Читать книгу Nur einmal - Kathleen Collins - Страница 5
(Frau)
Оглавление»… als mich mein Mann zum ersten Mal verließ, mietete ich eine kleine Blockhütte im Wald, um mich in der Einsamkeit zu erholen. Ich nahm nur einen Koffer mit, ein Foto von mir, auf dem ich ruhig und schwermütig aussah, ein paar Zeichnungen zum Aufhängen und meine Geige. Ich hatte vor, jeden Tag im Fluss hinter der Hütte schwimmen zu gehen, lange Spaziergänge im Wald zu machen und Geige zu üben. Eigentlich wollte ich den ganzen Sommer bleiben, am Ende waren es nur drei Tage. In diesen drei Tagen ging ich morgens schwimmen, spielte bis mittags Geige, aß etwas und ging anschließend im Wald spazieren. Danach war ich ziemlich verschwitzt und setzte in der Hütte Wasser für eine Katzenwäsche auf, dann kochte ich mir Tee. Am dritten Tag, als ich nach meinem Spaziergang wieder Wasser aufsetzen wollte, fing der Petroleumkocher Feuer. Ich rückte den Flammen mit einer Decke zu Leibe, aber sie hatten schon den halben Raum erfasst. Eine ganze Weile stand ich da und überlegte, was ich tun könnte. Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich keine Sekunde verlieren darf, wenn ich lebend davonkommen will. Ich sprang splitternackt durch das Fliegengitter. Ein paar Farmer kamen vorbei und staunten über den Anblick von so viel brauner Haut vor dem Hintergrund wütender Flammen. Das Feuer verbrannte meine Haare, meine Kleider, meine Geige. Die Natur erledigt ihre Arbeit gründlich, das muss man ihr lassen. Ich fuhr wieder nach Hause, kaufte einen großen Blumenkasten für das Küchenfenster und fing an, Kräuter zu ziehen. Der Sommer war sehr heiß und einsam. Ich nahm einen Job als Illustratorin für Kinderbücher an und kümmerte mich um meine Kräuter, grub mit bloßen Händen in der Erde und widmete mich den Pflänzchen mit der Hingabe einer angehenden Kräuterheilerin, die mit wirren Haaren ihre Einsamkeit in Schweiß und Schmutz versenkt, und beschriftete sie mit ›Thymian‹, ›Rosmarin‹ und ›Salbei‹. Das Basilikum wuchs zum Fenster eines Nachbarn hinunter, der Rosmarin wählte die andere Richtung und wucherte in die Küche. Der Sommer wurde noch heißer und einsamer. Ich fing an, abends zwischen sechs und acht über die Brooklyn Bridge zu gehen, und schliff die Kanten meiner Traurigkeit im leuchtenden Sonnenuntergang, ließ sie mit dem Rauschen des Verkehrs, das unter mir wie Brandung auf- und abschwoll, und dem fahlen Glanz der New Yorker Skyline verschmelzen. Dann kam eine Zeit, in der nichts mich trösten konnte. Weder das kleine Kräuterwunder in meiner Küche noch das ausgiebige Duschen vor und nach den Ausflügen zur Brooklyn Bridge verschafften mir Erleichterung. Wenn ich wach war, lastete die Zeit wie Blei zwischen meinen Beinen, und Linderung war nicht in Sicht. Ich fing an, Memoiren zu lesen. Es gehörte zu den schöneren Momenten, als ich begriff, dass kein Mensch den Qualen der Einsamkeit entkommt. Den Claudes und Johns und Marthas und Henrys aus früheren Zeiten ist es zu verdanken, dass ich die Beschwernisse des Lebens, weitergegeben von Vater zu Sohn, zum ersten Mal wirklich verstand. Über Wochen lag ich von 17.30 Uhr am Freitagabend bis 8.30 Uhr am Montagmorgen erschlagen im Bett und versank in Trauer. Ich erkannte, dass auch andere schon maßlos einsam und verloren gewesen waren, und dank ihrer Ironie, ihres Scharfsinns und ihrer altmodischen Moral gelang es mir manchmal, mein Leid auf eine spirituelle Ebene zu heben. Der Sommer wurde noch heißer und noch einsamer. Eine Freundin bekam ein Baby, und dieses quirlige Wesen führte mir meine eigene Verlorenheit vor Augen und löste den schlimmsten Schmerz aus, den ich bisher erlebt hatte. Mir war, als trocknete ich langsam aus, als schrumpften kalte Wellen meine Brüste, als ächzten und stöhnten alle meine Glieder. Nachts im Schlaf sah ich, wie du dich vor einer bunt gemischten Gruppe von Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Go-go-Girls und Diakonissen entblößt. Du hast einer anderen den Bauch gefüllt. Der Sommer war fast vorbei. Ich ging in den nächsten Laden für Künstlerbedarf und kaufte einen Bogen Malkarton, zwanzig mal dreißig Zentimeter; bei einem Trödler erstand ich einen Stapel alter Zeitschriften. Ich wollte eine große Collage anfertigen und gegenüber von meinem Bett aufhängen. Das heillose Durcheinander schuf die Illusion von Wärme, von reger, lauschiger, lebensfroher Einsamkeit. Ich schnippelte und klebte, schnippelte und klebte, und widmete mich meinem Meisterwerk mit der fieberhaften Hingabe einer Künstlerin. So gestärkt, kam ich eines Sonntagmorgens auf die Idee, mir zwischendurch einen kleinen Fick zu gönnen und zog munter durch den Botanischen Garten. Der Mann war groß und überaus freundlich hinter seiner dicken Brille, und sein Penis hatte die Größe einer Erbse. Ich nahm es als Zeichen, dass ein kleiner Fick zwischendurch nichts für mich ist. Es war Herbst. Du hast mich angerufen, ein R-Gespräch. Ich sagte, dass ich ein Kind von dir will. Du hast gelacht und versprochen, mich in einem Jahr wieder anzurufen. Der Sommer kehrte noch heißer und einsamer zurück. Ich lernte einen Jazz-Discjockey kennen und entschloss mich erneut zu einem kleinen Fick. Eines Abends kam er mit zu mir. Das Schnippeln und Kleben war ausgeufert und hatte meine ganze Wohnung – Sofa, Kamin, Teppich, Vorhänge, Badezimmerspiegel – in eine Collage verwandelt, schon beim Eintreten blieb Klebstoff an den Sohlen hängen. Der Jazz-Discjockey fand mich sehr besonders, aber vor lauter Verlegenheit fiel ihm nichts anderes ein, als stumpf in mich einzudringen und ohne das kleinste bisschen Lust zu kommen. Es wurde endgültig Herbst. Ich fing an zu nähen und produzierte eine erstaunliche Kollektion schlechtsitzender Hosen, Blusen, Samtkleider und Hausanzüge, eine fummelige Arbeit, in die ich meine Vorstellung von der Schönheit und den Freuden handwerklichen Könnens einfließen ließ. Der Winter kam. Ich fuhr mit der Subway nach Coney Island. Der kalte, einsame Strand und der menschenleere Vergnügungspark kamen in einem Gedicht mit dem Titel Der Winter unserer Liebe vor. Als ich um Mitternacht vor dem Kamin saß, bist du wieder erschienen und hast dich vor der Frau deiner Träume entblößt – sie war schöner, freundlicher und liebevoller als ich. Ich spielte mit dem Gedanken, mir eine neue Geige zu kaufen. Die letzte war bei lebendigem Leib verbrannt, im Wald, zu Beginn des Sommers …«