Читать книгу Einführung in die Museologie - Katharina Flügel - Страница 7
II. Begriff, Gegenstand und Aufgaben der Museologie 1. Gegenstand und Charakter der Museologie
ОглавлениеTheorie Stránskys – Prämissen
Die Bedeutung des von Zbyněk Z. Stránskýs entwickelten Wissenschaftskonzeptes liegt in seiner Struktur. Stránský definiert die Museologie nicht als eine Wissenschaft von den Museen und ihren Funktionen, wie das seinerzeit Georges Henri Rivière (1897–1985) getan hatte, sondern er definiert sie aus dem musealen Phänomen selbst. Stránský geht von der einfachen Prämisse aus, dass die Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin abhängig ist von der Definition ihrer Intentionen und ihres Erkenntnisgegenstandes. Erst dann ist es möglich, eine spezifische Terminologie zu finden, mit deren Hilfe das System der zu treffenden Aussagen gefasst und vorgetragen werden kann. Unter diesem Aspekt hat Stránský alle bisherigen Auffassungen verallgemeinernden Charakters über das Museum untersucht und festgestellt, dass sie sich kaum mit dem musealen Phänomen selbst auseinander gesetzt haben, sondern sich vorwiegend der Erörterung von Verfahrensweisen widmen, museumstechnische Aspekte untersuchen, organisatorische Probleme benennen oder gar über mehr oder weniger erfolgreich realisierte Aktivitäten berichten. Verwaltungsmäßige oder technische Aspekte sind zwar notwendig, aber als Basis, auf der eine struktur- und systembildende Wissenschaftstheorie aufbauen kann, sind sie nicht zu gebrauchen.
In der Reflektion dieser Situation, der Analyse des als unzulänglich erkannten methodischen Niveaus, wie es sich ihm in der zeitgenössischen internationalen Fachliteratur dargestellt hat, und der Erkenntnis, dass das in ihr vorhandene Spektrum noch nicht einmal die gesamte Problematik des Museumswesens widerspiegelt, setzt sich Stránský mit dem Begriff „Museologie“ auseinander. Seine Überlegungen werden zur Grundlage für den Ausbau einer Lehrmeinung, die sich vor allem über die ISSOM, die International Summer School of Museology weites Terrain erobern kann und auch Eingang in das International Committee of Museology (ICOFOM) des International Council of Museums, des Internationalen Museumsrates, findet und letztlich 1962 zur Gründung eines Lehrstuhles für Museologie an der Universität Brno führt. Vor dem Hintergrund des analysierten Schrifttums und der gängigen Museumspraxis konnte Stránský seine Theorie entwickeln. Sie sei im folgenden kurz skizziert.
Sammlungstheorien der Renaissance
Aus zahlreichen schriftlichen Quellen geht hervor, dass seit dem Zeitalter der Renaissance Versuche existieren, das Sammeln bestimmter Objekte zu begründen, dieses zu strukturieren und in Übereinstimmung mit den jeweils herrschenden Erkenntnistheorien zu bringen. Gleichzeitig zeigt uns diese Geschichte, dass das Sammeln bestimmter Dinge nicht nur in die herrschenden Wissenschaftsdisziplinen eingebunden ist, sondern darüber hinaus mit den zeitgenössischen philosophischen Systemen im Einklang steht. Es gibt also eine in der Geschichte erkennbare theoretische Einstellung zur musealen Tätigkeit. Sie ist nicht Ausdruck eines temporären individuellen Interesses, vielmehr zeigt sie, dass auch die Vor- und Frühformen des modernen Museums das Ergebnis einer spezifischen menschlichen Äußerung sind, die den Charakter einer schöpferischen Tätigkeit haben. Oder anders ausgedrückt: das Bemühen, die jeweils zeitgenössischen Sammelaktivitäten methodisch genau zu definieren, dazu eine begrifflich verbindliche Ebene zu schaffen, und gleichzeitig ihre gesellschaftliche Relevanz aufzuzeigen, ist ein historisches Faktum. Kritisch reflektiert kann es die Basis für die Ausarbeitung theoretischer Neuorientierung sein und somit Veränderungen in der bisherigen Praxis herbeiführen.
