Читать книгу Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3) - Katja Piel - Страница 18
Оглавление12. Kapitel
Herbst 2012, Frankfurt am Main
«Suche Mann mit Pferdeschwanz, Frisur ist mir egal!»
Vielleicht war das der letzte warme Nachmittag des Jahres. Die Sonne strengte sich nochmal richtig an, und wo der Wind überging, konnte man noch für eine Weile draußen sitzen. In kluger Voraussicht hatten die Betreiber der Straßencafes bunte Decken über die Stühle gelegt, mit denen sich die Gäste wärmen konnten.
Auch Alexa und ich tranken, in die warmen Decken gekuschelt, unseren wohlverdienten Endlich-Wochenende-Milchkaffee und ließen die Menschen an uns vorbei ziehen. Hier am Rand der Zeil war immer etwas los, und man konnte herrlich über die Passanten lästern.
„Siehst du die dahinten, mit dem weißen Mini? Die braucht in der U-Bahn auch einen Doppelplatz für sich alleine.“
„Wie kann man nur so hässliche Schuhe tragen?“
„Extensions stehen eben auch nicht jedem.“
„Hast du den Hund in der Handtasche gesehen? Ich dachte, das machen die nur im Fernsehen.“ Spaßeshalber hielten wir auch Ausschau nach hübschen Männern, aber die waren im Frankfurter Straßenbild leider selten. Zu viele glatte Banker oder abgeramschte Jugendliche mit Basecap und dem Hosenboden irgendwo zwischen den Knien. Wir rätselten gerade, was solche Jungs machten, wenn mal ein großer Schritt nötig war, etwa über eine Pfütze oder in einen Linienbus, der nicht direkt am Bordstein hielt, als ein Schatten über unsere Tassen fiel.
„Guten Tag, die Damen“, sagte ein gut gekleideter Typ. Ende dreißig vielleicht, mit modischem Haarschnitt und einem Durchschnittsgesicht.
„Darf ich kurz stören?“
„Kommt drauf an“, sagte Alexa. „Wenn Sie nach dem Weg fragen wollen, ja. Wenn Sie mit uns über Gott reden wollen, nein.“ Der Mann lächelte. „Weder noch. Mein Name ist Tobias Müller, ich bin Modelscout für die Agentur IMB. Und Sie sind...?“ Er sah mich direkt an. „Anna Stubbe“, stellte ich mich vor.
„Freut mich, Anna.“ Er reichte mir eine Visitenkarte, die ich gehorsam betrachtete. „Sie sind mir gerade aufgefallen“, sagte er. „Wir suchen noch neue Gesichter für eine Modekampagne. Frische, junge, mitteleuropäische Typen, so wie Sie. Darf ich fragen, wie groß Sie sind?“
„Ähm... einsachtundsiebzig?“
„Perfekt. Und haben Sie schon einmal gemodelt?“
„Nein“, log ich. „Noch nie.“
„Würden Sie es denn gerne mal versuchen? Sie könnten in der Agentur vorbeikommen, ganz unverbindlich. Wir machen dann ein paar Fotos und stellen Sie bei unserm Auftraggeber vor. Das könnte ein sehr lukrativer Job für Sie werden.“
Déja vu: Schon beim ersten Mal, vor über vierzig Jahren, war ich auf der Straße von einem Modelscout angesprochen worden. Ich überlegte kurz. Geld brauchte ich keines, aber wenn ich ehrlich war, hatte es mir gefallen, so im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Schöne Kleider, tolle Frisuren, Bewunderung, Partys... Mein Leben konnte tatsächlich ein bisschen Glamour vertragen. „Mal sehen“, sagte ich gnädig. „Wenn ich die Zeit finde.“
„Und was ist mit mir?“, fragte Alexa halb scherzhaft, halb empört. „Bin ich etwa kein mitteleuropäischer Typ, oder was?“
„Sie entschuldigen, ich wollte nicht verletzend sein. Sie sind eine sehr attraktive Frau. Leider haben wir derzeit keine Aufträge für Plus-Size-Models.“ Alexa blieb die Sprache weg. Tobias Müller verabschiedete sich höflich und ging seines Weges.
