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Kapitel 1
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Hawk
Der Mond stand hoch am Himmel, als das Lager in Aufruhr geriet. Hawk, der seine nächtliche Wache gerade abschloss, blieb stehen. Das erste, das ihm ins Auge stach, war sicherlich das prächtige Pferd. Ein großer, edler Hengst mit breiter Brust und wachen Augen. Seine Ohren spielten aufgeregt, er warf den Kopf hoch. Auf seinem Rücken saßen ein Bursche und ein brünettes Mädchen. Das Mädchen klammerte sich an den Jungen und der sich in die Mähne des Tieres, die Zügel hatte Wulf an seinem Pferd befestigt. Hawk behielt den Tross gelassen im Auge, obwohl er ein Wort mit Wulf zu sprechen gedachte. Brachten sie nun schon Kinder auf? Pferdediebe oder nicht?
Wulf entdeckte ihn und hob die Hand. Ein Zeichen, dass er mit ihm sprechen musste. Hawk runzelte die Stirn und deutete zu seinem Zelt. Trotzdem blieb er einen Moment länger, um seinen Hauptmann zu beobachten. Er riss das Duo vom Rücken des Hengstes und wurde verwünscht. Hawk grinste ob der unflätigen Worte des Knaben. Das Mädchen klammerte sich voller Furcht an ihren jungen Begleiter. Ein Pärchen auf der Flucht. Keine Gefahr für das Lager. Man hätte sie ungehindert passieren lassen sollen. Hawk setzte sich in Bewegung und stoppte durch den neuerlichen Tumult. Wulf hatte nach dem Halfter des Pferdes gegriffen, das sich sogleich wild aufbäumte.
»Nehmt Eure dreckigen Hände fort!«, spie der Knabe und warf sich in Wulfs Rücken. Beide gingen zu Boden, und die Hufe des Rappen schwangen bedrohlich über ihnen.
»Hektor, lauf!«
Das Pferd bäumte sich erneut auf und riss sich damit los. Es galoppierte los, direkt auf ihn zu. Hawk stellte sich der Herausforderung und machte sich darauf gefasst, nach dem Zaum des Tieres zu greifen. Aber es wich im letzten Moment aus. Männer hasteten auf ihn zu und zogen dabei ihre Waffen.
»Nein!«, rief Hawk und hob die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. »Verletzt es nicht.« Es war ein in der Tat herausragendes Tier, mit stolzer Haltung und kräftigen Gliedern. Murrend wurden die Waffen fortgelegt, und die Hatz begann. Der Bursche rief dem Hengst Anweisungen zu, und es schien exakt darauf zu reagieren. Merkwürdig. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Männer das Tier endlich einfingen, und Hawk fragte sich, ob es womöglich an den ausbleibenden Anweisungen des Knaben lag. Der war von Wulf unsanft zum Schweigen gebracht worden, und lediglich das Wehklagen des Mädchens übertünchte das Aufgebot seiner Männer. Hawk trat auf das Tier zu, das wild die Augen rollte und die Ohren zurücklegte. Als er die Hand nach den Nüstern ausstreckte, versuchte das Pferd erneut, seine Bezwinger abzustreifen. Gleich zehn Mann waren nötig, um den Rappen am Boden zu halten. Ein verflixt kräftiges Kerlchen.
Wulf schliff den Knaben mit sich heran. Das Mädchen folgte von selbst. Hawk seufzte.
»Bitte haltet ein. Euer Wehklagen ist sicherlich im ganzen Land zu hören!«, befahl er und sorgte damit tatsächlich für Ruhe. Das Mädchen schluchzte nur noch und versuchte, sich der Verfassung seiner Begleitung gewahr zu werden. Das lenkte Hawks Blick auf den Burschen, und eine Ahnung dämmerte ihm. Der Knabe trug nur zu bekannte Farben am Leib. Er gab Wulf einen Wink, ihm zu folgen. Erst in seinem Zelt ließ Wulf den Jungen los. Das Mädchen kauerte sofort bei ihm und schluchzte seinen Namen. Sam. Sie war einfach gekleidet und doch stach sie sicherlich aus dem Gros der Mägde heraus. Sie besaß eines jener porzellanartigen Gesichter, die man ansehen musste. Sie war viel zu hübsch für eine Magd, und sicherlich war dies der Grund für ihre Wanderung mit diesem Knecht aus dem Hause Knightsbridge.
