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CANTO 2: AUF DEM WEG

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NUN LAG SCHWECHAT VOR uns, beziehungsweise: das Flughafengelände; wie kommt denn die liebliche Stadt Schwechat dazu, dauernd als totum-pro-parte für einen Ort zu stehen, der wie kaum ein zweiter unsere Mittäterschaft an der Zerstörung des Klimas und damit der Erde symbolisiert?

Wobei es mit der Mittäterschaft vorerst vorbei war, außer meiner, wie mir langsam dräute; was würde Elfriede Jelinek denn von mir denken (ich traute mich meinerseits nicht, nur »Elfriede« zu denken, ein blankes »Elfriede«, ein bekanntes »Elfriede«, und hängte immer ein »Jelinek« dran an meine inneren Monologfetzchen), ich hatte gedacht, ich könnte anonym zum Flughafen rauschen.

Aber nein. Ich saß neben Elfriede. Jelinek.

Mir fiel noch ein, dass sie in »Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr« die Umweltschützer durch den Kakao gezogen hatte, dass es nur so pritschelte, und so kam ich vorerst mit dieser meiner sehr privaten Flugscham zurecht. »Ich werde«, nuschelte ich dennoch, »hab ich mir gedacht, diesen Flug kompensieren.«

»Kompensieren.«

»Ja. Da gibt’s diese Webseiten. Wo man. Zahlen kann. Wenn man geflogen ist. Oder. Bevor man fliegt. In. Andere Länder, die weit weg. Also. Man zahlt dann. Und ein nepalesischer Bauer kann sich einen neuen Ofen kaufen. Effizient. Energie und so.«

»Aha. Mhm. Na dann. Kompensieren Sie nur hübsch vor sich hin.«

Ich weiß nicht, ob’s gut ist, wenn Elfriede Jelinek »hübsch« zu irgendwas sagt.

Wir waren auf einem Parkplatz gelandet, von dem aus es noch ein gutes Stück Weg war bis zur Abflughalle, aber ich hatte ja alle Zeit der Welt, ich musste nur einen Flug aussuchen, irgendeinen, bezahlen, mir die Maske überstülpen; ich hatte diese verdammte Eile nicht, die man hat, wenn der Flug schon gebucht ist, dieses Feuer-unterm-Arsch, dieses Gefühl, als sei alle Zeit bis zum Abflug nichtig; ich war ganz ruhig. Ganz ruhig.

»Danke schön, Frau Jelinek«, sagte ich, als ich mich, den Koffer, die schönen Schuhe und die Hausbibel aus der kleinen Fiat-Kugel geschält hatte, »Sie haben mir mein Leben sehr erleichtert.«

Kein Satz ohne ein massives Gefühl der Dämlichkeit.

»Nichts zu danken«, erwiderte sie, »leider trau ich mich mit dem Auto nicht weiter rein aufs Gelände« – macht nichts, Frau Jelinek, dachte ich, Sie hätten mich zwar einfach direkt vor der Abflughalle aussteigen lassen und wenden können, aber ich weiß schon, dachte ich, ich weiß, Sie sind menschenscheu, macht gar nichts, die paar Kilometer schaff ich schon noch.

Ich sagte ihr also noch einmal von Herzen Danke, fügte ein »Auf Wiedersehen« an, war ein bisschen wehmütig, weil ich mich jetzt von Elfriede Jelinek wegdrehen musste, und trottete los.

»Moment«, sagte sie da zu meinem Rücken, »ich komm ja mit, hab ich das vergessen zu sagen? Pardon. Ich komm mit.«

»Äh.«

»Ja.«

»Fliegen Sie auch weg?«

Ich war stehen geblieben und schaute sie an, die Hand auf dem Trolley; rundherum war die Erde wüst und leer.

»Ich komm mit«, sagte sie, »bis zum Flughafen.«

Ich krallte mich am Trolley fest.

Die ersten paar hundert Meter stapften wir schweigend durch die Landschaft, die mit »winterlich« nur unzureichend beschrieben wäre. Eher schon Action-Abenteuer. Eher so: halbe Apokalypse. Aber Wien. Deswegen glauben wir’s nicht.

