Читать книгу Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3) - Katja Piel - Страница 17
Оглавление11. Kapitel
Bedburg, Oktober 1589
«Die meisten gestehen nicht mehr, wenn der Brustkorb einmal zerbrochen ist.»
Peter Stubbe schrie wie ein Schwein. Die Streckbank, auf der man ihn eingespannt hatte, war besudelt mit Kot und Pisse. Peters Mund stand weit offen, und er gurgelte unverständliche Worte, während der Schinder das Zahnrad einrasten ließ. Es knackte, als Peters Gelenke auseinandersprangen.
Katharina bewegte sich möglichst wenig, damit der Schmerz der Dornenkrause erträglich blieb, die sich um ihren Hals spannte. Man hatte bei ihr auf entstellende Folter verzichtet und sich damit begnügt, sie an die feuchte Kellerwand zu ketten – breitbeinig, damit jeder der Schergen ungehindert Zugriff auf sie hatte. Bei der gütlichen Befragung hatte sie noch geleugnet. Sie habe den Müller nicht verhext, ihm weder Krankheit noch Unglück geschickt. Als sie ihn zwischen den Mehlsäcken verführte, war er gänzlich Herr seiner Sinne gewesen. Er habe sie besprungen, kaum dass sie aus den Kleidern gewesen war – selbst wenn sie geplant hätte, ihn zu behexen, damit er mit ihr verkehrte, wäre das überhaupt nicht nötig gewesen.
Sie war gelähmt vor Entsetzen gewesen, als sie hörte, was man ihr alles vorwarf. Sie habe nicht nur den Müller, sondern auch ihren Ehemann behext. Nachts hätte sie regelmäßig der Teufel besucht, mit dem sie dann Unzucht getrieben habe. Sogar sein Kind sei von ihr ausgetragen worden, und im Wald sei sie nackt um die Felsen getanzt und soll schauerliche Blutopfer vollbracht haben, zusammen mit anderen Hexen und Dämonen.
Die peinliche Befragung hatte sich dann verzögert. Inzwischen hatten sich alle Gefängniswachen und auch der Schinder an ihr befriedigt, und vermutlich war das der einzige Grund, warum sie hier nun als Zuschauerin festgekettet war und nicht selbst auf der Streckbank lag: Die Schergen wollten ihr Spielzeug erst zerbrechen, wenn es nicht mehr anders ging.
„Unterbrechung“, ordnete der Inquisitor an, und der Schinder löste das Zahnrad und kurbelte die Vorrichtung zurück. Wimmernd sank Peter zurück auf die Bank.
„Gestehst du nun, ein Hexer zu sein? Einer, der sich mit dem Teufel verbündet hat? Hast du insgesamt vierundzwanzig Menschen umgebracht, um den Teufel mit ihren Leibern zu füttern? Bist du mit dem Teufel und seinen Kebsen nachts durch die Luft geflogen und hast üblen Zauber verteilt? Hat der Teufel dir ein Werkzeug gegeben, um dich in eine wilde Bestie zu verwandeln, damit du Mensch und Vieh noch besser schädigen kannst?“
„Vater unser der du bist im Himmel...“
„Sprich! Lege Bekenntnis ab und reinige deine Seele!“ Der Inquisitor gab dem Schinder ein Zeichen, und der legte den Hebel um. Die Zahnräder bewegten sich. Peter wurde von der Bank gerissen. Sein Gebet ging in ein Kreischen über, als Muskeln und Sehnen in seinem Körper rissen.
„Bringt den Hasen“, befahl der Inquisitor. Zwei Gehilfen verschwanden in einem Nebenraum und kamen gleich darauf zurück. Zwischen sich trugen sie eine eiserne, mit Dornen gespickte Walze, die offenbar so viel wog wie ein großer Mehlsack.
„Den Tag nach Sankt Beda Venerabilis, um die Mittagsstund, Befragung des Hexers Peter Stubbe zu Bedburg“, diktierte der Inquisitor dem Schreiber. „Der Hexer ist verstockt. Der Teufel hat ihm aufgegeben, sich der Erlösung seiner christlichen Seele zu verweigern. Anwendung des Eisernen Hasen zum Zwecke der Wahrheitsfindung.“ Er musste die Stimme heben, um Peters Geschrei zu übertönen. Merkwürdig, dachte Katharina, dass Menschen sich wie Schweine anhören, wenn man sie absticht.
