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Erzählte Frauen
Sklavin, Gattin, Göttin

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Im Jahr 2018 trendete auf Twitter die Aufforderung: „Describe yourself like a male author would“: „Beschreibe dich, wie es ein männlicher Autor tun würde“. Ähnliche Challenges gab es seitdem immer wieder. Hintergrund ist die Tatsache, dass Frauen seit jeher von Männern ‚geschrieben‘ werden, viel häufiger als umgekehrt. Unter diesen Darstellungen gibt es natürlich subtile Porträts, die alles andere als sexistisch sind, aber eben auch zahlreiche Beispiele, in denen sich ein bestimmter männlicher Blick durchsetzt und weibliche Figuren klischeehaft und flach gezeichnet sind. Eine typische Dichotomie ist die zwischen den Extremen der ‚tugendhaften Unschuld‘ und der Femme fatale, die traditionell eher Norm als Ausnahme darstellt – deutlich seltener sind Beispiele zu finden, wo Männer Frauen darstellen, die selbstbestimmt und glücklich ihre Sexualität leben, die glaubwürdige, eigenständige Persönlichkeiten haben oder interessanten Tätigkeiten nachgehen.

Die antiken Paradigmen sind hier besonders relevant, weil die meisten griechischen und römischen Autoren ihre Figuren nicht selbst erfanden, sondern nur neu interpretierten. Viele Heldinnen antiker Texte entstammen der mythischen Tradition, und ihre Geschichten sind durch sehr unterschiedliche Texte, aber auch durch bildliche Darstellungen überliefert – oft in ganz verschiedenen Versionen. Daraus ergibt sich ein großer Facettenreichtum der Einzelfiguren, die unzählige verschiedene Biografen haben, und die Figuren hatten von Anfang an eine Art Eigenleben.

Die wirkmächtigste Verarbeitung der Stoffe seit der Antike ist wohl die Homers, des Autors von Ilias und Odyssee. Auch Homer ist kein Erfinder fiktionaler Geschichten: Er berichtet zwei Episoden aus dem Mythos um den Trojanischen Krieg, den auch zahllose andere antike Texte und Bilder zum Thema haben. Aber Homers Epen sind die frühesten erhaltenen Texte Europas, und ‚seine‘ Figuren haben es in der griechisch-römischen Literatur zu besonderer Prominenz gebracht. Gleichzeitig gibt es gegen diese Darstellungen Widerstand – von modernen Stimmen und, der Legende zufolge, von den dargestellten Figuren selbst. Drei Beispiele für homerische Frauen sind die unterwürfige Sklavin Briseis, die treue Gattin Penelope und die schillernde (Halb-)Göttin Helena.

Die abgetrennte Zunge

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