Читать книгу Seawalkers (3). Wilde Wellen - Katja Brandis - Страница 14

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Wilde Wellen

Zu Anfang blieb ich nah an der Oberfläche, als wir hinausschwammen aus der Lagune. Das Wasser war so trübe, dass ich sonst riskierte, in die Stelzenwurzeln der Mangroven hineinzugeraten. Neben mir tanzten die Rückenflossen auf und ab, als die Delfine kurze Strecken tauchten und wieder zum Atmen hochkamen. Auch Chris brauchte alle paar Minuten Luft, schließlich war ein Seelöwe ein Meeressäuger und hatte Lungen.

Es fühlt sich so meerig an, wieder zu schwimmen – meine Füße taten schon weh von der ganzen Herumlauferei, verkündete Shari, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und ortete mich mit ihren Echo-Klicks.

Mal schauen, ob du es auch noch so toll findest, wenn uns das Meer gleich die Zähne zeigt, sagte Noah.

Hauptsache, Tiago oder Miss White zeigen uns ihre nicht – die hab ich schon in zu vielen Horrorfilmen gesehen, witzelte Chris.

Ach, ihr seid nicht der Reiseproviant? Ich tat so, als wollte ich ihn beißen, und mit einer schnellen Pirouette brachte sich Chris außer Reichweite.

Es gibt Horrorfilme mit Schwertwalen?, erkundigte sich Miss White irritiert und tauchte prustend auf, ihr schwarz-weißer Kopf wandte sich Chris zu.

Bisher nicht, aber wenn Sie mir eine schlechte Note in Sei dein Tier geben, drehe ich einen und stelle ihn auf YouTube, kündigte unser Seelöwen-Wandler an.

Miss White musste lachen. Ich werde dir genau die Note geben, die du verdienst, Christopher Jacobsen. Und wenn du dann wegen mir ein berühmter Filmemacher wirst, erwarte ich einen Platz in den Danksagungen, nur dass das klar ist.

Shari, Noah und ich prusteten los.

Könnt ihr mal auf hören mit dem Mist? Wir schwimmen gerade in eine Naturkatastrophe hinein, beschwerte sich Blue und wir schickten ihr wortlose Entschuldigungen in den Kopf. Sogar Miss White.

Geschmeidig glitten meine Freunde durchs Wasser, während ich stur geradeaus pflügte wie ein U-Boot auf Patrouille. Zum Glück wurde das Wasser klarer, als wir ins offene Meer hinausschwammen. Am Riff wiegten sich die lilafarbenen Fächerkorallen in zehn Meter Tiefe unter dem Druck des Wassers hin und her wie große Blätter im Wind.

Dazwischen bemerkte ich einen Bullenhai, einen der grauen Jäger, die sich sonst gerne im Golfstrom aufhielten. Er schwamm ungewöhnlich langsam und erstaunt sah ich, dass er verletzt war. So eine Verletzung hatte ich noch nicht gesehen, es sah aus wie ein Loch in der Flanke.

Schaut mal, sagte ich zu den anderen und umkreiste den Bullenhai. Können wir dem irgendwie helfen?

Wilde Haie lassen sich leider nicht gerne helfen, meinte Miss White.

Das war gut möglich, jedenfalls war der Hai nun sehr nervös und machte sich daran abzuhauen. Kein Wunder – ich hatte mal gelesen, dass in der Hochsee lebende Schwertwale hauptsächlich Haie verputzen.

Weiter! Hier ist es zu flach, drängte unsere Lehrerin. Wir könnten von den Wellen auf eins der Riffe oder die Küste geschleudert werden.

Ich schlug schneller mit der Schwanzflosse, versuchte wieder mal mitzukommen, während die Delfine wie Weltklassesprinter voranschossen. Auch Chris ächzte ein bisschen, er war in seiner zweiten Gestalt zwar sehr wendig, aber kein Langstreckenschwimmer. Während die Delfine auf uns warteten, konnten Shari und Noah nicht widerstehen, ein bisschen mit den Wellen zu spielen, sie zu durchstoßen und auf ihrer Vorderseite zu surfen. Miss White ließ sie machen.

Dann schlug Adelina zu.

