Читать книгу Seawalkers (3). Wilde Wellen - Katja Brandis - Страница 12

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Die pure Ablenkung

Beim Frühstück am nächsten Morgen diskutierten wir natürlich wie wild darüber, was wahrscheinlich auf uns zukam. »Wahrscheinlich werden die Wellen riesig sein … hoffentlich fegen die nich’ die ganze Schule weg«, meinte Jasper und gruselte sich genüsslich.

Finny klopfte gegen eine Wand. »Ach Quatsch. Ist das hier Beton oder nicht?«

»Gute Menschenqualität! Sagt man doch so, oder?« Shari klopfte ebenfalls gegen den Beton, dann beäugte sie die großen Glasscheiben, aus denen man von der Cafeteria aus übers Meer hinausblicken konnte. »Aber dieses ganze Glas, ich weiß ja nicht … ich hab an meinem ersten Tag an Land ein Glas fallen lassen und das hat sich in jede Menge Stücke aufgelöst, weil es sich mit dem Boden nicht verstanden hat.«

»Frechheit«, meinte ich. »Aber keine Sorge, das hier ist viel …«

Wir zuckten alle zusammen, als etwas von außen gegen die Glasscheiben klatschte. Irgendetwas Silbernes.

Aua! Mist! Hey, ihr da, bin ich zu spät? Hoffentlich bin ich nicht zu spät!, gab es von sich. Hat der Unterricht schon angefangen? Ich hab mich extra beeilt!

Sprachlos vor Verblüffung, glotzten wir auf den etwa heringgroßen silbernen Fisch, der gerade langsam an der Scheibe herunterglitschte und anscheinend ein Seawalker war.

»Hi«, sagte ich und spähte besorgt nach draußen. »Alles okay mit dir? Bist du verletzt?«


Jasper fragte gar nicht erst. Er und Shari rannten nach draußen und holten die Seawalkerin nach drinnen. Sie hatte große silbrige Brustflossen, die sie wie Flügel spreizen konnte und die gerade etwas zerknittert aussahen. Ah, so ein Tier hatte ich schon mal gesehen. Allerdings nur im Fernsehen.

Alles prima, Leute! Mir ist nur ein bisschen schwindelig, versicherte uns der Fliegende Fisch und begann, im knietiefen Wasser der Cafeteria herumzuschwimmen. Diese Glasfenster hab ich echt nicht gesehen, ihr solltet die seltener putzen.

Olivia kam mit einem Verbandskasten herbeigeeilt, Finny mit einem Arm voller Klamotten aus der schuleigenen Reservekiste. Höflich schauten wir weg, während sich die fremde Seawalkerin verwandelte, in den Klamotten wühlte und sich anzog. Shari stützte das fremde Mädchen, das noch ein bisschen schwankte, aber uns trotzdem anlächelte. Es hatte grüne Augen, mittellanges braunes Haar, das noch nass war von der Verwandlung, und bewegte sich, als würde sie jeden zweiten Tag zum Ballett gehen.

»Ich bin übrigens Izzy aus Kalifornien«, sagte sie ein bisschen verlegen und strich über das weite, gelb-grün gemusterte Kleid, das sie sich ausgesucht hatte. »Eigentlich Isabel, aber so nennt mich nur mein Dad. Also, was ist jetzt mit dem Unterricht?«

»Fängt erst später an – du hast noch nichts verpasst«, beruhigte sie Shari.

»Und fällt vielleicht sowieso aus, weil es gerade eine Hurrikanwarnung gibt«, meinte ich.

»Was?« Izzy starrte uns an. »Hab ich nicht mitbekommen. War aber auch alles ein bisschen chaotisch. Ich bin nach Miami geflogen und von dort per Anhalter auf die Keys. Dort bin ich erst mal ziemlich herumgeirrt, weil ich den Zettel mit der Adresse der Schule verloren hatte. Mein Gepäck hab ich in einem Hotel gelassen, hm, ich hab vergessen, wie es heißt. Cool, dass ich euch endlich gefunden habe!«

Wir mussten grinsen.

»Ja, sehr cool«, sagte Finny und lächelte sie an. »Dein Gepäck finden wir schon noch. So, und jetzt setzen wir uns vor den Fernseher, Dizzy Izzy, und schauen, was dieser Hurrikan gerade so treibt, okay?«

»Okay«, meinte Izzy und klaute sich ein Stück Lachs von Sharis Teller. Ihr neuer Spitzname »Wirrkopf« schien sie nicht weiter zu stören.

