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Kapitel 3
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Am Ende der Hoffnung
Johanna ballte die Hände. Welch Unglück, dass Wulf ausgerechnet nun zurückkommen musste. Und dummerweise mit einem verletzten Hawk im Gepäck.
»Kleiner!« Wulf forderte ihr Gehör mit ungewöhnlicher Schärfe. »Beweg dich her, damm mich!«
Gretchen griff verängstigt nach Johannas Hand und drückte ihre Nägel in ihr Fleisch. Johanna biss die Zähne zusammen und folgte mehr als widerwillig dem Befehl.
»Nun komm schon!«, knurrte Wulf und riss sie an ihrem Hemd näher. »Drück deine Hand auf die Wunde, wir müssen sie ausbrennen, aber dafür brauche ich echte Männer!«
Johanna verkniff sich einen empörten Widerspruch und krauste die Lippen. Neben ihr gab Gretchen einen gurgelnden Laut von sich. Johanna sah sich zu ihr um. »Du wirst doch nicht …«, fragte sie leise und drehte sich ihr zu, wobei sie die blutende Wunde Hawks unbeachtet zurückließ. Der Verletzte stöhnte leise. Gretchen schüttelte, die Augen schließend, den Kopf und schluckte sichtlich. »Es … es ist …«, murmelte sie bleich und zittrig.
»Blut«, beendete Johanna trocken und wendete sich dem Bandenchef wieder zu. Es widerstrebte ihr, Wulfs Befehlen zu folgen, aber einem Verletzten keine Hilfe zu leisten, war ebenso inakzeptabel. Sie presste die Lippen aufeinander. Zu Hause hätte sie eine solche Verletzung nie zu Gesicht bekommen, nicht ob der Scheußlichkeit derselben, sondern allein wegen ihrer allzu obsoleten Lage. Nur einen Zoll unterhalb der Hüfte klaffte eine tiefe Fleischwunde. Die glatten Wundränder ließen auf einen Hieb mit einem scharfen Schwert schließen. »Ich brauche warmes Wasser«, murmelte sie und bat Gretchen, dafür zu sorgen. Sie wischte die Hände an ihrem sauberen Hemd ab und nahm ihr klammes Trockentuch, um den Bereich um die Wunde herum von Blut zu befreien. Der Schnitt war tief und sicherlich bereits viele Stunden alt. Gott allein mochte wissen, wie viel Blut Hawk in der Zwischenzeit verloren hatte. Zu viel, und er würde unweigerlich daran sterben. Sie schluckte und wischte über das zerschundene Fleisch. Hawk bäumte sich auf. Vor Fieber brennende Augen richteten sich auf sie, und der Stoß, der sie traf, beförderte sie hart zu Boden. Sie hätte sich seiner Ohnmacht versichern sollen.
»Verdamm mich! Du solltest …«, fuhr sie der eintretende zweite Mann der Bande an und riss sie so brutal auf die Füße, wie sie zuvor niedergestreckt wurde. Johanna stöhnte vor Schmerz. Wulf brach ab, als er das blutbesudelte Tuch in ihrer Hand entdeckte und schubste sie zum Lager. »Du solltest der Blutung Einhalt gebieten!«
»Wie lang ist er verwundet?«, fragte Johanna, sich den schmerzenden Arm reibend und bedachte Wulf mit brennendem Blick. Viel lieber würde sie ihn tödlich verletzt auf dem Lager liegen sehen als Hawk, der zumindest ein wenig freundlich zu ihr war.
»Was geht dich das an?«, knurrte Wulf und drückte seinerseits ein Tuch auf die Wunde.
»Je mehr Blut er verlor, desto wahrscheinlicher ist sein Tod.« Johanna wunderte sich über das kleine Zittern ihrer Stimme. Wenn man darüber nachdachte, so war ihre Furcht begründet. Hawk mochte hart sein und unbedingten Gehorsam fordern, aber er war gerecht – auf seine Weise. Wulf hingegen ließ sie jeden Moment wissen, wie wenig er sie schätzte. Er würde ihr das Leben zur Hölle machen. Johanna überfuhr ein Schaudern. Was er ihr antun mochte, war nichts zu dem, was er mit Gretchen machen könnte.
Johanna schluckte und gewahrte erst Wulfs starren Blick, als sie wieder zu dem Verletzten sah. Sie hob das Kinn, schließlich konnte man es kaum ihr anlasten, wenn Hawk seiner Verletzung erliegen würde.