»Östlicher Rand«, murrte Wulf. »Dachte, wir hören uns an, was sie zu sagen haben.«
Als Mitglieder des Knightsbridge-Hofstaates hatten sie sicherlich etwas Interessantes zu berichten. Hawk nickte und lehnte sich gegen seinen groben Holztisch. Wulf leerte den Wassertrog über dem Pärchen aus. Das Mädchen schrie erschrocken auf und wich zurück, während in den Knaben etwas Leben kam. Er stöhnte.
Hawk behielt ihn scharf im Auge. Seine Lider hoben sich. Blaue Augen. Sie fokussierten sich, und mit einem Mal barst der Knabe vor Spannung. Er drehte sich und kam auf die Füße, in die Runde sehend.
»Gretchen!« Seine Stimme war heiser und recht hoch. Noch nicht einmal im Stimmbruch, seufzte Hawk und musste innerlich den Kopf schütteln. Was wollte ein Bübchen wie dieses mit einem solchen Mädchen?
»Ihr Hundsfott!«, spie der Knabe und stellte sich vor das Mädchen, um sie vor ihnen zu verteidigen. Dummer kleiner Junge.
»Na, na«, mahnte er. »Wer wird denn gleich so unfreundlich sein?«
Sein Blick glitt zu ihm, und die blauen Augen verengten sich. Die Lippen verzogen sich, und man konnte ihm seine Meinung nur zu deutlich ablesen. Seine Verachtung.
»Wo kommt ihr her?«
»Ich bin Euch keine Rechenschaft schuldig!«, spie der Bursche. »Ihr seid ein Halsabschneider! Ein Vogelfreier! Ein gemeiner Bandit!«
Hawk nickte unbeeindruckt. Er war schon gekonnter beschimpft worden. »Richtig.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Deswegen ist es nicht sonderlich klug, mich aufzubringen.«
Das stoppte den Knaben, und lediglich seine Haltung blieb aggressiv.
»Wir haben nichts von Wert. Wir sind nur zwei arme Reisende auf dem Weg.«
»Und wohin führt der Weg?«
Die Augen des Buben verengten sich. »Nach London.«
Hawk wartete, aber der Bube gab sonst nichts preis. Wulf wurde ungeduldig und trat vor. »Aus welchem Grund?«, verlangte er zu wissen. Der Bub fletschte die Zähne.
»Was geht euch das an!«
Hawk griff ein. »Wulf!« Sein Hauptmann behielt den Knaben im Blick, hielt sich sonst aber zurück. »Ihr seid fortgelaufen.«
Der Bube riss die Augen auf, während das Mädchen spitz aufschrie.
»Bei wem erhofft ihr euch Unterschlupf zu finden?«
»Antwortet!«, donnerte Wulf und brachte das Mädchen zum Weinen. Der Bube ergriff deren Hand und drückte sie fest.
»Ich gehöre zur Dienerschaft des Duke of Knightsbridge«, offenbarte der Bursche knirschend. »Ebenso wie mein Weib.«
Wulf lachte dröhnend auf, was Hawk sich ohne Mühe verkniff.
»Sie ist die Zofe der jungen Lady und musste fort. Eine Delegation des Bruders Ihrer Gnaden ist am Königshof. Wir erhoffen uns des Grafen Unterstützung.« Der Knabe funkelte ihn an.
