Читать книгу Kuss der Wölfin - Band 1-5 (Spezial eBook Pack über alle Teile. Insgesamt über 1300 Seiten) - Katja Piel - Страница 21
Оглавление15. Kapitel
In den Wäldern bei Bedburg, November 1589
«Aber töten dürfen wir sie nicht?»
Sibil war im ewigen Frühling angekommen. Tagsüber schien eine milde Sonne vom blauen Himmel, nachts fiel sanfter Regen und ließ die Wälder duften. Es gab zu essen, so viel sie wollte, und schon nach Kurzem stellte sie fest, dass sie nicht mehr ganz so mager, sondern etwas fülliger war. Ihre Brüste rundeten sich unter der einfachen Kutte, die Imagina ihr gegeben hatte, ihre Hüften wurden breiter und ein kleines Bäuchlein erschien, wo vorher nur eine eingefallene Kuhle zwischen ihren Beckenknochen gewesen war. Sie fühlte sich wach und lebendig und sog begierig das Wissen in sich auf, das Imagina ihr anbot. Oft begleitete sie die ältere Frau auf Spaziergängen durch den Wald.
„Wir müssen uns vor den Werwölfen in Acht nehmen“, sagte Imagina auf einem dieser Wege. „Sie haben keine Hemmungen, zu töten, wir aber schon. Das wissen sie. Manchmal betrachten sie uns als leichte Beute. Manchmal versuchen sie auch, uns auf ihre Seite zu zwingen, indem sie uns zum Töten verführen. Auf den ersten Blick sind sie stärker als wir. Was uns überlegen macht, ist unsere Selbstbeherrschung, unsere Einheit zwischen Tier und Mensch. Unser Durchhaltevermögen. Die Werwölfe sind ihren Trieben zu ausgeliefert. Das macht sie angreifbar.“
„Aber töten dürfen wir sie nicht?“
„Nein. Unter keinen Umständen. Wir müssen ihnen aus dem Weg gehen, für sie unerreichbar sein. Wie hier, innerhalb meines Zauberkreises.“
„Dann könnte ich für immer hier bei dir bleiben?“
Imagina lachte leise. „Nein. Irgendwann kommt der Tag, an dem du hinaus musst in die Welt. Hier ist nur Platz für wenige Wandler. Mein Zauber kann nicht beliebig viele beschützen.“
„Aber was mache ich dann dort draußen?“
„Alles, was dir beliebt. Du wirst sehr, sehr alt werden, kleine Sibil. Die ältesten von uns stammen direkt von Romulus und Remus ab, und damit von der römischen Wölfin. Romulus wurde ein Werwolf. Remus ein Wandler. Der Werwolf hat seinen Bruder schließlich getötet und die Sünde für immer in seinem Blut verankert – und im Blut aller, die von ihm abstammen.“
„Wir stammen aber auch von Romulus ab?“
„Ja, die Sünde ist auch in unserem Blut. Aber wir haben Wege entwickelt, sie zu zähmen. Es gibt Lehrmeister, die großen Alten unserer Art. Wir nennen sie Wulfen. Ich bin eine von ihnen. Wir lehren die Jungen, wie sie nicht der Sünde verfallen und zum Werwolf werden. Es gibt immer eine Wahl, kleine Sibil. Auch wenn die anderen sie nicht sehen wollen.“
Am gleichen Abend wollte Sibil sich an ihren Lieblingsplatz zurückziehen, den sie kürzlich erst entdeckt hatte: eine niedrige, breite Astgabel im Kirschbaum, durch dichte Zweige abgeschirmt vom Rest der Lichtung und in betäubend süßen Blütenduft gehüllt. Als sie aber hinauf stieg, entdeckte sie, dass ihr Platz bereits besetzt war. Marcus saß dort, ließ die Beine baumeln und kaute auf einem Grashalm.
„Oh“, sagte Sibil verlegen. „Ich wollte nicht stören. Ich habe dich von unten gar nicht gesehen.“ Er hielt ihr die Hand entgegen. „Du störst nicht. Im Gegenteil. Hier, komm hoch.“ Sie ließ sich von ihm auf den Ast ziehen und setzte sich, den Rücken gegen den Stamm gelehnt. Ihre Beine musste sie zwischen seinen hindurch stecken, was ihr ein angenehmes Kribbeln in der Magengrube bereitete.