»Sollte er sterben …«, drohte Wulf und ballte die freie Hand.
»Nur die Blutung zu stoppen, wird ihn nicht retten«, knirschte Johanna ihre Befürchtungen vor Augen. Gretchen unterbrach den Zwist, als sie eintrat. »Ich habe Wasser«, bemerkte sie atemlos und stellte es mit geröteten Wangen neben dem Lager ab, ohne den Verletzten anzusehen. Johanna bedankte sich und tauchte ihr Tuch in das angewärmte Nass.
»Wenn Ihr so freundlich wäret, ihn zu halten, damit er mich nicht wieder zu Boden stößt«, zischte sie und beugte sich über die Verletzung. Gretchen wendete ihnen den Rücken zu. Johanna ihrerseits verbat sich zu erröten, oder auch nur an die Region zu denken, an der sie sich zu schaffen machen musste. Konzentriert wusch sie die Wunde aus und ignorierte dabei nicht nur die gemurmelten Verwünschungen. Die Wunde war tief, drang aber zu Hawks unsäglichem Glück weder bis zum Knochen durch, noch penetrierte sie die Hauptblutversorgung. Andererseits wäre er wohl schon verblutet. Johanna biss sich auf die Lippe.
»Wir werden die Wunde nun ausbrennen.«
Johanna sah auf. Es war eine gängige Methode, um eine Blutung zu stillen. »Sie ist zu tief«, bemerkte sie. »Ich halte es für zu riskant. Die zusätzlichen Schmerzen könnten ihn …«
»Ach, erweist du dich nun als Heilkundiger?«, ätzte Wulf, und lediglich der Schatten in seinen Augen ließ Johanna davon absehen, ihn ebenso verächtlich anzugehen.
»Gretchen, vielleicht mag der Herr«, sie ließ eine Pause entstehen, damit ihm der Sarkasmus nicht entging, »eher deinem Worte Glauben schenken.«
Gretchen machte ein gurgelndes Geräusch, bevor sie mit zittriger Stimme kundtat: »Das ist … Sam.«
Wulf presste den Kiefer aufeinander und bekam seine Worte kaum hervor: »Du glaubst doch nicht, dass ich dir das abnehme?«
Johanna zuckte die Schultern. »Wie Ihr wünscht. Ich werde mich heraushalten.« Sie hob die Hände und ließ dabei den Lappen fallen. Sie trat vom Bett zurück. »Sein Leben liegt in Eurer Hand.« Sie wollte sich abwenden, aber ein Griff hielt sie zurück. Überrascht warf sie einen Blick über die Schulter. Hawks Hand umfasste ihr Gelenk eisern, und seine auf sie gerichteten Augen glühten. Johanna musste schlucken.
»Er.« Seine Stimme war rau, aber voll Bestimmtheit. Wulf setzte zu einem Widerspruch an: »Hawk, der Bengel kann schwerlich …«
»Er!«, unterbrach Hawk ihn und schloss die schweren Lider.
An Wulfs Wange zuckte ein Muskel. Er brauchte kein weiteres Wort auszusprechen, seine Augen sagten alles in deutlicher Anklage. Dann knurrte er seine Zustimmung, wies den herbeigekommenen Mannen an, sie zu unterstützen und warnte sie, bevor er das Zelt verließ: »Verliert er sein Leben, ist auch Eures verwirkt!«
Johanna dankte Gretchen für ihre Hilfe und rubbelte sich das Haar trocken. Seit drei Wochen sorgte sie sich nun um Hawks Leben. Fast rund um die Uhr. Zumeist war sie dabei allein. Gretchen erhielt selten die Erlaubnis, bei ihr zu sein.
