Читать книгу Seawalkers (3). Wilde Wellen - Katja Brandis - Страница 11

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Gefahr zieht herauf

Auf dem Fernsehmonitor drehte sich ein riesiger weißer Wirbel mit einer Art Loch in der Mitte, während ein Wetteransager mit ernstem Gesicht danebenstand und etwas erläuterte.

»Ach, du Scheiße«, rief ich.

»Du sagst es«, meinte Finny, die so wie ich als Mensch aufgewachsen war. Doch Shari und Blue, die noch vor Kurzem als Delfine gelebt hatten, blickten verständnislos auf den Fernseher. »Was soll das denn sein? Sieht irgendwie flockig aus.«

»Stimmt, aber nur von weit oben gesehen«, erklärte Noah. »Das ist ein Hurrikan. Ein extrem starker Sturm, der alles plattmacht, was in seinem Weg liegt.«

»Liegen wir denn hier in seinem Weg?«, fragte Shari und runzelte die Stirn. »Ich hab auf dem Highway Schilder gesehen mit dem gezeichneten Bild von so einem Hurrikan und einem Pfeil, der ja wohl ›hier entlang‹ heißt …«

Zu meiner Schande musste ich ebenso lachen wie Finny und Noah. »Das sind Schilder, die einem sagen, wohin man bei einem Hurrikan flüchten sollte«, erklärte ich. »Der Sturm wandert irgendwohin. Unzählige Wetterexperten beobachten das und versuchen vorherzusehen, was er als Nächstes macht.«

Aus dem Fernseher tönte es: »… könnte der Sturm, den die Metorologen Adelina getauft haben, schon in zwei Tagen im Süden Floridas auf Land stoßen, falls er nicht abdreht.«

Dieses wirbelnde, strudelnde weiße Monster, das aus dem Weltall so harmlos aussah, war einige Tausend Kilometer groß … und auf dem Weg zu uns.

»Was jetzt? Rette sich, wer kann?«, fragte Juna, sie war blass geworden.

»Ich schätze, das ist der Plan«, meinte ich. Ich hatte vor ein paar Jahren Hurrikan Irma miterlebt, der zum Glück Miami nur gestreift hatte. Wir hatten uns damals im Orange Blossom Motel verschanzt, das weit genug vom Meer weg gewesen war. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie ich fasziniert durchs Klofenster nach draußen gestarrt hatte, wo man vor lauter Regen keinen Meter weit sehen konnte und der Wind dicke Äste von den Bäumen riss. Damals waren sieben Millionen Menschen evakuiert worden und in den Fernsehberichten hatten die Florida Keys ausgesehen wie ein einziges Trümmerfeld.

Schon damals war mir klar gewesen, dass es nicht mein letzter Hurrikan gewesen war – Florida riskierte in jedem Sommer und Herbst, von einem getroffen zu werden. Kalifornien hatte seine Erdbeben, der Mittlere Westen seine Tornados und wir hier im tropischen Süden eben Hurrikans. Aber irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass es schon so bald wieder so weit sein würde. So wie man weiß, dass man irgendwann sterben muss, aber es nicht wirklich glauben kann.

Unsere Stunden im Fach Verhalten in besonderen Fällen fanden diesmal in der Eingangshalle statt, die auch als Aula dient – und jeder in der Schule war gekommen.

Auf dem Monitor war wieder das Satellitenbild zu sehen, das wir schon aus dem Fernsehen kannten. »Go home, Adelina!«, grölte einer der neuen Schüler, gerade in Menschengestalt, und einer der anderen Neuankömmlinge warf eine Getränkedose auf den Monitor. Zehn Millisekunden nachdem die Dose dagegengeknallt war, hatte sich Miss White den Übeltäter vorgeknöpft und es wurde wieder ruhig.

»Wir haben Glück, dass uns genügend Vorwarnzeit bleibt«, sagte Jack Clearwater, ohne den Zwischenruf zu beachten. »Solche Hurrikans können Windgeschwindigkeiten von dreihundertfünfzig Stundenkilometern erreichen. Noch wissen wir nicht, ob wir hier in Key Largo getroffen werden. Wenn Adelina nicht abdreht, müssen wir die Blue Reef Highschool evakuieren.«


»Digga! Warum können wir nicht hierbleiben? Ey, ist doch nur Wind«, meldete sich Ralph zu Wort.

