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Schweben über der Wupper

Am nächsten Tag begannen die Weihnachtsferien. Zum Glück hatte ich meine Siebensachen schon zusammen gepackt, denn wir wollten früh aufbrechen. Ich hatte in der Nacht wenig Schlaf bekommen, ich hatte gelesen. Einen Teil des Heimweges konnten wir zu dritt reisen. Wir fuhren zu unseren jeweiligen Familien in die Weihnachtsferien. Ich freute mich auf meine jüngeren Geschwister, ich freute mich aber nach diesem Abend noch mehr auf unsere gemeinsame Fahrt. Am Morgen holte mich Ernst schon früh ab. Wie immer trug er keinen Hut. Dass er nicht fror?

Wir schellten bei Wilhelm.

»Bist du soweit? Beeil dich, wir frieren.«

Gemeinsam schlitterten wir auf vereisten Straßen zum Bahnhof. Das war diesmal kein Vergnügen, zumal wir mit schwerem Gepäck unterwegs waren. Ernst hatte auch noch seine Laute umhängen, die natürlich nicht zu Bruch gehen sollte.

Endlich im Zug kamen wir ins Plaudern und ich erzählte von meinem Geburtstag neulich, am 13. Dezember.

»Sie sind schon einundzwanzig Jahre alt, Fräulein Schmidt?« fragte Ernst.

Sie schauten sich erstaunt an.

»Wir haben Sie für deutlich jünger gehalten, höchstens achtzehn.«

Meinte er es ernst? Oder wollte er mir schmeicheln? Vorsichtig fragten sie mich nach meiner Kindheit und Jugend aus. Ich erzählte ihnen, dass ich aus einem Soldatenhaushalt stammte und deshalb statt mit Puppen lieber mit Pferden und Zinnsoldaten gespielt habe. Ich erzählte von Erich und Martha, meinen jüngeren Geschwistern.

Auch über Wilhelms Büchlein konnte ich schon berichten. Es waren Tagebuchaufzeichnungen, die in diesem Jahr gerade erst herausgegeben worden waren. Sie hatten mich so gefesselt, dass ich es noch in derselben Nacht in einem Rutsch durchgelesen hatte. Ernst kannte es auch bereits. So konnte er mitreden.

Für Ernst und mich gab es einen Aufenthalt von mehr als zwei Stunden, so dass Wilhelm uns zum Frühstück in sein Elternhaus einlud. Wir gaben unser Gepäck ab und machten uns auf den Weg durch die hügelige Stadt. Ganz oben auf den Sedansberg mussten wir laufen, dort wohnte seine Familie. Mir wurde beim Aufstieg so warm, dass ich ganz rote Wangen hatte, als Frau Simon uns die Tür öffnete. Ich konnte ihr den Gedanken förmlich ansehen, als sie mich musterte: »Wilhelm bringt einen Studenten mit – und eine Studentin, aha.« Ihr Sohn war der erste in der Familie, der studierte. Sie war sichtbar stolz auf ihn.

Ernst und mich platzierte sie auf ihr Sofa und verschwand in der Küche, um uns schnell etwas zum Frühstück zu zaubern. Wilhelm holte eine Gitarre und Ernst packte seine Laute aus. Wir sangen aus Herzenslust, das konnten wir von Anfang an gut zusammen. Wir begannen bei Vom Himmel hoch und endeten sogar bei Wie schön blüht uns der Maien. Ernst hatte eine sehr schöne Tenorstimme und Wilhelm sang den Bass. Ich ergänzte sie mit meinem Alt, ich konnte zu vielen Liedern die zweite Stimme, denn zuhause hatten wir mein Leben lang viel gesungen.

Schnell verrann die Zeit und wir mussten schon wieder los. Ein besonderes Erlebnis hatte Wilhelm noch für uns, eine Fahrt mit der Schwebebahn zurück zum Zug. Erstaunt betrachtete ich dieses seltsame Fortbewegungsmittel. Wir stiegen die Stufen hoch zur Haltestation, und zumindest ich stieg mit großem Interesse hinein. Zunächst war es ein ungewohnt schaukelndes Gefühl, aber sehr schnell fand ich es großartig. Wir konnten von hoch oben in die Fenster der Wohnungen schauen, unter uns das kleine Flüsschen, die Wupper. Ich hatte meine helle Freude daran, zeigte den beiden die schön mit Schwippbögen geschmückten Fenster und konnte mich nicht satt daran sehen. Wilhelm war natürlich schon als Kind mit der Bahn gefahren, Ernst dagegen war weniger begeistert und etwas blass um die Nase. Ihm war es unheimlich, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, vor allem wenn die Bahn sich in den Kurven auch noch neigte. Viel zu schnell war die Fahrt vorbei, ein beeindruckendes Erlebnis, jedenfalls für mich. Noch im Zug sprach ich immer wieder von dieser besonderen Art des Reisens. Während Ernst meine Freude daran nicht teilen konnte, merkte ich einmal wieder, wie groß meine Neugier und die Freude am Lernen und Ausprobieren von noch nie Erlebtem war.

In diesem Jahr hatte ich die Weihnachtsluft eindeutig schon vor den Feiertagen geatmet. Das bewegende Weihnachtsfest mit Schnee, mit Baum, Geschenken und der entsprechenden Stimmung hatte für mich schon in Bonn stattgefunden. Es waren die Proben für das Krippenspiel, die Aufführung gestern zusammen mit Ernst und Wilhelm, die innig-vertraute Stimmung und vor allem das Gefühl der Erwartung. Als ob etwas Schönes, Helles und Freudiges auf mich zukommen würde. Adventus, aus dem Lateinischen, heißt Ankunft, die Zeit der Erwartung und des Lichtes. Vermutlich wird es nicht der Sohn Gottes persönlich sein, aber vielleicht etwas ganz anderes?

Zuhause in Paderborn regnete und stürmte es heftig am Heiligen Abend. Durch das strahlende Gesicht meiner kleinen Schwester kam dann bei mir trotzdem eine kleine Weihnachtsfreude auf.

In der zweiten Reihe

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