»Ich sollte …«, begann Gretchen, biss sich auf die Unterlippe und senkte verschämt die Lider. Johanna nickte. »Hab Dank für deine Hilfe, aber du hast recht. Wulf ist ohnehin ständig schlecht gelaunt.« Sie schenkte der Freundin ein schiefes Grinsen und scheuchte sie aus dem Zelt. Ein Stöhnen lockte sie ans Bett. Auf Hawks Stirn perlten Schweißtropfen. Sie beugte sich über ihn und verwendete ihr Trockentuch, um sie fortzuwischen. Seine Lider hoben sich. Seine dunklen Augen wanderten über ihr Antlitz und bewölkten sich. Johanna blinzelte. Sein intensiver Blick verwirrte sie. Sie zog die Hand zurück und wurde aufgehalten. Er zog sie an sich. Johanna fiel auf ihn und bereute die Bandage noch nicht angelegt zu haben. Ihr Busen drückte gegen seine Brust. Sie versuchte sich aufzustemmen, aber Hawks Hand verließ seinen Halt um ihren Oberarm, um sich in ihren Nacken zu legen. Ihr Magen drehte sich, und dann pressten sich heiße Lippen auf ihr steifes Gegenstück. Ihr Herz setzte aus. Ein Kuss! Seine Zunge drängte sich in ihren Mund und nahm ihr nun auch noch den Atem. Überrumpelt ließ sie es geschehen. Erst, als er stöhnte und damit von ihrem Mund abließ, kam sie zur Besinnung. Das war absolut unpassend! Sie versuchte noch einmal, Abstand zu gewinnen, aber sein Griff war nicht zu brechen. Hawks Lippen legten sich erneut auf ihre, und Johanna verfluchte ihre Dummheit. Sie hätte sich ihm niemals nähern dürfen. Natürlich eine unsinnige Selbstanklage, hatte sie ihn in den letzten Wochen schließlich mehrfach gewaschen. Sie versuchte, ihm auszuweichen, aber dies führte nur dazu, dass er sich drehte. Johanna kam unter ihm zu liegen. Seine Hände wanderten zu ihrem Busen. Johanna versteifte sich schockiert. Allerdings wurde es noch schlimmer. Sie versuchte erneut, ihn von sich zu schieben, mit demselben Erfolg wie zuvor. Hawks Hand legte sich besitzergreifend über ihre Brust, knetete sie und rieb über ihre verhärtete Warze. Sie schnappte nach Luft. Hawk knurrte etwas und begrub sie nun völlig unter sich. Er riss an ihrem Hemd und legte ihr Fleisch frei. Die raue Haut seiner Handfläche kratzte über ihren Busen und suchte sich einen Weg an ihrem Leib entlang. »Nein!«, hauchte sie. Was immer hier geschah, war nicht richtig. »Bitte!«
Er brannte vor Fieber, und sie konnte mit absoluter Sicherheit sagen, dass ihre Worte nicht zu ihm durchdrangen, dennoch redete sie auf ihn ein, bat, er möge sie lassen, er möge zur Vernunft kommen und verstehen, was er hier tat. Aber weder ihre Worte, noch ihr stummes Flehen fanden einen Nährboden.
Johanna betrat das Zelt mit abgewendetem Gesicht. Sie war bei ihm, und Johanna hasste es, in deren Nähe zu sein. Leider war sie immer noch verantwortlich für Hawks Überleben und damit für seine Versorgung. Verbittert starrte sie auf den Napf, der sein Abendmahl beinhaltete.
»Sam!«, Hawk setzte sich auf und schob die Dirne, die auf seinem Schoß gesessen hatte, von sich. Debbie warf ihr nur einen anzüglichen Blick zu und machte sich nicht die Mühe, ihre Blöße zu bedecken.
»Das Abendmahl«, murrte Johanna und streckte den Arm aus. »Debbie kann Euch unterstützen.«
»Ich sehe mich dazu im Stande, eigenständig zu essen, Sam!« Seine Worte klangen nicht nach einer Zurechtweisung, eher, als beschäme ihn die Offensichtlichkeit seiner Situation. »Ihr könnt gehen, Debbie.«
»Eure Wunde muss gereinigt werden«, knirschte Johanna und wendete sich der Frau zu. »Ich werde Euch warmes Wasser bringen, Debbie.« Johanna stürmte aus dem Zelt. Leider musste sie auch wieder dorthin zurück. Verärgert stapfte sie zum Feuerplatz und bat um eine Schüssel Wasser. Sie hasste das Lager. Bisher war es ihr nie so bewusst gewesen, aber sie hasste es abgrundtief, inklusive jedes einzelnen darin lebenden Menschen. Sie musste fort von hier, dies war gewiss. Nur hatte sie Gretchen seit zwei Wochen nicht mehr sprechen können. Sie mussten ihre Flucht planen. Je eher, desto besser! Nun war es vermutlich zu spät, um Samanthas Los zu ändern, aber mit jedem weiteren Tag vergrößerte sie das Martyrium ihrer Schwester nur unnötig.
Mit der Schüssel kehrte sie zum Zelt zurück und stellte sie neben Hawks Lager ab. Da erst gewahrte sie, dass Debbie verschwunden war. »Wo ist …« Sie biss die Zähne zusammen.
