Читать книгу Der zum Golde verdammte König - Katja Bär - Страница 6
Die Bogenübergabe
ОглавлениеUmschlungen von ihren langen kupferroten Haaren tanzte Olaf mit Marie leichtfüßig über den Boden des Ballsaales. Sie drehten sich schneller und schneller. Glücklich hielt er sie in den Armen. Marie fühlte sich leicht an und sie strahlte, als hätte er ein goldenes Wesen in den Händen.
Aber mit einem Mal wurde sie schwer und dunkel. Jetzt umgab beide schwarzes lila glänzendes Haar. Bei der nächsten Drehung wurde es wieder golden und leicht. In dem Wechsel zwischen golden und leicht, dunkel und schwer, führte er sie auf die Terrasse hinaus, die im Glitzerlicht des Mondes lag. Er hörte auf, sie zu drehen. Dicht standen sie beieinander, er und sein goldenes Mädchen. Zögerlich legte Olaf seine Hand in ihren Nacken. Sie ließ es geschehen und schaute mit leicht geöffnetem Mund zu ihm hoch. Er sah ihre Lippen auf sich zukommen. Zart konnte er diese schon spüren, doch plötzlich wurde Marie schwer, so schwer, dass er sie nicht mehr halten konnte. Eine unsichtbare Kraft zog an ihr, zerrte sie aus seinen Armen und nahm sie mit in Richtung Wald. Er lief ihr hinterher, stolperte, verlor dabei seine Krone, rappelte sich hoch, rannte weiter, während sie tiefer in den Wald hineinflog. Immer, wenn sie zum Greifen nah war, entzog sie sich ihm, indem sie sich einfach auflöste. Dabei lachte sie und rief gleichzeitig seinen Namen.
Er stöhnte, hörte unaufhörlich den Ruf seines Namens: „Olaf ...Olaf ...“. Nun klang es nach einer Männerstimme direkt über ihm. Langsam dämmerte es Olaf, er hatte geträumt. Sein Kopf schmerzte, alles drehte sich noch immer. Er versuchte die Augen zu öffnen. Vergeblich, sie klebten fest zusammen. Dann fühlte er etwas Kaltes im Gesicht und an der Schulter. Jemand rüttelte ihn heftig. Endlich gelang es ihm, die Augen ein wenig zu öffnen und über sich sah er das angespannte Gesicht von Klaus.
Diesen Mann kannte er erst seit zwei Tagen, aber er war ihm bereits vertrauter, als all die anderen Menschen, die ihn bisher begleitet hatten. Mit ihm konnte er über das sprechen, was ihn bewegte, über die Jagd, über seine Angst, im Königsamt zu versagen und sogar über Frauen. Es hatte ihm gut getan, dass Klaus gestern beim Ball an seiner Seite war. Sein neuer Begleiter heiterte ihn unermüdlich auf, so dass Marie langsam in den Hintergrund rückte. Klaus zeigte ihm außerdem die schönsten Frauen, die anwesend waren und als er merkte, dass Olaf an einem blonden langhaarigen Mädchen Gefallen fand, war er es, der ihm Mut machte, diese zum Tanz aufzufordern.
„Guten Morgen, Herr König! Wünsche wohl geruht zu haben?“ sagte Klaus jetzt lächelnd.
„Von wegen, wohl geruht“, antwortete Olaf noch ganz benommen, „ich habe Schreckliches geträumt, von ihr.“
Klaus ahnte, von wem der frisch gekrönte König geträumt hatte und es ärgerte ihn. Trotzdem fragte er galant höflich:
„Von welcher der Damen habt Ihr geträumt?“
„Von Marie“, sprach Olaf leise und verschämt.
„Hört, hört! Der König träumt von einer Magd und das, obwohl ihm gestern die schönsten Frauen aus allen Königshäusern der Welt zu Füßen lagen. Gut, wie auch immer. Ihr solltet aufstehen! Oder habt Ihr vergessen? Heute bekommt Ihr den Bogen Eures Vaters überreicht. Man wartet bereits sehnsüchtig auf König Olaf den Achten!“
Olaf richtete sich auf, jedoch wurde ihm sofort schwindlig und er ließ sich wieder in sein Bett zurückfallen.
„Ich kann nicht!“
Er erinnerte sich, dass er am Abend jede Menge Wein getrunken hatte, was sonst nicht seiner Art entsprach. Aber mit Klaus war es eben irgendwie anders. Mit ihm konnte man richtig Spaß haben. Und außerdem, immerhin wurde er gestern zum König gekrönt, da war es ja wohl sein gutes Recht, einmal so richtig feiern zu dürfen. Die tadelnden Blicke des Alten, der nun endlich nicht mehr sein Vormund war, entgingen ihm nicht. Doch sie prallten einfach an ihm ab.