„Auf diesem Platz haben sicher schon Generationen von Lehrlingen gesessen“, sagte Marcus und sah nach oben in die Zweige. „Im Haus ist immer so viel Trubel. Hier kann man ein wenig zur Ruhe kommen.“
„Trubel? Rosa ist doch ganz ruhig und lieb...“
Er lächelte. „Bis vor kurzem waren wir hier noch zu fünft. Imagina, Rosa, ich und die Zwillinge Alke und Neleke. Gütiger Gott, die waren den ganzen Tag nur am Schnattern.“
„Und du warst der einzige Mann im Haus.“
„Du sagst es.“
„Was ist aus den Zwillingen geworden?“
„Sie haben ihre Lehre beendet. Sie wollten nach Köln weiterziehen, um sich dort auf der Dombaustelle zu verdingen, als Suppenköchinnen oder Wurstbräterinnen. Ob es ihnen gelungen ist, weiß ich nicht.“
„Stimmt es, was Imagina sagt? Dass wir nicht altern?“
„Glaubst du ihr nicht?“
„Doch... Ich kann es mir nur so schwer vorstellen.“
Marcus nickte. „Wir altern, aber man sieht es uns nicht an. Du könntest in hundert Jahren noch so aussehen wie heute.“ Sibil staunte immer noch bei dem Gedanken.
„Was macht man nur mit so viel Zeit?“
„Keine Ahnung.“ Sie lächelten sich an. Kirschblüten rieselten auf Marcus hinunter und fingen sich in seinen goldenen Locken. Zwischen seinen sinnlichen Lippen blitzten kräftige, schneeweiße Zähne. Seit sie hier war, fragte sich Sibil, wie es sich anfühlen mochte, diese Lippen zu küssen.
"Wer hat dich gebissen?", fragte Sibil schließlich. Marcus' Miene verdüsterte sich. "Mein Lehrherr. Ein Schuhmacher in der Nähe von Köln. Er hat mich auch geschlagen." Sibil dachte an ihren Vater, nickte und schwieg.
"Ich bin davongelaufen, völlig verängstigt. Als mein erster Vollmond kam, war ich allein im Wald. Ich wusste überhaupt nicht, was mit mir passierte. Imagina hat mich am nächsten Morgen gefunden und mitgenommen. Ich war nackt und völlig zerkratzt und konnte mich anfangs an nichts erinnern - nicht mal an meinen Namen."
"Wie kommt es, dass sie dich gefunden hat? Sie hat auch mich gefunden. Ist das einfach Glück?"
"Ich glaube nicht. Vielleicht ist es ein Zauber. Vielleicht sagt der Wald ihr, wenn ein neuer Wolf herumstreift. Aber komm mit. Ich zeige dir noch einen anderen meiner Lieblingsorte." Irritiert über den plötzlichen Themawechsel, rutschte Sibil hinter Marcus vom Baum. Er nahm ihre Hand und zog sie in den Wald.
"Nicht so weit", sagte sie. "Die Sonne geht bald unter."
Marcus lachte. "Es gibt nichts und niemanden, der uns hier gefährlich werden könnte." Marcus folgte einem schmalen, kaum sichtbaren Pfad, der sich durchs Unterholz wand und unter dichten Bäumen hindurch schlüpfte. Er führte ein wenig bergab, und bald war das Plätschern von Wasser zu hören. Ein Bächlein kam aus dem moosigen Grund und sprudelte einen kleinen Abhang hinunter. Ein grasiger Streifen ging dort in einen kleinen, klaren Teich über. Dicke grüne Seerosenblätter schwammen auf der ruhigen Oberfläche. Frösche quakten, und über dem glitzernden Wasser schwirrte eine Libelle. "Wunderschön", sagte Sibil atemlos.
"Nicht wahr?" Marcus streckte sich im Gras aus. Etwas schüchtern setzte Sibil sich neben ihn.
"Wir Wandler... wir bleiben unter uns, oder?", fragte Sibil. "Die anderen wissen ja nicht, dass es uns gibt. Und wir dürfen uns nicht verraten."
"Auf jeden Fall nicht, so lange sie alle auf den Scheiterhaufen stellen, die auch nur ein wenig anders sind. Aber ja. Wir bleiben unter uns oder verheimlichen unsere Natur."
"Das heißt, Wandler heiraten nur andere Wandler und bekommen mit ihnen Kinder?"