»Besser, ich bringe sie erst mal zu Mr Clearwater, der will es immer gleich wissen, wenn ein neuer Schüler eintrifft«, sagte ich und brachte Izzy in den ersten Stock. Wie sich herausstellte, hatte sie sich schon von Kalifornien aus angemeldet und würde in Zukunft bei uns in der Erstjahresklasse sein.

An diesem Tag verbrachten wir jede freie Minute vor dem Fernseher und glotzten den Wirbel an, der sich auf dem Bildschirm im Zeitraffer drehte. Adelina schwenkte ein Stück nach Süden, das machte uns Hoffnung. Vielleicht würde sie uns doch verfehlen und übers Meer hinweg weiterziehen, wo sie sich damit begnügen musste, ein paar Schiffe zu versenken?

Tapfer versuchten Mr García und die anderen Lehrer, vorerst trotzdem wie gewohnt Unterricht zu halten (obwohl ich den Verdacht hatte, dass das in der neuen Klasse mit den Sumpfschülern hoffnungslos war). In den letzten Stunden hatten wir hauptsächlich durchgenommen, wie man andere Wood- und Seawalker über weite Strecken – bis zu einem Kilometer – in Gedanken erreichte, also richtig Fernrufe durchführte. Doch diesmal ging es wieder um unsere Gestalten.

»Zelda, du bist dran mit der Verwandlung unter Stress«, sagte er. »Daphne, stell dich bitte ihr gegenüber und greif sie an, am besten, du versuchst, sie an den Armen zu packen.«

Das kam nicht gut an, sofort setzte im Klassenzimmer Gemurmel ein. »Stress haben wir eh schon!« – »Kein Bock.« – »Wir müssen Nachrichten schauen!«

Und Daphne, in zweiter Gestalt eine Lachmöwe, verschränkte die Arme. »Mr García, aber wenn Zelda das schafft, habe ich ein ekliges Geglibber in den Händen, oder? No way!« Sie war ziemlich geschwätzig, aber meistens ganz okay, obwohl sie mit Ella befreundet war. Doch unsere Nerven waren zurzeit nicht in bestem Zustand, da fiel Nettsein nicht leicht.

Zelda sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. »Ich weiß, dass ich eine Qualle bin, meinst du, ich kann was dafür, du bescheuertes Federvieh?«

Unser Lehrer bedachte beide mit einem Laser-Blick und sie murmelten eine Entschuldigung, ohne sich anzusehen.

»Ich mach’s«, sagte Mara, unsere gutmütige Seekuh-Wandlerin, und unser Lehrer nickte ihr zu. Doch Mara brauchte für alles, was sie tat, unglaublich lange – wenn wir Tests schrieben, war sie immer diejenige, die um eine Zeitverlängerung bettelte (und sie wegen ihrer zweiten Gestalt auch bekam). Während sie ihre Schreibsachen stapelte, ihren runden Körper umständlich hinter ihrem Pult hervorhievte und nach vorne watschelte, hätten Daphne und Zelda die Übung wahrscheinlich dreimal ausführen können.

Dann war es so weit. In Zeitlupe stürzte sich Mara auf Zelda. Die wartete nicht, bis unser Seekuhmädchen bei ihr angekommen war, sondern verwandelte sich in aller Ruhe schon mal. Das hatte zur Folge, dass es doch noch gefährlich wurde, weil Mara beinahe mit dem ganzen Gewicht auf Zelda draufgetreten wäre.

Mr García, um ganz ehrlich zu sein … ich war bei der Verwandlung nicht gestresst, kam es von der Qualle auf dem Fußboden.

»Kann ich verstehen«, sagte Mr García. Seufzend teilte unser Lehrer für den Rest der Klasse Übungspartner ein – ich bekam Lucy – und ließ uns machen. Meine Lieblingskrake ließ sich auch nicht besonders von mir stressen. Stattdessen beobachtete sie ziemlich oft Finny – gerade in menschlicher Gestalt.

»Was ist?«, fragte ich sie schließlich. »Hast du mit Finny noch eine Rechnung offen oder was?«

Ihr Geisternetz-Armband, das du ihr geschenkt hast, ist so hübsch, seufzte Lucy und klang dabei ein bisschen neidisch. Meinst du, ich kann irgendwann auch so eins haben?