Sie hatte ihren Kragen hochgeschlagen und Lippenstift und Lidschatten aufgetragen, und ich fand in meinem filmvergifteten, hollywooddurchseuchten Hirn, dass sie auf herb-schöne Weise in diese Gegend passte, wo sich die Welt schlafen gelegt hatte; wo ausgeweidete Autos auf nackten Felgen herumstanden wie festgenageltes Tumbleweed in einem Western, diese durch die Wüste geblasenen Steppenläufer, und man spürte schon die Gefahr; diese Gegend, wo ich sorgenvoll in den Himmel schaute, der leer war.

Provokant leer.

Wind kam auf, natürlich. Ich stellte mir Ennio Morricone vor, Spiel-mir-das-Lied-mit-der-Mundharmonika; mein Hirn schuf Kulisse und Sound, ich wusste beim besten Willen nicht, was ich jetzt sagen sollte. Wobei ich vielleicht vor Marlene Streeruwitz noch größeren Spundus gehabt hätte.

In nicht allzu großer Ferne sah ich – ich blieb kurz stehen, um es zu glauben: Flammen. »Da brennt was«, sagte ich tonlos und tumb.

»Ja«, sagte sie, und während ich noch ansetzte, innerlich zu flehen: Sag was, bitte, sag was, ich hab keine Ahnung, sprach sie weiter: »In Wahrheit ist der Flughafen die Hölle, das haben Sie schon ganz richtig gemeint, als Sie Ihre Kompensationskompetenz unter Beweis stellen wollten. Denn das war’s, was Sie gemeint haben. Hier ist die Hölle zuhause, hier hat sie sich’s bequem gemacht, und wenn noch was abhebt vom Tarmac, dann nur zur Tarnung. In Wahrheit brodelt’s. – Gut, das, was da brennt, das sind angezündete Autos, ganz simpel. Ich hab ja schon ein paar Fahrten gemacht hin und her. Die Brandstifter, das sind ganz einfach Frustis, die es nicht wahrhaben können, dass nicht mehr geflogen werden kann. Oder nicht gleich. Oder nicht mit DO&CO-Menü. Oder nicht billig. Na, und dann greifen sie halt zu anderen Mitteln. Benzin. Feuerzeug. Die Scheiße ist immer einfach. Der Mensch ist des Menschen Brandstifter.«

»Und … Sie gehen da freiwillig hin? Haben Sie … haben Sie schon ein Ticket?«

Wenn es so war, wie es aussah, dann hatte sie nicht nur einfach den Georg-Büchner-Preis und dann den Nobelpreis bekommen, sondern war als ganze Person in den schon auf Erden existierenden Himmel der Glücklicheren, Besseren, von Fortuna Gebusselten aufgestiegen. Oder war schlicht intelligenter als ich und hatte das mit dem Ticket schon vorab geregelt.

Sie blieb stehen.

Sie blieb stehen und fing erst mit einem kleinen Grunzen an, bevor ihr ganzer Körper bebte und zu lachen anfing. Sie lachte und lachte, sie schüttelte sich und rüttelte sich und musste sich vorsichtig die Lachtränen aus den Augenwinkeln heben, damit die Wimperntusche das alles schadlos überstand.

»Ein Ticket? Ich? Ein Ticket? Überhaupt: ein Ticket? Nein, meine Liebe. Neinnein.«

»…?« (So schaute ich.)

Sie seufzte und sagte: »Erstens: Sie werden sehen, die Hoffnung auf ein Ticket wird eine hartnäckige sein müssen. Des wird’s ned schbüühn, wie der gelernte Österreicher sagt. Zweitens: Sie werden das jetzt nicht glauben, aber mich schickt eigentlich der Manfred Müller von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Ich bin ja innen ein netter Mensch, auch wenn mir das keiner glaubt. Der Manfred Müller! Dem konnte ich noch nie eine Bitte abschlagen, was heißt eine, was glauben Sie, wie viele Runden ich schon gedreht habe, was heißt ich, die Marlene, der eine Robert, der andere Robert, der Gustav, wir drehen Runden und Runden. Die Erben vom Heimito haben auch jemanden delegiert. Ich kann die Strecke zwischen der Oper und dem Flughafen schon fast blind. Na ja. Lauter Jungautoren. Wir karren da lauter Jungautoren herum. Und -innen. Wobei: jung. Auch so ein seltsamer Beisatz. Jedenfalls haben Sie jetzt was vor sich. Am besten, Sie warten, bis wir da sind. Dann ist’s vielleicht einfacher zu verstehen. Warum wir Sie in die Hölle schicken.«

Mit Elfriede durch die Hölle

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