Hawk sah an ihm herab, dann an dem Mädchen. »Warum sollte er euch unterstützen?«
»Weil Gretchens Familie zu seinem Gefolge gehört. Sie muss Knightsbridge verlassen.« Hawk konnte sich sehr gut vorstellen, warum. »Wir haben nichts von Wert.«
»Kommt ihr aus Knightsbridge?«
Der Junge verengte erneut seine strahlenden Augen und durchbohrte ihn damit. »Nein.«
»Sondern?«
»Seine Gnaden Tochter reiste kürzlich an die Küste. Wir haben sie begleitet.«
Hawk runzelte die Stirn. Von einer Reise der Lady hätte er sicherlich gehört. »So?«
»So ist es.«
Irgendwie hatte Hawk so seine Zweifel.
Der Bursche kauerte in der Ecke, die Felle um sich gewickelt, als wären sie eine Bastion aus Stein und nicht nur gegerbtes Haar und Haut. Er starrte ebenso zu ihm rüber, wie er zu ihm. Merkwürdig für einen Burschen seines Standes. Sein Ärger stand in jedem noch so weichen Zug seines schmalen Antlitzes und blitzte in seinen Augen. Da brodelte ein Hexenkessel in der schmalen Brust, der nur darauf wartete, in die Luft zu gehen.
Hawk war sich sicher, dass ihm die Selbstbeherrschung fehlte und er Probleme bereiten würde. Wulf sah es ebenso, und ihm vertraute er nicht nur sein Leben an, sondern sein ganzes Sein. Dieser Bursche bedeutete Ärger, aber Wulfs Vorschlag ließ sein Nackenhaar sich sträuben. Da war etwas an dem Knaben, was Hawk fesselte, das gestand er sich ein, und es waren nicht die möglichen Informationen, die er durch ihn erlangen konnte, sicher nicht. Denn in dem Punkt war der Bursche - Sam - verdammt standfest, beharrte auf Punkten, die einfach nicht der Wahrheit entsprechen konnten.
»Wie heißt deine Herrin?«
Aus Sams Kehle stieg ein tiefes Grollen empor. »Ihre Gnaden, die Duchesse of Knightsbridge.«
»Und dein Herr?« Hawk wusste nicht, was er mit der endlosen Wiederholung immer derselben Fragen erreichen wollte, aber er hatte deutlich das Gefühl, dass der Knabe log, und ebenso wie Wulf vertraute er eben auch auf seinen Instinkt.
»Es wäre klüger, du gäbest deinen Widerstand auf. Du kannst dadurch nichts gewinnen.« Nicht, dass diese Warnung oder irgendeine andere den Burschen zur Vernunft brächte. Bisher hatte Hawk ihn nur dann zurückschrecken sehen, wenn Ross oder Dame des Herzens involviert waren. Ein Weg zum Ziel? Das Pferd war bereits in seinem Besitz, wie auch alles, was das Paar bei sich gehabt hatte. Kleidung und nicht irgendwelche. Offenbar war das Paar mit einigen Gewändern der Herrin aufgebrochen, um sie in Barschaft zu verwandeln. Diebe.
»Weißt du, was man mit Dieben, speziell Pferdedieben, anstellt? Sie werden gehängt. Umgehend.« Wieder blitzten die klaren Augen des Buben auf, und seine Lippen pressten sich zusammen, als müsse er eine scharfe Replik zurückhalten.
»Ein Los, das Vogelfreie teilen, die Reisende überfallen!« Eine schmale Braue hob sich in dem Milchgesicht des Burschen, und eine ihm nicht zustehende Überheblichkeit machte sich auf ihm breit. »Wie Euch und Eurem Gesindel.«
Gescheit, das musste man ihm lassen. »Wohl wahr«, räumte Hawk also ein und nippte an seinem Weinschlauch. Sein Mahl hatte er zwar beendet, aber gewöhnlich wurde es nicht abgetragen, bis das nächste gereicht wurde, wenn überhaupt. Also lagen die Überreste des Wildschweins vor ihm auf dem Brett und zwei Knusten seines frischen Brotes, das er nicht mehr geschafft hatte und den feinen Saft des Bratens aufsog.
Sam hatte nur altes Brot bekommen und hatte es verschmäht wie bei den letzten drei Mahlzeiten ebenfalls. Er drohte nicht zu speisen, bis man ihm sein Weib zeigte. Unversehrt.
