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Kapitel 3

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Vossler zog an einer Kordel, die seitlich des Holztores befestigt war. Ein heller Glockenton erklang darauf hin. Kurze Zeit später öffnete ihm ein hagerer Mönch in einer braunen Kutte das Tor. Viktor Vossler erklärte ihm, er sei aus Deutschland und müsse den Abt in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Der Mönch nickte und führte ihn zuerst in einen Speiseraum.

„Sicher haben sie nach der langen Reise Hunger!“, vermutete er und stellte Vossler wohlwollend eine Schüssel mit Suppe hin, reichte ihm Brot und Vossler aß hungrig.

Später brachte der Mönch ihn zu einer Schlafstube, die karg eingerichtet war: Ein schmales Bett, ein Schränkchen und zwei Haken an der Wand für Kleidung, über der Tür hing ein einfaches Holzkreuz mit der Christusfigur.

Der Mönch benachrichtigte Viktor Vossler, dass Abt Berengar ihn erst morgen empfangen könne.

Er fügte hinzu: „In einer Stunde ist die Vesper, der Abendgottesdienst. Sie können gerne dazu kommen. Danach gibt es ein kaltes Abendbrot.“

Die Vesper besuchte Viktor nicht, denn mit Gottesdiensten, Gebeten und Lobgesängen, konnte er nichts anfangen. Er glaubte an keinen Gott und der gekreuzigte Jesus über der Tür hatte für ihn keinerlei Bedeutung. Zum Abendbrot ging er jedoch schon. Das Gebet, das davor gesprochen wurde, betete er nicht mit. Man konnte nur das Kauen der Essenden und das Klappern des Geschirrs hören. Nach dem Essen verließen die Mönche den Saal und Viktor kehrte zu seiner zugewiesenen Schlafkammer zurück.

Da er die letzte Nacht unbequem in einem Autositz verbracht hatte, freute er sich auf das Bett, auch wenn es schmal war. In der Nacht schlief er gut und in der Morgendämmerung hörte er eine Glocke, die zum ersten Gottesdienst des Tages rief. Er blieb im Bett liegen und genoss es weiter zuschlafen. Später stand Viktor Vossler auf und ging in den großen Saal, wo ein Mittagessen bestehend aus Hülsenfrüchten und Geflügel, aufgetischt war. Danach informierte ihn der hagere Mönch, dass Abt Berengar ihn nun empfangen würde und forderte ihn auf ihm zu folgen.

In Begleitung des Mönchs gelangte Viktor über den Kreuzgang in einen anderen Teil des Klosters. Der Mönch blieb vor einer Tür stehen und klopfte an. Dahinter war ein energisches:

„Soll reinkommen!“, zu vernehmen. Der Mönch öffnete daraufhin die Tür und wies Viktor an, in den Raum zu gehen, er selbst ging nicht hinein.

Viktor Vossler befand sich in einem Raum, in dem ein großer Schreibtisch stand. Dahinter saß Abt Berengar in einem schwarzen Gewand, um seinen Hals hing eine Kette mit einem Kreuz. Er hatte einen grauen Bart, kleine hellblaue Augen und eine etwas zu große Nase.

„Bitte, nehmen sie Platz!“, sagte der Abt freundlich.

Viktor setzte sich auf einen Stuhl. Auf dem Schreibtisch lag eine Bibel mit Goldschnitt und andere in Leder eingebundene Bücher.

An der Wand befand sich ein gerahmtes Foto vom Bischof und ein Kreuz mit der Christusfigur hing ebenfalls dort.

Viktor Vossler schilderte dem Abt sein Anliegen, erwähnte den Standartenführer Heinrich von Strelitz und bat um Unterstützung. Er war selten in der Situation gewesen um etwas zu bitten, aber jetzt schien es ihm ein notwendiges Übel zu sein. Der Abt nickte, stand auf und ging in die Mitte des Raumes. Dort begann er den am Boden liegenden Teppich aufzurollen. Darunter kam eine Falltür zum Vorschein. Der Abt nahm zwei Laternen, die auf einer Kommode standen und zündete sie an. Eine davon reichte er Viktor, die andere behielt er selbst in der Hand und öffnete mit der anderen Hand die Falltür.

„Kommen sie!“, rief er und stieg die steilen Stufen hinunter. Viktor folgte zögernd dem Abt, der bereits einige Kerzen in dem darunter liegenden Raum angezündet hatte und ihn erhellte. Die Männer befanden sich in einem Kellergewölbe, das mit Regalen ausgestattet war. Darauf lagerten Zigarettenschachteln und Schokoladentafeln, Wein- und sogar Champagnerflaschen.

