Читать книгу Seawalkers (3). Wilde Wellen - Katja Brandis - Страница 16

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Mit letzter Kraft

Die Rettungsaktion hatte Shari, Blue und Chris viel Kraft gekostet. Es fiel ihnen noch schwerer, den heftigen Seegang und das mühsame Atmen in der Gischt zu ertragen. Dass Noah vermisst wurde, schien ihnen den Durchhaltewillen zu rauben. Shari schaffte nur noch ganz kurze Tauchzeiten und auch Blue wirkte völlig erschöpft.

Wie geht’s euch?, fragte ich besorgt.

Gut, wieso?, erwiderte Shari, aber ich sah selbst, wie matt ihre Bewegungen waren.

Na ja, du schwimmst wie ein aufgetautes Fischstäbchen, meinte ich und das entlockte ihr immerhin ein Kichern.

Wir müssen sie beim Atemholen stützen, ob sie wollen oder nicht, flüsterte Miss White mir zu und ich schickte ihr wortlose Zustimmung. Beim nächsten Mal, als Shari zur Oberfläche hochtauchte, schwamm ich hinterher und setzte mich unter sie, sodass ich sie mit meinem breiten Kopf anheben konnte. Schließlich hatte ich mich in tieferen Wasserschichten ausruhen können, ich war der Fitteste von uns und hatte noch genügend Kraftreserven. Dass Shari die Hilfe dringend nötig hatte, merkte ich daran, dass sie nicht protestierte, sondern sich einfach von mir an der Oberfläche halten ließ. Neben mir machte Miss White mit Chris und Blue das Gleiche – auf einen Orca passten gleich zwei Delfine. Schlaff wie nasse Wäsche lagen sie auf dem vorderen Teil von Miss Whites Körper.

Es war längst Nacht geworden und wir wussten alle, dass es eine sehr lange, trostlose Nacht werden würde. Ich stellte mir vor, dass mein unbekannter Bruder ein Pottwal war, der uns zu Hilfe kommen würde und meine Freunde an der Oberfläche halten konnte wie eine dunkelgraue Insel. Doch wie hätte er uns in dieser tobenden Wasserhölle überhaupt finden sollen?

Shari … falls wir das hier nicht überstehen … möchte ich, dass du weißt …, begann Chris, er klang furchtbar erschöpft und begann, immer weiter abzusinken.

Obwohl ich mich um ihn sorgte, schaffte ich egoistischer Mistkerl es irgendwie, entsetzt zu sein. Der hatte doch nicht etwa vor, ihr jetzt eine Liebeserklärung zu machen?

wie viel du mir bedeutest, fuhr Chris tatsächlich fort und sofort verkrampfte ich mich. Verdammt, das hatte ICH doch sagen wollen! Wie würde Shari reagieren?

Ganz einfach – sie reagierte gar nicht. Besorgt näherte ich mich ihr und Blue, die gerade wieder selbst schwammen, und stellte fest, dass sie ein Auge offen hatten und eins geschlossen hielten. Die beiden schliefen gerade auf Delfinart … und schwammen so geschmeidig weiter, dass keiner von uns etwas davon gemerkt hatte.

Chris’ Bewegungen wurden immer matter. Ich knuffte ihn in die Seite und nahm ihn dann auf die Schnauze, um ihn hochzutragen an die Oberfläche. Tja, das war nichts, Alter. Sie pennt.

Das freut dich, was?, murmelte Chris.

Mir ist es gerade scheißegal, du Depp! Sag’s ihr meinetwegen noch mal, wenn wir wieder an Land sind – bis dahin wirst du gefälligst durchhalten, verstanden?

Tigerhaie sind echt anstrengend, beschwerte sich Chris. Doch er riss sich tatsächlich zusammen, schwamm wieder etwas kräftiger und schnappte sich sogar ein vorbeitaumelndes Fischchen als Snack.

Irgendwie überstanden wir die Nacht in der tobenden See. Als die Sonne über den Horizont stieg, war der Hurrikan weitergezogen. Es hatte aufgehört zu regnen und der Wind pfiff nur noch, er kreischte nicht mehr. Die Wellen waren etwas kleiner geworden, obwohl sie noch immer über jede Palme hätten hinwegschwappen können. Wir waren alle sehr, sehr erleichtert.

Machen wir uns auf den Rückweg, sagte Miss White. Ich hatte keine Ahnung, wo die Küste war, doch zum Glück kannte sie sich hier aus und wandte sich in eine bestimmte Richtung. Sehr langsam schwammen wir zu den Florida Keys zurück, völlig niedergeschmettert, weil wir Noah verloren hatten, und voller Angst vor dem, was wir an Land vorfinden würden.

Die Küste sah übel aus. Vorsichtig näherten wir uns durch das trübe Meerwasser, in dem Palmwedel, Holzlatten, ein Badeschuh und jede Menge andere Wrackteile herumschwappten. Schwimmt langsam und passt auf, dass ihr euch nicht verletzt, mahnte unsere Lehrerin, die in den letzten Stunden sehr schweigsam gewesen war.

Wo sind wir hier?, fragte ich Miss White.

Key Largo, etwas westlich der Schule, erwiderte sie.

