Читать книгу Einführung in die Museologie - Katharina Flügel - Страница 10
4. Das museale Objekt – Begriffsbestimmung
ОглавлениеMusealisierung und Objekt
Qualität des Objektes
Vor dem Hintergrund der Musealisierungstheorien erweist sich die Definition des musealisierten Objektes als zentrales Problem, muss doch die Frage beantwortet werden, was mit dem Objekt im Verlaufe dieses Prozesses geschieht und wie er sich auf das Objekt selbst auswirkt. Musealisierung hat eine Kontextänderung des Objektes zur Folge. Sie ist nicht nur als eine Veränderung des Raum-Zeit-Gefüges zu definieren, sondern sie zieht zugleich eine Änderung seines Funktionszusammenhanges nach sich. Durch den Musealisierungsakt wird die ursprüngliche Bedeutung des Objektes, die in seinem Gebrauch gleich welcher Art gelegen hat, zurückgedrängt und durch eine neue Bedeutung ersetzt. Diese kann als eine Neuzuweisung von Sinn bezeichnet werden. Das Objekt gewinnt eine neue semantische Dimension, mithin eine neue Qualität seines Seins. Der Versuch, die besondere Qualität des gesammelten Objektes zu benennen und sie als Voraussetzung für die Bildung von Sammlungen zu erkennen und auch zu nutzen, ist schon in der Frühzeit musealen Sammelns zu beobachten. Nannte man anfangs die Dinge allgemein „res naturalia“ und „res artificialia“, und apostrophierte man sie als „kunstvoll“ und „wunderbar“, so erhielten sie im 17. Jahrhundert Attribute wie „wesentlich, ursprünglich, wahrhaft“. Das „Kuriose“ und das „Merkwürdige“ im Sinne des Aufmerkens oder des Behaltens Würdige bleibt bis in das 18. Jahrhundert noch allgemein anerkannte Qualität der gesammelten Dinge in den „museis“. Die Dinge werden als Seltenheiten angesehen, die alles das besitzen, was für die Erkenntnis wichtig ist. Im Laufe des 19. Jahrhunderts genügte diese verallgemeinernde Definition der musealen Dinge nicht mehr. Im Zuge der sich ausbreitenden und sich spezialisierenden Fachwissenschaften bürgerte sich jetzt für den Sammlungsgegenstand auch im musealen Kontext ausschließlich die ihm eigene fachwissenschaftliche Benennung ein. Auf das Besondere des musealen Gegenstandes wird allenfalls mit dem übergeordneten Begriff „Sammlungsgegenstand“ hingewiesen. Er ist noch im Museumswesen der Gegenwart geläufig, die museologische Terminologie ist noch keineswegs allgemein verbindlich. Im Zuge eines zunehmend erkenntnistheoretisch geführten Diskurses wird aber deutlich, dass es Aufgabe einer Musealwissenschaft sein muss, die Beziehung zwischen erkennendem Subjekt und musealisiertem Objekt zu beschreiben und für seine Definition nutzbar zu machen. Erst die korrekte Benennung eines Dings zeigt uns auf, dass wir auch geistig von ihm Besitz ergriffen haben.
Objekte als materielle Dokumente
Stránsky prägt Begriff „Musealie“
Hier verdient zunächst die Feststellung Joachim Ritters Beachtung, der das Objekt wohl als erster aus seiner Teilhabe am Musealisierungsprozess definiert. Er erkennt, dass durch den in ihm erfolgten Deklarationsakt dem Objekt ein neuer Wert zugewiesen wird. Das Besondere an dieser Umwertung ist, dass sie sich ausschließlich auf den Realitätswert bezieht. Indem das „Alte“ durch den Prozess des Auswählens und Verbringens in einen musealen Bezugsrahmen verdrängt wird, erhält das Objekt eine neue Realität. Das, was man eigentlich entfernen will, bleibt erhalten, aber es wird zum „Historischen“. Der erlittene Verlust einer bestimmten Realität wird durch den Gewinn einer neuen Realität ausgeglichen, kompensiert. Man kann sagen, dass das Objekt im Ergebnis des Musealisierungsvorganges eine neue Qualität erhält. Sie zeichnet sich durch besondere Beweiskraft aus, das Objekt wird zum Dokument. Ritter knüpft hier an Georges Henri Rivière an, der bereits 1970 in einer Definition des Museums die musealen Sammlungsgegenstände als materielle Dokumente bezeichnet hatte. Aus ähnlichen Überlegungen hat gleichzeitig auch Stránský seine Definition des musealen Objektes vorgelegt. Auch für ihn ist es in gewisser Weise ein Dokument. Aber eine museologische Definition des Objektes muss davon ausgehen, dass es nicht nur Repräsentant einer bestimmten Wirklichkeit und somit Träger bestimmter Informationen ist, sondern sie muss erkennen, dass das Objekt auch Ergebnis einer Wertung ist, die wiederum das Resultat eines bewussten Aktes darstellt. Mithin darf der musealisierte Gegenstand nicht nur als ein Dokument seiner Herkunftswirklichkeiten gesehen werden, sondern er muss gewissermaßen auch als Dokument jener Wirklichkeiten gelten, in die er durch den Musealisierungsprozess versetzt worden ist. Nach museologischer Auffassung erhält durch den Deklarationsakt der Musealisierung das Objekt eine neue semantische Dimension. Sie erklärt und bestimmt seinen besonderen Charakter und verleiht ihm eine neue Qualität. Stránský hat sie mit dem Terminus „Musealie“ bezeichnet (Stránský 1971, 36).