»Erwähnte ich schon, dass es bei solchen Hurrikans auch zu einer Sturmflut kommt, also auch alles überschwemmt wird?«, fragte Jack Clearwater.

Chris, unser Seelöwen-Wandler, grinste. »Das ist ja wohl das geringste Problem. Schließlich sind wir Seawalker.«

Eigentlich hatte er recht, oder? Doch mir fiel auf, dass viele der Meerestier-Wandler dazu nichts sagten. Auch die sonst so fröhliche Shari wirkte sehr ernst.

»Für die Riff-Fische wie Juna, Linus oder Olivia wäre das sehr wohl ein Problem«, mischte sich Farryn García an. »Ehrlich gesagt, für die meisten von euch wäre es sicherer, Richtung Inland zu flüchten. Überschätzt eure Kraft nicht.«

Jasper schaute mich vorwurfsvoll von der Seite an.

»Was?«, zischte ich ihm zu.


»Du warst das. Du mit deinem blöden Witz über die Riesenwelle. Und jetzt kommt se wirklich.«

Ich verdrehte die Augen. »Wenn ich wirklich der Junge bin, der Riesenwellen rufen kann, werde ich berühmt«, flüsterte ich zurück. »Außerdem ist das, was auf uns zukommt, kein Tsunami, sondern ein Sturm, das ist was anderes.«

Jetzt ergriff unsere zierliche Klassensprecherin Juna, in zweiter Gestalt ein Falterfisch, das Wort. »Wenn der Hurrikan die Keys erwischt … was passiert dann mit der Schule?« Ihre Stimme zitterte ein wenig. »Kann es sein, dass sie zerstört wird?«


Tiefe Stille senkte sich über die Eingangshalle. Wir sahen alle, wie Jack Clearwater tief durchatmete. Jeder von uns wusste, dass diese Schule sein großer Traum war, dass er alles drangesetzt hatte, sie Wirklichkeit werden zu lassen, obwohl er streng genommen nicht mal ein Wassertier war. »Wir haben das Hauptgebäude so hurrikansicher gebaut, wie es mit unserem Budget ging. Die Wände sind nicht aus Holz, sondern aus Beton. Unsere Türen und Fenster sind alle aus dickem, bruchfestem Glas, sie haben einen Metallrahmen und sind solide verschraubt. Denn wenn ein Fenster zerschmettert wird, zum Beispiel durch ein herumfliegendes Trümmerteil, und der Wind ins Gebäude fahren kann, explodiert das Haus förmlich und der Winddruck fetzt das Dach weg.«

Unwillkürlich blickten wir alle nach oben. Nein, hierbleiben kam nicht infrage, das wurde uns allen in diesem Moment klar.

»Einen Tag lang warten wir noch, damit klar ist, ob der Sturm uns wirklich trifft … dann werden wir eure Eltern bitten, euch abzuholen«, fuhr unser junger Schulleiter fort.

»Sie sollten möglichst nicht bis zur letzten Sekunde warten«, fügte Miss White hinzu. »Wahrscheinlich sind jetzt schon alle Flüge ausgebucht, und bevor es ernst wird, sind auch die Straßen völlig verstopft, weil die meisten mit dem Auto zu fliehen versuchen.«

In das beklommene Schweigen hinein meldete sich Nox ein bisschen vorwurfsvoll zu Wort. Ja, und ich soll wohl wieder in die Zahnarztpraxis? Kein Problem. Steckt mich einfach in einen Eimer und liefert mich dort ab, Leute.

Für dich ist das vielleicht kein Problem, aber ICH bleibe hier, angewachsen ist angewachsen. Die Seeanemone Mrs Monk wedelte unglücklich mit ihren zahlreichen Tentakeln.

Neugierig näherte sich ihr eins der winzigen Seepferdchen, doch mit einem He, hiergeblieben, das sticht!, scheuchte Nox es zurück in Sicherheit. Zwei andere Miniseepferdchen hielten sich dabei kichernd an seiner Rückenflosse fest. Anscheinend waren nicht alle normale Tiere, sondern Linus hatte das eine oder andere Seawalker-Kind zur Welt gebracht!