Die Gehilfen wuchteten die eiserne Walze auf ein Gestell und hängten sie in eine Vorrichtung aus Seilen und Riemen, sodass sie direkt über Peters überdehntem Brustkorb schwebte.
„Vorsichtig“, warnte der Schinder. „Die meisten gestehen nicht mehr, wenn der Brustkorb einmal zerbrochen ist.“ Die Gehilfen packten die Seile links und rechts und ließen die Walze langsam auf Peter herunter. Als die Dornen sein Fleisch aufbrachen, formten sich Worte aus seinem schrillen Gekreisch.
„Ich gestehe! Ich gestehe alles!“ Der Inquisitor gab ein Zeichen. Die Walze wurde hochgefahren und die Zahnräder der Streckbank gelöst. Heulend, blutüberströmt und mit zerstörten Gliedmaßen sank Peter auf die Bank zurück.
„Ich gestehe, was ihr wollt! Unzucht mit dem Teufel! Ja, ich habe mich mit dem Teufel verschworen!“
„Und du bist mit ihm durch die Luft geritten?“
„Ja! Ja!“
„Und er hat dir einen Gürtel gegeben, mit dem du deine Gestalt verändern kannst? Hat er dich zum Werwolf bezaubert?“ Für einen Augenblick hatte Katharina den Eindruck, dass etwas wie Klarheit in Peters Blick einkehrte.
„Der Wolf sitzt in der Seele“, sagte er. „Und er frisst deine Seele auf. Der Teufel pflanzt ihn dir ein, und dann schaut er zu, wie du sein Werk verrichtest.“
„Gesteht unter peinlicher Befragung den Bund mit dem Teufel“, sagte der Inquisitor in Richtung des Schreibers. „Ritt durch die Luft, Unzucht mit den Konkubinen des Teufels, und so weiter. Der Hexer gesteht darüber hinaus, ein Werwolf zu sein und nach Belieben seine Gestalt wandeln zu können. Die vierundzwanzig Morde?“ Diese Frage ging zu Peter hinunter. Der Schinder umfasste den Hebel.
„Ja! Ja!“, schrie Peter. „Alles! Ich gestehe alles! Ich bin ein Menschenfresser, ein Monster, ich bin vom Teufel besessen!“
„Das reicht.“ Der Inquisitor strich sich über seinen kahlen Kopf. „Zeit fürs Mittagessen. Wenn wir die Dirne heute Nachmittag noch befragen, können wir morgen schon hinrichten. Wird Zeit, dass wir wieder Platz schaffen in den Zellen.“
„Nicht nötig“, sagte Katharina. Ihre Stimme zitterte kaum. „Ich gestehe, was Ihr wollt.“ Der Inquisitor nickte anerkennend. „Das ist gut für dein Seelenheil, Hexe. Und spart uns einen Haufen Zeit. Also, neues Protokoll. Den Tag nach Sankt Beda Venerabilis, um die Mittagsstund, Befragung der Hexerin Katharina Pfahlmann zu Bedburg...“
Sibil wusste nicht, wie lange sie schon so an der nassen Kellerwand saß, die Finger in den Ohren. Sie war völlig ausgekühlt und rückte doch lieber, so nah es ging, an die Wand als an ihre Mitgefangenen: eine Greisin, die reglos auf dem Boden lag und vielleicht schon tot war, eine Schwachsinnige, die andauernd lallte und den Kopf gegen die Gitterstäbe schlug, und eine verwachsene junge Frau mit Klumpfuß und Buckel. Sibil kannte sie vom Sehen, sie hatte immer auf dem Markt gebettelt.
„Du musst gestehen“, hatte die Bucklige Sibil eingeschärft. „Nur so kannst du die peinliche Befragung vermeiden. Und wenn du ein bisschen nett zu den Schergen bist, dann enthaupten sie dich vielleicht, bevor sie dich verbrennen.“ Sibil hatte entrüstet jede Schuld von sich gewiesen. Ihr Vater war ein Hexer, das mochte sein, aber sie selbst hatte nie etwas mit dem Teufel zu schaffen gehabt!
