Читать книгу Love still - Katie Weber - Страница 12
Cage
ОглавлениеDraußen rieselte bereits seit Stunden neuer Schnee, als ich ungeduldig zur Uhr sah und langsam aber sicher Sorge in mir aufstieg.
Ich war mir sicher, ich hatte es nicht nur geträumt, dass Alexis mir gestern Abend zugesichert hatte, Josie heute Mittag bei mir vorbeizubringen. Jetzt war es schon 14 Uhr und weder meine Tochter noch Alexis waren hier.
Ich war allein.
Olive hatte sich heute Morgen direkt wieder auf den Weg nach Ottawa gemacht, wo sie die nächsten Tage einige Termine hatte. Außerdem wollte sie nicht zwischen mir und meiner Tochter stehen. Sie wusste, dabei konnte sie nur verlieren. Und da Olive ebenso gestern Abend mitbekommen hatte, dass Alexis Josie heute vorbeibringen wollte, war sie vorhin gefahren.
Jetzt kam ich mir ein wenig bescheuert vor, denn ich war mir ehrlich nicht mehr sicher, was ich mit Alexis für heute ausgemacht hatte. Vielleicht hatte ich mich nicht klar ausgedrückt oder wir hatten aneinander vorbeigeredet.
Möglicherweise war auch der heftige Schneefall daran schuld und sie wollte bei diesem Wetter nicht ins Auto steigen. Doch dann hätte sie immerhin anrufen können, um mir mitzuteilen, dass sie nicht kommen würden. Alexis wusste, ich würde mir sonst Sorgen machen. Es sei denn ...
Ging es hier um den Streit, den wir gestern hatten, bevor sie von Shawns und Kelseys Einweihungsfeier verschwunden war?
Schnaubend starrte ich noch einmal die große Uhr an der Wand an und griff nach dem Smartphone in meiner Hosentasche.
Ich wählte Alexis‘ Nummer und nach langem Klingeln hörte ich plötzlich eine aufgeregte, quirlige Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Hallo Daddy!«, begrüßte Josie mich gut gelaunt und mein Verdacht von eben bestätigte sich. Alexis wollte ganz eindeutig nicht mit mir reden, denn sonst hätte sie unserer Tochter nicht gesagt, dass ich am Telefon war und sie deswegen rangehen durfte.
Josie durfte nämlich normalerweise nicht an Alexis Handy.
»Hallo Sonnenschein, geht es dir gut?«, fragte ich meine Tochter grinsend und sah hinaus in den Garten, der mit einer frischen, weißen Schneeschicht bedeckt war.
»Mir geht es gut«, erwiderte Josie leise seufzend, »Nur Mommy fühlt sich heute nicht so wohl.«
Ich unterdrückte ein weiteres Schnauben und schluckte meinen Ärger darüber, dass Alexis unseren Streit über unsere Tochter stellte, mühevoll hinunter.
»Sag mal, Engel, wollte deine Mom dich heute nicht bei mir vorbeibringen? Oder geht es ihr so schlecht, dass sie es nicht schafft? Denn ... ich kann dich genauso gut abholen, wenn du das möchtest.«
Kurz herrschte Stille am anderen Ende und mir war klar, Josie wusste nichts davon, dass Alexis sie zu mir bringen wollte. Sie sah ihre Mutter in diesem Moment sicher aus großen, fragenden Augen an. Zumindest stellte ich mir das vor.
»Mommy hat gesagt, du hast Besuch und deswegen würde ich nur stören«, erzählte Josie plötzlich hörbar empört und unterstellte ihrer Mutter damit eine Lüge.
Ich jedoch fing endlich an zu begreifen, was los war, und seufzte schwer.
»Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor, Engel. Würdest du bitte deine Mom ans Telefon holen, damit wir das für dich klären können?«
Wieder herrschte kurz Stille am anderen Ende, bis ich Alexis Stimme wahrnahm.
