Читать книгу Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald - Страница 10

CANTO 3: LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN, DIE IHR HIER EINTRETET

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UND IN DER TAT WAR sie hier. Hier, angreifbar, die Hölle. Wenn man aufgewachsen ist, wie ich aufgewachsen bin, mit dieser im Kleinbürgerlichen wurzelnden Behütetheit, die vielleicht einmal strauchelt im Leben, vielleicht zweimal, die ihre Tragödien durchgemacht hat, aber sich wieder aufgerappelt hat, weil es nämlich die Liebe wirklich gibt, kurz: Wenn man behütet worden ist, dann rutscht einem bei einem Anblick wie diesem das Herz hinab, es durchschlägt die Magengrube, es fährt Achterbahn im Darm, um einen leeren Rumpf zurückzulassen und als nasser, fetter Fleck in der Hose zu landen.

Das heißt doch: »Das Herz rutscht mir in die Hose« – oder?

Vor mir hing ein Taxler von einer Laterne, von einer dieser unmenschlichen Straßenlaternen, aber gut, auch auf gusseisernen, auch auf hölzernen Masten sind schon Menschen gebaumelt. Was kann die Zeit dafür, dass die Dinge mit ihr gehen? Was können die Dinge dafür, dass die Zeit sie mit sich zerrt?

Die Dinge sind unschuldig.

Autos brannten. Scheiben waren zu Mäulern geworden, rissige Münder die riesigen Löcher. Eine Schiebetür ging auf und zu. Auf und zu. Langsam, wie im Tempo von gefährlichen Mafiosi, die sich nähern, und man selbst ist auf die Straße betoniert. Dazwischen Geranien.1 Und meine Behütetheit. Meine Behutung. »Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer«, sagt Doderer, was drin war, rinnt dann, sagt er, die ganze Zeit an uns hinunter, und ich habe nun also eigentlich das Gute seit zweiundvierzig Jahren an mir herunterrinnen. Ich, gebadet in Urvertrauen: Mir war bang. Aber ich hatte Elfriede.

Die lehnte an einem Masten, an dem niemand baumelte, und schaute mich an. Ich schaute zurück. Kurz regten wir uns nicht; ich sah sie an, Strähne für Strähne, Falte für Falte, und die Kippbilder, die ich im Kopf hatte, die sich dazwischendrängen wollten, Elfriede Jelinek mit Haartolle, Elfriede Jelinek mit Lidstrich, keine dreißig, im Mantel, Elfriede Jelinek, glattgesichtig, »Wollen Sie Kunst und Kultur, oder Peymann und Jelinek?«, die Kippbilder waren wie weggeschmissen. In diesem Moment. Wie durch den Schredder des Vergessens gejagt. Da stand sie.

Über ihr quietschte eine Tafel: ZU DEN GATES, stand da, WILLKOMMEN, stand da.

»Schmutzbespritzt«, murmelte ich, mehr zu mir als zu Elfriede Jelinek, »natürlich. Natürlich.«

»Die Stadt der Schmerzen«, sagte die Jelinek mit hochgezogener Augenbraue, während sie sich vom Masten löste, »hier schicken alle ihren Schmerz her, die nicht fliegen können, hier schicken sie sich her auf die Aussichtsplattform und drücken sich die Nasen platt. Schauen den Fliegern nach. Und dann fliegen die, die ohnehin keine Sehnsucht mehr im Leibe haben. Die Sehnsuchtslosen, die heben dann ab in einer Selbstverständlichkeit, dass kein Auge trocken bleibt, außer ihres. Weil die Freudentränen ausgeweint sind. Weil sie sich schon ausgequetscht haben mit ihren harten Händen.«

Na ja, und hier, dachte ich, hier hatten sich die Selbstverständlichen ausgetobt, die Mallorca-Flieger, die Wochenende-in-Barceloner, die Schnell-nach-London-Hopper. Das ging alles nicht mehr. Seuche und so. Deswegen brennende Autos. Deswegen brennende Taxler. Ist der Urlaub nicht in echt, dann ist er nirgendwo, und dann musst du dir die Aufregung anders holen.

Ich sah mich um und hörte mich hart schlucken, ein Donnern in meinen Ohren.