Obwohl er in der musealen Praxis allgemein geläufig ist, bereitet der exakte Umgang mit dem Musealien-Begriff noch relative Schwierigkeiten. Die Gründe liegen in der fachwissenschaftlich ausgerichteten Definition des musealen Gegenstandes, die in ihm vorwiegend Quellenmaterial des Bezugsfaches sieht. So bleibt es nicht aus, dass diese Sicht das Objekt in unmittelbare Nähe zum allgemein geläufigen Quellenbegriff der Geschichtswissenschaft rückt. Maßgeblich für diese Sicht ist die Vorstellung, die materialisierte Dreidimensionalität des Objektes sei mit den Methoden der Geschichtswissenschaft zu erschließen. Aber gerade in dieser Ansicht liegen die Schwierigkeiten: Die Methodik der Geschichtswissenschaft ist vorwiegend an den schriftlichen Quellen ausgebildet, sie verfügt also nicht über ein methodisch ausreichendes Instrumentarium, mit dessen Hilfe die Relikte erschlossen werden können. Dazu bedarf es eines umfassenderen Zugriffs. Wir gehen davon aus, dass das museale Objekt historisches Material, historisches Relikt ist, das absichtlich aus den funktionellen Bindungen seines ursprünglichen Milieus herausgenommen worden ist. Dadurch ist es in der Lage, eben dieses Milieu unmittelbar zu charakterisieren und darüber eine sinnlich-konkrete Zeugenschaft zu bieten. Sie ist in der ursprünglichen materiellen Existenz des Gegenstandes fixiert, die zugleich die Wahrhaftigkeit der Aussage beweist. Sie bietet sich uns aber nicht dar, indem wir den Gegenstand isoliert und für sich betrachten. In dieser Isolierung erscheint der Gegenstand sinnlos. Erst durch die Kontextualisierung, durch die Herstellung eines Beziehungs- und Bedeutungszusammenhanges, befähigen wir ihn, etwas über die Vergangenheit auszusagen. Das geschichtliche Wissen allein kann das Wissen um das Verlorene nicht ersetzen. Der museologische Quellenbegriff ist mehrdimensional, er muss immer auch den erkenntnistheoretischen Aspekt enthalten.
Bedeutung des historisch Überlieferten
Die Frage nach der Bedeutung des musealen Gegenstandes führt uns letztendlich an die Fragen nach der Bedeutung des historisch Überlieferten. Dass die Untersuchung des historisch Überlieferten bei den Tatsachen ansetzen muss, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. In unserem Zusammenhang verstehen wir unter Tatsachen nicht einfach unsere unmittelbaren Sinnesdaten, sondern vielmehr empirische Tatsachen. Auch diese sind „objektiv“, aber diese Objektivität ist nicht von vornherein gegeben; sie erfordert einen Akt, einen komplexen Prozess der Urteilsbildung. Aus diesem Grunde bedarf es eines spezifischen Instrumentariums, um zur Erkenntnis zu gelangen. Wir müssen akzeptieren, dass wir historische Tatsachen nicht mit den gleichen Methoden erkennen können, wie physikalische Tatsachen. Diese können durch Beobachten und Experimentieren bestimmt werden. Diesen Methoden entzieht sich das museale Objekt in seinen wesentlichen Aspekten. Sie unterliegen den Bedingungen der Geschichte, bestimmen demnach auch über das museale Objekt. Es kann nur in seiner äußeren Form mit den Methoden des Messens und Beschreibens erfasst werden, nicht aber hinsichtlich seiner eigentlichen Bedeutung. Diese ist aus der Vergangenheit zu erklären, und diese ist für immer vergangen, sie kann niemals wieder hergestellt werden. Wir können sie nur „erinnern“. Mit anderen Worten: wir können dem Vergangenen nur eine neue Existenz in der Idee geben, wie es Ernst Cassirer (1874–1945) einmal formuliert hat. Demnach ist die ideale Rekonstruktion und nicht die empirische Beobachtung der erste Schritt zur historischen Erkenntnis (Cassirer 1990, 267). Damit müssen wir anerkennen, dass die Quellen nicht im „physikalischen“ Sinne befragt werden können, sondern nur in ihrem symbolischen Sinne. Der Museologe muss lernen, die in den Objekten enthaltenen Botschaften als lebendige Botschaften zu entschlüsseln. Er muss versuchen, ihre Symbolsprachen zu ergründen.
