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Donnerstag – 1. August – 15:00 Uhr

Samson Belart war neu bei der Düsseldorfer Mordkommission, aber keineswegs mit einem unbedarften Anfänger zu verwechseln, denn er hatte schon ein paar Jahre im Polizeidienst vorzuweisen. Der Einunddreißigjährige besaß ein ausgezeichnetes Personengedächtnis und einen äußerst effektiv arbeitenden Verstand, dem selten etwas Wichtiges verborgen blieb. Er hatte weder Geschwister noch eine feste Partnerin vorzuweisen. Aber das belastete ihn nicht sonderlich, denn zum einen ging er in seiner Arbeit auf. Und zum anderen wartete er immer noch auf die Frau, die in der Lage war, ihn allein bei ihrem Anblick vergessen zu lassen, dass er sich weder binden noch die Verantwortung für eine Familie übernehmen wollte.

Die Hintergrundrecherche zum Fall Tannhäuser war der erste Auftrag, den Samson in Düsseldorf übernehmen sollte. Weil es jedoch nur um ein paar Fragen ging, die er klären sollte, machte er sich alleine auf den Weg ins Krankenhaus.

Da die Inspektion des Raumes, in welchem die Tote vor ihrem Ableben gelegen hatte, nichts Brauchbares zutage brachte, beschloss Samson, Fragen zu stellen. Also interviewte er jeden, der ihm über den Weg lief, und stieß dabei auch auf eine Krankenpflegeschülerin, auf deren Namensschild Viola Preiß stand, und die in der fraglichen Zeit des Mordes als Einzige etwas gesehen haben konnte, weil sie sich im zentral gelegenen Schwestern-Stützpunkt aufgehalten hatte, während alle anderen in einem der Patientenzimmer beschäftigt gewesen waren.

„Ist an diesem Nachmittag – außer der zuständigen Schwester oder dem Arzt – jemand zu Frau Tannhäuser hineingegangen?“, wollte er wissen.

„Ja“, bestätigte sie. „Da war ein Mann mit einem riesigen Blumenstrauß. Der kam um die Mittagszeit, ließ sich von mir eine passende Vase geben, und blieb so an die zwei Stunden bei ihr. Ich weiß noch, dass ich zur Kaffeezeit noch einmal ins Zimmer reinsah, weil ich fragen wollte, ob was gebraucht wurde, aber da war er schon weg.“

Zu früh, urteilte Samson. Das Opfer war den letzten Erkenntnissen zufolge so ziemlich genau um kurz vor sechzehn Uhr getötet worden. Also schied der Blumenmann als Verdächtiger aus. Es sei denn …

„Haben Sie ihn danach noch einmal gesehen?“, fragte er.

„Nein“, erwiderte sie mit bedauernder Miene.

„War sonst noch jemand da?“, bohrte er.

„Nicht das ich wüsste“, antwortete sie.

„Bestimmt nicht?“ Samson wollte noch nicht aufgeben, auch wenn ihm klar war, dass er vielleicht nur seine Zeit verschwendete. „Denken Sie bitte genau nach. Kann es nicht doch sein, dass an dem Nachmittag noch jemand in das Zimmer gegangen ist, ohne sich vorher angemeldet zu haben? Oder – Vielleicht haben Sie jemanden herauskommen sehen?“

„Rauskommen, sagen Sie? Hm.“ Viola biss sich kurz auf die Lippen und überlegte angestrengt. Und tatsächlich! Ein paar Sekunden später nickte sie, ganz so, als wolle sie sich selbst etwas bestätigen. „Ja, jetzt weiß ich ’s wieder. Da war tatsächlich noch ein Mann. Sein Gesicht hab’ ich aber nicht sehen können, weil er mir den Rücken zukehrte, während er die Tür von Frau Tannhäusers Zimmer hinter sich schloss. Und dann ist er im Aufzug verschwunden.“

„Welche Haarfarbe hatte er?“ Samson wollte mehr über den Besucher wissen, und hoffte nun auf Hinweise, die ihm weiterhelfen könnten.

„Er … Ich … Schwarz – glaube ich. Ist im Nachhinein schwer zu sagen, weil unser Flurlicht die Farben manchmal anders erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind. Aber ich weiß noch, dass es lang war und im Nacken zusammengebunden. Außerdem sah es so aus, als sei das Ende seines Zopfes gebleicht gewesen, denn er war wesentlich heller als sein restliches Haar.“ Der Anblick des ausdrucksstarken Mundes und das eigentümliche Flirren in den grauen Augen ihres Gegenübers machte die Lernschwester nervös, sodass sie Mühe hatte, sich auf das zu konzentrieren, was sie im Grunde sagen wollte.

„Und dann? Was ist dann passiert?“ Samson kannte seine Wirkung auf Frauen, und setzte sie nicht selten bewusst ein, um schneller an sein Ziel zu kommen. Doch in diesem Moment fand er es eher störend, dass seine Erscheinung die Zeugin vom eigentlichen Thema ablenkte.