Museologie und Quellenfächer
Zum anderen kann Stránský feststellen, dass museale Tätigkeit in der gegenwärtigen Fragestellung weniger vor der Grundlage einer sie verallgemeinernden Theorie, sondern vor allen Dingen im Vollzug technischorganisatorischer, verwaltungsgemäßer Handlungen gesehen wird. Die dafür notwendigen Kenntnisse werden zumeist durch die eigene Erfahrung erworben. Wissenschaftlicher Zugriff besteht nur hinsichtlich jener Fachdisziplinen, die im Museum ihr „Quellenmaterial“ besitzen. Aus dieser Annahme heraus wird auch der Schluss gezogen, dass der wissenschaftliche Charakter der Museologie nur insoweit theoretische Relevanz besitzt, als er notwendig für das jeweilige Quellenfach ist, das quellenfachliche Spezialgebiet mithin die museale Bezugswissenschaft darstellt. Diese nimmt im musealen Kontext den Charakter einer speziellen Museologie an, Museologie stellt sich demnach als eine Applikation der jeweiligen Fachwissenschaft dar. Diese Ansicht muss naturgemäß in Konflikt zu jener Auffassung geraten, die davon ausgeht, dass museale Arbeit immer durch einen spezifischen Zeitbezug und den aus ihm resultierenden gesellschaftlichen Bedürfnissen charakterisiert ist und demzufolge ganz bestimmte spezifische Merkmale aufweist, die weder durch Pragmatik noch durch fachwissenschaftliche Forschung allein erklärt werden können.
Stránský hat immer wieder betont, dass aus den Positionen der für das Museum operierenden einzelnen fachwissenschaftlichen Disziplinen keine tragfähige Basis für die Konzeption einer selbstständigen musealen wissenschaftlichen Disziplin entwickelt werden kann. Diese Fächer sind aufgrund ihrer spezifischen methodischen Ausrüstung und aufgrund ihrer spezifischen Erkenntnissysteme nicht in der Lage, das Wesen des musealen Phänomens hinlänglich zu beschreiben oder zu erklären. Auch für eine zu definierende Musealwissenschaft muss die allgemeine Erkenntnis gelten, dass es keine wissenschaftlichen Strategien gibt, mit deren Hilfe alle Erscheinungen gleichermaßen erforscht werden können. Es gibt keine universell anwendbare wissenschaftliche Methodologie. Die verschiedenen Probleme müssen stets in unterschiedlicher Weise angegangen werden, sie bedürfen eigener Verfahren, die auf der Grundlage der konkreten Analyse des jeweiligen zu untersuchenden Problems entwickelt werden. Auch die ausschließliche Erforschung technischer Vorgänge erweist sich als ungeeignet, um das Musealwesen zu erkennen und zu beschreiben. Dies vermag nur ein spezifischer theoretischer Zugriff. Die Museologie kann nur dann Erkenntnisse produzieren, wenn ihr Gegenstand definiert, dessen gesellschaftlicher Kontext abgesteckt und die zu benutzenden Mittel und Methoden festgelegt sind.