Innerhalb kurzer Zeit wurde der Wind zu einer Faust, die auf uns einhämmerte. Erst waren die Wellen im offenen Meer ungefähr so hoch gewesen wie ein Lkw, doch nun peitschten die Böen die Wellen hoch, bis sie zu Wänden aus Wasser wurden, hoch wie ein zweistöckiges Haus. Unsere kleine Gruppe kam kaum noch voran. Wir wurden abwechselnd in den Himmel gehoben oder fanden uns in einem tiefen Tal wieder. Selbst wenn ich tauchte, spürte ich noch, wie das aufgewühlte Wasser mich packte und herumwarf, als wären mein dreieinhalb Meter langer Haikörper ein Spielzeug und der Hurrikan eine Maschine, die den Ozean durchquirlte.


Ab nach unten!, rief Blue und Seite an Seite mit den drei Delfinen, Chris und meiner Lehrerin jagte ich in die Tiefe. Hier war es etwas kühler und das Wasser war ruhig. In welcher Tiefe sind wir?, fragte ich in die Runde.

Fünfzig, sechzig Meter, schätze ich, sagte Miss Whites Stimme in meinem Kopf.

Hier lässt es sich aushalten, verkündete Noah und eine Weile schwammen wir friedlich nebeneinanderher. Doch schon nach kurzer Zeit wurden meine Freunde unruhig. Puh, ich muss atmen, verkündete Shari, richtete die Schnauze nach oben und holte mit kräftigen Schlägen ihrer Schwanzflosse Schwung.

Klar, ich auch. Chris folgte ihr.

Ich war ein bisschen enttäuscht. Das waren bestimmt nicht mehr als fünf Minuten gewesen. Sollte ich mitschwimmen? Miss White hatte gesagt, wir sollten zusammenbleiben, also nahm ich Kurs auf die Oberfläche.

Ja, es war ein bisschen wie eine wilde Achterbahn, nur nicht so lustig. Der Wind brauste nicht mehr, er kreischte. Regen und Gischt färbten die Welt weißgrau, ich konnte kaum ein paar Meter weit sehen und die Strömung war so stark, dass ich nur mit viel Kraft vom Fleck kam. Fühlte sich an, als hätte mich jemand festgeklebt.

Tiago, Achtung!, schrie eine Mädchenstimme.

Schemenhaft sah ich, dass irgendetwas über mir aufragte, aber es war zu spät zum Abtauchen. Eine gigantische Welle brach genau dort, wo ich an die Oberfläche gekommen war, und erwischte mich mit voller Wucht. Es fühlte sich an, als würde eine Betonmauer auf mich kippen. Halb betäubt, wurde ich herumgewirbelt und verlor die Orientierung. Nichts wie weg hier – aber ich hatte keine Ahnung, wo oben und unten war.

Tiago!, schrie jemand, aber ich brachte keine Antwort heraus.

Ganz ruhig, ich hab dich. Miss Whites Stimme. Ihre riesige Orcaschnauze schubste mich in eine bestimmte Richtung. Dort lag garantiert die Sicherheit. Ich spannte die Muskeln an, schlug kräftig mit der Schwanzflosse und fühlte mit meinen Haisinnen, wie das Wasser kälter wurde. Ich war tatsächlich auf dem Weg zurück in die ruhige Tiefe. Uff. Ich wollte nichts anderes als hierbleiben.

Alles in Ordnung?, fragte Shari besorgt.

Alles bestens, log ich, obwohl mein Körper sich anfühlte, als hätte ein Riese damit Weitwurf geübt.

Bleib besser erst mal hier, Tiago, spar deine Kraft auf – du wirst sie noch brauchen, sagte Miss White und schwamm einen Moment lang an meiner Seite. Auch das gab mir Kraft. Wenn ich wieder in meiner Hütte war, würde ich ein paar Orcas zeichnen.

Bei den Delfinen war nicht alles bestens. Ich krieg beim Auftauchen kaum Luft, alles ist voller Gischt, hörte ich Blue stöhnen.

Du musst besonders kräftig ausprusten, kurz bevor du durchbrichst nach oben, rief Noah.

