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MAMA WERDEN ODER NICHT?

Zuhause beginnt das Gedankenkarussell in meinem Kopf. Was nun? Wie geht es weiter? Was machen wir? Sollen wir wegziehen? Untertauchen? Ein neues Leben beginnen? Alles ist so wirr, so anders als noch vor 2 Stunden. Ich schäme mich. Schäme mich für die Krankheit meiner Tochter. Dafür, dass ich es nicht vermag, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen.

Alles prasselt auf mich ein. Alles dreht sich. All diese unvorstellbar quälenden Fragen: Was sollen wir jetzt machen? Wie sollen wir uns entscheiden? Das Baby austragen? Die Geburt einleiten? Was ist danach? Wird sie wirklich sterben? Oder hat sie eine Chance? Leben erhalten oder Leben beenden? Beerdigen, Einäschern? Ich bin so durcheinander. Alles passiert gefühlt auf einmal in meinem Kopf. Ich fühle mich ausgeliefert. Und ich weiß, die Gedanken werden mich noch so oft quälen. Immer und immer wieder.

Die Erinnerungen an den Tag des Schwangerschaftstest kommen zurück. Jede einzelne Vorsorgeuntersuchung ist wieder präsent – jedes Detail.

Und dann die Frage: Werde ich wieder schwanger werden? Will ich es überhaupt noch mal und wenn ja: Wird es überhaupt klappen? Darf ich das überhaupt denken, jetzt wo Hedi in meinem noch Bauch lebt?

Ich fühle mich schuldig. Und frage mich: Bin ich zu alt für eine Schwangerschaft? Bin ich zu egoistisch gewesen? War mein Lebensstil vor der Schwangerschaft zu ungesund? Schließlich habe ich vorher gelebt wie eine partysüchtige Studentin im Körper einer 38-Jährigen mit einer Minimum 50 Stunden Arbeitswoche. Habe ich mein Gen-Material selbst zerstört? Ist es Zufall was Hedi hat oder wird es wieder passieren? Nur eine von vielen tausend Fragen, die mich quälen. Jetzt und auch noch die nächsten Wochen. Auf eine dieser Fragen werde ich bald eine Antwort bekommen, wenn die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung vorliegen. Und zwar auf die Frage: Ist Hedis Krankheit Zufall oder tragen Arndt oder ich kaputtes Genmaterial in uns.

Mein Kopf ist voll und gleichzeitig leer. Ich will etwas tun und bin doch wie gelähmt. Nur Aufschreiben meiner wirren Gedanken geht gerade. Und dummerweise lesen. Das wohl dümmste, was mir jetzt einfallen kann, ist es Internetartikel über Trisomien, Wahrscheinlichkeiten, Ursachen zu lesen. Immer wieder steht da: Das Alter der Mutter! Je höher das Alter der Mutter, desto höher die Wahrscheinlichkeit….

Wahrscheinlichkeit, immer dieses Wort Wahrscheinlichkeit! War sie doch so gering. Bis heute. Dachten wir zumindest. Jetzt ist sie es nicht mehr. Jetzt ist aus „unwahrscheinlich“ und „selten“ Realität geworden.

Ich bin doch nicht die erste und einzige 38-Jährige, die ihr 1. Kind erwartet. War ich, bin ich verantwortungslos? Sollte ich den Gedanken, nochmal schwanger zu werden, direkt abhaken?

Doch während ich alle wirren Gedanken hin und her schiebe, über die Krankheit lese und meine Gefühle niederschreibe, vergesse ich wenigstens mal kurz den Schmerz um meine sterbenskranke Tochter in meinem Bauch. Aber ich weiß, er ist nur kurz mal weg, er wird wiederkommen. Immer und immer wieder. Und auch das Gefühl, dass uns heute - an diesem 11. September 2019, unserem ganz eigenen 11. September – unsere Zukunft genommen wurde.

Werde ich wieder glücklich? Irgendwann?

Ich muss daran denken, was mir oft vor der Schwangerschaft durch den Kopf ging: „Brauche ich ein Kind, um glücklich zu sein? Warum gilt in unserer Gesellschaft die ‚Familiengründung‘ als das A und O? Bin ich als Frau ohne Mutter zu sein weniger wert? Wird mein Leben unerfüllter sein ohne Kind?“. Diese Fragen gingen mir schon vorher oft durch den Kopf.