Oh, entfuhr es mir. Ich wohnte nun schon seit mehreren Wochen hier und trotzdem hatte ich die Gegend nicht erkannt, weil sie so verändert aussah. Ein Hotelschild lag umgedreht auf dem Boden, die ehemalige Leuchtreklame bestand nur noch aus einzelnen Drähten. Einem Tauchshop fehlte das Dach und vom Obstmarkt daneben war überhaupt nichts mehr zu sehen außer zwei oder drei durcheinanderliegenden Brettern und Bananen. Viele Palmen waren umgekippt oder abgeknickt. Im zerrupft wirkenden Küstenwäldchen lag eine Motorjacht auf der Seite, als hätte sie sich den Ort für ein Nickerchen ausgesucht. Ein anderes Boot schwamm mit dem Kiel nach oben neben einem fast komplett zertrümmerten Anlegesteg. Auf das halb eingestürzte Dach des Supermarkts hatte sich ein Fahrrad verirrt. Manche Leute hatten ihr Auto auf dem Parkplatz eines Restaurants stehen lassen – keine gute Idee, vom Baum darüber war ein dicker Ast abgebrochen und hatte ihre Dächer eingedrückt. Überall lagen Wrackteile, auf der Straße, an den kleinen Stränden.

Alles ziemlich schlammig, wahrscheinlich ist die Sturmflut erst vor Kurzem abgeflossen, meinte Chris beeindruckt. Wetten, hier stand meterhoch das Wasser?

Es sieht alles scheußlich aus, sagte Shari, aber sie klang apathisch, wahrscheinlich konnte sie nur an unseren verschollenen Freund denken.


Je näher wir der Schule kamen, desto nervöser wurde ich. Aber als das Gebäude der Blue Reef Highschool in Sicht kam, war ich erleichtert.

Steht noch, stellte Chris fest. Nur die beiden Bootsstege hat’s übel erwischt.

Als wir in die Lagune schwammen, sahen wir, dass die Mangroven aussahen wie von einem Riesen gerupft. Einige Palmen hatten auch daran glauben müssen, und Moment mal, wo war das Dach meiner Hütte?! Im demolierten Bootshaus war das schuleigene Schnellboot abgesoffen, es ragte nur noch der Bug aus dem Wasser.

Das Hauptgebäude sah besser aus – die Bretter, die wir vor die Fenster genagelt hatten, hatten gehalten! Doch auf den zweiten Blick merkte ich, dass das Geländer der Cafeteria-Terrasse verbogen war, die Befestigungen der Solaranlage vom Dach abgerissen waren und herumfliegende Trümmerteile Dellen in die Fassade geschlagen hatten.

Oh nein, seht ihr das, der Glastunnel zu den Verwandlungsarenen ist eingestürzt, rief Blue. Meint ihr, das kann man reparieren?

Bestimmt, sagte unsere Kampflehrerin. Aber das wird teuer, fürchte ich … und das mit der Solaranlage vermutlich auch.

Im Flachwasser der Lagune streckten wir die Köpfe aus dem Wasser. Eine gespenstische Stille lag über dem ganzen Schulgelände. Niemand da außer uns, nur wir waren noch übrig nach dem Weltuntergang. Kein einziger Vogel piepte und kein Leguan raschelte in dem, was vom Gebüsch noch übrig war.

Eine halbe Stunde später trafen zwei Mitglieder der Flugstaffel ein – Shelby und der schüchterne Albatros Maris. Oh hey, ihr seid ja schon zurück, meinten sie freudig. War ganz schön heftig, oder? Gut, dass wir als Menschen in der Stadt waren. In unserer Vogelgestalt hätte uns Adelina aus dem Himmel gefegt und uns dabei sämtliche Federn weggefetzt!

Vor meinem inneren Auge sah ich zwei gerupfte Hühner.

Ja, war heftig, sagte Chris kurz. Keine gute Idee, das mit dem Meer.

Kurz darauf hörten wir ein Auto auf den Parkplatz fahren. Jemand da?, erklang der starke, klare Fernruf von Jack Clearwater.

Wir antworteten wild durcheinander, wahrscheinlich verstand unser junger Schulleiter fast nichts von diesem Gedankenstimmenchaos. »Gott sei Dank, ihr seid zurück – alles klargegangen?« Mr Clearwater stapfte zum Strand herüber, die Arme mit Kleidung für uns beladen. Ungeduldig schob er mit dem Fuß einen umgekippten, kaputten Gartenstuhl und ein Stück Dachpappe beiseite. »Geht’s euch gut?«

Noah fehlt – er ist vermisst, rief Shari. Fahrig verwandelten wir uns, zwängten uns in irgendwelche Klamotten und versuchten alle gleichzeitig zu berichten, was passiert war.

Kaum hatten die beiden Mädchen ihre Menschengestalt angenommen, brachen sie in Tränen aus. Ich konnte nicht anders, ich nahm Shari in den Arm, versuchte wortlos, sie zu trösten. Sie klammerte sich an mich und schluchzte in das kitschige Hawaiihemd mit dem Sonnenuntergang und den schwarzen Palmensilhouetten, das ich beim Klamottenverteilen erwischt hatte.

»Noah vermisst? Oh Gott, nein.« Der Schock stand unserem jungen Schulleiter ins Gesicht geschrieben.

»Wir hätten nie erlauben dürfen, dass sie während des Hurrikans im Meer bleiben, Jack.« Miss Whites Gesicht war sehr blass und ihre Augen schimmerten feucht. Ohne zu fragen, wickelte Jack Clearwater sie in ein dickes Handtuch und umarmte sie. »Du hast getan, was du konntest. Wart nur ab, wir finden ihn.« Er blickte hoch zu den beiden Vogel-Wandlern auf dem Dach. »Shelby, Maris, wir fliegen sofort los! Alisha, du sorgst hier bitte für Ordnung. Sobald ein paar mehr Leute zurück sind, stellen wir einen richtigen Suchtrupp zusammen.«

Erleichtert sah ich, wie die Verlorenheit aus Miss Whites Gesicht verschwand, schon wirkte sie wieder entschlossen. »Gut«, sagte sie, während neben ihr schon ein Weißkopf-Seeadler die Schwingen streckte. »Viel Glück, Jack, und bis später.«

Seawalkers (3). Wilde Wellen

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