Oder gleich acht, als Deko für jeden Arm?, witzelte ich. Leider musste ich sie enttäuschen. Was von dem lebensgefährlichen, kaputten Fischernetz übrig geblieben war, war längst mit dem restlichen Müll abgeholt worden.

Unser neue Schülerin Izzy hatte noch sehr wenig Übung in Verwandlung, aber sie versuchte, mit ihrer Partnerin Blue tapfer mitzumachen. Anscheinend konnte sie sich aber nicht richtig konzentrieren, sie schaute so wie Lucy ziemlich oft in eine andere Richtung. Ich folgte ihrem Blick. Sie beobachtete Chris und Nestor. Waren die ihr gutes Vorbild oder gefiel ihr etwa einer von denen?

Konzentrier dich endlich, sonst fress ich dich versehentlich, rüffelte Blue ihre Übungspartnerin. Izzy schaffte es beinahe, verlegen dreinzuschauen, obwohl sie gerade ein Fliegender Fisch war.

In der Verwandlungsarena 2 nebenan war währenddessen einiges los gewesen, das hatte man am Lärm gehört. Als Jasper und ich nach der Stunde gingen, sahen wir Mr Clearwater erschöpft aus dem anderen Raum wanken, in dem die Reptilienklasse unterrichtet wurde. Stifte, Teile von Stühlen und Getränkedosen flogen ihm hinterher. Ein Papierflieger traf ihn von hinten am Kopf, doch er reagierte nicht darauf. Jasper und ich wechselten einen Blick. Diese Neuen kosteten viel Kraft, die unsere Lehrer im Moment eigentlich für andere Dinge brauchten!

In der Mittagspause – die diesmal unter den wachsamen Augen der Lehrer etwas ruhiger ablief – war der auf den Wetterkanal eingestellte Fernseher wieder umlagert. An der Grabesstimmung, die unter den Leuten dort herrschte, ahnte ich, dass es schlechte Neuigkeiten gab.

»Der Hurrikan bewegt sich wieder auf die Keys zu«, informierte mich Shari, kaum dass Jasper und ich uns zu ihr und den anderen gesellt hatten. »Jetzt steht es fest, Adelina kommt bei uns vorbei!«

»Wann? Wie viel Zeit haben wir?«, fragte ich beklommen.


»Zehn Stunden, vielleicht zwölf, haben sie gesagt«, berichtete Chris und zupfte nervös an seinem schwarzen T-Shirt herum, auf dem ein Sensenmann abgebildet war, mit dem Spruch Beruflich wollte ich immer was mit Menschen machen.

Nur noch zehn Stunden, dann würde der Sturm hier alles aufmischen! Ich merkte, wie ich ernsthaft nervös wurde.

»Immerhin ist es nur ein Hurrikan der Kategorie drei«, sagte Nestor, unser Klassenstreber. »Kategorie fünf wäre schlimmer gewesen.«

Juna tippte sich an die Stirn. »NUR Kategorie drei? Auch die haben Windgeschwindigkeiten von hundertfünfundachtzig Stundenkilometern!«

Der Lautsprecher knackte. »Der Unterricht ist ab sofort gestrichen, geht bitte packen und sagt euren Eltern Bescheid.«

Während die meisten Leute loshasteten, blieb Shari stehen und sah mich mit ihren warmen braunen Augen an. »Meine Sachen lasse ich hier, ich hab eh nicht viel Zeug. Aber deiner Zeichnung von mir darf nichts passieren. Finny, kannst du mein Bild und auch die anderen von Tiago verwahren? Sie sind zu gut, um nass zu werden.«

»Ich werde auf sie aufpassen – und auf deine anderen Sachen, wenn du willst, Tiago«, sagte Finny und berührte mich kurz am Arm.

Schweigend nickte ich, ich brachte kein Wort heraus in diesem Moment. Wie war ich jemals ohne diese wunderbaren Leute ausgekommen?

Kurz darauf wimmelte es in der Eingangshalle und auf dem Parkplatz von Schülern, die hektisch telefonierten, einander zuriefen oder Koffer durch die Gegend zerrten. Juna liefen die Tränen herunter und Mara versuchte, sie zu trösten, bis einer der Alligator-Wandler sie auf dem Weg zum Ausgang grob aus dem Weg knuffte. Um Mr Clearwater drängten sich Schüler mit dringenden Fragen. »Meine Eltern sagen, der letzte Flug geht heute um fünfzehn Uhr – können Sie mir helfen, noch einen Platz zu bekommen?«, hörte ich Tan Li drängen, einen Schüler aus dem zweiten Jahr, in zweiter Gestalt eine Wasserschildkröte.