»Ich hatte ihr nicht gesagt, dass sie stören würde«, korrigierte sie unsere Tochter sogleich und wirkte dabei hörbar nervös. »Ich sagte ihr nur, dass du wichtigen Besuch hast und ...«
»Olive ist weg«, unterbrach ich ihre Erklärungsversuche und musste seltsamerweise lächeln. »Sie ist heute Morgen zurück nach Ottawa gefahren.«
Alexis sagte kein Wort, atmete nur leise aus und ich wusste ganz genau, dass sie erleichtert war.
»Du hättest einfach anrufen und fragen können, dann wäre Josie jetzt längst bei mir«, warf ich ihr dennoch vor, auch wenn ich sie gewissermaßen verstehen konnte. Schließlich hatten wir gestern nicht darüber sprechen können, wie das mit Olive und meiner Tochter irgendwann ablaufen sollte – oder ob sie sich überhaupt schon kannten.
Scheiße, Alexis wusste ja noch nicht einmal, dass Olive überhaupt von Josie wusste. Und ich war mir auch nicht sicher, wie sie auf diese Neuigkeit reagieren würde, wenn sie schon gestern Abend so seltsam war.
»Es tut mir leid«, presste Alexis plötzlich leise hervor und seufzte. »Ich wusste ehrlich nicht, was ich machen sollte, nachdem unser Gespräch gestern ...« Sie stoppte kurz und seufzte erneut. Es schien ihr schwerzufallen, die richtigen Worte zu finden für das, was sie beschäftigte. »Ich wusste nicht, ob du meinen Anruf überhaupt angenommen hättest, nachdem ich einfach so abgehauen war und dich hatte stehenlassen«, gab sie zögernd aber ehrlich zu, wofür ich ihr dankbar war.
»Wenn es um Josie geht, würde ich immer ans Telefon gehen. Das solltest du mittlerweile am besten wissen.« Ich räusperte mich kurz. »Außerdem ... Ich hätte dich mit meinen Fragen gestern nicht so bedrängen dürfen, es ist also nur legitim, dass du gegangen bist.«
Ich war ein Idiot, weil ich sie auf dieses Kleid angesprochen hatte. Ich hätte es nicht tun dürfen, schon gar nicht an diesem Abend, wenn ich meine neue Freundin zum ersten Mal meinen Freunden und somit auch Alexis vorstellen wollte.
Das war einfach nur dumm und taktlos, das war mir jetzt klar. Denn ganz egal, wie sehr mich ihr Anblick in diesem Kleid aufgewühlt und durcheinandergebracht hatte, ich hatte kein Recht, sie dermaßen in die Ecke zu drängen und sie darauf anzusprechen.
Und doch konnte ich gestern einfach nicht anders. Es hatte mich schon den ganzen Abend beschäftigt – so sehr, dass sogar Olive gespürt hatte, dass irgendetwas nicht stimmt.
Dabei war ich nur verwirrt.
Ich verstand nicht, was Alexis damit bezwecken wollte. Sie wusste, ich liebte sie in diesem Kleid – früher einmal zumindest. Es erinnerte mich an laue Sommernächte während unserer Highschoolzeit, an schöne Momente zwischen uns beiden und daran, wie ich mich damals in sie verliebt hatte.
Es war also sicher kein Zufall, dass sie ausgerechnet dieses Kleid noch besaß und es dann auch noch zu Kelseys und Shawns Feier anzog. Alexis musste klar gewesen sein, dass ich ebenso dort sein würde. Ihr hätte klar sein müssen, wie das auf mich wirken würde. Sie hatte es gestern bewusst gewählt und angezogen. Die Frage war nur, weshalb?
Nach langem Schweigen hörte ich Alexis am Telefon abermals leise seufzen. »Ich mache mich gleich auf den Weg und bringe Josie bei dir vorbei, wenn du noch nichts anderes vorhast«, schlug sie vor. Doch der Gedanken daran, wie sie mit ihrer alten Rostlaube bei diesem Wetter und über schneeglatte Straßen fuhr, ließ mich protestierend den Kopf schütteln, auch wenn sie es nicht sehen konnte.