Überlieferung und Kontext nach van Mensch
Originalität und Authentizität
In diesem Zusammenhang betont auch Peter van Mensch, dass es sich tatsächlich um einen abstrakten Begriff handelt, wenn über das Objekt als Informationsquelle gesprochen wird, denn der Informationswert eines Objektes strukturiert sich in drei Ebenen. Van Mensch bezeichnet sie folgendermaßen: das physische Objekt, die ‚Überlieferung‘ und den Kontext. Die Änderung des Informationswertes ist im Übergang vom primären zum museologischen Kontext begründet. Der Gegenstand dokumentiert durch seine Existenz einen bestimmten Moment der historischen Entwicklung. Er verfügt dadurch über Daten, die Auskunft über Zustände und Phänomene geben können. Er ist „materialisierte Information“. Der eigentliche dokumentarische Wert dieses Gegenstandes liegt darin, dass in dieser ursprünglichen Existenz Daten fixiert sind, die ein bestimmtes Milieu direkt charakterisieren und sinnlich-konkrete und authentische Zeugenschaft darüber geben können. Sie beweist die Wahrhaftigkeit der Aussage. Der museale Kontext entzieht das museale Objekt seinen ursprünglichen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen. Sein Wert wird nun durch seine Originalität und seine Authentizität begründet. Beide Begriffe erhalten im musealen Bezugsrahmen besondere Bedeutung. Museale Funktionszusammenhänge zu dechiffrieren kann nur gelingen, wenn der Symbolcharakter des Objektes erkannt, beschrieben und erforscht wird.
Zunächst müssen wir festhalten, dass die in der Kunstgeschichte geläufige Definition von „Original“ und „Authentizität“ nicht ohne weiteres auf den musealen Gegenstand übertragbar ist, da sie hier nur aus ihrer Polarität zu „Fälschung“ zu verstehen ist. Im Bemühen, den begrifflichen Sachverhalt zu klären, stellt Ernst Hofmann fest, dass ein Objekt stets nur im Rahmen einer relationellen Aussage als original bezeichnet werden kann, denn es ist immer nur in Bezug auf eine bestimmte, explizit zu benennende Bedingung „original“. Kein Gegenstand an sich ist original. Hofmann begründet seine Argumentation mit der dem Gegenstand eigenen Historizität. Er geht davon aus, dass sich auf jedem Gegenstand im Laufe seiner Existenz und Nutzung über lange Zeiträume hinweg verschiedene Sinnschichten abgelagert haben, die verschiedene Stadien oder Qualitäten des Originals in sich vereinigen. Um diese Qualität exakt definieren zu können, hat Hofmann bereits 1980 vorgeschlagen, den Begriff Original durch den der Authentizität zu ersetzen. Mit dieser Argumentation, sie ist heute von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse, wies Hofmann auf die Diskrepanz zwischen dem Wert des musealen Gegenstandes als wissenschaftliche Quelle und seiner Funktion als „Vermittler“ historischer Erkenntnisse an die Gesellschaft hin. Im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur kommunikativen Potenz der musealen Objekte hat er 1990 diese Problematik differenziert und prononciert.
Die Argumentation von Friedrich Waidacher
Auch Friedrich Waidacher widmet sich dezidiert der Unterscheidung von Authentizität und Originalität. Unter Berufung auf Zbyněk Stránský unterscheidet er strikt zwischen beiden Begriffen. Grundsätzlich geht Waidacher davon aus, dass Originalität immer an das Objekt selbst gebunden ist. Es kann demnach nur für seine Herkunft bürgen. Der Gegenstand ist ein Originalbestandteil der Wirklichkeit, wobei man zwischen einmaligem und wiederholtem Original differenzieren kann, eine Überlegung, die dem kunsthandwerklichen Bereich nicht ganz fremd ist. Authentisch dagegen kann eine Sache nur sein – so Waidacher – wenn sie selbst an den Vorgang gebunden war. Authentizität muss in jedem Fall nachgewiesen werden, sie ist kein Konstrukt der Vergangenheit, sondern entsteht erst in der Konfrontation mit der Gegenwart.