Erkenntnisgegenstand der Museologie
Schließlich fokussiert sich die Kritik Stránskýs an den bisher gemachten zahlreichen Versuchen, das museale Phänomen zu definieren, vor allem in der Frage nach dem Wesen der Museologie. Seiner Meinung nach ist bisher der Gegenstand ihrer Erkenntnisintention weder bestimmt noch sind entsprechende Methoden zur Lösung des Problems vorgelegt worden. Allgemeine Kriterien der Begriffe Theorie, Praxis oder auch Wissenschaft führen zu keiner Lösung. Stránský übt Kritik an der weit verbreiteten Meinung, dass Museumswissenschaft gleichbedeutend ist mit Museumstheorie. So muss er in seinen Darlegungen auch darauf Bezug nehmen, dass Theorie und Wissenschaft nicht identisch sind, dass erstere nur ein Teil der Wissenschaft ist. Unter Beachtung dieser Prämissen, kommt Stránský zur Überzeugung, dass die Annahme, die Museumsarbeit oder das Museum selbst seien Gegenstand der Museologie, ein Standpunkt ist, der „nur auf den ersten Blick hin“ richtig sein kann. So kann er denn feststellen, dass der
Gegenstand der Museologie das Museum ebenso wenig (ist) wie etwa die Schule Gegenstand der Pädagogik ist. Aber auch die Museumsarbeit kann nicht als Gegenstand der Museologie angesehen werden. Das Museum ist eine Einrichtung, welche bestimmten Zwecken dient. Die Museumstätigkeit ist dann eine Aktivität, die das Funktionieren dieser Einrichtung sicherstellt. Wenn ich die Intention des Erkennens auf diese Erscheinungen einstellte, wäre ich nur in der Lage, die funktionelle und organisatorische Seite der Museums-Einrichtung, die Methodik und Technik ihrer Arbeit zu erkennen. (Stránský 1971, 36)
Der erkenntnistheoretische Sinn der Museologie liegt nicht in der Ermittlung bestmöglicher Bedingungen für die Museumsarbeit selbst, sondern darin, ob es mittels des untersuchten Begriffes möglich ist, Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, die entscheidend für die Objektivität des Auswählens, Aufbewahrens und Vermittelns spezifischer Werte sind. Mit dieser Feststellung kreist Stránský die Grundfrage nach einer möglichen Konzeption der Museologie näher ein. Er stellt nicht die Frage nach dem „Wie“ und „Womit“, sondern er fragt nach dem „Warum“ und „Wozu“. Wenn die Museologie eine Wissenschaft ist, dann ist sie mehr als nur ein geordneter Komplex von Erkenntnissen über die Museumsarbeit, dann muss sie eine theoretische Aussage enthalten, auf deren Grundlage verallgemeinerungsfähige und überprüfbare Lösungen für die museale Praxis gefunden werden können. Stránský sucht nach einem logischen Gedankengebäude, das keine Widersprüche enthält, sich aus einem Erkenntnisgegenstand der Disziplin ableiten lässt und so als Erkenntnismodell fungieren kann. Er findet „des Pudels Kern“ in der Antwort auf die Frage: Warum wählt der Mensch bestimmte Dinge aus, warum bringt er sie an einen bestimmten Ort, verwahrt sie dort und hat sie dennoch immer verfügbar? Stránský findet die Erklärung im Phänomen des Sammelns selbst. Er erkennt, dass dieses menschliche Bestreben unabhängig von seinen jeweiligen gesellschaftlichen Beziehungen immer gegeben ist, es ist durch den Verlauf der Geschichte selbst nachweisbar, es ist objektiv vorhanden. Mithin können weder der sich im Laufe der Geschichte dauernd verändernde Ort der aufbewahrten Dinge noch diese selbst das museale Phänomen erklären.
Das museale Phänomen
Musealität
Das museale Phänomen liegt in einer eigenartigen Mensch-Ding-Beziehung begründet. Diese Beziehung entsteht immer dann, wenn der Mensch Dinge als so wesentlich erkennt, dass er sie aus ihrer Umgebung herauslöst, um sie und ihre Bedeutung dauerhaft zu bewahren. Durch diesen Akt – wir werden uns später noch mit ihm zu beschäftigen haben – werden die Dinge zu Repräsentanten von bestimmten Kulturwerten, er ist Bestandteil der „kulturellen Dimension“ des Menschen. Stránský definiert die Museologie folgerichtig als eine Wissenschaft, die sich mit einer spezifischen, sowohl gesellschaftlich als auch historisch bedingten Beziehung des Menschen zur Realität beschäftigt, die sich aus seiner Ding-Beziehung ergibt. Stránský hat für diese Beziehung den