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ОглавлениеHEDI - SÜSSE KÄMPFERIN
Der Moment, als mir klar wird, wie unsere Tochter heißen soll, ist der Moment der Fruchtwasserentnahme. Als diese riesige Nadel in meinem Bauch steckt und ich plötzlich unfassbare Angst um meine kranke Tochter habe. Ich spreche zu meinem verstorbenen Vater. „Papa, du musst jetzt aufpassen auf sie. Auf unsere kleine Maus. Pass auf …!“ Und dann war er da … Der Name: „Pass auf Hedi auf“, denke ich, als der Arzt mir mein Fruchtwasser entnimmt.
Ja, Hedi soll sie heißen. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Hedi bedeutet süße Kämpferin. Wie passend der Name ist, werden wir erst die nächsten Wochen merken.
Hedi stand schon, neben 3-4 weiteren Mädchennamen von Beginn an auf unserer Namensliste. Eigentlich schon seit Florenz. Seit Arndt in unserem letzten Urlaub in einer florentinischen Weinbar diesen wunderschönen, seltenen Namen durch Zufall entdeckte. Als wir vor 11 Monaten in der Toskana über die Zukunft sprachen, die wir da noch hatten. Als wir uns vorstellen konnten, einfach nicht mehr zu verhüten, es einfach passieren zu lassen. Und es war passiert – nur 6 Monate nach Florenz.
Und jetzt, weitere 5 Monate später liege ich da in der übergroßen, sterilen Praxis eines Pränataldiagnostikers und habe eine Nadel im Bauch. Eine Nadel, die Gewissheit geben soll, über etwas, was längst ausgesprochen ist: Hedi ist unheilbar krank. Sterbenskrank.
Ich hatte große Angst vor der Fruchtwasser-Entnahme. Trotzdem habe ich zugestimmt. Schweigend, versteinert habe ich nur genickt. Was kann schon noch Schlimmeres in diesem Moment passieren, habe ich gedacht. Alles besser, als noch einmal hierher kommen zu müssen, in diese Praxis des Grauens. Denn das ist sie. Diese weiße, hochmoderne, viel zu schicke und viel zu große Praxis.
Ich zittere. Ich weiß nicht warum. Ist mir kalt? Oder ist es die Angst? Oder der Schock? Mein Bauch wird schon wieder entblößt. Dass ich zittere, scheint aber niemanden zu interessieren.
Ich will mir den Arm über meine Augen legen, einfach nichts sehen. Aber ich darf es nicht, sagt der Arzt. Meine Hände müssen neben meinem Körper liegen. Nicht mal Arndt darf in meiner Nähe sein. Er ist unsteril, sagt der Arzt. Weit weg in diesem großen Praxisraum platziert der Doc des Grauens ihn auf einen Stuhl. Dabei brauche ich ihn gerade jetzt in meiner Nähe. Seine Hand, die meine hält. Aber ich muss da allein durch.
Der Arzt setzt die Nadel an, ein riesen Teil direkt neben meinen Bauchnabel. Ich starre an die Decke. Weine stille Tränen. Bete zu meinem Vater. Das ist der Moment, als aus unserer bis dahin noch namenlosen Tochter Hedi wird.
Die Arzthelferin hält mir die Hand. Ich kann einfach nicht aufhören zu zittern. Nachdem der Arzt mein Fruchtwasser hat, will er auch noch Nabelschnurblut. Gierig wie ein Vampir, denke ich. Wofür denn, du hast doch schon das Wasser?!
Er sticht wieder zu. Diesmal aber macht Hedi ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie legt sich einfach VOR die Nabelschnur. Innerlich muss ich kurz grinsen, über meine listige, eigensinnige Tochter, die offenbar so dickköpfig ist, wie Arndt und ich. Eine süße Kämpferin eben.
Der Art versucht trotzdem mit der Nadel um Hedi herum an die Nabelschnur zukommen. Es tut unfassbar weh. Aus meinen stillen Tränen wird lautes, schmerzhaftes Weinen. Endlich bricht er den Versuch der Entnahme ab. „Das Fruchtwasser reicht auch“, sagt Doktor Grauen. Ach auf einmal, denke ich wütend. Und wofür dann diese Tortur mit den extra Schmerzen? Gott, wie ich diesen Arzt hasse. Ich will einfach nur hier raus. Nach Hause. Mich verkriechen. Doch der Arzt hat uns noch was zu sagen: „Sie müssen sich entscheiden, was Sie nun tun wollen! Austragen oder Einleiten!“ Wie bitte? denke ich. Wie soll ein Mensch das entscheiden.
„Denken Sie darüber nach. Sie dürfen ab dem dritten Ta g nach der Diagnose die Schwangerschaft abbrechen“ erklärt uns der Arzt, „überlegen Sie nicht allzu lange.“
Ich bin schockiert Die Schwangerschaft abbrechen? In 3 Tagen? Oder austragen? Entweder-oder? Gibt es denn nichts dazwischen? Doch das gibt es. Nur wissen Arndt und ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Unser einziges Glück in diesen Momenten ist es, dass wir das meiste ganz unterbewusst und intuitiv entscheiden. Das hat uns am Ende zwei weitere Monate mit unserer Tochter geschenkt.
Dann reicht uns Doc Grauen zum Abschied die Hand, murmelt irgendwas von „Wünsche Ihnen viel Kraft“ und das wars. Mehr nicht. Dabei schaut er auf seinen Schreibtisch, statt uns in die Augen. Feigling.
Ich will da nur noch raus. Weg von dieser Praxis. Arndt fährt. Mein Auto, womit ich eigentlich weiter zur Arbeit wollte – es war ja „nur“ eine Routineuntersuchung - lassen wir stehen.