Читать книгу Der zum Golde verdammte König - Katja Bär - Страница 4
Der Blütenzauber
ОглавлениеUnter der Obhut der aufgehenden Sonne lief sie, ihren Gedanken nachhängend, durch den Wald. Plötzlich stellte sie fest, dass sie von ihrem Weg abgekommen war, denn sie stand vor den Resten eines alten Holzkohlenmeilers. Ihr wurde schwarz vor Augen. Ein leichter Schwindelanfall erfasste sie. Schnell ließ sie sich in das weiche Moos fallen. Obwohl sie es gar nicht wollte, überkamen sie die Erinnerungen.
Vor vielen Jahren, als kleines Mädchen, war sie das letzte Mal mit ihrem Vater an diesem Platz gewesen. Der Vater, an jenem Tag kreidebleich und aufgewühlt, stocherte am ganzen Körper zitternd, hier im Boden herum. Verängstigt fragte sie ihn, was ihn beunruhige. Aber ihr Vater war Zeit seines Lebens ein schweigsamer Mann und so erhielt sie auch diesmal keine Antwort. Genau so wenig, wie auf ihre immer wieder gestellten Fragen nach ihrer Mutter, Isabel.
Sie wusste lediglich, dass ihre Mutter starb, kurz nachdem sie zwei Jahre alt geworden war. Damals gab der Vater seinen Beruf als Köhler auf, damit er sie großziehen konnte. Er wollte aus irgendeinem Grund auf keinen Fall mit seiner Tochter im Dorf leben. Mitten im Wald baute er eine Hütte für sie beide. Um ganz und gar vom Dorf unabhängig zu sein, legte er einen kleinen Gemüsegarten an, kaufte eine Ziege, ein Schwein und ein paar Hühner. Seinen letzten und einzigen Kohlenmeiler betrieb er hier an dieser Stelle.
Von klein auf half sie ihrem Vater bei allem, führte den Haushalt so gut sie konnte, versorgte den Garten und die Tiere. Sogar bei der Köhlerei ging sie ihm zur Hand. Sie mochte den Geruch des schwelenden Holzes und dessen Verwandlung in Kohle. Daher rührte wohl ihre Vorliebe für Verwandlungen. Jedoch, am meisten liebte sie es, stundenlang im Wald umher zu streifen und die Pflanzen und die Tiere zu beobachten.
Als der Vater auf dem Sterbebett lag, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und fragte ihn nochmals nach ihrer Mutter. Vergeblich, wieder erfuhr sie nichts. Aber mit den Worten: „Deine Mutter hätte es gewollt, dass du die Sachen bekommst“, übergab er ihr einen Schlüssel. Der gehörte zu der geheimnisvollen Truhe, für die sie sich von klein auf interessierte.
Mittlerweile fühlte sie sich wieder besser und beeilte sich, in ihre Hütte zu kommen, in der sie nach dem Tod des Vaters alleine lebte. Wo sollte sie auch hin? Sie kannte kein anderes Leben. Außerdem besaß sie hier alles, was sie zum Leben brauchte.
Schon erreichte sie ihren Lieblingsplatz, die kleine Quelle, welche nicht unweit der Hütte entsprang und von der sie glaubte, dass aus ihr ein besonderes Wasser sprudelte. Hier zu verweilen, blieb ihr keine Zeit. Nur der Kröte winkte sie noch flüchtig zu.
Ihr Kater sprang ihr entgegen, schlich unruhig um sie herum und seine Augen erinnerten sie an diese grünen Augen aus dem Wald. Sie nahm das Tier auf die Schulter und betrat endlich ihr Reich - ihr kleines bescheidenes Gehöft. Im Stall meckerte die Ziege ungewöhnlich laut vor sich hin. Schnell ging sie zu ihr, streichelte ihr über den Rücken, band sie von ihrem Strick los und ermahnte sie, nicht in den Gemüsegarten zu springen. Das quiekende Schwein ließ sie ebenfalls aus dessen Bucht.
Auf dem Weg zur Hütte, zog sie einen Holzscheit aus der Vorratswand hervor und erschrak. Der Stapel rutschte ihr unter den Händen weg. Was ist heute bloß los? Ihr Blick wanderte über den Hof. Aber so sehr sie sich anstrengte, außer, dass selbst ihre herum streunenden Hühner unruhig wirkten, konnte sie beim besten Willen nichts Ungewöhnliches erkennen.