„Ich … Er ist weg“, berichtete Viola. „Und ich wollte wieder nach Frau Tannhäuser sehen. Aber dann musste ich ans Telefon, weil doch kein anderer drangehen konnte. Und als ich dann endlich dazu kam, zu ihr zu gehen, war ’s schon zu spät. Ich … Es tut mir so leid.“ Sie schluckte sichtlich, bevor sie fortfuhr: „Man hat mir gesagt, ich trüge keine Schuld, weil ich ja im Vorfeld mehrmals im Zimmer gewesen wäre und dabei nichts Auffälliges an der Patientin beobachtet hätte. Aber ich … Hätte ich doch gleich nachgesehen, nachdem der Besucher weg war! Furchtbar. Sie können sich nicht vorstellen, wie schlimm dieser Tag war. Gleich zwei Tote. Und das an einem einzigen Nachmittag.“

Ihr war wirklich kein Vorwurf zu machen, denn sie hatte ja nicht ahnen können, dass es in dem bewussten Moment wichtigeres gab, als einen Telefonanruf entgegenzunehmen, stellte Samson fest. Also gut. Da war offenbar ein Unbekannter, der als Täter infrage kam. Ein verlassener Liebhaber vielleicht? Möglich war auch, dass der Mörder im Auftrag einer anderen Person gehandelt hatte. Vielleicht …

„Sagen Sie mal – Frau Tannhäuser hat doch eine jüngere Schwester, nicht wahr? Wo war die eigentlich in der fraglichen Zeit?“ Man musste allen Verdachtsmomenten nachgehen, auch wenn sie noch so absurd anmuteten, dachte er. In vielen Fällen war es nämlich tatsächlich so, dass die nächsten Verwandten das größte Interesse am Tod eines ihrer Familienmitglieder hatten, sei es nun bodenloser Hass oder bloß Habgier, die sie zu blutrünstigen Monstren werden ließen.

„Sie meinen Maya?“ Viola lächelte schmerzlich bei der Erinnerung an die ehemalige Schulkameradin, die oft genug mit ihr und Leyla gebüffelt hatte, wenn eine schwierige Arbeit bevorstand. „Die war grad’ auf dem Heimweg und ist dabei vor ein Auto gestolpert und fast über den Haufen gefahren worden. Ich hab’ auch nur zufällig mitgekriegt, wie sie eingeliefert wurde, weil ich grad’ in der Notaufnahme war, um die fehlenden Unterlagen eines neuen Patienten zu suchen. Die Ärmste hat erst heute Morgen erfahren, dass Wiebke gestorben ist. Und … Ach du Schreck! Wahrscheinlich weiß sie noch gar nicht, dass der Tod ihrer Schwester nicht ganz astrein ist. Also … Ich … Wär’ vielleicht ganz nett von Ihnen, wenn Sie nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen würden. Sie … Na ja, Maya hatte zwar nicht unbedingt das beste Verhältnis zu ihrer Schwester, aber ich könnte mir denken, dass sie jetzt doch ziemlich down ist. Wiebke war nämlich ihre einzige Verwandte.“

„Keine Bange“, beschwichtigte Samson. „Ist reiß mich am Riemen. Aber ich muss ihr ein paar Fragen stellen. Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich sie finde?“

„Ich …“ Wieder einmal machte der Anblick des grauen Augenpaares Viola völlig durcheinander, sodass sie Mühe hatte, die nötigen Worte zu finden. „Sie … Ich glaube, irgendwer sagte vorhin, sie wäre einfach auf und davon, ohne sich abzumelden. Ich … Vielleicht … Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie nach Hause gefahren ist. War ja nicht ernstlich verletzt, wissen Sie.“ Die Unterlippe zwischen die Zahnreihen geklemmt, überlegte sie einen Moment. Doch dann nannte sie Mayas Anschrift und wurde dafür mit einem dankbaren Lächeln belohnt, was die leichte Röte auf ihren Wangen zusehends vertiefte.

„Danke.“ Er wollte sich schon abwenden, um zu gehen, da fiel ihm ein, dass er seinen obligatorischen Abschluss-Satz noch nicht gesagt hatte. Also kramte er die Visitenkarte seiner Dienststelle heraus und überreichte sie seiner Gesprächspartnerin mit den Worten: „Sollte Ihnen noch etwas zu dem unbekannten Besucher oder sonst etwas Wichtiges einfallen, rufen Sie mich bitte an.“

Samson war schon auf dem Parkplatz, als ihn wieder einfiel, was man ihm über Maya Tannhäuser gesagt hatte. Merkwürdig, dachte er nun. Während man die eine Schwester mit Luft tot spritzt, fällt die andere vor ein Auto und wird dabei fast überfahren. Da war doch was ober faul! Besser gesagt: Das stank zum Himmel! Also: Entweder war man tatsächlich hinter beiden her – aus welchen Gründen auch immer. Oder der Autounfall war ein genial ausgeklügeltes Alibi, welches diese Maya inszeniert hatte, um den Verdacht von sich abzulenken. … Also gut, entschied er nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr. Er würde sich zunächst in der Wohnung des Opfers umsehen. Es war ja möglich, dass sich dort irgendwelche Hinweise auf ein Motiv oder sogar den Täter fanden. Danach würde er Feierabend machen und die Befragung von Maya Tannhäuser morgen früh gleich als Erstes in Angriff nehmen.

Das Geheimnis von Mayas Schwester

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