"Sie heiraten untereinander, wenn sie das möchten. Aber Kinder können wir keine bekommen. Die einzige Art der Fortpflanzung, die uns bleibt, ist der Biss - und den dürfen wir Wandler nicht anwenden, wenn wir nicht zu Werwölfen werden wollen." Sie konnte also keine Kinder bekommen. Sibil versuchte noch, herauszufinden, ob diese Neuigkeit schlimm für sie war, doch sie musste die ganze Zeit an Marcus' Körper denken. An seine Brust, auf die sie manchmal einen Blick erhaschen konnte, wenn er sein Hemd offenstehen ließ. Er hatte zarte blonde Haare auf der Brust, die in der Sonne schimmerten. An seine langen, kräftigen Beine. An seinen schmalen Hintern, den sie manchmal in den engen Hosen bewundern konnte. Sie begehrte ihn, und das war ganz neu. Sie hatte zuvor nur Raffaelus begehrt, als er schon über ihr gewesen war, ein großer, schwerer Mann mit einer wilden, lebendigen Aura. Bei Marcus zu liegen musste ganz anders sein. Er wäre leichter, würde anders riechen, und er würde sie nicht in Besitz nehmen wie sein Eigentum. Ob er schon jemals bei einer Frau gelegen hatte? Sie war erstaunt, wie schnell ihr Begehren wuchs. Ohne nachzudenken, beugte sie sich über ihn und küsste seine Lippen. Er nahm sie bei den Schultern, behielt seinen Mund auf ihrem und öffnete ihre Lippen mit seiner Zungenspitze. Für einen Augenblick erschrak Sibil, doch das Gefühl, das sich in ihrem Körper ausbreitete, war wunderschön, und sie erwiderte den Kuss.
Sie lagen am Teich, flüsterten und küssten sich, bis die Sonne untergegangen war und Rosa kam, um nach ihnen zu suchen.
Am nächsten Morgen wachte Sibil mit einer nagenden Übelkeit auf. Sie kroch von der Schlafstatt, stürzte ins Freie und übergab sich, bis quälende Krämpfe ihren Magen zu einem kleinen Ball zusammengepresst hatten. Als sie sich mit tränenden Augen aufrichtete, war Imagina bei ihr und reichte ihr ein Tuch. "Bist du krank?"
"Ich weiß nicht", stöhnte Sibil. "Mir ist schlecht. Gestern früh auch schon, aber es ging im Laufe des Vormittages wieder weg."
"Wir werden das beobachten", sagte Imagina und musterte Sibil mit prüfendem Blick.
"Ist das schlimm?", fragte Sibil besorgt. "Hat es etwas mit der Verwandlung zu tun?"
"Nein, Liebes. Mach dir keine Sorgen."
Nach dem Frühstück hatte Sibil sich soweit erholt, dass sie ihren Pflichten im Garten und in den Stallungen nachgehen konnte. Sie jätete Unkraut, fütterte die Hühner und molk die Ziegen. Draußen, in der wirklichen Welt, musste der Winter vollends Einzug gehalten haben, doch sie hatte sich noch nicht weit genug von Imaginas Haus entfernt, um aus dem Bannkreis zu gelangen. Sie plante es auch nicht. Sie fürchtete sich vor Raffaelus und seinem Rudel ebenso wie vor Hexenjägern oder Wegelagerern. Also blieb sie, wo sie war, und Imagina schickte sie auch nicht fort.
Gegen Nachmittag war sie mit ihren Unterrichtsstunden und der Arbeit fertig und sah sich nach Marcus um, doch dieser war auf dem Hof nirgends zu entdecken. Auch die Zweige des Kirschbaumes waren leer, und so machte Sibil sich auf den Weg zum Teich. Sie bemerkte noch auf dem Pfad, dass jemand vor ihr da war. Jemand, der im Wasser herumprustete und plantschte. Sie näherte sich im Schutz der Bäume und spähte zum Wasser. Es war Marcus. Seine Kleider lagen in einem unordentlichen Haufen am Ufer. Er schwamm ein paar Züge, kam dann in die Höhe und wischte sich Wasser aus dem Gesicht. Ihr Atem ging schneller, als sie ihn ansah. Er war völlig nackt. Seine Haut war weiß, Wassertropfen glitzerten auf ihr. Sie betrachtete seine muskulösen Schultern, die glatte Brust, den flachen Bauch. Ihr Herz schlug. Sie spürte, wie die Brustwarzen sich gegen den groben Stoff ihrer Kutte drängten. Zwischen ihren Schenkeln, in dem dunklen, faltigen Tal, für das sie keinen Namen hatte, erwachte ein klopfendes Kribbeln.
Vorsichtig löste sie sich aus den Schatten unter den Bäumen und betrat das grasige Ufer.