»Wir finden für jeden eine Lösung«, versprach ihm Mr Clearwater. »Mit Bussen und den Schulautos können wir alle, die nicht abgeholt werden, ins Landesinnere bringen.«

»Ja, mit ganz viel Proviant!«, verkündete Kegor, der neue Schüler mit der struppigen dunklen Haarmähne, und die neuen Alligatoren und Pythos lachten und schrien ihre Zustimmung. »Wir kommen dann einfach später wieder, wenn ihr alles repariert habt! Schließlich gefällt’s uns hier.«


Ja, das hatten wir gemerkt. Viele Schüler und sämtliche Lehrer blickten säuerlich drein, aber niemand machte eine Bemerkung.

In der Stille, die folgte, trat Shari vor. »Ich werde nicht an Land sein, wenn dieser Sturm kommt«, sagte sie fest. »Wir schwimmen raus ins tiefe Wasser. Blue und ich und Noah.«

Ihre Freunde nickten. Chris sagte nüchtern: »Ich bin auch dabei.«

Shari wandte sich an mich, der Blick ihrer braunen Augen war eindringlich. »Tiago? Was ist mir dir?«

»Ich …«, begann ich und musste schlucken. Erst seit ein paar Wochen wusste ich, dass ich ein Tigerhai war, und jetzt sollte ich bei extremem Wetter raus aufs offene Meer? Doch Farryn García und die anderen Lehrer sagten diesem Delfinmädchen nicht, dass es verrückt sei, sie warteten auf meine Antwort.

»Komm schon, Alter«, rief Noah. »Wir lassen dich da draußen nicht im Stich. Als Hai musst du nicht mal zum Atmen hochkommen. Wahrscheinlich wirst du nachher sagen, das Ganze war eine coole Achterbahn.«

»Red ihm nichts ein«, befahl die sonst so ruhige Blue, plötzlich ärgerlich. »Ich hab als Delfin in der Karibik mal einen Sturm erlebt. Wirklich sicher ist man vor so was nur ganz weit weg.«

»Das stimmt und ich sage euch, ihr macht einen Fehler«, erklärte Miss White und wandte sich an meine beste Freundin. »Shari, du weißt noch nicht, wie mächtig die Natur ist. In einem großen Steingebäude kann man sich verkriechen, solange der Hurrikan dauert … aber im Meer seid ihr ihm ausgesetzt.«

Ich hätte ihr gleich sagen können, dass es keinen Sinn hatte. Wenn Shari sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann klebte das dadrin und war nicht mehr rauszukriegen.

Also wandte sich Miss White an unseren Schulleiter. »Jack, willst du ihr das wirklich erlauben?«

»Alisha … glaubst du wirklich, dass ich einen Delfin aus dem Wasser raushalten kann?«, fragte er zurück und Mr García ergänzte: »Mir wäre natürlich am liebsten, wir könnten ihre Eltern fragen, aber ich habe keine Ahnung, wo die gerade herumschwimmen. Nur Noahs Eltern habe ich erreicht, sie können nicht rechtzeitig hier sein, um ihn abzuholen, und sagen, wir sollen uns um ihn kümmern.«

Meine Lieblingslehrerin wirkte hin- und hergerissen. »Dann begleite ich die Gruppe, die den Sturm im Meer durchstehen will«, entschied sie schließlich und dankbar blickte ich sie an. Das war eine gute Idee von ihr und beruhigte mich sehr.

»Finny … was ist mit dir?« Plötzlich wollte ich wissen, was unsere Rochen-Wandlerin tun würde. »Land oder Meer?«

»Land, Mann!«, erwiderte Finny, legte mir die Hand auf den Arm und seufzte. »Mein Vater – der Cop, du erinnerst dich? – weiß nicht, was wir sind, meine Mutter und ich. Der wird uns in irgendeinen Bunker schleppen. Dad würde die Vollkrise bekommen, wenn er nicht weiß, dass wir in Sicherheit sind.«

Noch immer sah Shari mich unverwandt an, sie wartete auf meine Antwort. Und plötzlich wusste ich nicht mehr, wie ich jemals hatte darüber nachdenken können, an Land zu bleiben. Ich wollte bei ihr sein, immer und überall. Wie schön, dass es ihr anscheinend so wichtig war, dass ich an ihrer Seite war.

»Bin dabei«, sagte ich zu ihr und versuchte, ganz lässig zu klingen.

Seawalkers (3). Wilde Wellen

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