Dann hatte man sie zur gütlichen Befragung geholt. Aus dem Raum nebenan war ein Kreischen zu hören gewesen – so bizarr, so fremd, dass sie nicht hätte sagen können, ob Mensch oder Tier dort gequält wurde. Man hatte ihr probeweise die Daumenschrauben angelegt, um zu sehen, ob ihre dünnen Finger für dieses Instrument der Wahrheitsfindung geeignet waren. Da hatte Sibil gestanden. Jetzt saß sie im Kerker und wusste nicht, ob die den Tag der Hinrichtung fürchten oder herbeisehnen sollte. Sie war ausgezehrt und völlig durchgefroren. Die Bucklige hatte ihr schmutziges Wasser aus einer Schale zu trinken gegeben – ein Teil ihrer eigenen, kümmerlichen Ration. Schnell hatte sich hier unten herumgesprochen, dass Sibil niemanden hatte, der sie mit Wasser und Nahrung versorgte.
Das andauernde Stöhnen, Weinen und Schreien der Gefangenen drang auch durch die Finger in ihre Ohren. Die Geräusche würden sie bis an ihr Lebensende begleiten und ihr vielleicht vorher noch den Verstand rauben.
Eine Weile wartete sie vergeblich, dass man Katharina zu ihr zurückbrachte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit die Wachen ihre Ziehmutter mitgenommen hatten. Manchmal gelang es Sibil, ein wenig zu schlafen, doch schlimme Träume jagten sie zurück in eine Wirklichkeit, die noch viel schlimmer war.
Irgendwann kamen schwere Schritte den Gang entlang. Fackelschein geisterte über die Wände. Sibil kniff die Augen zu und presste sich gegen die Wand. Die Bucklige floh in den hintersten Winkel der Zelle. Nur die Alte blieb reglos liegen. Wächter erschienen und machten vor Sibils Zelle Halt. Die Gittertür wurde geöffnet.
„Du da!“ Ein Wachmann zeigte auf Sibil. „Mitkommen!“ Als Sibil nicht schnell genug in die Höhe kam, halfen zwei Wachleute nach. Sie zerrten sie in die Höhe, fesselten ihr die Hände auf dem Rücken und stülpten ihr einen stinkenden Sack über den Kopf. „Wo bringt ihr mich hin? Was passiert mit mir?“, fragte Sibil, aber niemand bemühte sich um eine Antwort.
„Was ist mit der alten Vettel?“, hörte sie den einen Wachmann, und nach einer kurzen Weile den anderen: „Tot. Schafft sie raus.“ Sibil wurde voran gestoßen. Sie stolperte über die Schwelle und hörte, wie hinter ihr das Gitter abgesperrt wurde.
„Bringt ihr mich zum Verhör?“, fragte sie bang. „Ich wurde bereits verhört und habe gestanden! Ich bin unschuldig, aber ich habe gestanden! Bitte nicht die Folter!“
„Halt's Maul“, knurrte einer der Wachmänner und schubste sie unsanft vorwärts. Der Sack war voller Ungeziefer, das Sibil im Gesicht kitzelte und unter ihr Hemd kroch. Sibil begann zu weinen. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, die seit vielen Jahren tot war. Wenn Gott Gnade und Wahrheit kannte, würde sie sie bald wiedersehen.
Sibil wurde ins Freie gebracht. Der Wind schnitt ihr in die nackten Beine. Als man sie hochhob, schrie sie – für einen Augenblick dachte sie, man hätte sie auf den Richtblock gehoben, aber dann waren es nur grobe Holzplanken, auf die man sie warf. In der Nähe schnaubte ein Pferd. Das Holz knarrte. Weitere Menschen wurden zu ihr geworfen. Sibil kroch aus dem Weg und stieß an eine Umrandung. Schnell versuchte sie, den Sack abzustreifen, aber er reichte ihr bis auf die Hüften hinunter, und sie wurde mit einigen Schlägen ruhiggestellt. Rund um sie stöhnten und weinten Menschen oder sagten Gebete auf.
„Katharina?“, fragte sie verzagt. Keine Antwort. Ein plötzlicher Ruck warf sie um. Hufgeklapper ertönte, und Sibil erkannte, dass sie sich auf einem Wagen befand. Wurde sie aus der Stadt gebracht?