Elfriede Jelinek reckte das Kinn und sagte: »Da sind wir also, wir sind, wo Sie hinwollten, Frau Tiwald. Ich hab Ihnen gesagt, das wird kein Honigmilchtrinken. Aber jetzt kneifen, das geht nicht. Sie sind Schriftstellerin. Uns ist das Kneifen untersagt. Zumindest das gedankliche. Wir müssen hinschauen. Und deswegen, ich sag’s jetzt, wie’s ist, darf ich Ihnen hiermit mitteilen – hiermit mitteilen, pfah, was ist das für ein Deutsch, ich bin schon ganz fertig – na ja, Sie haben das spezielle Stipendium bekommen, das Durch-die-Hölle-gehen-Stipendium, ich gratuliere. Ist quasi eine Fortbildung. Ein Aufenthaltsstipendium. Kriegt nicht jeder. Obwohl jeder es gebrauchen könnte. Wobei, dann haben wir so einen Höllentourismus. Dann schieben sich die Leiber durch die Hölle, und man sieht vor lauter Leibern das Feuer nicht und reckt sich und streckt sich und hat erst nichts davon gehabt. Also. Ist besser so. Willkommen in der Hölle.«

Sie machte eine Handbewegung Richtung Eingang, wie ein Zirkusdirektor knapp vor der Pension auf die altersschwachen Löwen deutet; dann ruckelte sie einmal mit dem Kopf, und wir gingen los.

Als hätte sie gerochen, was ich dachte, sagte sie über die Schulter: »Angst brauchen S’ keine haben«, super, und schon waren wir drinnen.

Ich hatte gedacht, dass sich die seltsame Leere des Vorplatzes, die gespenstische Verlassenheit der Parkplätze und Haltestellen im Inneren des Gebäudes fortsetzen würden. Aber ich hatte falsch gedacht. Dort, wo in anderen Hochsaisonen die Massen angestanden waren, um in die fliegenden Sardinenbüchsen vorgelassen zu werden, schlurften graugesichtige Gestalten an mir vorbei, manche einzeln, manche in kleinen Grüppchen, und fast alle mit einem Nachziehtrolley. Verlegen öffnete und schloss ich die Finger um den Griff des meinigen; das Grauen beginnt schon darin, sich in anderen gespiegelt zu sehen. Still war es keineswegs, nur war’s nicht der Bienenstock, als der sich ein Flughafen sonst präsentiert, sondern mehr das Wirtshaus vor der Sperrstunde, wenn der Wirt schon müde und ungeduldig einen dreckigen Fetzen so deutlich über die Budel schmiert, dass selbst der letzte geisterhafte Trankler kapiert, welche Stunde es geschlagen hat. Aber noch eine unflätige Bemerkung vom Stapel lässt.

An manchen Stellen hallte der Unflat wider, als stünden wir unter der Kuppel eines Doms, wahrscheinlich eines geplünderten, wahrscheinlich eines, den der Pöbel auseinandergenommen hat, um allem zu frönen, was die Pfarrer verboten haben, aber vom Frönen war hier nichts wahrzunehmen. Nur vom Stöhnen. Und Fluchen. Und Jammern. »Wann geht endlich der Scheißflug?« war noch das Harmloseste.

»Ihr Hirn haben diese Gestalten alle schon abgegeben wahrscheinlich«, sagte die Jelinek in einer Aufgeräumtheit, die mich aus meinen deprimierenden Betrachtungen riss, »aber Sie und ich, wir sind nicht zum Hirnabgeben da. Und den Koffer da, übrigens. Wollen S’ den Koffer jetzt wirklich mitzahn?« – »Da is ein Manuskript drin«, fiepte ich und klammerte mich fest. »Aha«, sagte sie, »na gut, es sei Ihnen verziehen. Aber später nicht jammern, wenn’s anstrengend wird, ich sag Ihnen gleich, ich zieh ihn nicht, ich zieh nix. Außer Schlüsse.«

»Des is zum Niedalenga und Schdeahm«, maulte laut eine aufgeschwemmte, aufgedonnerte Kuh, die mit Gatten und Gör an uns vorüberstapfte, aber ich schreibe das nur so hin, weil mir die Finger diktieren, weil ich zwar mit dem Trio dann und dort nichts zu schaffen haben wollte, aber die Menschen – so sage ich es mir immer wieder – eigentlich mag. Wer weiß, was die Kuh schon überstanden hatte. Wofür sie sich belohnen wollte mit einem Flug auf die Seychellen. Vielleicht war sie liebenswert. Schützenswert. Urlaubswürdig.

»Die meisten Leute glauben, dass sie sich was erzählen müssen, und dann fällt ihnen irgendwann nichts mehr ein, und dann glauben sie, sie müssen verreisen«, sagte die Jelinek und stieß die Hände in ihre Manteltaschen. »Hier trotten sie herum. Wie Drohnen auf Drogen. Ziellos, weil man sie ihr Ziel nicht haben lässt.«

»Aber ist da nicht noch ein Rest von Widerstand?«, ließ ich mich zögernd vernehmen. »Der Saft, die Kraft, sich noch aufzurappeln, die Stadt zu verlassen, von, sagen wir, den Malediven zu träumen? Ist das Reisen dann nicht schon Résistance?«

»Wer von den Malediven träumt, der hat sich schon aus seinem Leben weggebeamt, und das ist schlecht«, befand Frau Jelinek, »der hat kein Talent zum Aussitzen, zur Geduld, der Fluchtinstinkt, der die Mittelschicht befällt in Situationen wie der jetzigen, der ist langweilig, weil er mit wahren Fluchten nichts mehr zu tun hat. Es ist ein armseliger Fluchtinstinkt.«

»Aha«, murmelte ich.