Denn lange Zeit hatte ich geglaubt, dass es zum Frausein dazu gehört, ein Kind zu haben. Ich meine, viele meiner Freunde, meine Geschwister, so viele leben es mir Tag für Tag vor. Und ich? Ich war bis jetzt immer die „Andere“ oder die „Späte“, die „ewig Unvernünftige“, die „nicht-Erwachsenwerden-wollende-Lebefrau“. Muttersein schrieben sie mir nicht zu, dachte ich zumindest immer. Ehrlich gesagt, traute ich es mir selbst manchmal nicht zu. Falsche Zeit, falscher Mann, zu viel und zu gerne gearbeitet und gefeiert, was auch immer. Bis ich Arndt getroffen habe. Da wusste ich: Ich will doch Mama werden. Kann es mir doch vorstellen, mein Leben von Grund auf zu ändern. Meine Freiheiten für ein Kind einzutauschen.

Aber Angst hatte ich trotzdem davor. Angst vor allem davor, mich auf den Wunsch einzulassen, weniger davor Mutter zu werden. Es war die Angst, gar nicht erst schwanger werden zu können und enttäuscht zu werden. Deswegen habe ich mich auch nie wirklich auf den Gedanken eingelassen. Immer versucht, es mir nie bewusst zu wünschen. Nie damit zu rechnen. Ich redete mir ein: „“Wird wahrscheinlich eh nicht klappen.“ Zu alt, zu verbraucht, zu verlebt, zu zu zu…… einfach zu unwahrscheinlich. Und da war es wieder, dieses Wort: Wahrscheinlich. Diese UNWAHRSCHEINLICHE WAHRSCHEINLICHKEIT, sie begleitet scheinbar mein Mamawerden, oder es eben nicht werden.

Insgeheim hatte ich mir also schon längst eine Zukunft ohne Kind ausgemalt. Nur ich, zusammen mit Arndt und der Welt und ihrer Freiheit da draußen: Leben, arbeiten, Karriere machen, reisen, genießen, egoistisch sein.

Das fühlte sich alles auch gar nicht falsch an. Und unerfüllt kam es mir auch nicht vor. Und trotzdem haben wir uns gesagt: „Naja komm. Lass es uns drauf ankommen lassen. Soll das Schicksal entscheiden.“ Gerechnet habe ich nie damit. Aber das Schicksal hat entschieden. Ich wurde schwanger. Am 19. Mai hielt ich den Beweis in den Händen: Es war der Tag meines positiven Schwangerschaftstests.

Mein Leben stand Kopf. All die Pläne ohne Kind standen Kopf. Unsere Beziehung stand Kopf. Weil wir tatsächlich nicht damit gerechnet hatten. Ich kann nicht sagen, dass Hedi zu Beginn das klassische Wunschkind war. Aber trotzdem: Ich war schwanger und seitdem haben wir uns gefreut. Auf ein Leben mit ihr. Sie ist zu unserem Wunschkind geworden. Und jetzt – 5 Monate später… steht wieder alles Kopf.

Jeder Moment der Schwangerschaft, jede Erinnerung ist jetzt wieder präsent. So nah, als wären sie erst gestern gewesen. Und doch habe ich Angst, diese Erinnerungen verlieren zu können. Auch die nicht so erfreulichen…. Wie Arndt‘ erste Reaktion damals nach dem Schwangerschaftstest: „Scheiße!“ hatte er gesagt. Seine Angst war begründet. Wollte er, der aus seiner ersten Ehe schon 4 Kinder hat, noch eins? Packen wir das? Auch finanziell?

Doch dann kam unsere erste gemeinsame Ultraschalluntersuchung unseres kleinen Krümels. So haben wir unsere Tochter immer genannt und tun es immer noch. Den kleinen Krümel das erste Mal zu sehen, das Herz zu hören- schon in der 8. Woche, es war überwältigend. Und da wussten wir: Ja wir wollen es. Wir wollen dieses Kind. Unbedingt. Alle Zweifel waren weggeblasen.

Stolz habe ich das winzige Krümelchen auf dem Bild betrachtet. Es war ja auch noch nicht mehr als ein Krümel, 1,4 cm klein, ein undefinierbarer Körper. Aber es war unser Kind. Und das Herz schlug - laut und schnell und eroberte unsere Herzen.

Hedi war hier

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