„Wohin fahren wir?“, schrie sie panisch. „Wohin fahren wir?“
„Na, wohin wohl“, kam eine heisere Männerstimme von der Seite. „Zum Hexenplatz vor das Tor. Wir sind so viele, da braucht es einen großen Scheiterhaufen. Der Marktplatz fasst das nimmer.“
Eine eisige Kälte fasste nach Sibils Herz. Sie sollte tatsächlich sterben? Verbrannt werden, während die Menge zusah? Ihr Leben sollte jetzt und hier, in dieser Stunde beendet sein? Das war unvorstellbar. Sie lebte, ihr Herz schlug, das Blut rauschte durch ihre Adern, ihre Muskeln zuckten, und bald sollte das alles einfach aufhören. Das Feuer reinigte und ließ die Seelen aufsteigen, das hatten die Frauen im Kerker gesagt. Würde ihre Seele ins Paradies eingehen? Wie viel hatte sie gesündigt? Sie hatte Schwarzbeeren im Wald gefunden und hatte niemandem etwas abgegeben. Bei der Arbeit hatte sie oft geträumt, und dem Vater auch nicht immer die Wahrheit gesagt. Reichte das für ewige Verdammnis?
Der Wagen rüttelte durch die Straßen. Irgendwann tauschten die Wachleute einen Gruß mit anderen, und der Wagen tauchte in einen kurzen Tunnel ein. Auf der anderen Seite war es heller, und die Luft roch frischer. Sie hatten die Stadt verlassen. Die Zugpferde fielen in Trab. Sibil schob sich vorsichtig am Rand des Karrens in die Höhe. Sie wusste, wo der Hexenplatz lag. Wenn man einmal durch das Stadttor war, hatte man es nicht mehr weit. Es gab ein kleines Wäldchen in der Nähe, und sie hatte nichts zu verlieren. Sibil stemmte sich hoch und ließ sich nach hinten kippen. Sie schlug unsanft auf dem gefrorenen Boden auf. Der Zufall half ihr und beförderte den Sack halb über ihren Kopf. Während auf dem Karren Warnschreie abgegeben wurden, wand sie sich blitzschnell aus dem Sack und sah sich blinzelnd um. Sie war zu früh abgesprungen. Das Wäldchen lag noch in einiger Entfernung. Sibil sprang auf die Füße und rannte. Die auf dem Rücken gefesselten Hände behinderten sie, doch sie heftete den Blick auf den Waldrand und sah nicht zurück. Hinter ihr ertönten Schreie, und dann hörte sie das Klirren von Waffen und schwere Stiefel auf dem gefrorenen Boden.
„Bleib stehen, Miststück!“, schrie eine Männerstimme. Sibil legte an Tempo zu, doch der Waldrand wollte nicht näherkommen. Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Dann legte sich von hinten eine schwere Hand auf ihre Schulter. Sibil wurde zu Boden gerissen. Der Wachmann grunzte und stürzte schwer über sie. Eine warme Flüssigkeit platschte auf Sibils Nacken. Sie wand sich unter dem Wachmann heraus und stellte wie betäubt fest, dass ihm der Bolzen einer Armbrust aus der Kehle ragte. Überall war Blut, und der Wachmann röchelte mit glasigen Augen. Sibil stolperte vorwärts. Wenn der unsichtbare Schütze als nächstes sie traf, wurde sie wenigstens nicht bei lebendigem Leib verbrannt. Um sie herum flitzten graue Schatten über das Feld. Von der Straße drang Schnauben und gleich darauf das Hufgeklapper galoppierender Pferde zu ihr. Sie warf einen hektischen Blick über die Schulter. Niemand verfolgte sie. Das Fuhrwerk raste mit durchgehenden Pferden schlingernd davon. Taumelnd erreichte sie die ersten Bäume und brach zusammen. Sie war noch am Leben, obwohl sie nicht verstand, wie. Nun war sie mit nichts als einem dünnen Hemd auf dem Leib mitten in der Wildnis und würde spätestens in der Nacht erfrieren. Sie wollte weinen, aber es waren keine Tränen mehr in ihr. Sie war zu erschöpft, um zu fliehen, als zwischen den Bäumen ein Mann auf sie zu trat. Er war splitternackt, schien aber nicht im Geringsten zu frieren. Er bewegte sich so natürlich über den gefrorenen Boden wie über eine Sommerwiese. Flankiert war er von vier riesigen Hunden – nein, Wölfen – nein... Selbst für Wölfe waren diese Bestien zu groß. Sie waren muskelbepackt und hatten fingerlange Reißzähne, von denen der Geifer troff. Ihre Augen hatten einen merkwürdigen grünen Schimmer.