»Debbie hat kein Händchen für Verwundete«, erklärte Hawk und lehnte sich in seine Kissen zurück.
Johanna knirschte mit den Zähnen. »Ihr mögt im Recht sein, dennoch …«
»Seid Ihr anders beschäftigt.«
Johanna verkniff die Lippen. »Ich bereite die Tinktur.« Sie kehrte ihm den Rücken zu.
»Wulf hält es für ein Wunder, dass ich am Leben bin«, bemerkte Hawk, und Johanna würgte den Pistill. Die Kräuter mussten zerstampft werden, was ihr nur recht war.
»Ich frage mich, welch andere Fähigkeiten noch in Euch stecken.«
Johanna überging seine Worte. Sie strich die Paste auf ein sauberes Tuch und musste sich nun wieder dem Mann zuwenden, dem sie viel lieber ganz und gar ausweichen wollte. Sie schlug die Decke beiseite und nahm den alten Verband ab. Sie säuberte die Wunde, legte das Tuch mit der Paste darauf und wickelte eine Bandage darum, damit sie an Ort und Stelle blieb. Ihre Finger zitterten, und sie war froh, als sie sie wieder fortziehen konnte.
»Habt Dank«, murmelte Hawk. »Wo habt Ihr die Heilkunst erlernt?«
Johanna wusch sich die Hände und ignorierte Hawks Versuch, eine Unterhaltung anzustrengen.
»Auf Knightsbridge?«
»Ich werde Euer Schwert schärfen, habt Ihr noch andere Aufgaben für mich?« Die Worte blieben ihr fast im Halse hängen.
»Sam?« Nur ein Wort und doch bezwingend. Widerwillig drehte sie sich ihm zu.
»Ich bin nicht auf Knightsbridge geboren worden. Ich lernte es, während ich bei meinem Oheim aufwuchs. Kann ich mich nun meiner Arbeit widmen?«
»Hat Euch mein Präsent nicht gefallen?«, erkundigte er sich, als Johanna alles eingesammelt hatte und sich auf den Weg machen wollte. Obwohl sie sicherlich kein Interesse an irgendwelchen Präsenten hatte, die er ihr verehren mochte, sah sie zu ihm rüber. Ihre Miene musste ihm alles Nötige gesagt haben.
»Das Schwert. Seht Ihr es als Beleidigung an? So war es nicht gedacht. Ich wollte Euer Bestreben belohnen, trotz Eurer Unterlegenheit niemals aufzugeben.« Seine Brauen zogen sich fragend zusammen. »Ich nehme an, Wulf hat nicht mit Spott gespart. Verzeiht, jedoch mag er nicht der Einzige bleiben, der Euch Zeit Eures Lebens mit Hohn bedenkt.« Er legte den Kopf schräg. »Ihr müsst lernen, es mit Gleichmut aufzunehmen.«
Johanna ballte die Hände. Gleichmut? Sollte sie es mit Gleichmut hinnehmen, dass man sie verhöhnte, misshandelte und schändete?
»Ihr werdet in arge Schwierigkeiten geraten, wenn Ihr weiterhin so leicht zu provozieren seid«, fuhr er ruhig fort. »In Eurer Lage solltet Ihr doppelt konzentriert und methodisch vorgehen. Durch Eure Kraft …«, Hawk schüttelte bedauernd den Kopf, »… könnt Ihr keinen Kampf bestehen.«
Johanna presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick.
»Ihr solltet auf mich hören, Sam.«
Sie spürte seine Augen auf sich ruhen. Spürte seine Erwartung, seine Enttäuschung und weigerte sich weiterhin, auf ihn einzugehen. Vielleicht hatte sie nicht die Kraft, einen physischen Kampf zu bestehen, aber ihr Wille war nicht so einfach niederzuringen wie ihr Leib.