Terminus „Musealität“ eingeführt und ihn als Gegenstand der Museologie benannt. Er bedarf der Untersuchung durch die Gnoseologie, die Ontologie, die Axiologie und die Mnemologie. Ihre Ergebnisse sind notwendig, um die Museologie fest im kulturellen Kontext zu verankern. Diese Bestimmung des Gegenstandes der Museologie umgrenzt ein eigenständiges, spezifisches Gebiet, welches von anderen Disziplinen nicht voll erfasst wird. Das Museum selbst ist kein Gegenstand unserer Wissenschaft. Es ist nur der institutionalisierte Ort, an dem sich etwas ereignet. Und dieses „Etwas“ ist das Phänomen, das es zu erkennen, zu definieren und diachronisch und synchronisch, also hinsichtlich seiner Historizität und seiner Befindlichkeit zu beschreiben gilt. An diesem Punkt angelangt, können wir auch ganz klare Begriffe fassen und sie gegeneinander abgrenzen:
Wissenschaft des Musealwesens
Museologie ist die Wissenschaft des Musealwesens, also der Gesamtheit aller Ideen und Vorgänge, die das Musealphänomen selbst betreffen. Insbesondere trifft sie Aussagen über Kategorien, Begriffe und Gesetzmäßigkeiten musealer Sachverhalte. Ihr zentrales Anliegen ist die Definition und Beschreibung des Musealphänomens. Dieses ist Ausdruck und Ergebnis bestimmter kultureller Bedürfnisse des Menschen, die zur Entstehung musealer Einrichtungen führen und geführt haben. Die Museologie widmet sich demzufolge der Gesamtheit der Eigenschaften und Aussagen, die den komplexen Prozess des Sammelns, Bewahrens, Erschließens und Ausstellens bestimmter beweglicher Objekte im musealen Kontext charakterisieren. Das Erkenntnisziel der Museologie ist nicht das Museum, sondern das Phänomen, das zur Entstehung des Museums führt. Die Museologie kann als Gesamtheit der Geschichte, Theorie und Methodik des Musealwesens bezeichnet werden. Sie ist aber auch in der Lage, das Museumswesen zu erklären. Die Museologie ist ihrem Charakter nach eine Kulturwissenschaft, mithin eine Geisteswissenschaft.
Museumskunde und Museologie
Museumskunde dagegen ist keine Wissenschaft. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit den Formen, Verfahrensweisen, Verrichtungen, Vorgängen und Organisationsbedingungen einer Institution und nicht mit dem Phänomen selbst, das zur Entstehung dieser Institution geführt hat. Museumskunde und Museologie können deshalb nicht, wie oft zu beobachten, als Synonyme gebraucht werden. Das geschieht immer dann, wenn Museologie als eine Art Regelwerk verstanden wird, in dem auf Erfahrungswissen basierende Kenntnisse über museale Praktiken zusammengefasst werden. Museologie wird dann allenfalls als eine eigenartige, auf das Museum bezogene Spezialisierung angesehen.
Fachwissenschaften und Musealwesen
Eine mögliche Ursache für die weit verbreitete Verwechslung von Museumskunde und Museologie liegt sowohl in der Geschichte des Museums selbst als auch in der Entwicklung der im Museum vertretenen Fachwissenschaften zu selbstständigen Disziplinen. Diese Fachwissenschaften sind nicht im Museum institutionalisiert. Ohne sie kann Museumsarbeit zwar nicht vonstatten gehen, sie sind im Kontext des Musealwesens selbstverständlich unverzichtbar, nur: Sie übernehmen im museologischen System die Rolle von Hilfswissenschaften. Ihre Erkenntnisse ermöglichen die fachliche Durchdringung des musealen Bestandes, sie selbst sind aber nicht in der Lage, das Musealwesen zu erklären, da sie auch in anderen Zusammenhängen eine Rolle spielen. Am Beispiel der Kunstgeschichte ist dies leicht einsehbar: Sie ist sowohl für die quellenfachliche Forschung im Museum als auch in der denkmalpflegerischen Arbeit von Belang, kann von sich aus aber weder das Museum noch die Institution der Denkmalpflege erklären. Wir können mithin feststellen, dass die Museologie Kausalzusammenhänge ergründet. Ihr Anliegen ist es, große Strukturzusammenhänge aufzuzeigen und der Fülle musealer Einzeltatbestände ein echtes Gestaltgerüst zu geben. Sie ordnet das Verhältnis von Fachwissenschaft und der genuin das Museum betreffenden Phänomene und schafft so die Möglichkeit der Zusammenschau, ohne sich auf fragwürdige Spekulationen zurückzuziehen.