„Plus Size!“, schnaubte Alexa schließlich. „Ich glaube, ich spinne! Lieber ein Plus-Size-Model als ein Mini-Size-Brain! Du wirst da doch nicht etwa hingehen?!“
„Ich bin noch am Überlegen.“ Ich leckte etwas Milchschaum von meinem Löffel. „Lust hätte ich schon, das mal auszuprobieren. Das kann ja nicht so schwer sein, oder?“
„Wenn du das machst, begehst du Verrat an allen normalgewichtigen Frauen“, drohte Alexa. „Plus-Size! Ich werd nicht mehr. Auf diesen Schreck brauch ich ein Stück Schwarzwälder-Kirsch. Du nicht! Du bist ja jetzt ein Minus-Size-Model. Du darfst mir beim Essen zusehen.“
Aber neugierig war sie doch, und so nahm ich sie zu meinem Probe-Shooting mit. Irgendwie war mir auch wohler, dort nicht alleine aufzukreuzen.
Die Agentur lag in einem vornehmen Villenvorort. Wir überquerten einen sauber gepflasterten Hinterhof mit großen Kübelpflanzen und Korbmöbeln und klingelten an einer Tür aus Milchglas. IMB Models International, stand auf einem eleganten Schild an der Fassade. Ein sehr junges, sehr dünnes Mädchen mit strenger Ponyfrisur machte uns auf.
„Was kann ich für Sie tun?“ Ich stellte mich vor und schilderte mein Anliegen. Als ich den Namen des Scouts erwähnte, erhellte sich ihr Gesicht, und sie bat uns freundlich herein.
„Ich gucke nur zu“, versicherte ihr Alexa. „Ich habe sowieso keine Zeit für Jobs als Plus-Size-Model.“ Das Ponymädchen führte uns durch ein offenes, lichtdurchflutetes Büro in einen Wartebereich mit schwarzem Ledersofa.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wasser? Kaffee?“ Wir lehnten dankend ab, und das Ponymädchen zog sich zurück, nicht ohne uns zu versichern, die Chefin würde sich sofort um uns kümmern. Die Wand dem Sofa gegenüber war mit Fotos bedeckt. Hauptsächlich Frauen verschiedenen Typs, alle sehr schlank und klassisch schön, aber auch ein paar hübsche Männer. Unter den Fotos befand sich jeweils ein kleines Fach, aus dem man das Foto im Kleinformat herausnehmen konnte. Alexa fischte eines heraus und hielt es mir hin. Darauf war ein muskulöser Blonder, der sich ein weißes Hemd halb heruntergezogen hatte. Sein langes Haar hatte er im Nacken zusammengebunden, und er schaute mit verführerischem Blick in die Kamera.
„Suche Mann mit Pferdeschwanz, Frisur egal“, lästerte Alexa. Wir prusteten und gackerten wie die Schulmädchen, bis sich uns auf klappernden, hohen Absätzen eine vielleicht vierzigjährige Frau näherte. Mit ihrem gediegenen Aussehen, der dezenten Schminke und dem eleganten Hosenanzug musste sie die Inhaberin sein.
„Sie sind Anna, die unser Herr Müller empfohlen hat? Freut mich. Ich bin Frau Zeitler, die Agenturchefin.“ Wir gaben uns die Hand, dann trat sie einen Schritt zurück und musterte mich von oben bis unten.
„Sehr gut. Ich denke, daraus können wir etwas machen. Sie sind ein guter Typ, schlank, blond, symmetrisches Gesicht... Haben Sie schon einmal Fotos gemacht?“
„Nur im Freundeskreis.“
„Nun, macht nichts. Wir werden sehen, wie Sie sich vor der Kamera bewegen. Schuhgröße?“
„Äh... vierzig.“
„Gut. Einen Augenblick.“ Sie brachte mir schwarze High Heels. Bleistiftdünne, zwölf Zentimeter hohe Absätze. Alexa machte runde Augen.