Zögernd betrat sie die Hütte, schloss die Augen und konzentrierte sich einen Augenblick, denn sie wollte prüfen, ob während ihrer Abwesenheit irgendjemand hier drinnen gewesen sei. Tatsächlich, ein ihr fremder, wenn auch nicht unangenehmer Geruch hing im Raum fest. Instinktiv griff sie nach ihrem selbstgesammelten Waldweihrauch, verteilte ihn auf dem Holzscheit und legte diesen oben auf das Feuer im Herd. Dann schaute sie sich um und fand nichts Sonderbares. Alles machte einen unberührten Eindruck. Selbst die Kiepe mit den schon vorbereiteten Kräutern für die Schlossküche stand noch an ihrem Platz.
Sie beschloss die soeben gesammelten Pilze zusätzlich mit ins Schloss zu nehmen. Allein dafür würde ihr der Schlosskoch sicher ein gutes Stückchen Fleisch geben.
Jetzt musste sie aber unbedingt mit den Vorbereitungen für die wichtigen Korrekturen an sich anfangen! Behutsam holte sie die Blütenhälfte unter der Jacke hervor. Bei dem Griff nach dem Mörser fiel ihr Blick in den Spiegel und sie sah ihr Gesicht voller Aufregung. Zu ihrem eigenen Erstaunen gefiel es ihr heute, vor allem ihre katzenartigen graugrünen Augen mit diesem orangefarbenen Ring um die Pupillen herum. Selbst die Sommersprossen, die sie eigentlich hasste, störten sie nicht. Oh, wie schön, dachte sie, lächelte ihr eigenes Spiegelbild an und erinnerte sich mit Wonne an die Komplimente des Unbekannten im Wald. Er schien regelrecht entzückt von ihr gewesen zu sein. Glich sie vielleicht wirklich einem Engel? Ja, ähnelte sie nicht sogar der Madonna, die in der Waldkapelle auf dem Altarbild zu sehen war? Gut, natürlich war die Madonna nicht mit Sommersprossen besprenkelt. Aber immerhin hatten sie beide dieselbe Haarfarbe, jedenfalls fast.
Irgendetwas musste an ihr sein, was die Männer faszinierte. Die Blicke der Köche in der Schlossküche könnten ebenso ein Beweis dafür sein. Und schließlich, warum versteckte sich der Königssohn hinter der Tanne am Kücheneingang? Das kann nur ihr gelten! Ja, er wollte sie sehen! Möglicherweise war sie doch schön?
Sie trat näher an den Spiegel heran und betrachtete ihr Gesicht eingehend. Da! Auf der Stirn deutete sich eine leichte Falte an! Und, da, unter den Augen! Es wurden zusehends mehr. Schon störten sie auch wieder diese elenden Sommersprossen. Oh, die mussten auf jeden Fall verschwinden!
Unschlüssig stand sie vor dem Flaschenregal und überlegte, welches Mittel heute am besten geeignet wäre. Sie entschied sich für das Regenwasser, welches sie von Leichensteinen aufgesammelt hatte. Sorgfältig rieb sie das Gesicht und die Arme mit der kostbaren Flüssigkeit ein. Jedoch, das reichte ihr nicht. Heute wollte sie ganz sicher gehen! Sie lief auf den Hof.
Auf dem eingestürzten Holzscheithaufen fand sie, was sie suchte. Dort kroch eine schöne dicke Schnecke, die einen breiten Schleimstreifen hinter sich her zog. Gerade wollte sie ansetzen, da entdeckte sie auf dem Rechen am Zaun eine richtig Fette. Ja, die war genau die Richtige, um sofort die Haut mit deren Schleim zu bestreichen. Danach warf sie die Schnecke hinter sich.
In diesem Moment überkam sie das Gefühl, jemand würde sie beobachten. Hatte sie nicht eben einen Schatten weghuschen sehen? Egal, sie musste sofort mit der Blütenprozedur anfangen. Der Königssohn durfte nie ihr wahres Alter bemerken. Nur so glaubte sie, eine Chance bei ihm zu haben.
In der Hütte betrachtete sie die ihr gebliebene Blütenhälfte und es schauderte ihr bei der Erinnerung an den alten Mann. Wie hatte er es geschafft, von ihr gänzlich unbemerkt in den Besitz der anderen Hälfte zu gelangen? Allerdings, viel wichtiger war die Frage, wie lange diese Hälfte reichen würde? Bis zur nächsten Vollmondnacht könnte es schon knapp werden.