»Auf keinen Fall«, sagte ich entschlossen. »Ich komme zu euch und hole Josie ab.«
Alexis zögerte. Vermutlich, weil ich das letzte Mal in ihrer winzigen Wohnung war, als zwischen uns noch alles okay und wir noch so etwas wie Freunde waren, statt nur die Eltern von Josie.
»Ist gut, komm vorbei. Ich packe für sie eine Tasche, falls sie bei dir über Nacht bleiben will und ...« Sie stoppte mitten im Satz und schien zu überlegen. »Du ... du bleibst doch noch ein paar Tage hier, oder? In der Stadt, meine ich.«
»Ich habe noch zwei Tage, bevor ich wieder weg muss. Dann habe ich zwei Spiele außerhalb und danach endlich etwas Urlaub. Falls es für dich okay ist, wollte ich mit Josie für eine Zeit lang verreisen. Um etwas mehr Zeit mit ihr zu haben, verstehst du?«
»Natürlich«, schoss es atemlos aus ihr heraus. »Kein Problem, ich werde mich um alles kümmern und dem Kindergarten Bescheid sagen.«
Ich lächelte zufrieden. »Gut, dann mache ich mich jetzt auf den Weg zu euch. Sag Josie, dass hier ganz viel Schnee in meinem Garten auf sie wartet und wir einen Schneemann bauen werden.«
Alexis lachte kurz auf. »Dann werde ich ihr wohl noch mehr Wechselkleidung einpacken müssen als sonst«, kommentierte sie und wirkte nicht mehr ganz so nervös wie noch am Anfang des Telefonats.
»Bis gleich, Alexis«, verabschiedete ich mich schmunzelnd, bevor ich auflegte und mich auf die Suche nach meinen Autoschlüsseln machte.
Eine halbe Stunde später sprang Josie mir regelrecht in die Arme, als ich die kleine Wohnung der beiden betrat. Nichts schien sich hier seit meinem letzten Besuch verändert zu haben und aus irgendeinem undefinierbaren Grund beruhigte mich das.
»Wir bauen einen Schneemann?«, fragte meine Tochter mit strahlenden Augen, als mir Alexis Josies Tasche reichte, weil sie davon ausging, dass ich nicht länger als nötig hier sein wollen würde.
»Wir können sogar eine ganze Schneemann-Familie bauen, wenn du das möchtest, Engel«, erwiderte ich lachend und half ihr dabei, sich ihre Schuhe zu binden und die dicke Winterjacke zu schließen, die Alexis ihr angezogen hatte.
Sie sah niedlich darin aus. Und Alexis ... sie sah auch heute mal wieder fantastisch aus – selbst mit diesem chaotischen Haardutt auf dem Kopf und den flauschig grünen Socken an ihren Füßen.
Ich musste unweigerlich schmunzeln bei ihrem Anblick, doch das schien sie nicht einmal zu bemerken, so sehr war sie in Gedanken versunken.
»Mommy, wir könnten doch alle zusammen einen Schneemann bauen. Du baust eine Mommy-Schneefrau, Daddy baut einen Daddy-Schneemann und ich baue einen kleinen Kinder-Schneemann«, schlug Josie auf einmal vor und riss Alexis damit aus den Gedanken.
Perplex sah sie unsere Tochter an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich wollte sie Josie mit der Wahrheit nicht vor den Kopf stoßen oder sie verletzen, doch auf die Schnelle eine passende Ausrede dafür zu finden, war ebenso schwer wie diesen großen, blauen Kulleraugen etwas abzuschlagen.
»Du weißt doch, dass Daddy gerne die Zeit mit dir allein verbringen möchte, wenn er hier in der Stadt ist, Schatz«, begann Alexis zu erklären und wirkte dabei recht unsicher.