Hawk seufzte: »Nun gut! Bevor Ihr Euch der Klinge annehmt, ruft Wulf herbei. Die Geschäfte haben lange genug geruht.«
Johanna verließ das Zelt erleichtert, wie auch verärgert. Er behandelte sie wie eine Dienstmagd! Immerhin war sie die Tochter eines englischen Herzogs, welchen Stammbaum konnte er aufweisen? Galgenvögel, Halsabschneider und eine Schar Dirnen? Ihre Mutter war die Schwester eines Königs! Wie gern würde sie König Stephan von diesen Räubern berichten. Sicherlich würde er alsbald ein Heer aussenden, um diesen Moloch auszuräuchern! Sie stapfte durch das Lager. Vorbei an einem der großen Feuer, den Bretterverschlägen, in denen die Frauen schliefen, wenn es schneite oder regnete und an einigen Lagerstätten mit vor sich her starrenden Mannen zum anderen Ende der Semilichtung. Dort, etwas abseits und ebenso wie jenes, das Hawk und sie selbst als Schlafplatz verwendeten, duckte sich das Zelt des zweiten Räuberhauptmannes. Für die Tageszeit ungewöhnlich war der Schlag verschlossen. Johanna blieb kurz stehen und sah hinter sich zurück, um sicherzustellen, dass sie nicht an ihm vorbeigelaufen war. Weder am großen Feuerplatz, noch unter den kleineren konnte sie Wulfs Statur ausmachen. Es mochte viele Männer im Lager geben, aber nur wenige erreichten Wulfs Größe oder seinen Brustumfang. Johanna verglich ihn gern mit einem tollwütigen Bären, obwohl Gretchen ihr da nicht zustimmen mochte. Gretchen. Wenn Wulf bei Hawk war, um Geschäfte zu besprechen, konnte er Gretchen und sie nicht stören, wenn sie sich endlich an ihre Fluchtpläne machten.
Entschlossen trat sie vor und schob die Plane vom Eingang des Zeltes fort. Im Inneren herrschte eine gemütliche Semidunkelheit, und Johanna wollte sich schon umdrehen und bei den Pferden nach Wulf suchen, als ein Kichern sie aufschreckte. Im wahrsten Sinne. Ihr Puls beschleunigte sich auf das Dreifache seines vorigen Schlages und ließ das Blut nur so in ihren Ohren rauschen. Gretchen! Ihre Augen gewöhnten sich an die Lichtverhältnisse und das Bild, das sich ihr auftat, verschlug ihr den Atem. Gretchens hellbraune Mähne ergoss sich über ihren baren Rücken und wurde von einer Pranke in Form gezupft. Das Mädchen lag dabei halb auf einem ebenso hüllenlosen Leib und ließ ihre Finger über braunes, krauses Haar gleiten. Das des Wolfs.
»Gretchen.« Johanna hörte den Grad ihres eigenen Entsetzens erschauernd deutlich aus ihrer Stimme heraus. Das Mädchen vom Festland ebenfalls. Ihr spitzer Schrei und die plötzlich farblosen Wangen, als diese Johanna gewahrte, zeugten von deren Gefühlen. Scham.
Wulf setzte sich auf, fixierte Johanna mit einem höhnischen Funkeln in seinen dunklen Augen und versicherte der Nackten: »Es ist alles in Ordnung, Gretchen. Leg dich wieder hin.«
Die Angesprochene riss ihre Augen von der Freundin los und legte sie mit zunehmender Feuchtigkeit auf ihren Verführer, der sich aus dem Laken pellte und vor Johanna aufbaute, um sie aus dem Zelt zu treiben.
»Raus, Kleiner, und wenn du mein Zelt noch einmal ohne meine Zustimmung betrittst, werde ich dir die Lektion einprügeln!«
Johanna sah rot. Sie ballte die Hände und schleuderte ihre Rechte in die Körpermitte ihres Gegenübers. Wulf krümmte sich mit einem Ächzen. Ihr zweiter Schlag traf daher mit gleicher Wucht seine Nase, der Aufprall ließ sie zur Seite torkeln. Auf einer Truhe nur zwei Schritte vor ihr lagen mehrere Waffen. Wahllos griff sie nach einer und schwang zu Wulf herum, der sich von ihren Treffern erholt hatte und seinerseits einen Angriff ausführte. Johanna wich gerade noch rechtzeitig zur Seite aus und hielt ihre Waffe vor sich. Überrascht starrte sie auf die kurze Klinge in ihren Händen, so dass sie dem Ende nur durch einen Aufschrei Gretchens gerade noch entrinnen konnte. Wulf hatte sich selbst die nächstbeste Waffe gegriffen, sein Schwert, und hieb auf