Oben? Man kann doch kaum noch sagen, wo das Meer aufhört und die Luft anfängt, ächzte Chris und hielt sich eng an Sharis Seite. Aber das war mir gerade egal – wer in so einer Situation eifersüchtig war, hatte einen an der Waffel.


Meine Freunde tauchten mit Miss White zusammen auf. Ich versuche, euch ein bisschen Windschatten zu geben, meinte unsere Lehrerin. Haltet euch dicht neben mir, okay?

Trotzdem hörte ich kurz darauf Shari rufen: Verdammt, ich hab Wasser ins Blasloch bekommen!, und sofort machte ich mir wieder Sorgen um sie.

Noch mal atmen, schnell, stoß es aus!, sagte Blue. Ich bin bei dir.

Zu Anfang waren meine Freunde noch leicht und elegant durchs Wasser geglitten, doch als Stunde um Stunde verging, merkte ich voller Sorge, wie viel Energie sie der heftige Seegang kostete. Aber sie und die anderen hatten keine Wahl, sie mussten immer wieder in diese Hölle zurückkehren. Dankbar spürte ich, wie Wasser durch meine Kiemen strömte, wie sie für mich Sauerstoff aus dem Meer zogen. Zum ersten Mal fand ich es wirklich praktisch, ein Hai zu sein. Ja, ich hatte mir gewünscht, zu den Delfinen zu gehören. Aber jetzt gerade stand das nicht oben auf meiner Wunschliste.

Jedes Mal, wenn Shari zu mir zurückkehrte, wirkte sie erschöpfter.

Geht’s noch?, fragte ich sie besorgt.

So muss sich Wäsche in einer Waschmaschine fühlen, versuchte sie schwach zu witzeln. Noah und Blue sagten gar nichts mehr, anscheinend waren sie zu fertig. Oje … und Adelina würde garantiert noch mehrere Stunden toben, vielleicht sogar einen ganzen Tag.

Miss White glitt wieder nach oben und diesmal hatte sie ausnahmsweise gute Nachrichten. Kommt hoch! Wir sind im Auge … im Auge des Hurrikans, rief sie uns zu.

Neugierig tauchten wir auf … und staunten. Die Welt hatte sich verwandelt. Der Regen hatte aufgehört und zum ersten Mal hatten wir wieder einen Blick auf die wogende Wasserlandschaft um uns herum. Es war zwar noch ein bisschen bewölkt, aber hier und da schimmerte blauer Himmel durch. Ein Wunder.

Irgendjemand hat den Hurrikan abgestellt, sagte Blue beeindruckt und sog die Luft in tiefen Zügen durch ihr Blasloch.

Shari und Noah drifteten an der Oberfläche und atmeten ebenfalls gierig, während Chris um sie herumschwamm wie ein etwas ungewöhnlicher Hirtenhund, der noch ungewöhnlichere Schafe zusammentreibt.

Was ist das, dieses Auge?, fragte Shari neugierig wie immer.

Wir sind genau in der Mitte des Sturms, erklärte ich und erinnerte mich an das Loch in der Mitte des Hurrikans, das ich auf dem Satellitenbild gesehen hatte. Dort ist es windstill – wie lange, was schätzen Sie, Miss White? Irgendwann geht’s ja wieder los, dann ziehen die anderen Spiralarme über uns hinweg.

Eine halbe Stunde vielleicht, höchstens eine Stunde, meinte Miss White. Auch sie wirkte ziemlich erledigt, ihr stromlinienförmiger Körper lag fast bewegungslos im Wasser. Wir genossen die Ruhe und versuchten, uns so gut wie möglich zu erholen. Doch nach etwa zehn Minuten sagte Shari: Ich höre was …

Fragend blickte ich sie an, denn mir war nichts aufgefallen.

Da vorne!, rief Noah und nahm Anlauf. Im Vergleich zu seiner sonstigen Akrobatik war es ein jämmerlicher Sprung, doch anscheinend hoch genug, um Ausschau zu halten. Wir reckten unsere Schnauzen in die Richtung, in die Noah gewiesen hatte.

Dort – kaum einen halben Kilometer entfernt – trieb ein Schiff, das es wohl nicht rechtzeitig in den Hafen geschafft hatte. Und es war ganz klar in Schwierigkeiten.

Seawalkers (3). Wilde Wellen

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