„Hör mal, nicht dass du dir noch die Knochen brichst!“
„Keine Sorge. Ich kann auf solchen Absätzen laufen.“ Ich tauschte meine Sneaker gegen die Heels und ging unter dem prüfenden Blick der Agenturchefin einige Male auf und ab. Das war ein Teil des Ganzen, den ich vergessen hatte: die Fleischbeschau. Die prüfenden Blicke auf meine Beine, meinen Po, meine Brüste, die Art, wie ich meine Hüften bewegte, den Kopf hielt, die Arme beim Gehen mitnahm. Beinahe bereute ich meinen Entschluss, als das Urteil der Chefin kam und mich versöhnte. „Super. Sie bewegen sich hervorragend. Ich werde Sie für Laufsteg-Aufträge vormerken, wenn Sie möchten. Ein paar Fotos hätte ich gerne noch von Ihnen. Wir suchen derzeit noch unverbrauchte Gesichter für einen Jung-Designer.“ Sie rief nach einem Jens, der sich als Fotograf herausstellte, ein dünner, junger Mann mit schütterem Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Alexa prustete unterdrückt und fächelte sich mit der Fotokarte des pferdeschwänzigen Models Luft zu, während ich versuchte, ernst und professionell zu wirken. Ich hatte mich vorbereitet. Mit meiner schmalen Jeans, dem ärmellosen Shirt und der Bluse darüber konnte ich mich gut fotografieren lassen. Jens nahm mich mit in den Nebenraum, wo es eine weiße, freie Wand gab. Dort ließ er mich posieren und begann zu knipsen.
Ich hatte es seit dem letzten Shooting vor vierzig Jahren nicht verlernt. Ich spielte mit der Kamera, flirtete, gab mich sinnlich, sexy, unschuldig, unnahbar, wild, spielte mit meinen Haaren, zeigte Schulter, stemmte die Hände in die Hüften, spulte alles ab, was mir so einfiel und hatte eine Menge Spaß dabei. Jens war vor Begeisterung kaum zu bremsen. Er hatte einen breiten hessischen Dialekt, der ihn aber nicht daran hinderte, mit seinen Fremdsprachenkenntnissen zu brillieren.
„Manifique! Süper! Gorgeous! Yeeesss, do it again, jaaa, genau so, und schau zu mir, bellissima!“ Wir vergnügten uns vielleicht zehn Minuten, während Alexa von der Tür aus zusah. Dann beugten wir uns alle über den Laptop, um die Ergebnisse anzusehen. Auch Frau Zeitler hatte sich wieder eingefunden.
„Bissche oldschool“, sagte Jens. „So wie die Mädsche in den Sechzigerjahren posiert haben. Manchmal fehlt der moderne Look.“
„Stört mich nicht“, verfügte die Chefin. „Ihren Look können wir verändern, und ein paar Posen lernt sie ganz schnell. Nicht wahr, Anna?“ Gegen eine Veränderung hatte ich nichts einzuwenden.
„Dann möchten Sie mich in die Kartei aufnehmen?“
„Mehr noch. Ich möchte Sie direkt beim Designer für ein Shooting vorschlagen. Sie haben tatsächlich noch nie gemodelt?“
„Nein.“
„Dann sind Sie ein Naturtalent. Glückwunsch. Wenn Sie möchten, können Sie eine steile Karriere machen.“
„Das klingt toll. Ich habe da nur noch eine Frage... Ich möchte nicht gerne meinen echten Namen verwenden. Könnte ich mir nicht einen Künstlernamen zulegen? Ich studiere noch, wissen Sie, und würde das Modeln gerne von meinem späteren Berufsleben trennen.“
„Aber selbstverständlich. Denken Sie sich etwas aus.“
„Danke. Werde ich tun.“ Ich unterschrieb den Agenturvertrag, und als der Papierkram erledigt war, machten wir uns auf den Weg nach Hause.
„Das ist ja so spannend“, freute sich Alexa. „Du wirst ein richtiges Model!“
„Jetzt warte es mal ab. Wer weiß, was das für ein Designer ist. Wenn der Sachen fürs Homeshopping macht, bin ich sofort wieder weg.“
„Du kommst groß raus, bestimmt! Du wirst in Mailand und in New York auftreten. Du solltest ein Blog führen, damit wir armen Sterblichen immer wissen, wo du bist.“ Während sie weiter fantasierte, sah ich sie von der Seite an. Es wäre wirklich schade um dieses Leben. Ich mochte die armen Sterblichen, die mich umgaben. Ein bisschen Glanz und Glamour der Modelwelt in meinem schlichten Studentendasein, und das konnte eines meiner Lieblingsleben werden. Es war lange her, dass ich meiner Umwelt gegenüber so freundschaftliche Gefühle empfunden hatte. Man sah es mir nicht an, aber vielleicht wurde ich einfach alt.