Читать книгу Hedi war hier - Katharina Günther - Страница 11
ОглавлениеDER MORGEN DANACH
Das erste Mal aufgewacht. Das erste Mal mit dieser Diagnose. Es war also kein Alptraum. Alles ist immer noch real. Das Gefühl heute Morgen ist kaum mit irgendetwas anderem zu vergleichen. Ja, auch beim Liebeskummer kommt der Schmerz nach einer traumlosen Nacht zurück. Aber das hier ist anders. Unsere Tochter kann nicht ersetzt werden, wie ein Ex. Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine Zukunft gibt. Hoffnungslosigkeit ist alles, was ich fühle. Ich bin gefangen in einem Alptraum, der Realität geworden ist. Nur dieser unbesiegbare Schmerz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemals wieder gehen wird. Ich fühle mich mehr nach sterben, als nach leben. Ich will einfach nicht aufstehen, nicht weitermachen. Womit auch, warum auch?!
Und trotzdem quäle ich mich aus dem Bett. Am Vormittag versuchen wir mein Auto aus der Stadt zu holen, was noch immer in der Nähe der Praxis des Grauens steht. Doch selbst für so einfache Aufgaben, bin ich nicht in der Lage. Ich bin unfähig zu handeln, zu denken, geschweige denn ein Auto zu fahren. Als wir in der Stadt ankommen, kann ich es nicht ertragen unter Menschen zu sein. Die Stadt ist so voll. Alle wirken so normal. Nur bei mir ist nichts normal. Ich verstecke meinen Bauch. Schäme mich für ihn. Und auch Hedis Bewegungen bringen mich gerade an den Rand des Wahnsinns. „Hör auf!“, denke ich „hör bitte auf. Es bringt doch eh nichts. Du quälst nur dich und mich.“
Es fühlt sich an, wie Gefangensein im eigenen Körper. Mit einem Bauch, der jedem da draußen Leben signalisiert und doch Tod bedeutet. Ich ertrage die Blicke der anderen Menschen auf der Straße nicht. Bilde mir ein, dass jeder mich anstarrt. Ich will hier nur weg, mich nur verstecken. Ich habe einen Weinkrampf als ich im Auto sitze. Bin unfähig den Schlüssel zu betätigen. Arndt setzt mich also wieder in seinen Wagen. Er will mich wieder nach Hause bringen. Dann klingelt sein Handy. Es ist dieser Arzt, der Pränataldiagnostiker. Es geht um die Fruchtwasseruntersuchung. Der Schnelltest habe seinen Verdacht bestätigt, sagt er Arndt am Telefon.
Wieder fällt dieses böse Wort. Mein Unwort des Jahres: „Trisomie 18“. Wir mussten zwar damit rechnen, aber trotzdem bricht erneut meine Welt zusammen. Still fließen meine Tränen.
Wir müssten uns nun langsam entscheiden, sagt der Arzt. Einleiten oder Austragen. …
Wieso so schnell? Und wie sollen wir das jemals entscheiden? Wer um Himmels willen kann jemals so eine Entscheidung treffen? Das ist einfach nur grausam. Widerlich. Abartig.
Wir sollen uns melden, wenn wir eine Entscheidung getroffen haben. 3 Tage nach dem Testergebnis sei ein Abbruch der Schwangerschaft kein Problem. Dann ist das Telefonat beendet. Wie bitte? Glaubt er wirklich, diese Aussage helfe uns weiter?
Arndt bringt uns an den Rhein. Raus aus der Stadt mit den vielen Menschen. Wir sagen nichts, sitzen nur da und schweigen. Ich schaue Kindern und ihren Großeltern zu, wie sie spielen. Dabei fühle ich nichts. Nicht mal Schmerz. Nur Leere. Unsere Tochter wird sterben, egal was wir tun. Es gibt keine Hoffnung. Egal ob wir einleiten oder austragen.
Später zuhause öffne ich eine Flasche Wein. Die erste seit dem 19. Mai. Seit dem Tag des Schwangerschaftstests.