„Wartet, ich hole Euch ein Mittelchen“, sagte sein neuer Freund, verließ das Zimmer, um wenig später mit einem weißen Pulver zurückzukehren. Er löste das Pulver im Wasser auf und reichte Olaf das Glas.
„Gleich wird es Euch besser gehen.“
Der leidende König unterdrückte die Frage, was das für ein Mittel sei, dachte nur, hoffentlich hilft es. Schließlich konnte er sich heute keine Blöße geben und Gefahr laufen, die für ihn bestimmte Zeremonie zu verpassen. Zum Glück half das Pulver. In Sekundenschnelle ging es ihm besser.
Die Diener kleideten ihren neuen König an. Besonders genoss Olaf den Moment, in welchem ihm die Krone aufgesetzt wurde. Herrlich, wie sie funkelte und ihm eine große Würde verlieh. Ja, er war der Herrscher des Landes! Er empfand sich als stark und mächtig. So, als könnte er die weite Welt umarmen und sie sogar beherrschen. Mit diesem Gefühl stieg er auf sein Pferd und vergessen war der Traum mit den ewig wechselnden Haarfarben.
In der sengenden Glut der Mittagshitze warteten der gesamte Hofstaat und die geladenen Gäste auf den frisch gekrönten König. Ein leichter Wind wehte vom Meer herüber, brachte die aufgestellten Fahnen zum Flattern und die Kleider der Damen rauschten vor sich hin. Der Bogen lag in der Mitte des Festplatzes auf einem mit dem Königswappen bestickten Samtkissen bereit.
Marie stand, geschützt von der Sonne, und, was noch viel wichtiger war, geschützt vor den Blicken der Hofgesellschaft in einem Vorsprung des Felsens. Die Feuchtigkeit des Steins brachte ihr eine angenehme Kühlung. Aber wie gern hätte sie es auf sich genommen, in der prallen Sonne dort unten zu stehen, wäre sie nur in seiner Nähe! Wenigstens konnte sie von diesem Platz aus, das Geschehen unter ihr gut beobachten.
Gesprächsfetzen der königlichen Damen und Herren schwirrten zu ihr empor. Bei dem Anblick der jungen Prinzessinnen, eine schöner und vornehmer als die Andere, wurde Maries Herz noch schwerer. Welche von ihnen mochte gestern beim Ball das Glück gehabt haben, mit dem König zu tanzen?
Zu ihr hinauf drang ein helles fröhliches Lachen, welches einen heftigen Schmerz in ihrer Brust auslöste. Das Lachen gehörte einem Mädchen mit langen blonden Haaren, die recht glücklich aussah. Marie schien es, die anderen Damen würden dieses Mädchen neidvoll betrachteten. Sie also könnte die Favoritin des Königs gewesen sein. Wie weit mag er gegangen sein? Würde sie gar die neue Königin werden? Warum lief der Alte nervös hin und her? War etwas Unheilvolles geschehen? Tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf. Wenn der König doch bald käme, damit sie irgendetwas herausbekommen könnte! Schon merkwürdig, dass er sich an solch einem bedeutsamen Tag verspätete. Es wird ihm hoffentlich nichts passiert sein?
Endlich ertönte das erlösende Signal der Fanfaren, die den König zeremoniell ankündigten. Trotz ihrer Neugier übte sich Marie in Geduld. Aus Angst entdeckt zu werden, widerstand sie der Versuchung, sich hinauszulehnen. Als der König dann in ihr Blickfeld hineinritt, erschrak sie. Nein, das war nicht mehr der zarte Jüngling, in den sie sich verliebt hatte! Erst recht nicht der, dem der Mut fehlte, wenigstens ein einziges Wort an sie zu richten, als sie ihm den Brief reichte. Hier und heute erschien ein Herrscher auf den Platz! Ein Herrscher, der darauf brannte, sich auszuprobieren und sein Können unter Beweis zu stellen. Stolz hörte sie ihn sagen:
„Ich, König Olaf der Achte, grüße Euch und freue mich, dass wir diesen herrlichen Tag gemeinsam verbringen werden!“
Selbst in seiner Stimme war ein Klang von Sehnsucht nach machtbesessener Selbstverwirklichung. Weitaus mehr beschäftigte Marie das Zwinkern des Königs. Sie konnte nicht ausmachen, ob es an der Sonne lag, die ihn blendete oder ob er möglicherweise einen geheimen Gruß an die blonde Prinzessin senden wollte.
