sie mit Gatten und Töchtern lebte. Die erste Person, die ich fragte, zeigte mir das Haus im Schatten des Klosters und sagte mir, die Familie sei zu Hause. Offenbar interessierten sich ihre Nachbarn sehr für das Kommen und Gehen der Cozins, und mein erster Eindruck, daß sie bedeutende und einflußreiche Bürger der Stadt waren, wurde bestätigt.

Die Fassade des Hauses war zwei Räume tief und zwei Stockwerke hoch. Wie ich später entdeckte, führte ein seitlicher Durchgang, von dem die Treppe zum oberen Stockwerk steil anstieg, in einen Hof, hinter dem die Küche lag; und hinter der Küche fand man die Ställe, Werkstätten und Vorratshäuser. Da es keinen Hintereingang zu geben schien, nahm ich mein Herz in beide Hände und klopfte laut an die Haustür.

Jenny, die kleine Dienstmagd, die ich schon vormittags gesehen hatte, öffnete mir. Sie führte mich in den ersten Stock in das Wohngemach, wo die Herrin des Hauses mit ihren Töchtern saß. Dieser Raum ragte, auf Säulen ruhend, über die Straße hinaus, ein Privileg, für das die Hausbesitzer einen ordentlichen Batzen bezahlen mußten. Auf eine so vorzügliche Behandlung nicht gefaßt, blieb ich verlegen an der Tür stehen und bückte mich leicht, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Die beiden jüngeren Mädchen begannen sofort zu kichern, doch ihre Mutter hieß sie mit einem Stirnrunzeln schweigen.

Mistress Cozin zeigte auf einen Hocker. «Bitte setzt Euch, Handelsmann. Mein Gatte und sein Bruder werden bald bei uns sein. Inzwischen könnt Ihr den Brokat auslegen.» Ihr Blick wurde ein wenig stechend vor Angst. «Ihr habt ihn doch noch? Habt ihn nicht verkauft?»

«Nein, nein», beruhigte ich sie, holte die Seide aus meinem Packen und drapierte sie mir wie eine schimmernde Kaskade über den Arm.

Sie atmete erleichtert auf, und im selben Moment wurde hinter mir die Tür geöffnet. Ihr Ehemann und sein Bruder traten ein. Stolpernd erhob ich mich noch einmal und bemühte mich zugleich, mir mein Erstaunen nicht anmerken zu lassen.

Thomas und Oliver Cozin waren Zwillinge und einander so ähnlich wie eine Weizenähre der anderen. Doch meine Überraschung galt nicht ihrer Ähnlichkeit, sondern der Tatsache, daß einer der beiden zu den vier hübschen und lebhaften Frauen um mich herum gehörte. Daß Thomas Cozin viel älter war als seine Frau, sah man sofort; er muß, wie ich später erfuhr, damals fünfundvierzig Jahre alt gewesen sein, denn er und sein Bruder behaupteten, sie seien ungefähr um die Zeit geboren, als die Hexe La Pucelle bei Compiègne von den Burgundern gefangengenommen worden war. Mein erster Eindruck von den beiden war grau; graues Haar, graue Augen, graue Kleidung. Beide gingen leicht gebeugt und waren sehr hager, die Schädelform unter der pergamentähnlichen, straff gespannten Haut deutlich sichtbar. Sie wirkten irgendwie verstaubt und vertrocknet. Zwar konnte ich mir in meiner jugendlichen Arroganz eine Vernunftehe zwischen Thomas und seiner lebhaften, anziehenden Frau vorstellen; daß es eine Liebesheirat gewesen war, schien mir unmöglich.

Meine Dummheit wurde sofort widerlegt, als alle vier Frauen aufstanden, auf Ehemann, Vater und Onkel zuflatterten und leise Freudenschreie ausstießen, sie zu den besten Sesseln führten und sogar die in sich versunkene Joan sich beeilte, ihnen Wein einzuschenken. Die Männer erwiesen den Frauen die gleiche Herzlichkeit und Wärme, küßten Wangen und legten die knochigen Arme um schlanke Taillen. Wie ich der folgenden Unterhaltung entnahm, waren sie seit dem Mittagessen nicht länger als eine Stunde getrennt gewesen, und daher war die zur Schau gestellte Zuneigung um so bemerkenswerter. Selten habe ich eine Familie erlebt, die einander so zugetan gewesen wäre wie diese.

«Das also ist der Handelsmann», stellte Thomas Cozin fest, während er seinen Wein schlürfte, und lächelte mir ermutigend zu. «Ich glaube, Ihr habt mir etwas über die Banditen zu berichten. Und das sollt Ihr auch» – jetzt funkelte ein Lachen in den grauen Augen –, «nachdem der wichtigere Teil Eurer Angelegenheit abgeschlossen ist.» Er wandte sich an seine Frau. «Alice, meine Liebe, ich nehme an, das ist der Brokat, den du mir unbedingt zeigen wolltest.»

Sie nickte und strich fast ehrfürchtig über die Seide. «Ich weiß, es ist viel Geld, Thomas, aber nicht annähernd soviel, wie du hier in Totnes dafür bezahlen müßtest.»

«Oder in Exeter», warf Oliver Cozin ein. «Es ist wirklich ein wunderschöner Stoff, und nachdem ich ihn gesehen habe, würde ich ihn dir gern schenken, meine liebe Schwester, zum Dank für deine Gastfreundschaft während dieser drei Wochen.»