»Du musst hungrig sein.« Perfide, aber wenn der Bursche nicht nachgab, bliebe nur Wulfs Vorschlag, den Burschen und sein Weib zu eliminieren. Gefangenhalten funktionierte auf lange Sicht nicht und lohnte auch nur, wenn aus ihm etwas rauszubringen war oder er sonst wie von Nutzen sein konnte. Und danach sah es derzeit nicht aus.
Hawk stand träge auf und nahm sein Brett, um auf den Buben zuzugehen und sich vor ihn zu hocken. Sams Hände waren vor seinem Leib zusammengebunden, und er war auf Waffen abgesucht worden. Er war demnach keine Gefahr.
»Dir muss doch der Mund wässrig werden bei dieser Aussicht. Ein weiches, saftiges Stück Wildschwein. Hm.«
»Ihr seid ein Barbar«, knurrte er und wendete das Gesicht ab. Der Schwung seines Nackens fiel Hawk auf, was ziemlich irritierend war. Das Lager war voll mit Männern aller Altersklassen, nie war ihm ein Nacken aufgefallen. Sich losreißend, ließ er das Brett sinken und stand auf. Aus diesem Blickwinkel war die Gestalt des Burschen noch angenehmer zu betrachten. Wohl, weil ihm der böse Blick erspart blieb. Hawk wendete sich ab.
»Nein. Bursche, du bist in keiner glücklichen Lage.«
Sam schnaubte betont abfällig. »Gebt mir einen Dolch, und wir werden sehen, wer in einer unglücklichen Lage steckt.«
»Ihr seid ein Narr.« Es war völlig zwecklos, was er hier versuchte. Verärgert ließ er den Burschen allein und stapfte durch das nächtliche Lager. Wulfs Zelt befand sich am anderen Ende und obwohl sein Rat bereits eingeholt und ausgeschlagen worden war, war es das vernünftigste Ziel, das ihm einfallen mochte.
Wulf sah auf, als er sein Zelt betrat, blieb aber in seinem Lager gefläzt liegen. »Na, hat Euch der Bursche etwas verraten?« Seine Zweifel schwangen dank seines Spotts offen durch. »Seine dunkelsten Geheimnisse vielleicht? Dass er seine Männlichkeit noch nie erprobte zum Beispiel?« Er lachte auf. »Weib, was für ein schlechter Spaß! Vermutlich war er der Narr an des Dukes Hof!«
»Da die Stelle nun vakant ist, mögt Ihr euch vielleicht darauf bewerben?« Hawk zog sich einen Hocker ran und ließ sich tief seufzend nieder. »Er ist erstaunlich stur.«
»Er braucht eine Abreibung, die ihn an seinen Stand erinnert.«
»Vergesst Ihr da nicht etwas von Bedeutung? Wir sind Vogelfreie, er ein Pferdedieb, derzeit tun wir uns nicht viel.«
Wulf grunzte und kam mit Schwung hoch. »Das Mädchen ist der Schlüssel.«
»Schlagt ihr nun vor, wir malträtieren kleine Mädchen anstatt kleiner Jungs?« Das machte es nicht angenehmer, ganz im Gegenteil.
»Vielleicht gibt es andere Wege«, murmelte Wulf, wobei sich ein zufriedenes Grinsen auf seine Lippen schlich. Hawk ahnte, worauf es hinauslief.