sie ein. Johannas Arm vibrierte unter jedem Schlag. Mit Kraft würde sie einen Kampf nicht gewinnen, aber ihre Wut über den dreisten Raub ließ sich nicht einfach abstellen. Johanna wich dem fünften Hieb aus und sprang zur Seite, ging zu Boden und rollte sich aus Wulfs Reichweite. Federnd kam sie wieder auf die Füße und stand mit dem Rücken an der Plane des Ausgangs. Wulf stürmte auf sie zu. Einer solchen Wucht könnte sie niemals standhalten. Im letzten Moment wich sie aus, und das Schwert ihres Gegners drang in die Zeltplane ein. Diese riss unter dem Gewicht, und Wulf stolperte hinaus. Johanna warf einen flüchtigen Blick zur schneeweißen Gretchen, die ihre Blöße notdürftig mit einer Decke verbarg, bevor sie dem Bastard folgte. Johanna wartete nicht auf Wulfs Bereitschaft. Sie schwang das Schwert in die Höhe und ließ es herabsausen. Nur Millimeter über seiner Schulter wurde der Hieb abgefangen. Eisen klirrte aufeinander. Wulf stieß sie mit einem Brüllen am Heft von sich und setzte ihr nach. Johanna wich seiner Klinge aus, sprang zurück und nutzte ihre körperlichen Vorteile, so gut es ihr möglich war. Sie war kleiner, wendiger und damit auch schneller. Die Kurzklinge, die leichter und besser ausbalanciert war als die Waffen mit denen sie sonst trainierte, fühlte sich nicht wie ein Fremdkörper an, ein unförmiges Gewicht, das man mit unendlicher Kraftanstrengung hochbewegen musste. Johanna drehte sich, ging leicht in die Knie, um seinem Schwinger auszuweichen, und schwang ihr Schwert in einen Abwärtsbogen. Ihr Ziel war sein Knie und sie verfehlte es nur um Haaresbreite. Wulf hatte sich zu Boden geworfen und sah sich ihr nun unterlegen. Johanna ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. Ihr Hieb brachte Wulfs Arm zum Schwanken. Sie trat nach ihm, destabilisierte ihn damit. Sie drehte das Heft in ihrer Hand und wollte zustoßen, als sie zu Boden gerissen wurde. Der Aufprall nahm ihr den Atem, und sie verlor den Halt um ihre Waffe.
»Verdamm mich!«, stöhnte ihr Bezwinger und schlug sie damit härter, als es ein Treffer einer Klinge getan hätte. Galle stieg in ihr auf.
»Runter!« Ihre Stimme war kaum als die ihre zu erkennen. »Lasst ab!«
Hawk schob sich von ihr runter und streckte sich nach dem Kurzschwert. Wulf nutzte ihre Entwaffnung und richtete sein Schwert auf sie. »Dafür verdient Ihr den Tod!«, knurrte er und drückte die Schwertspitze auf ihre Kehle.
»Ihr solltet in der Hölle schmoren!«, spie Johanna und sah mit vor Hass brennenden Augen zu ihm auf.
»Wulf!«
»Er hat mich angegriffen!«, blaffte Wulf, und in seinem Antlitz spiegelten sich ihre Empfindungen.
»Ich schickte Sam, Euch zu holen.« Hawk nutzte das Kurzschwert und stemmte sich in die Senkrechte. Schweiß perlte auf seiner Stirn und brachte sein schwarzes Haar vor Feuchtigkeit zum Kringeln. Unter den zusammengezogenen Brauen und eingerahmt durch seinen Vollbart glühten seine Augen wie Kohlen.
»Er griff mich an, Hawk!«, insistierte Wulf knurrend und wendete seinen Blick von ihr ab. Das Schwert jedoch lag noch immer lebensbedrohend an ihrem Hals.
Johanna fürchtete sich nicht. Der Tod barg keinen Schrecken, das Leben indes war angefüllt von schmerzlichen Niederlagen. Gretchen. Sie war verloren. Ihre Wut entfachte erneut.
»Dieser Bastard legt Hand an mein Mädchen!«, zischte sie und schlug die Klinge weg. Diesen Moment nutzte Gretchen, auf sie zuzufliegen. Sie warf sich an ihre Brust. Johanna legte instinktiv die Arme um sie und hielt die Weinende fest.
»Gretchen?« Hawk klang überrascht, und der Blick, den er dem Kumpan zuwarf, bestätigte die Vermutung. Er räusperte sich.
»Sie gehört zu mir. Dieser Hundsfott hat nicht das Recht …«, begehrte Johanna erneut auf und spürte, wie die Freundin zusammenzuckte.
»Sie gehört mir!«, widersprach Wulf und griff nach Gretchens Arm, um sie auf die Füße zu ziehen.