Während des Krieges gab es viele Entbehrungen und nun erschien es Viktor als sei er im Schlaraffenland gelandet. Staunend sah er sich um.

„Nur zu, sie können sich ruhig eine Tafel Schokolade nehmen! Aber mit Schokolade kommen sie nicht weit, mein Freund. Ich habe etwas Besseres für sie“, sagte er verschwörerisch.

Berengar war zu einer Kiste gegangen und holte daraus etwas hervor. Es waren Geldscheine, die er Viktor gab.

„Echt, wobei auch ein paar Blüten dabei sind können, so genau weiß ich es gar nicht.“

Ein zweiter und dritter Stapel Scheine folgte. Es waren unterschiedliche Währungen, aber hauptsächlich Dollar-Noten.

Ob dieses Geld aus dem „Unternehmen Bernhard“ stammte, überlegte Viktor.

Dieses Unternehmen war zwar geheim gewesen, aber im Reichssicherheitshauptamt gab es immer wieder Leute, die ihren Mund nicht halten konnten. Meistens hielten sie ihn danach für immer.

Angeblich war Falschgeld in großer Menge von Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen hergestellt worden: US-Dollar und britisches Pfund, ebenso wurden Briefmarken und diverse Dokumente dort gefälscht. Ob dies der Wahrheit entsprach, konnte Viktor nicht beurteilen.

Der Abt bat Viktor die steile Treppe wieder hinauf zu gehen, er löschte wieder die Kerzen und als sie oben im Zimmer waren, schloss der Abt die Falltür und rollte den Teppich zurück an seinen Platz. Berengar setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb etwas auf einen Briefbogen. Anschließend faltete er das Blatt Papier zusammen und erklärte:

„Das ist ihr Empfehlungsschreiben. Mit diesem gehen sie nach Rom. Bischof Hudal vom Priesterkolleg „Collegio Teutonico“ von „Santa Maria dell´Anima“ wird Bescheid wissen und ihnen einen neuen Pass beim Roten Kreuz beschaffen. Danach können sie im Hafen von Genua ein Schiff nach Argentinien nehmen und sind damit in Sicherheit.“

Sein Gast nahm das Schreiben und bedankte sich.

„In ein paar Tagen wird ein Einheimischer namens Kraudinger hier sein, der wird sie über die Grenze nach Südtirol führen. So lange müssen sie noch bei uns im Kloster bleiben. Wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe noch eine Menge zu tun.“

Der Abt deutete zur Tür. Viktor Vossler ärgerte es, dass man ihm in letzter Zeit ständig sagte, was er zu tun hatte. Früher hatte er die Anweisungen und Befehle gegeben und die anderen mussten tun was er sagte. Er schluckte seinen Groll hinunter, denn schließlich war er auf die Unterstützung des Abtes angewiesen. Ohne Hilfe von seinem väterlichen Freund Heinrich von Strelitz, dem bayrischen Fahrer Breitenhuber und dem Abt wäre er vielleicht schon von den Alliierten in Gewahrsam genommen worden und würde jetzt in einer Gefängniszelle sitzen. Viktor wollte sich an die Anweisungen halten, denn nur so würde er sicher in Argentinien ankommen.

In den nächsten Tagen wartete er auf den Mann, der ihn über die Grenze bringen würde. Um sich die Zeit zu vertreiben, machte Viktor Vossler Spaziergänge in der näheren Umgebung des Klosters, saß auf einer Bank im Kräutergarten und machte Kraftübungen in seiner Schlafkammer.

Die Ruhe, die das alte Kloster und die Mönche ausstrahlten, ließen ihn entspannen. Die letzten Wochen in Berlin waren aufgrund der ständigen Bombardements der Alliierten anstrengend gewesen. Die Nächte hatte er im Bunker verbracht, in dem man doch keinen Schlaf fand. Wie froh war er, dass dies nun alles vorbei war.

Die Mahlzeiten nahm er mit den Mönchen ein, doch den Gottesdiensten blieb er fern. Einmal schlug er die Bibel auf, die in seiner Schlafkammer lag.

„Darum sollst du zum Hause Israel sagen: So spricht Gott der Herr: Kehrt um und wendet euch ab von euren Götzen und wendet euer Angesicht von allen euren Gräueln“, las er stirnrunzelnd. Was hatte das zu bedeuten? Verärgert schlug er das Buch zu.

Zeiten der Lügen

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