„Sibil!“ Marcus ließ sich rückwärts ins Wasser sinken. „Hast du mich erschreckt.“
„Das wollte ich nicht.“ Den Gürtel löste sie und ließ ihn zu Boden sinken, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Dann zog sie sich ihre Kutte über den Kopf und stieg zu Marcus in den Teich. Sie unterdrückte ein Stöhnen, als das kalte Wasser sie zwischen den Schenkeln berührte. Marcus starrte sie fasziniert an, als sie sich ins Wasser sinken ließ, und ein paar Züge schwamm. Er blieb im Wasser, sodass sie nur seine Brust sehen konnte, die sich in heftigen Atemzügen hob und senkte. Sie umkreiste ihn halb schwimmend, halb sich vom schlammigen Grund abstoßend. Als er die Hand nach ihr ausstreckte, griff sie danach und ließ sich näher ziehen. Seine Haut war kalt und nass, als er sie an sich zog und sie küsste. Sie hatten sich inzwischen schon oft geküsst, und es hatte ihr gefallen. Diesmal spürte sie noch etwas Festes und gleichzeitig Elastisches, das sich gegen ihren Bauch presste. Das musste seine Männlichkeit sein. Sein Schwanz. Sibil hatte gehört, wie Katharina diesen Körperteil von Peter so genannt hatte. Sie hatte es immer lustig gefunden. Hunde hatten einen Schwanz, oder Pferde. Und Marcus presste seinen Schwanz nun fest gegen ihren erhitzten Körper, während er sie heftig küsste. Seine Hände legten sich auf ihre kleinen, spitzen Brüste und streichelten sie. Die Hitze zwischen Sibils Schenkeln begann zu pulsieren. Sie wünschte sich plötzlich, dass er sie dort berühren sollte.
Neugierig fasste sie unter die Wasseroberfläche und tastete nach Marcus' Männlichkeit. Er stand in die Höhe und zuckte, und sofort begann Marcus, ihn in ihrer Hand hin- und herzuschieben. Das war anders als das, was Raffaelus mit ihr gemacht hatte. Raffaelus hatte sich nicht für ihre Hände interessiert. Ebensowenig wie Peter, wenn er bei ihr gelegen war. Doch an Peter wollte sie jetzt am wenigsten denken.
Mit einem letzten verlangenden Kuss löste sie sich von Marcus und stieg aus dem Wasser. Eine glitschige Nässe verteilte sich zwischen ihren Beinen, als sie ans Ufer watete. Marcus folgte ihr. Sibil legte sich aufs Gras und spreizte die Schenkel, wie sie es bei Katharina gesehen hatte. Marcus legte sich auf sie und stützte sich mit den Ellenbogen im Gras ab. Sein Gewicht presste sich auf ihre Brüste, und sein Schwanz schlüpfte zwischen ihre Falten und rieb sich auf und ab. Ganz von selbst begann Sibils Unterleib, sich rhythmisch zu bewegen. Das goldene Pulsieren schwoll zu einer machtvollen Hitze. Sibil hörte sich selbst stöhnen, so wie Katharina immer gestöhnt hatte. Sie rieb sich schneller und härter, doch ehe sie sich in den goldenen Schauern auflösen konnte, hielt Marcus inne. Sibil wimmerte. Marcus rutschte an ihrem Körper hinab, bedeckte ihre Brüste mit Küssen, leckte über ihren Bauch. Sein Atem strich über ihre Haut, und dann spürte sie seine Zunge dort, wo sie keinen Namen hatte, im Zentrum ihrer pulsierenden Lust. Tief stieß seine Zunge zwischen ihre Falten, saugte und lutschte, und sie stöhnte laut und wand sich ihm entgegen. Ihr Unterleib begann zu zucken, ihr Hintern hob sich vom Gras und Marcus entgegen. Ein rasendes Verlangen rauschte über sie, und dann explodierte das goldene Glitzern in ihrem Körper, ließ sie schreien und sich winden und unkontrolliert zucken, bis sie schließlich erschöpft zurücksank.
Marcus lächelte zu ihr hinauf. Dann kam er wieder hoch zu ihr und legte sich auf sie. Ohne Widerstand schlüpfte sein Schwanz zwischen ihre Falten und schob sich tief in ihr Inneres. Dorthin, wo Peter gewesen war. Sie verkrampfte sich für einen Augenblick, und Marcus hielt sofort inne. Sie nickte ihm zu. Die Schmerzen blieben aus. Ganz im Gegenteil, es fühlt sich gut an, ihn so zu spüren. Die Reste der zuckenden Schauer sammelten sich und wuchsen ganz langsam. Marcus glitt immer wieder in sie hinein und wieder ein Stück aus ihr heraus. Sie legte die Hände auf seinen Hintern und spürte, wie seine Muskeln arbeiteten. Seinen Schwanz so in ihr zu bewegen, schien ihm großes Vergnügen zu machen. Er stöhnte und stieß immer schneller zu, küsste sie gleichzeitig tief und verlangend. Sein Kuss schmeckte seltsam nach ihrer eigenen Feuchtigkeit. Sie presste sich an ihn und keuchte. Der glitzernde, goldene Schauer, den sie so ersehnte, befand sich kurz außerhalb ihrer Reichweite. Sie schlang die Schenkel um Markus' Hüften und zog ihn tiefer in sich. Marcus stöhnte wild und bewegte sich heftig in ihr, und plötzlich schrie er auf. Gleichzeitig schlug endlich das goldene Pulsieren ein weiteres Mal über ihr zusammen.