„Hab keine Angst“, sagte der Mann und ging neben Sibil in die Hocke. „Du bist in Sicherheit.“ Er löste den Strick, mit dem Sibils Handgelenke zusammengebunden waren, und zog sie hoch. Der Mann war schön, mit dunklen, lockigen Haaren und kräftigen Muskeln. Sein Geschlecht lag dunkel in einem Nest dichter, wolliger Haare, und sein Händedruck war warm.
„Wie heißt du?“, fragte der Mann.
„Sibil“, flüsterte sie.
„Sibil. Ich bin Raffaelus. Das hier sind meine Freunde. Roderik... Adam... Utz... und Marina.“ Er zeigte auf die Kreaturen, die ihn begleiteten. Eine davon, die kleinste, begann daraufhin, sich zu strecken. Sie wurde heller und kam in die Höhe, das Fell verlor sich und zog sich hinter glatte, weiße Haut zurück. Fassungslos sah Sibil zu, wie aus der Kreatur eine schlanke, dunkelhaarige Frau wurde, ebenso nackt wie Raffaelus und genauso wenig beeindruckt von der Kälte.
„Du hast Mut bewiesen, und Kampfgeist“, sagte sie. Ihre Stimme war ein wenig rauh. Sie trat dicht an Sibil heran, sodass ihre weichen Brüste Sibils Hemd streiften. Ihre warme Hand legte sie an Sibils Wange. „Das hat uns gefallen.“
„Ihr habt mir geholfen?“, flüsterte Sibil. „Wer seid ihr?“
„Wir waren zur rechten Zeit am rechten Ort“, sagte Raffaelus. „Wir beobachten die Wagen. Manchmal stehlen wir einen Verurteilten. Du kleines, dünnes Ding wärest uns sicher nicht aufgefallen... hättest du nicht diese waghalsige Flucht unternommen.“
„Sie wollten mich verbrennen“, sagte Sibil. „Ich hatte wohl kaum etwas zu verlieren.“
„Das haben die anderen auch nicht. Dennoch lassen sie sich zur Schlachtbank führen wie die Lämmchen. Doch nun komm mit. Du bist erschöpft. In deinem... Zustand... wirst du im Wald erfrieren, ehe der Mond aufgeht.“ Raffaelus nahm Sibil an die Hand und zog sie mit sich. Marina ging auf ihrer anderen Seite. Die wolfsartigen Kreaturen folgten.
„Ihr wohnt hier im Wald?“, fragte Sibil vorsichtig. „Warum habt ihr keine Kleider an?“
„Wir brauchen keine“, sagte Marina.
„Aber friert ihr nicht?“
„Nein. Wir sind etwas ganz Besonderes.“ Sibil hingegen fror ganz erbärmlich. Ihre Füße waren ganz gefühllos, und manchmal wusste sie nicht, ob sie schlief oder wach war. Irgendwann fand sie sich dann in Raffaelus' Armen wieder, der sie trug. Der Wald glitt lautlos an ihr vorbei.
Schließlich ragte eine Felswand über ihr auf. Ein hohes Felsportal führte in eine Höhle, die sich nach innen verjüngte. Es roch nach Feuer und gebratenem Fleisch. Ein Wärmehauch streifte Sibils erstarrtes Gesicht. Sie wurde an einer Feuerstelle abgelegt und mit Fellen zugedeckt.
„Was machen wir mit ihr?“, brummte eine Männerstimme, die sie noch nicht kannte. „Fressen oder beißen?“ Sibil blinzelte. Auf der anderen Seite des Feuers war ein kleiner, untersetzter Mann mit wildem Bart und pechschwarzem Haupthaar, auch er völlig nackt.
„Du machst weder das eine noch das andere mit ihr, Utz“, sagte Raffaelus entschieden. „Sie ist ein dünnes, wildes Ding. Fressen wäre Verschwendung.“
„Aber ich habe Hunger“, begehrte Utz auf, seine Augen glitzerten grün.
„Dann geh dir einen Hasen jagen“, knurrte Raffaelus.