Die neue Macht stieg vom Pferd. All die Anwesenden verneigten sich vor dem jungen König, der die Huldigung unübersehbar mit jedem Atemzug genoss. Erhobenes Hauptes schritt er auf seinen Platz zu, ohne den Alten, seinen ehemaligen Vormund und Erzieher auch nur eines Blickes zu würdigen.
Die majestätische Zeremonie begann. Der Alte hielt eine Rede, leider mit solch einer schwachen Stimme, dass Marie ihn nicht verstehen konnte. Doch am Gesicht des Königs konnte sie erkennen, dass ihm die Worte nicht sonderlich gefielen. Dessen Gesicht hellte sich erst auf, als ihm der Alte, unter den feierlichen Klängen der Fanfaren, den Bogen überreichte.
Überglücklich hielt der junge König das lang ersehnte Prachtstück über seinen Krone geschmückten Kopf. In diesem Moment kam, völlig aus dem Nichts heraus, eine starke Windböe auf, die ihm den Bogen beinah aus den Händen gerissen hätte. Mit ganzer Kraft musste er sich gegen den Wind stemmen und führte den Bogen wieder nach unten.
Der Wind schwächte sich ab und verschwand vollends. Es wurde unheimlich still. Selbst das Meer hörte auf, zu rauschen. Stille, absolute Stille! Das Licht begann mit anderen Farben zu spielen, denn trotz der Mittagsstunde verfärbte sich der Himmel in die Farben eines Sonnenunterganges.
Ein goldenes Flimmern erhellte den Horizont. Es bewegte sich. Leises Schlagen von Flügeln wurde hörbar. Ein Schwarm goldener Vögel erschien über dem Meer. Langsam schwebten sie am Horizont dahin. Ihre Körper bewegten sich fast nicht. Lediglich mit den Flügeln holten die Vögel weit aus. Keines der Tiere gab einen Laut von sich. Ihr Aussehen ähnelte einer Mischung aus Schwan und Pfau.
Alle sahen gebannt auf die Vögel. Obwohl sie in großer Entfernung flogen, erahnte ein jeder ihre Schönheit. Eine Faszination ging von ihnen aus, der sich niemand entziehen konnte, erst recht nicht der König. Solche prachtvollen Tiere hatte er noch nie gesehen. Sein Jagdinstinkt flammte umgehend in ihm auf. Er hob den väterlichen Bogen an und spürte bereits die enorme Kraft, die von diesem ausging.
In diesem Augenblick rief der Alte in die Stille hinein:
„Mein König! Ihr wollt doch nicht auf diese Vögel schießen?“
„Ja, warum nicht? Mit deren goldenen Federn werde ich mich schmücken“, antwortete dieser den Bogen spannend. Der Alte stellte sich direkt vor den König und bat eindringlich:
„Haltet ein! Mein König, ich bitte Euch! Das sind Feuervögel! Wenn Ihr auch nur einen von denen trefft, bringt Ihr unermessliches Leid über unser Land!“
„Wie kann von solch prächtigen Vögeln Unheil ausgehen? Macht Euch nicht lächerlich“, reagierte der König verärgert.
Der Alte, der das Unheil unbedingt verhindern wollte, warf sich vor seinem König auf die Knie und wiederholte inständig seine Bitte, es nicht zu tun.
König Klaus trat näher an die beiden heran und warf nebenbei dem Alten einen verächtlichen Blick zu.
„König Olaf“, mischte er sich ein, „handelt, wonach es Euch beliebt. Obwohl, mit Verlaub, aus dieser Entfernung einen Vogel zu treffen, das ist wahrlich schwer. Bedenkt, der gesamte Hofstaat und die Gäste aus aller Welt schauen Euch zu!“
„Eben, die da und Ihr werdet mich für diesen Schuss bewundern“, antwortete Olaf wütend. Und an den Alten gewandt, sprach er weiter:
„Ihr habt mir lange genug vorgeschrieben, was ich zu tun und zu lassen habe! Von Euch lasse ich mir nichts mehr sagen. Vergesst nicht, ich bin Euer König! Geht mir aus dem Weg!“
Resigniert gab der Alte gab, trat gehorsam hinter seinem König zurück und bemerkte ein zufriedenes Lächeln bei Klaus.