»Hier«, sagte Frau Jelinek, »da müssen wir noch durch«, dann sah ich sie: das Knäuel, von dem die meisten Geräusche kamen, das meiste Jammern, und Fliegen kreisten auch noch drum herum: Koffer waren geplatzt, Wäsche lag herum, die offenbar bei überhasteten Abreisen noch aus dem Schmutzwäschekorb geholt worden war, Wäsche, die man offenbar hier schon anderen Zwecken zugeführt hatte, und dann noch alle möglichen Brote in allen möglichen Zuständen und Alterungsphasen, mit Käse drauf, der tropfte, mit Salamiblättern, die an ihren Rändern schon Wellen schlugen, es stank, es klang, Kinder greinten, natürlich schrien dann Erwachsene, aus deren kauenden Mündern es nur so spritzte, dann schrien andere Erwachsene zurück – warum es keine Massenschlägerei gegeben hat, kann ich mir nur mit dem hohen Grad der allgemeinen Erschöpfung erklären.

Mit ein paar dieser ausziehbaren Gurtkonstruktionen, die einem Weidezaun gleichen, wenn man sie ausfährt, hatte die Flughafenverwaltung eine Schleuse konstruiert, und wie die Österreicher nun einmal sind, hatten sie sich dort angestellt, angeknäuelt, weil SO ordentlich sind die Österreicher nun auch wieder nicht, sie sind ja keine Briten, die sich sogar bei der Bushaltestelle anstellen, nein, so verkniffen sind die Österreicher nicht, die knäueln sich dann schon. Vorm Gattertor. »Die Schleuse da«, sagte Frau Jelinek, »wird aussortiert, die Guten, Fieberfreien ins Töpfchen, die Kranken am Schöpfchen und raus mit ihnen. Oder nicht raus. In die Quarantänestation. Aber von dort werden wir uns schön fernhalten. Gar nicht Mutter Teresa und sich aufopfern und Schicksale teilen.«

Da stand ein völlig ausgemergelter, junger, erschöpfter Bursche mit Maske und Gesichtsschild und hielt einen Fieberthermometer in der Hand. Offenbar war er hier schon seit Tagen, Wochen, vielleicht seit Menschengedenken im Einsatz.

Schneckengleich hob sich die behandschuhte Hand, langsam, langsam fuhr das Fieberthermometer in seiner Hand, Sichtrohr eines U-Bootes, eines über und über in Schutzkleidung gehüllten U-Boots, zur Stirn eines sich aus der Masse gestreckt Habenden; »Neiiiin!«, brüllte dann der Aufgebrandete, bei dem das Fieberthermometer angeschlagen und der schmale Bursche »Siebenunddreißigeins« orakelt hatte, und verhüllte sein Gesicht; bei Siebenunddreißigkommaeins hieß es schon Njet, »nicht Fisch, nicht Fleisch von der Temperatur her, aber der Staat nimmt alles ganz genau, der Staat Österreich nimmt alles supergenau, vor allem, wenn es um das einfache Staatsfleisch geht«, murmelte Frau Jelinek, und da kamen schon zwei im Sicherheitsanzugsornat, krallten sich den Unglücklichen, der sich doch schon auf halbem Weg nach Mallorca gewähnt hatte, und verschwanden mit ihm, der zwischen den sicherheitsbeanzugten Körpern strampelte.

»Ich werde jetzt etwas machen, das mir zutiefst zuwider ist«, sagte Frau Jelinek, »aber es ist mir nicht so sehr zuwider wie das Einknäueln in der Masse, das mich auf den Höchstgrad der Angewidertheit treiben würde«, packte mich am Ärmel, fischte aus ihrer Manteltasche eine eingeschweißte Karte, brüllte: »Hier Jelinek! Jelinek!«, und siehe da, ein weiterer Beanzugter tauchte auf, löste eines der eigentlich flutschenden Bänder aus seiner Halterung, winkte uns durch, trat auf zwei, drei Verwegene ein, die nun auch »Jelinek! Jelinek!« brüllten, und brüllte zurück: »Schleichen S’ Eahna! Se hom kaan Noböllpreis!«

Mit Elfriede durch die Hölle

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