Um sich zu beruhigen, kochte sie sich einen Johanniskrauttee. Nachdem dieser die gewünschte Wirkung zeigte, entfernte sie die Körner aus der Blüte, zerdrückte diese im Mörser und freute sich über jeden Tropfen Öl, den sie daraus gewinnen konnte. Ungefähr die Hälfte der öligen Flüssigkeit vermischte sie mit Quark und Wasser aus ihrer Quelle und stellte die Schale mit der Masse zum Erwärmen auf den Herd. Den verbliebenen Rest des Öls füllte sie vorsichtig in eine schmale Flasche. Nicht der kleinste Tropfen von dem kostbaren Gut durfte verloren gehen.
Die Blätter der Blüte breitete sie auf einem seidenen Tuch aus und überlegte währenddessen, wie viele sie heute verwenden sollte. Beinahe wäre darüber die ölige Quarkmasse zu heiß geworden. Hastig zog sie die Schale vom Herd, verteilte die Masse geschickt auf Gesicht und Hals, rupfte entschlossen fünf Blätter vom Blütenstil, drückte sie im warmen Quark fest und legte sich erschöpft auf das Bett. Langsam spürte sie eine angenehme Wärme in sich aufsteigen.
Genüsslich folgte sie ihrer Sehnsucht und dachte an den jungen Königssohn. Etwas Verbindendes hatte sie bereits mit ihm. Beide wurden sie von Männern großgezogen. Doch während sie das Glück hatte, wenigstens ihren Vater zu behalten, verlor der Königssohn in jungen Jahren Vater und Mutter. Großgezogen wurde er von einem alten weisen Mann, seinem Vormund. Eben Jener würde dem Königssohn heute, an seinen achtzehnten Geburtstag, die Regierungsgeschäfte übergeben. Und bald würde der junge König sicherlich eine Braut suchen. Schon deshalb wollte sie heute besonders schön aussehen. Vielleicht sollte sie sogar das grüne Samtkleid anziehen, welches sie in der Truhe gefunden hatte? Ob das Kleid einst ihrer Mutter gehörte?
Über diese Gedanken fiel sie in den Schlaf. Wie schon oft ereilte sie der sie ständig verfolgende Traum: ein Feuer brannte, Holz knackte, die Flammen kletterten immer höher, irgendjemand schrie entsetzlich, sie will wegrennen, kommt aber nicht vom Fleck.
Schweißgebadet erwachte sie. Ihr Kater lag laut miauend auf ihren Füßen und funkelte sie aus seinen grünen Augen an. Welch ein Glück, er hatte sie aus diesem Alptraum geweckt. Ach, wie gern würde sie mal dahinter kommen, was dieser Traum bedeutete.
Ein Geräusch ließ sie hochschrecken. Die getrockneten Blütenblätter fielen ihr in den Schoß. Hatte soeben irgendwer die Hütte verlassen? Nein, es war sicher nur das Knistern des Holzes im Herdfeuer, sonst wäre der Kater doch aufgesprungen.
Es blieb ihr auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn sie musste sich beeilen. Geschwind sprang sie vom Bett, wusch die Reste des Quarks aus dem Gesicht und holte aufgeregt das grüne Kleid aus der bauchigen Truhe hervor. Ja, heute war ein guter Anlass dieses Kleid zu tragen. Oh, wie herrlich sich der Stoff anfühlte! Komisch, das Kleid passte ihr wie angegossen. Der Stoff schmiegte sich weich und eng an ihren Körper. Das war schon etwas Anderes als ihre weiten grobgewirkten Röcke und Blusen, die sie gewöhnlich trug.
… Mehrmals drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her. So hatte sie sich noch nie gesehen und gefühlt. Ein wenig verschämt, schaute sie auf ihre Brüste, von denen dank des großen Ausschnittes ziemlich viel zu sehen war. Fast so, wie bei den vornehmen Damen vom Hofe. Sie überlegte, ob sie ein Tuch darüber legen sollte. Den Blick nicht von ihrem Spiegelbild abwendend, trippelte sie ein paar Schritte durch den winzigen Raum und verwarf diese Idee.
Von sich selbst angetan, kämmte sie ihr langes Haar. Keine leichte Arbeit. Es kam ihr vor, als wenn sich diesmal besonders viele Spinnweben in den Haaren verfangen hätten. Ach, wie sie die Spinnen hasste! Fast neigte sie dazu, ihre Haare offen zu lassen, entschied sich aber für einen Zopf, weil es mit der Kiepe auf dem Rücken einfach praktischer war.
Der Blick nach dem Stand der Sonne verriet ihr, dass sie fertig werden musste. Noch einmal überprüfte sie sich im Spiegel und war höchstzufrieden. Die Blütenblätter hatten ihre Wirkung getan. Ihr Aussehen glich einer Siebzehnjährigen! Und der Madonna ähnelte sie ebenfalls, denn ihre Sommersprossen waren vornehm verblasst.