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Was er erhofft, ist Schlaf, gütiger, sanfter Schlaf. Doch meist sind es die dunklen Bilder, die ihn heimsuchen. Und so atmet er zunächst sanft und gleichmäßig. Sein Lächeln ist selig. Seine Hände ruhen entspannt auf seiner Brust, während er einfach auf dem vertrauten Rasen liegt und in den Schlaf sinkt.

Es ist ein herrlicher Tag. Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht. Im Schloss kehrt die Mittagsruhe ein. Er liebt die Zeit, in der sich seine Eltern für einen Moment zur Ruhe begeben, um frisch und gestärkt nach ein wenig Schlaf zum königlichen Regieren zurückzukehren. Kein Gedanke kann die Laune von Prinz Ashley trüben, nicht einmal das Wissen, dass man will, dass er heiratet. Nein, davon will er mit seinen dreißig Jahren nichts wissen. Nur wenn ihm die wahre Liebe begegnet, würde er dem Drängen seiner Eltern nachgeben. Die Liebe, von der er so lange schon träumt und die er tief in seinem Herzen spürt, er weiß, dass er sie finden wird.

Lächelnd tritt er hinaus vor das mächtige Schloss mit den robusten Mauern und schreitet in den prunkvollen Garten. Er liebt dieses geordnete Grün aus Hecken und Büschen. Mit einer schmalen Tafel lässt er sich auf dem Rasen zwischen den Fliederbüschen nieder. Die Sonne streichelt warm sein Gesicht, nimmt ihm jedoch nicht die zarte Blässe. Ashley streicht sein langes Haar zurück und strahlt gen Himmel. Gedankenverloren senkt er den Kopf.

Nein, er will eine Liebe wie die, die seine Eltern verbindet. In Gedanken sieht er sie vor sich, seinen starken und breiten Vater und daneben seine Mutter mit dem langen, schwarzen Haar und den funkelnden Augen. Liebevoll umarmt er den Opal, den seine Kette ziert. Wie dankbar ist er ihr dafür. Wenn er seine Eltern sieht, dann sieht er die Geborgenheit und Wärme zweier Liebender, die er sich für sich selbst wünscht.

Und nun setzt er lächelnd den Pinsel an und er malt. Er malt sie, die, die er tief in sich fühlt und nie gesehen hat. Er malt sie strahlend schön, lässt ihr Haar zur Rosenknospen wachsen und ihr Gesicht erstrahlen. Zärtlich streicht er über das Bild. Die ungeheure Sehnsucht lässt sein Herz fast zerspringen. In ihren Augen sieht er die Sterne. Er verweilt still und träumend an seinem Lieblingsort.

Und nun verkrampft sich Ashley. Fast starr dreht er sich auf die Seite. Seine Nägel bohren sich schmerzhaft in den sandigen Boden. Das Gras fühlt sich fremd an zwischen seinen Fingern. Er träumt zu intensiv. Die dunklen Bilder überrennen seinen seligen Traum.

Und dann steht sie wieder vor ihm. Ihre schlanke Gestalt ringt um seine Aufmerksamkeit. Ihr dunkles Haar ist lang und schimmert glänzend wie Seide. Ihre dunklen Augen durchbohren ihn. Die Kurven die ihr freizügiges, schwarzes Kleid zeigt, gieren nach seiner Berührung. Die Schellen, die sie an ihren nackten Knöcheln trägt, geben rasselnde Laute von sich, als sie aufstampft und wütend ihren Arm hebt, dessen Kleiderärmel sich wallend ausbreitet wie der Flügel eines dunklen Raben. Keine Schönheit kann die Finsternis überdecken, die aus ihren Augen spricht. Sie ist mehr als nur ein Orakel für das Königreich. Ashley erkennt, was Düsteres aus ihr spricht. Keine noch so zarten Wangen können ihr boshaftes Wesen verhüllen.