»Der Wind wird schon stärker … ich flieg los, bevor es richtig schlimm wird«, sagte währenddessen die zierliche Shelby, verwandelte sich vor der Eingangstür und schwang sich als weiße Seeschwalbe in die Lüfte. Ich folgte ihr mit den Augen, bis sie in Richtung Norden verschwunden war. Noch war der Himmel blau … aber das würde er nicht mehr lange bleiben.

Als ich den Blick senkte, zuckte ich zusammen. Das war der brandneue weiße SUV von Lydia Lennox, der die Auffahrt heraufkam … und ich erspähte auf dem Fahrer- und Beifahrersitz ihre Bodyguards, die Tigerinnen. Oh nein! Sie redeten kurz mit unserem Schulleiter – zum Glück, ohne mich zu bemerken –, dann marschierten alle vier direkt in Mr Clearwaters Büro.

In meinem Magen rumorte es. War Mrs Lennox da, um noch einmal zu fordern, dass ich von der Schule flog? Ja, ich hätte vorsichtiger sein müssen, aber eigentlich war der Zwischenfall nicht meine Schuld gewesen!

Das Ganze ließ mir keine Ruhe. Also schlich ich der Gruppe mit gehörigem Abstand hinterher, nahm mir ein Beispiel an Finny und lauschte an der Tür. Klappte ganz gut, ich verstand das meiste … und war verblüfft.

»Haben Sie inzwischen eingesehen, dass es in Ihrem Interesse ist, aus der Blue Reef Highschool einen Besuchermagneten zu machen?«, hörte ich Mrs Lennox fragen. »Sie sind doch eigentlich ein vernünftiger Mann, Jack. Lassen Sie uns planen …«

Darum ging es also! Ellas Mutter hatte immer noch nicht verwunden, dass sie bei der Abstimmung gescheitert war und wir unsere Schule nicht in einen Freizeitpark umwandeln wollten.

»Nein, ich werde so etwas nicht planen, die Abstimmung war eindeutig. Und jetzt habe ich sowieso keine Zeit für Diskussionen.« Jacks Stimme klang rau. »Sie haben schon mitbekommen, dass ein Hurrikan heranzieht, oder?«

Sehr erleichtert schlich ich wieder zurück ins Erdgeschoss und eine Viertelstunde später fuhr der weiße SUV mit quietschenden Reifen zurück auf den Highway 1. Uff. Hoffentlich kam die Lennox nie zurück.

Ich zog mich in eine Ecke der Eingangshalle zurück, um Onkel Johnny anzurufen und ihm zu erzählen, dass ich vorhatte, raus aufs offene Meer zu schwimmen. »Junge, willst du das wirklich?«, erwiderte er. »Ich könnte dich sofort abholen, wir fahren nach Norden. Die Straßen sind schon ziemlich verstopft, aber mit etwas Glück kommen wir noch durch!«

»Ich will es wirklich«, versicherte ich ihm. »Shari und die anderen machen es auch.«

Kurzes Schweigen in der Leitung. Wahrscheinlich weil ich ihm mal erzählt hatte, wie sehr ich Shari mochte.

»Aber du tust es nicht nur deswegen?«, knurrte er dann. »Weil du bei deinen Freunden sein und dich nicht vor ihnen blamieren willst? Das wäre ein ziemlich beschissener Grund, um zu sterben.«

Ich musste grinsen. »Sterben? Eigentlich ist dein Job als Ersatzvater doch, mir zu sagen, dass alles gut wird.«

»Kann sein. Aber ich halte dich nicht für so dämlich, so was zu glauben.«

Am leisen »Pling« hörte ich, dass eine Nachricht auf meinem Handy eingelaufen war. Ah, sie war von meinem Vater, das war eine mittlere Sensation, meine Eltern schrieben mir nicht gerade oft.

»Bleib mal kurz dran«, sagte ich zu Johnny und überflog die wenigen Zeilen.

Hallo, Tiago, wir sind gerade in Korea, wo wir einen großen Konzern beraten, aber wir haben gehört, was bei euch los ist. Bring dich bitte rechtzeitig in Sicherheit. Ich nehme an, dein Bruder wird das ebenfalls tun. Viel Glück! Scott

Wie bitte, ich hatte einen Bruder?! Ich kam mir vor, als hätte mir jemand einen Schlag auf den Kopf verpasst.

Seawalkers (3). Wilde Wellen

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