Sofort entbrannte zwischen ihm und seinem Bruder eine freundschaftliche Auseinandersetzung darüber, wer den Brokat bezahlen sollte; ich bereinigte sie, indem ich vorschlug, jeder solle die Hälfte übernehmen.

«Eine salomonisch weise Lösung», sagte Thomas Cozin lächelnd.

«Ein alter Kopf auf jungen Schultern», stimmte sein Bruder zu.

Nachdem die Angelegenheit zu jedermanns Zufriedenheit erledigt worden war, nahmen Alice und ihre Töchter den Brokat in ihr Schlafgemach mit, um ihn dort genauer zu betrachten, während ich bei den Männern blieb, um ihnen mein morgendliches Abenteuer zu schildern. Als ich geendet hatte, bedankte Thomas Cozin sich höflich, war jedoch der Meinung, daß es sinnlos wäre, Bürgermeister und Sheriff damit zu behelligen.

«Ihr habt zuwenig gesehen, Master Chapman, und daher nutzt uns Eure Geschichte nicht viel.»

Ich neigte zustimmend den Kopf. «Ihr sagt es, Euer Ehren, daher will ich Euch nicht länger belästigen.» Ich nahm meinen Packen, verstaute die beiden Engelstaler in dem Geldbeutel an meinem Gürtel und verschnürte ihn sicher. «Ich wünsche Euch einen guten Tag und halte Euch nicht mehr auf.»

Als ich jedoch aufstand, hielt Oliver Cozin mich zurück.

«Einen Moment noch, Chapman.» Er musterte mich nachdenklich mit klugen grauen Augen. «Bleibt Ihr über Nacht in Totnes?» Ich nickte. «Wo wollt Ihr schlafen?»

«Im Kloster, wenn sie mich in ihrem Gästesaal unterbringen können. Sonst» – ich zuckte mit den Schultern – «irgendwo, wo es warm und trocken ist. Unter einer Hecke, in einer Scheuer, sogar ein Graben tut es, solange er nicht mit Wasser gefüllt ist. Ich habe einen guten, flauschigen Wollumhang in meinem Packen, der mich gegen die Unbilden des Wetters schützt.»

Oliver Cozin warf seinem Bruder einen wortlos fragenden Blick zu und bekam eine ebenso stumme Antwort. Dann fragte er: «Was würdet Ihr zu einem Haus ganz für Euch allein sagen?» Ich sah ihn verblüfft an, und er fuhr fort: «Oh, glaubt ja nicht, ich hätte Euch großen Luxus zu bieten. Das Haus steht seit zwei Monaten leer, und überall haben sich Staub und Spinnweben angesammelt. Ich bin Anwalt, und es gehört einem meiner Klienten, den ich beim Erwerb eines Besitzes in dieser Gegend vertrete. Er war heute vormittag bei mir und hat mir gesagt, daß er um sein bisheriges Domizil, das eben erwähnte Haus, besorgt ist. Obwohl er sich sehr bemüht, einen Mieter zu finden, ist es noch immer unbewohnt. In normalen Zeiten wäre er darüber nicht beunruhigt, aber da diese Banditen die Gegend unsicher machen, fürchtet er, sie könnten in die Stadt eindringen und das Haus ausrauben.»

«Warum bewohnt er es dann nicht selbst?»

Der Ton des Anwalts wurde schärfer. «Entweder, Ihr nehmt mein Angebot an, oder Ihr tut es nicht, Chapman. Alles andere geht Euch nichts an.»

Ich zögerte. Die Aussicht, eine Nacht behaglich in einem gut möblierten Haus zu verbringen, noch dazu in einem, das ich für mich allein hätte, war verlockend. Doch irgend etwas hier war mir nicht ganz geheuer, und mein Instinkt sagte mir, ich sollte ablehnen.

«Aber ich muß morgen früh sehr bald aus Totnes aufbrechen», antwortete ich mißmutig. «Was kann mein Schutz dem Haus in einer einzigen Nacht schon nützen? Die Banditen können es morgen überfallen. Außerdem, woher wollt Ihr wissen, daß Ihr mir vertrauen könnt? Ich könnte mir selbst etwas vom Eigentum Eures Klienten aneignen und damit verschwinden.»

Oliver Cozin war gekränkt. «Haltet Ihr mich für einen solchen Narren, daß ich einen ehrlichen Mann nicht erkenne, wenn ich ihn sehe? Und was Eure andere Frage angeht, eine Nacht ist besser als keine. Wie der heilige Martin schon sagte, ein halber Mantel ist besser als gar keiner.»

Ich sah Thomas Cozin an, der neben seinem Bruder stand, und die beiden grauen Gestalten waren sich so ähnlich, daß mir war, als hätte ich zuviel Ale getrunken und sähe doppelt. Ihre Gesichter waren im Moment ausdruckslos, obwohl ich in Thomas’ Augen ein winziges besorgtes Flackern zu entdecken glaubte. Er konnte seine Gefühle nicht so erfolgreich verbergen wie ein Anwalt.

Bildete ich mir etwas ein? Was hatten sie mir denn anderes angeboten als eine bequeme Unterkunft für die Nacht? Es wäre sehr dumm von mir abzulehnen, dachte ich, wenn ich auch keine Sekunde daran glaubte, daß die Banditen es riskieren würden, in die Stadt einzudringen. Diese Möglichkeit bestand wirklich nur in der übersteigerten Phantasie dieser Städter.

«Nun gut», sagte ich, «ich akzeptiere. Und ich danke Euch.»

Fromme Unschuld

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