Plötzlich kehrte der Wind mit Macht zurück. Erneut fegte eine starke Windböe über den Platz. Der König brauchte seine gesamte Kraft, um den Bogen ruhig zu halten.
Marie blieb das Herz stehen. Sie sah diese Vögel ebenfalls zum ersten Mal und ihr war klar, dass es mit ihnen etwas Besonderes auf sich hatte. Sie bat mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darum, dass der König keinen dieser Vögel treffen möge. Aufs Äußerste angespannt, verfolgte sie den Flug des Pfeils. Bedauerlicherweise blieb ihr Flehen wohl ungehört.
Der Königspfeil traf den ersten der Vögel mitten in den Kopf. Doch, merkwürdig, der getroffene Vogel stürzte nicht ab, sondern flog direkt auf den Festplatz zu. Der Alte war zu tiefst bestürzt, während sein Zögling herum hüpfte und stolz rief:
„Ich habe getroffen! Ich habe getroffen!“
Es verwunderte den jungen König nicht im Geringsten, dass das goldene Tier trotz Pfeil im Kopf überhaupt noch fliegen konnte.
„Wahrlich, ein fantastischer Treffer“, beglückwünschte ihn Klaus.
Olaf lief dem heranfliegenden Vogel entgegen. Dem Alten war das nicht geheuer, deshalb folgte er ihm. Und dann geschah es! Der Vogel stoppte seinen Flug genau über dem König, löste sich auf und verwandelte sich in einen feinen Goldregen. Kleine Goldtropfen regneten auf den König zu. Die ersten legten sich bereits auf dessen Kopf nieder. Doch der, vollkommen verblendet von seinem Jagderfolg, bemerkte es nicht. Aber dem Alten mit seinem wachen Blick entging es keineswegs. Er handelte schnell und stieß seinen Herrscher zur Seite. Der Frischgekrönte stürzte zu Boden. Befangen in einer unendlichen Wut auf den Alten sprang der König erzürnt auf.
„Wie könnt Ihr es wagen, mich hinzustoßen?“ brüllte der Herrscher seinen Untergebenen an. „Das werdet Ihr bitterlich bereuen. Ihr seid als mein Berater entlassen! Verschwindet mir aus den Augen!“
Mehr und mehr erblasste der Alte und brachte kein Wort zu seiner Verteidigung heraus. Indes blickte sich der König suchend um. Jedoch, den Vogel konnte er nicht finden, nicht einmal eine einzige goldene Feder. Nur sein eigener Pfeil lag vor ihm auf dem Boden. Er nahm ihn auf und rannte schreiend auf die Hofgesellschaft zu:
„Verflucht! Hat jemand vielleicht die Güte, mir zu erklären, wo der Vogel hin ist?“
Niemand wagte eine Antwort. All die Anwesenden konnten das eben Geschehene nicht begreifen, starrten den mit Gold bedeckten Regenten verwundert und fassungslos an. Dieses Schweigen und Gaffen vor ihm kam dem König seltsam vor.
„Was ist los?“ fragte er. „Warum schaut ihr mich so an?“
Völlig gelassen trat König Klaus aus der Menge hervor.
„König Olaf, wenn ich Euch darauf hinweisen darf, der Vogel hat sich über Euch aufgelöst und in Goldstaub verwandelt. Ihr habt jetzt sein pures Gold auf den Haaren und im Gesicht!“
„Was soll das?“ stieß jener hervor. „Was erlaubt Ihr Euch, solche Späße mit mir zu treiben?“
Dennoch griff er sich ins Gesicht, denn er verspürte über den Augen ein unangenehmes Jucken. Eben wollte er noch etwas sagen, da traf ein Sonnenstrahl direkt auf seinen Kopf. Ein greller Blitz ging vom König aus, er sackte zusammen und lag bewusstlos am Boden.
Die Damen kreischten gemeinsam im Chor auf. Für den ersten Moment stand die Festgesellschaft hilflos um ihn herum. Dann entschloss man sich, den König auf sein Pferd zu legen und in das Schloss zu bringen.
Währenddessen zogen dunkle Wolken am Horizont auf. Der Wind nahm in einer Geschwindigkeit an Stärke zu, die erstaunlich war. Ein Gewitter begann zu toben. Die Hofgesellschaft samt ihrer Gäste beeilte sich, in das Schloss zurückzukommen.
Marie stieg zutiefst betrübt in den Felsen hinab. Sie grübelte darüber nach, wie sie ihrem König helfen könnte, und auch darüber, was wohl geschehen würde, wenn die Voraussage des Alten eintreten würde.