»Sie ist eine verheiratete Frau.«
»Eben.« Wulf zuckte die Achseln. »Eine verheiratete Frau, die sich von einem Kind anfassen lassen muss. Sie wird mir dankbar sein für mein Interesse.«
»Ich bin davon überzeugt, dass wir uns an den Burschen halten sollten. Wir brauchen einen Weg …« Seine Gedanken wanderten ab auf der frenetischen Suche nach diesem Weg. Sicher war, dass er es versuchen wollte – auf Teufel komm raus – bevor er zuließ, dass dem Knaben ein Leid geschah, und der Weg über das Mädchen wäre erst der vorletzte. »Lass sie. Wenn Ihr Langeweile habt, übt Euch im Zweikampf.«
Obwohl es ihn nicht zurück in sein Zelt zog, bedeutete ein Rundgang über das Gelände immer eine unerwünschte Ablenkung. Es gab dutzende Stationen und ebenso viele Anfragen, die ihn erreichten. Was war der nächste Schritt, woher kamen die Neuankömmlinge, wie sollte mit ihnen verfahren werden … Diese Fragen beherrschten nicht nur ihn.
»Jo!«, rief das Mädchen in schriller Tonlage und flog dabei nahezu durch das Zelt, wo sie sich dann auf ihren Gefährten warf. Heulend und Wehklagend. Sam tätschelte ihre Hand und versicherte ihr, es ginge ihm wohl. Eine Lüge, denn mittlerweile hatte er fünf Tage nichts zu sich genommen und dementsprechend schwach war er.
»Er wird die Woche nicht überstehen«, mischte sich Hawk ein und erntete einen bösen Blick. Das Mädchen quiekte voller Entsetzen.
»Bitte, Ihr dürft Jo nichts zuleide tun! Ich flehe Euch an!«
»Gretchen!«, zischte Sam und griff nach ihren Fingern, um sie fest zu drücken. »Ich sterbe lieber als …« Der Rest blieb ein stummes Zwiegespräch zwischen den Beiden.
»Und ich?«, wisperte das Mädchen. »Was wird aus mir?«
Ein Ruck ging durch Sam, und die Frage hatte endlich die Wirkung, die sein Wohl nie in ihm auslöste. Er setzte sich auf, was ihn schier unendliche Kraft kosten musste, verlor er doch den letzten Rest an Farbe.
»Gretchen …« Verzweiflung machte sich auf seinem Antlitz breit, und er wirkte noch unmännlicher als jemals zuvor. Auf wie viele Lenze mochte er kommen?
»Es liegt an Euch«, mischte Hawk sich nach einem Räuspern wieder ein. »Mir liegt nichts daran, Kindern den Garaus zu machen.«
Wieder quiekte das Mädchen und drängte sich noch fester in die Umarmung ihres Gefährten, wo sie leise zu weinen begann. Sams Blick richtete sich mit einem Ärger auf ihn, der wohl gerechtfertigt war. »Es gibt Schlimmeres als den Tod!«
»Wohl wahr.« Allerdings war es eine sehr endgültige Weltansicht. »So suchst du ihn und wünscht ihn auch deiner Gefährtin?«
Sams Miene wurde eisig. »Es fehlt an Möglichkeiten.«
»Ich biete dir einen Ausweg.« Hawk lockerte seine Haltung, hatte er doch bisher breitbeinig vor dem Paar gestanden und die Arme vor der Brust verschränkt. Nun kniete er sich zu ihnen. »Du bist ein gescheiter Junge, und sie liegt dir doch am Herzen.«
Sam bestätigte es, indem er das Mädchen enger an sich zog.
»Die Informationen, die ich suche, betreffen dich doch nicht. Sie sind so allgemein, dass man sie auch nicht auf dich zurückführen könnte. Was ficht es dich an, ob wir es auch wissen? Ihr seid geflohen, habt ein Streitross entwendet und edle Gewänder eurer Herrin. Es gibt keinen Weg zurück für euch, das muss euch doch bewusst sein.«
»Wir haben nicht vor, jemals nach Knightsbridge zurückzukehren!« Das nahm er ihm bedenkenlos ab.
»Was hindert dich dann, mir von Knightsbridge zu erzählen?«
Sam schnaubte und maß ihn mit einem Blick, der mehr als deutlich sagte, was er von ihm hielt. »Es wäre unser Tod.«
»Knightsbridge …«
»Es ist das einzige, womit wir Euch dienlich sein könnten, und Ihr werdet Euch unser entledigen, sobald ich auch nur einen Ton verliere!«, spie er und wirkte wie ein angriffslustiger Hund. Trotzdem blieb etwas Weiches an ihm, etwas, das einen Instinkt in Hawk auslöste, den er nicht verstand.