Sie will Ashley. Sie will ihn, denn sie will das Königreich. Sie will ihre dunkle Macht verbreiten. Wo ist die Sanftmut, die Güte? „Du liebst mich nicht?“ Ihre tiefe, zornige Stimme lässt Ashley erzittern. „Du liebst nur diesen Ort! Du wirst dich auf ewig an ihn binden! Dir wird nie das Herz einer Frau gehören! Ich verfluche dich!“ Die Macht, mit der sie spricht, lässt den Horizont verschwinden. Was geschieht mit Ashley? Ihm wird schwindelig.

In Ashleys Kopf verschwimmen die Bilder. Und plötzlich springt die Zeit in seinem Traum. Er sieht sich im Handgemenge mit der düsteren Frau mit dem hämischen Lachen.

Sie stößt ihn nieder. „Was tust du?! Glaubst du, du kannst etwas gegen mich ausrichten? Ich bin mächtig. Du bist ein Nichts!“ Ihre Augen weiten sich. Ihr Kleid scheint sich zu drehen. Ashley ringt nach Luft. Er kämpft sich hoch. Er bezwingt sie. Sie will diesen düsteren Ort verlassen, an den sie ihn verbannt hat. Sie will durch diese unsichtbare Tür.

Er hält sie. Er greift nach ihren Haaren. Ihr Schrei hallt in seinen Ohren wieder. Er spürt, dass sich ihre Tür öffnet. Die Luft pulsiert. Sie kämpft sich frei. Er zieht an ihr. Sie fallen.

Ashley hält den Atem an. Was geschieht hier? Nur Sekunden vergehen und er schlägt auf nassem Rasen auf. Nasser Rasen? Dies ist nicht sein Rasen. In seiner düsteren, eingefrorenen Welt gibt es keinen Regen. Er schaut sich um und erstarrt. Diese boshafte Frau liegt auf Stein. Ihr Kopf blutet stark, sie regt sich nicht. Ashley wagt es nicht, sie zu berühren. Panisch richtet er sich auf. Seine Beine scheinen seinen Befehl zu laufen, nicht zu befolgen. Mühevoll gelingt es ihm, sie zu kontrollieren.

Er rennt und rennt. Er lässt die verdammte Frau des Hexenwerks hinter sich. Und erst jetzt bemerkt er, wo er sich befindet. Schockiert starrt er auf die fremden Behausungen, auf die glatte Straße zu seinen Füßen. Prustend hält er an. Seine Lungen schreien nach Luft. Erneut wird ihm schwindelig.

Nie hat er so einen Ort gesehen. Menschen fahren an ihm vorbei. Er ist verwirrt. Er sieht in alle diese Häuser, die von Licht erfüllt sind, starrt auf all diese gepflegten Gärten. Wo immer er ist, dies ist nicht seine Welt. Verzweifelt wischt sich Ashley den Schweiß von seiner Stirn. Sein Atem beruhigt sich nicht. Er schnürt seinen langen, leichten Sommermantel fester um sich. Was für eine Magie ist es, die ihn an so einen fremden Ort brachte? Was ist das für eine Welt? Die Ohnmacht überkommt ihn. Er fällt nieder.

Als er die Augen wieder öffnet, sieht er schwach die Umrisse eines alten, ergrauten Mannes. Schwach hebt Ashley die Hand und lässt sie über eine Wange streichen. Verstört starrt er auf das Blut, das seine Finger zu fassen kriegen.

Was ist geschehen? „Was ist dir geschehen mein Freund?“ Ashley schließt wieder die Augen. Er scheint zu träumen. Doch die sanfte, besorgte Stimme des fremden Mannes holt ihn ganz in die Wirklichkeit zurück.

Er ist so schwach. Er kann sich kaum bewegen. Panisch erinnert er sich zurück. Ihm wird bewusst, dass er sich nicht dort befindet, wo er sein soll. Er spürt seine Kraft weichen. Er muss zurück, zurück zu seinem Flieder, damit sein Körper wieder leben kann. Verzweifelt starrt er auf sein Haar, dass seinen Mantel spärlich bedeckt. Es hat sein tiefes Schwarz verloren. Aus seinen Augen spricht das Entsetzen. Es ist sein letzter Funke Kraft.