Ich sah ihr an, wie sehr es ihr wehtat, dass Josie darunter leiden musste, dass sie und ich uns seit dem letzten Streit nicht mehr verstanden – oder besser gesagt, weil ich ihr nicht mehr vertraute und nur noch so viel Kontakt zu ihr haben wollte, wie es nötig war.
Alexis und ich waren keine Freunde mehr. Und das, was Josie sich wohl am allermeisten wünschte, das konnten wir ohnehin nicht erfüllen. Dafür war zwischen Alexis und mir zu viel kaputtgegangen.
Dennoch fühlte ich mich in diesem Moment mindestens genauso schuldig wie Alexis, dass wir unserer Tochter so etwas antaten. Natürlich wollte unsere Kleine am liebsten die Zeit mit uns beiden verbringen – erst recht an einem Tag wie heute.
Doch ich konnte es nicht. Ich schaffte es nicht über meinen Schatten zu springen und Alexis damit unweigerlich wieder näher an mich heranzulassen.
Der Grund dafür war ganz einfach.
Mir war klar, würden wir uns wieder näherkommen und mehr Zeit miteinander verbringen, wäre ich früher oder später in einem Strudel aus alten Gefühlen und der Angst, von ihr erneut enttäuscht zu werden, gefangen. Denn die Wahrheit war simpel und deswegen so schwer zu ertragen: Ich liebte Alexis noch immer. Zumindest tat es ein Teil von mir. Und vermutlich würde er es mein Leben lang tun, ganz egal, wie viele Frauen noch in mein Leben traten.
Olive war super und ich mochte sie unheimlich gern. Doch ich konnte nicht behaupten, ich würde sie ernst und wahrhaftig lieben. Dazu kannten wir uns zu wenig.
Olive wusste das. Es war ihr klar, dass es ein Versuch einer Beziehung war, in der Hoffnung, dass irgendwann daraus Liebe werden könnte. Doch ich fürchte, wir beide wussten genauso, dass dafür zu viel zwischen uns stand – allen voran meine Tochter, die für mich nicht nur das Allerwichtigste auf der Welt war, sie band mich auch unvermeidbar für immer an ihre Mutter.
Alexis würde immer ein Teil meines Lebens sein, ein sehr großer und wichtiger Teil, und Olive würde auf Dauer nicht damit zurechtkommen – das wusste sie, das wusste ich. Und doch fand ich, stand es mir zu, diesen Versuch mit ihr zu wagen. Selbst wenn es nur für eine begrenzte Zeit war, so hatte ich immerhin jemanden an meiner Seite, der für mich da war, der mir zuhörte und dem ich auch körperlich nah sein durfte.
»Daddy, du hast doch bestimmt nichts dagegen, wenn Mommy diesmal mit uns kommt, oder?«, durchbrach Josies Stimme plötzlich meinen innerlichen Monolog und ich zuckte unter ihrer Frage etwas zusammen.
Verdammt, ich wusste ja, dass meine Tochter beharrlich sein konnte, wenn sie etwas wirklich wollte. Doch ich hatte bisher immer gehofft, diese Situation, die wir jetzt hatten, würde ich umgehen können.
Falsch gedacht, Lancaster!
Jetzt musste ich mich entscheiden: Stellte ich Josies Wunsch über alles und vor allem über meine Angst, Alexis wieder näherzukommen, oder verwehrte ich meiner Tochter einen schönen Tag mit ihrer Mom und ihrem Dad, nur weil ich noch immer unheimlich wütend und enttäuscht war?!
Alexis sah mich nervös und unsicher an.
Wollte sie überhaupt mitfahren? Wollte sie in meiner Nähe sein und Zeit mit mir verbringen? Vor allem nachdem ich sie gestern so bedrängt hatte?
Ich hatte wirklich keine Ahnung. Und der Zwiespalt tief in mir drin machte mir die Entscheidung nicht gerade leicht.