»Ich schwöre dir …«
Sam spuckte aus. »Ihr seid so glaubwürdig wie jeder andere Halsabschneider!«
»Wie du selbst, nicht wahr?« Wieder wirkte Sam, als wolle er etwas sagen und verkniff es sich gerade noch so.
»Ihr seid nicht mit mir vergleichbar.«
»Du hast kein Vertrauen zu mir.«
Ein Schnauben war die Antwort, und Sam hob die gebundenen Hände. »Wir wurden überfallen, misshandelt und gefangen gehalten.«
Da war es schwer, Vertrauen zu fassen. Hawk starrte ihn an. Er hatte Augen, die strahlten wie der Morgenhimmel. »Vertrauen ist auf beiden Seiten notwendig«, murmelte er noch immer abgelenkt. Dieser Bube rührte etwas in ihm, keine Frage. »Ich bin bereit, dir zu vertrauen.« Er zog seinen Dolch aus der Scheide und hielt ihn hoch. Die Magd keuchte und drängte sich gegen ihren Gefährten, der ihn wiederum gelassen anfunkelte. Langsam senkte er den Dolch zwischen die gebundenen Hände und schnitt die Seile mit einem schnellen Ruck entzwei.
»Ich mache den Anfang.«
Sam rieb sich die Gelenke, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
»Du hast freien Zugang zu jedem Ort innerhalb dieses Camps.«
Er schnaubte verdrossen, und Hawk hob die freie Hand, um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. »Vorerst müsst ihr bleiben, aber euch wird kein Leid zugefügt werden, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
Sams geschwungene Lippen verzogen sich verächtlich.
»Eure Flucht war nicht durchdacht. Du kannst das Wohl deiner Gefährtin nicht gewährleisten. Ich biete dir zwei Dinge, die dir in Zukunft gute Dienste erweisen werden: Wir lehren dich die Kampfkunst und dein Weib das Überleben in karger Natur.«
Viel mehr könnte der Bursche dem Mädchen ohnehin nie bieten.
Sams durchdringender Blick ruhte auf ihm, ein deutlicher Beweis, dass er dessen Aufmerksamkeit eingefangen hatte. Sehr gut!
»Ich will Euren Schutz! Niemand wird Gretchen zu nahe kommen! Und ich will mein Pferd!«
Der Bursche war deutlich zu gierig, aber da er derzeit in ungewöhnlich nachgiebiger Laune war, stimmte er zu.
Sam atmete aus und verlor dabei einiges seiner zuvor verbissenen Haltung. Er sackte zusammen.
»Im Gegenzug erwarte ich deinen Gehorsam und deine Dienste. Gretchen wird die anderen Frauen unterstützen und von ihnen lernen.« Angespannt wartete Hawk, als ginge es um mehr als die Zustimmung eines bockigen Jünglings.
»Dienen?«, hauchte die Magd und starrte Sam dabei an, als wäre es ein monströser Vorschlag.
»Ordnung halten, mein Essen bringen, meine Ausrüstung pflegen …« Die Aufgaben eines Knappen, auf den er hier im Sherwood bereits viel zu lange verzichten musste.
»Ich lerne zu kämpfen, und Gretchen wird nicht angetastet!«
Darauf beharrte der Knabe deutlich zu heftig, aber irgendwie war es auch beruhigend, wie zugetan er der Magd war. Vermutlich war sie tatsächlich der Schlüssel zu seinem Gehorsam.
»Gretchen steht unter meinem Schutz. Niemand wird es wagen, sich ihr zu nähern, darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Schön«, murmelte Sam und sackte weiter zurück. Seine Lider schlossen sich. »Gretchen …« Seine weiche Stimme verlor sich, aber Hawk lauschte ihr nach. Sein Blick ruhte noch immer auf dem blassen Antlitz des Knaben mit eigenartiger Faszination.