Schweißgebadet und entsetzt erwacht Ashley. Er richtet sich auf. Er will diese Träume nicht mehr. Er wünschte, diese Frau wäre nie in das Schloss seiner Eltern eingekehrt. Er hat nie an Magie geglaubt, bis sie ihm schrecklich widerfuhr.

Zitternd streichen seine Hände über das Gras. Es ist dunkel. Die Sonne ist bereits versunken. Wie viel Zeit ist vergangen, seitdem sie ihn verflucht hat? Er weiß es nicht. Aber er hat in den vielen Stunden, die er in seiner menschenleeren Welt verbrachte, das Ausmaß ihres Fluches erkannt.

Und wirklich hat sie ihn für immer an seinen Flieder gebunden, den Flieder, den er einst mit Frieden und Seligkeit verband. Er hat schmerzlich spüren müssen, wie er und diese wuchernden Büsche zusammenhängen. Denn bricht er einen Zweig, so spürt auch er den Schmerz. Er und die Gewächse sind Eins.

Nie hat er für möglich gehalten, was sie Böses bewirken kann. Sie hat ihn verbannt in das Tal seines Schlosses, doch außer ihm gab es nichts hier. Alles was er hat, sind sein Flieder und der schmale Bach, der zu den Behausungen des Dorfes hinunterführt. Es ist, als hätte sie ihn und das Schloss ausgeschnitten und in ein Bild gesetzt, ein stilles Bild, ohne Zeit. Alles ist eingefroren. Und jede Stunde ist gleich, keine Nahrung braucht er mehr, noch kann die Zeit ihn älter machen. Nichts geht weiter. Alles bleibt gleich. Das Wohlergehen seiner lieblichen Fliederbüsche ist nun unwiderruflich mit seinem Leben verbunden. Er kann nur noch in ihrer Nähe existieren.

„Leben!“, schreit Ashley in die Dunkelheit. Ihm wird die Sinnlosigkeit seines Aufschreis bewusst. Es ist ihm ein schwacher Trost, dass diese finstere Hexe nicht mehr kommt, um ihn heimzusuchen. Seine starren Finger bewegen sich. Kraftlos legt er sie auf seine Brust und hört sein Herz langsam schlagen. Sein Alptraum ist Realität. „Leide an deiner Einsamkeit.“, flüstert er und wiederholt ihre hämischen Worte.

Im Kopf sieht er sie noch einmal durch ihr Tor entschwinden. Schmerzlich bereut er seine Tat, einen Hasen, einen kleinen Gefährten, mit in seine Welt genommen zu haben. Er starb sofort. Ashley ist verdammt, verdammt zu dieser Einsamkeit, die sie ihm auferlegte.

Und alles, was ihn erhält ist diese Sehnsucht. Die Hexe hat alles sterben lassen, aber diese Sehnsucht nach der wahren Liebe kann sie nicht bezwingen. Sein Herz ist plötzlich erfüllt von Frieden. Er schließt die Augen und sieht ihr Bild, das Bild dieser Frau aus dieser unbekannten, anderen Welt.

Die Wut über seine ausweglose Situation lässt Ashley erneut aufschreien und zugleich lässt die Sehnsucht nach ihrer Berührung seinen Atem gleichmäßiger werden. Wie mag sich ihr langes Haar anfühlen, wie ihre weiße Haut? Er spürt sein Herz wieder langsamer schlagen. Seine Hände streichen sanft über seine Arme. Oh wie sehr sehnt er sich nach ihrem Antlitz, nach ihrem Lächeln, nach ihrer kostbaren Seligkeit!

Er legt seine Finger um den Opal seiner Kette. Der Stein ist so kalt wie seine Glieder. Die Liebe, sie ist das, was ihn existieren lässt. Er spürt, dass sie existiert und in ihm lebendig pulsiert. Er muss diese Frau wiedersehen.

Lila Flieder

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