Sibil fielen die Augen zu. Sie hatte längst aufgehört, sich zu wundern. Vielleicht war sie ja tot, und dies war der Vorhof des Ewigen Lebens. Sie spürte, wie jemand die Felldecke hob und sich zu ihr auf das Lager schob. Es war Marina, die ihr mit vorsichtigen Händen das Hemd abstreifte. Dann streckte sie sich neben Sibil aus und nahm sie in die Arme. Sie war weich, und Hitze ging von ihr aus wie von einem Stein, der in der Sonne gelegen hatte. Gleichzeitig spürte Sibil, wie sich ein anderer Körper von hinten gegen sie drängte. Muskulöse Arme umfassten sie und befühlten ihre Brüste. Sibil machte sich steif, doch der Schmerz blieb aus. Dann spürte sie, wie etwas Warmes, Hartes, aber Elastisches sich gegen ihren Hintern drängte. Raffaelus stöhnte leise von hinten in ihre Haare. Sibil kannte das. Ihr Vater hatte es sie gelehrt. Sie musste sich entspannen und still halten, dann ging der Schmerz vorbei. Und es war jedenfalls besser als verbrannt zu werden.
„Noch nicht.“ Marina fasste über Sibil hinüber und schob Raffaelus sachte weg. „Lass sie ausruhen.“ Raffaelus stöhnte unwillig. Sibil schlief ein. Irgendwann wachte sie halb auf, weil jemand ihr warme Milch zu trinken gab. Sie schluckte gierig, bis nichts mehr nachkam, und schlief wieder ein. Dann waren Stimmen um sie herum. Im flackernden Feuerschein erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf einen hübschen blonden Mann, sehr jung, fast noch ein Knabe, dann fielen ihr wieder die Augen zu. Als sie wieder aufwachte, war sie umlagert von warmen Körpern. Hände glitten über ihre Haut, weiche Brüste schmiegten sich gegen ihre eigenen. Sie öffnete die Augen, und Marina lächelte sie an und legte ihr den Finger an die Lippen. Hinter Sibil war wieder Raffaelus. Er atmete tief und rieb sein Geschlecht an Sibils Hintern, doch er verursachte ihr keine Schmerzen. Im Gegenteil, was er tat, fühlte sich angenehm an und entfachte ein warmes Prickeln zwischen ihren Schenkeln. Sie öffnete die Beine ein wenig, und Raffaelus glitt tiefer. Nun war er dort, wo der Vater ihr immer Schmerzen verursacht hatte. Seine Finger glitten über eine empfindliche Stelle, und Sibil erschauerte.
„Halte still“, flüsterte Marina. „Er tut dir nicht weh.“ Sibil spürte das Gewicht des Mannes gegen ihren Rücken. Dann drang er von hinten in sie ein. Ein zischender Atemzug entkam ihr, aber Marina flüsterte ihr beruhigende Worte zu und streichelte ihr Haar. Raffaelus begann, sich in ihr zu bewegen, und der Schmerz blieb immer noch aus. Im Gegenteil dachte Sibil, dass er weitermachen solle, es fühlte sich angenehm an. Sie fühlte, wie sich ihre Brustwarzen prickelnd zusammenzogen. Ganz von selbst schob sie ihr Becken in Raffaelus' Richtung und rollte weiter auf den Bauch, damit er tiefer in sie eindringen konnte.
Raffaelus trieb das Spiel lange und schien es offensichtlich zu genießen. Er stöhnte vor Wohlbehagen, küsste Sibils Rücken und biss ihr spielerisch in die Schulter. Sibil stöhnte leise und bewegte sich ihm entgegen. Gleich würde etwas Wunderschönes passieren. Sie machte sich steif, als eine Welle der Empfindungen über ihr zusammenschlug. Gleichzeitig veränderte sich das Gefühl des Mannes in ihrem Rücken. Er wurde schwerer, härter. Sein Stöhnen wandelte sich in ein Knurren. Aus den Händen, mit denen er sie zärtlich umfasst hielt, wuchsen Klauen. Sie sah über die Schulter in sein Gesicht, das eine lange Schnauze mit messerscharfen Zähnen hatte. Seine Augen leuchteten grün.
Sibil schrie, als ihre Haut aufbrach und die Reißzähne sich tief in ihre Schulter senkten.