Die Authentizität des Vergangenen bedarf (…) des Gegenpols einer authentischen Gegenwart, einer Moderne. (…) Jedes heute als authentisch empfundene Stück Vergangenheit war zu seiner Zeit ein Stück Moderne. (Waidacher 1999, 170f.)
Der Ansatz von Gottfried Korff
Den interessantesten Ansatz in der Auseinandersetzung mit der Authentizität der Musealien bietet Gottfried Korff (*1942). Im Zusammenhang mit der Bedeutung der Musealie für die Geschichtsdarstellung im Museum charakterisiert er die Authentizität des musealen Objektes als eine ihm eigene Ambivalenz. Diese offenbart sich in jener eigenartigen Fremdheit, die authentischen Dingen inkorporiert ist. Kraft dieser Fremdheit sind die Dinge in besonderer Weise für die historische Erkenntnis geeignet. Authentizität meint dann immer den historischen Zeugnischarakter. Er ist der Ausgangspunkt für die besondere Geschichtserfahrung, die der musealisierte Gegenstand ermöglicht. Sie beruht auf dem Prinzip der sinnlichen Anmutung, des sinnlichen Reizes, sie kann weder allein auf kognitivem noch auf diskursivem oder intellektuellem Weg gewonnen werden. Authentizität ist, wenn man so will, eine Errungenschaft des modernen Museums. Indem das ehemals numinos aufgeladene Kunstwerk seine kultische Qualität verliert und nun im Museum als einem „Raum für die Schönheit der Kunst und ihrer Geschichte“ der Betrachtung ausgesetzt ist, verlieren die Bildwerke zwar ihre alte Aura, sie gewinnen aber eine neue hinzu (Trautwein 1997, 184). Das im Museum möglich gewordene Wechselspiel von historischen und ästhetischen Erwägungen mündet dann in die „Darbietung von Effekten“, mit deren Hilfe „die Seele des Betrachters“ besonders gestimmt werden soll (Trautwein 1997, 186, 199).
Das Authentische ermöglicht Verstehen
Korff verweist in seiner Argumentation auf den Aura-Begriff Walter Benjamins (1892–1940), den dieser für geschichtliche Gegenstände vorgeschlagen hat. Aura ist ebenfalls durch Nähe und Ferne charakterisiert und durch die Echtheit begründet. „Echtheit“, so Benjamin, „ist der Inbegriff alles vom Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft“ (Korff 1984, 90ff.). Die Aura ist nicht an das Schöne gebunden, sondern an die Echtheit und Authentizität. Das Authentische macht demnach die eigentliche Bedeutung des Gegenstandes aus. Sie vermag weitaus mehr, als nur eine Reproduktion ursprünglicher Bezugssysteme vorzunehmen, sie ermöglicht Verstehen. Mit seiner Hilfe vermögen wir das in den Dingen innewohnende Geschichtliche zu entziffern. In diesem Zusammenhang sei auf Hans-Georg Gadamer (1900–2002) verwiesen, der davon spricht, dass sich das historische Verhalten der Vorstellung in ein denkendes Verhalten zur Vergangenheit wandelt. Unter Bezugnahme auf Hegel (1770–1831) sieht Gadamer das Wesen des geschichtlichen Geistes „nicht in der Restitution des Vergangenen, sondern in der denkenden Vermittlung mit dem gegenwärtigen Leben“ realisiert. Die geschichtliche Erkenntnis der Vergangenheit lässt uns das Ganze unserer Möglichkeiten erkennen. Sie ist „denkende Vermittlung mit dem gegenwärtigen Leben“. Man kann sie als Erinnerungsarbeit bezeichnen.
Die Eigenschaft des musealen Objektes wird zunächst dadurch bestimmt, dass es historisches Material, historisches Relikt ist. Es kündet uns von der Totalität gesamtgesellschaftlicher Lebenszusammenhänge. Um diese zu erkennen, bedarf es mehr, als des Wissens um materiale Formund Gestalteigenschaften, es bedarf vielmehr des Wissens um das, was diese Vergangenheiten geformt hat. Wir können es als das „vergessene Menschliche“ bezeichnen. Sie sind menschlich, weil sie von einer vergangenen Wirklichkeit zeugen. Wir haben das Bedürfnis, dieses Menschliche zu erinnern, damit es nicht der Vergessenheit anheim fällt. Aus diesem Grunde schenken wir den Dingen so große Aufmerksamkeit, wollen wir sie auf Dauer erhalten. Die im Museum verwahrten Dinge transportieren Vergangenheit in unsere Gegenwart, sie verkünden uns etwas. Sie haben einen Wert. Sie sind nicht nur „gemacht“, sondern sie sind auch „geworden“. Demnach halten die Dinge weit mehr für uns bereit als nur Informationen.