Sie blieben noch eine Weile ineinander verschlungen liegen, bevor Marcus sich vorsichtig aus ihr zurückzog.
„Das war schön“, sagte Sibil.
„Gut.“ Marcus lächelte erleichtert. „Ich hatte Angst, dass es dir nicht gefällt. Wegen deinem Vater und allem.“
„Ich habe keinen Vater. Imagina sagt, Väter machen so etwas nicht mit ihren Töchtern. Also war es nur Peter.“
„Trotzdem.“
„Ja. Ich danke dir. Du hast Peter von meinem Körper gewaschen.“
Beim Abendessen hatten sie unter dem Tisch die Beine ineinander verschlungen und konnten nicht aufhören, sich anzusehen. Imagina lächelte in sich hinein, sagte aber nichts.
Sibil konnte nicht aufhören zu essen. Brot, Eier, Schinken, kaltes Kraut und Äpfel verschwanden in ihr und schienen sich dort in Luft aufzulösen. Imagina gab ihr ein weiteres Stück Käse und eine Schale Gerstenbrei und beobachtete, wie Sibil alles hinunterschlang.
"Es tut mir leid", sagte Sibil unglücklich. "Ich bin so schrecklich hungrig. Die Kerkerhaft... oder liegt es an der Verwandlung?"
"An allem... und noch etwas anderem", sagte Imagina. "Ich sehe dich nach dem Essen im Gemüsegarten."
Sie beendeten die Mahlzeit und räumten den Tisch ab. Während Rosa und Marcus das Geschirr zum Bach trugen, um es zu spülen, ging Sibil um das Haus herum in den Gemüsegarten. Sie hatte so viel gegessen wie die anderen zusammen und fühlte sich gerade eben so gesättigt.
Imagina wartete schon. "Setz dich", sagte sie und wies auf die Bank. Sibil tat wie ihr geheißen und blickte ihre Lehrmeisterin erwartungsvoll an. Zu ihrer Überraschung ging Imagine vor ihr in die Knie und legte die Hände auf Sibils Bauch. "Locker lassen", befahl sie. "Ruhig atmen." Mit ruhigen, sicheren Bewegungen begann Imagina, Sibils Bauch abzutasten. Sie drückte und schob. Sibil war die Behandlung unangenehm, aber sie hielt still.
"Ich hatte so eine Vermutung", sagte Imagina schließlich und setzte sich neben Sibil auf die Bank. "Du bist schwanger, Mädchen."
"Schwanger? Aber... ich dachte, wir können keine Kinder bekommen?"
"Du warst es schon, als du den Kuss empfingst. Ich schätze, du bist im vierten Monat." Sibil ließ Luft durch den offenen Mund ausströmen und starrte Imagina an.
"Hast du nicht bemerkt, dass deine Blutung ausgeblieben ist?", fragte Imagina sanft.
"Nein", flüsterte Sibil. "Sie war nie regelmäßig."
"Wer kommt als Vater in Frage? Außer... Peter?"
„Ich weiß es nicht. Niemand. Raffaelus...“
„Das ist erst einige Wochen her. Es muss im Sommer gewesen sein.“
„Aber Peter war mein Vater!“
Imagina seufzte. "Auch ein Vater kann eine Frucht in den Schoß der Tochter pflanzen. Es ist wider die Natur, aber es passiert. Nun hoffen wir, dass das Kind gesund ist und sich gut entwickelt. Es ist etwas ganz Besonderes. Ein geborener Wandler."
"Ich werde Mutter", sagte Sibil staunend. "Aber was, wenn ich es nicht will?"
"Du hast keine Wahl. Es ist da, und du musst gut für es sorgen. Hab keine Angst. Wir alle helfen dir."
Sibil nickte automatisch. In ihrem Inneren sammelte sich eine Mischung aus Erstaunen und Ratlosigkeit. Ihre eigene Kindheit war gerade erst vorüber. Sie hatte Fabelwesen gesehen, eine Zauberwelt betreten und sich in einen Mann verliebt. Nun erwartete sie ein Kind. Würde sie es lieben oder hassen?
Sie wusste es nicht.