Johanna folgte, bezwang sich aber, nicht selbst an Gretchen herumzureißen. »Mitnichten!«, spie sie stattdessen. »Ihr kennt sie nicht und macht Euch noch viel weniger aus ihr!«
Hawk beschied beiden zu schweigen. Mit grimmiger Miene sah er von einem zum andern. »Sie ist nicht deine Kragenweite, Sam. Lass sie ziehen.«
Johanna klappte der Mund auf. Sie hatte nicht auf Unterstützung gehofft, aber seine Worte waren ihren schlimmsten Befürchtungen entlehnt. »Sie gehört zu mir! Ihr habt es mir zugestanden!«, krächzte sie und schüttelte den Kopf. »Sie sollte nicht so behandelt werden.«
Hawk nickte und verlagerte sein Gewicht auf sein unverletztes Bein. »Ich verstehe deinen Einwand, Sam, dennoch werdet Ihr Euch damit abfinden.«
»Sam«, flüsterte Gretchen, Tränen der Reue in den Wimpern. »Oh, Sam.«
»Wir tun es morgen«, flüsterte Johanna und versicherte sich, dass sich niemand in Lauschnähe befand. »Ich habe mir alles genau überlegt.« Sie hakte sich bei ihr ein und zog sie weiter von den Baracken fort. »Wir brauchen eine Ablenkung, Hektor darf nicht vermisst werden und wir werden nicht anhalten können, bis wir aus dem Wald heraus sind.«
Gretchen blieb stehen, blanke Not in den Augen. Johanna wendete sich ihr zu und griff nach ihren fahrigen Händen. »Gretchen? Alles wird gut! Der Hundsfott wird dafür bezahlen, ich verspreche es dir!«
Gretchen schniefte: »Ich kann nicht!«
Johanna blinzelte verwirrt. »Du brauchst nicht zu fürchten …«
»Ich kann nicht gehen«, wiederholte sie und sah flehentlich zu ihr auf. »Ich kann nicht.«
Johanna drückte beruhigend die kalten Finger der Freundin und versicherte ihr wortreich das Gegenteil.
»Nein!«, brachte Gretchen sie zum Schweigen. »Ich liebe ihn. Ich will bei ihm sein.«
Johanna erbleichte und ließ die Hände fahren. Sie musste sich verhört haben. »Gretchen.«
»Ich weiß, was du sagen möchtest, aber so ist es nicht. Wulf ist gut zu mir, und ich … könnte ihn niemals verlassen.«
Johanna starrte die Fremde an, die bis dato ihre engste Vertraute gewesen war. Fast eine Schwester. »Du … du …«, stotterte sie und schüttelte den Kopf. Sie musste sich fassen, ihre Sinne beieinander halten. »Knightsbridge wird Samantha an meiner statt vermählen! Wulf hält dich als …« Sie konnte es nicht aussprechen. »Wir müssen fliehen!«
Gretchens Augen füllten sich mit Tränen. »Ich kann nicht«, hauchte sie verzweifelt. »Geh! Du musst gehen.«
»Ich kann dich nicht …!« Johanna brach ab, zu schockiert von dem Gedanken, Gretchen zurückzulassen.
»Du musst!«, insistierte die Brünette und umschlang sie. »Rette Samantha.«
»Gretchen! Weißt du, was du da sagst?«, fragte Johanna fassungslos und hasste sich, weil ihr tatsächlich in den Sinn kam, dass allein zu verschwinden wesentlich einfacher zu verwirklichen war.
Gretchen drückte sie kurz fest an sich, dann hielt sie sie weit genug von sich, dass sie einander in die Augen sehen konnten. »Ja, das weiß ich«, behauptete sie im festen Glauben.
Johanna war da anderer Meinung. Sie schüttelte den Kopf. »Du irrst!«
»Ich werde glücklich sein, hier mit Wulf.«
»Er ist ein Gesetzloser!«, stellte Johanna hitzig klar und nahm sich wieder zurück. Sie setzte ein Lächeln auf und bemühte sich um eine gelassene Haltung. »Gretchen, verstehst du nicht, dass Wulf es nicht ernst mit dir meint? Er sieht in dir das gleiche wie in jedem anderen weiblichen Wesen. Wie Hawk giert es ihn lediglich nach … diesem … diesem Akt.« Johanna sah bezwingen auf sie herab. »Bitte, Gretchen, was geschehen ist, ist schlimm genug, aber … wir können mit dem Leben davonkommen! Du musst mich begleiten!«
Gretchen schüttelte ihren Kopf. »Ich kann nicht. Sorge dich nicht um mich. Mir wird es gut ergehen. Wulf wird sich um mich kümmern.« Sie glaubte fest an das, was sie sagte.
