Читать книгу Georgien. Eine literarische Reise - Katja Petrowskaja - Страница 7

VORWORT

Оглавление

VON NINO HARATISCHWILI

Vor vielen Jahren lief ich mit einer Freundin aus Deutschland durch die Tbilisser Altstadt. Es war das erste Mal, dass mich jemand aus Deutschland in meiner Heimatstadt besuchte, die Grenzen waren noch nicht so lange offen und die Nachwirkungen der Nachperestroika-Zeit noch deutlich zu spüren, andererseits lag aber auch eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft, der Wille zum Neuanfang. Ich selbst hatte mich an das westliche Leben noch nicht ganz gewöhnt, war zwischen Heimweh und den Herausforderungen der Integration hin- und hergerissen, auf einer intensiven Suche nach dem richtigen Ort, den richtigen Worten, nach der richtigen Sprache, um die Geschichten zu erzählen, die mir erzählenswert schienen und für die ich noch keine Heimat gefunden hatte.

Vor der gemeinsamen Reise war ich aufgeregt gewesen, ich fragte mich unentwegt, wie meine Freundin, mit der ich bereits etliche Reisen unternommen hatte, mich in diesem für sie fremden Kontext sehen würde. Was würde sie entdecken, was würde sie begreifen? Ich fühlte mich wie jemand, der gerade dabei ist, ein Geheimnis preiszugeben.

Und während der Reise machte ich eine absurde Feststellung: Ich wollte unbedingt, dass sie alles um sich herum aus dem richtigen Blickwinkel betrachtete, ich wollte, dass sie durch meine Augen blickte und alles als das erkannte, was ich darin sah.

Ich, die ich mich unablässig mit Freunden über unser Land stritt und mich immerzu kritisch mit ihm auseinandersetzte, wollte auf einmal, dass sie das Land, die Stadt, die Menschen, die mir teuer waren, von der besten Seite kennenlernte. Ich begriff selbst nicht recht, woher dieser dringende Wunsch kam und warum es mir auf einmal so viel bedeutete, dass sie alles, was mir wichtig war und von dem ich glaubte, dass es mich geprägt hatte, in einem versöhnlichen und verständnisvollen Licht sah. Vielleicht war ich einfach ermüdet von den schier endlosen Diskussionen und Erklärungsversuchen, zu denen ich mich in Deutschland gezwungen sah, sobald die Sprache auf Georgien kam. Ich wollte keine Exotisierung und keine Verklärung, ich wollte aber auch nicht jemanden an meiner Seite wissen, der stets nur Zeichen der Verwahrlosung und des Ruins in der fremden Kultur sucht, um sich am Ende in einer Art rechthaberischen Überlegenheit bestätigt zu finden. Trotzdem war mir diese Sehnsucht nach einer milden, liebevollen Sichtweise fremd.

Georgien. Eine literarische Reise

Подняться наверх