»Wenn ich verschwinde, wird er dich töten!«, behauptete Johanna und äußerte bewusst den schlimmstmöglichen Fall. Einen realistischen, wenn auch schwarzmalerischen Fall.
Gretchens Augen wurden tellergroß, aber der Widerspruch kam ohne Verzögerung: »Niemals!«
»Du vergisst, dass wir eigentlich Gefangene sind! Hätten wir einen offensichtlichen Wert, würden wir nicht die Freiheit zugesprochen bekommen, uns im Lager zu bewegen. Und hielte man uns nicht für ungefährlich, hätte man uns sicherlich ausgeraubt und beseitigt.«
Sie presste die Lippen aufeinander, denn die Freundin schüttelte vehement den Kopf. »Nein! Du irrst! Wulf ist ein wundervoller Mann!«
»Er macht sich über Schwächere lustig! Er ist hinterhältig und gemein! Ein Lügner!«
»Nein!« Gretchen blieb verstockt. Sie schlang die Arme um die Mitte. »Er ist ein guter Mann.«
Johanna ballte frustriert die Fäuste und richtete ihren Blick in das dichte Blätterdach. Gretchen war eine Närrin und wollte nicht zur Vernunft kommen, und Johanna hatte einfach keine Zeit für fruchtlose Diskussionen. Vielleicht war es bereits zu spät, Samantha zu retten, aber vielleicht konnte sie ihren Onkel dazu bringen, nachträglich einzuschreiten. Jeder Moment, den sie nun verweilte, mochte zu Samanthas Nachteil sein, und die Schwester hatte bereits genügend schlimme Jahre hinter sich gebracht.
»Gretchen, ich flehe dich an, begleite mich. Ich fürchte um dein Wohl, aber Samantha … Ich muss gehen. Denk darüber nach. Heute Nacht komme ich zur Baracke, kurz vor dem Wachwechsel. Wenn du nicht da bist, gehe ich ohne dich.«
Johanna schlich zur Baracke. Es war eine mondhelle Nacht, und sie hatte den Umweg um das gesamte Lager gemacht, um nicht gesehen zu werden. War vorsichtig von einem Ast zum nächsten gehuscht und hatte sich nahe der Baracke wieder auf den Boden herabgelassen. Nun blieb sie im Schatten und hoffte inständig, dass Gretchen da sein würde. Sie umrundete das Gebäude, ohne die Freundin anzutreffen. Ihr Herz pochte schmerzlich, und der Hals wurde ihr eng. Sie würde ein unschuldiges Mädchen in den Händen ruchloser Räuber zurücklassen müssen. Ein Schicksal besiegeln, um ein anderes womöglich zu ändern. Tränen drückten hinter ihren Augen, und sie mahnte sich zur Ruhe. Vielleicht kam sie noch. Der Wachwechsel stand noch aus. Sie zog sich in eine dunkle Nische zurück. Bis zu diesem Moment war alles nach Plan verlaufen. Zunächst hatte sie für Chaos gesorgt. Sie hatte Hektor animiert, die anderen Pferde aufzuscheuchen, und schließlich waren sie so schreckhaft, dass ein schriller Pfiff sie ausbüxen ließ. Sie rissen die leichte Palisade runter und galoppierten in alle Richtungen davon. Einige wurden schnell wieder eingefangen, andere waren bis zur Dämmerung nicht auffindbar. Johanna hatte nach Hektor suchen dürfen und ihn wie erwartet schnell aufgetrieben. Ihr Pferd wartete nun in gebührendem Abstand auf ihre Rückkehr.
Einer der Wachen trat aus dem Schatten der Baracke keinen Schritt von ihr entfernt, er sah sich um und schlenderte weiter. Von der anderen Seite eilte ein weiterer Mann auf die Baracke zu, entschuldigte sich bei dem Schlendrian und übernahm dessen Runde. Johanna verließ ihre Nische. Gretchen würde nicht kommen. Dennoch machte sie noch eine langsame Runde um das Gebäude, bevor sie sich wieder in die Sicherheit der Bäume flüchtete. Sie blieb über dem Boden, bis sie den Fluss erreichte. Hektor wieherte leise zur Begrüßung, und Johanna legte die Arme um seinen Hals. »Jetzt sind wir wieder allein«, murmelte sie, während Tränen ihre Wangen nässten.