Читать книгу Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3) - Katja Piel - Страница 20
Оглавление14. Kapitel
Herbst 2012, Frankfurt am Main
«Aber den Hals brechen soll ich mir nicht?»
„Du schon wieder.“ Sam sah zu mir hinauf, den Arm bis zur Schulter im Getränkeautomaten.
„Es ist nicht, wonach es aussieht! Der Automat in der Mensa ist kaputt.“
„Du könntest dir nicht einfach ein Getränk von zu Hause mitbringen?“
„Da denke ich nie dran.“ Er zog den Arm aus dem Automaten und richtete sich auf.
„Wie geht’s dir, Anna?“
„Gut, und dir?“
„Beschissen.“
„Hm, ja. Danke für die Info.“
„Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Er sah mich aus großen, bittenden grünen Augen an. Sein Haar stand mal wieder in alle Richtungen ab, ich wusste mittlerweile, dass das eine Laune der Natur war, kein modischer Trick. Ich wollte meine Finger in diesem sinnlichen Durcheinander vergraben und ihn küssen, bis uns die Luft wegblieb.
„Ich habe dir gesagt, was du machen sollst. Nämlich nichts.“
„Aber es fühlt sich so falsch an.“
„Deine Beziehung zu Alexa?“
„Ja. Nein. Ich weiß nicht... Irgendwie schon, aber...“ Ich trat an ihn heran und schlang die Arme um ihn, so geschwisterlich ich konnte. Sein warmer Körper unter dem verwaschenen Sweatshirt triggerte mich. Ich konnte sein Blut riechen, seinen Schweiß, sein Begehren, vermischt mit einem schwachen Geruch nach Zigaretten und Rasierwasser. Er umklammerte meine Schultern und atmete in mein Haar.
„Das hilft nicht, Anna. Das hilft nicht.“
„Ich weiß.“ Ich ließ ihn los. Mein Körper kribbelte.
„Ziehst du mir eine Cola?“
„Mit Zucker?“
„Genau.“ Er griff wieder tief in den Automaten und rüttelte daran herum, während ich daneben stand und seinen hübschen Po bewunderte. Da kam Alexa um die Ecke. „Hey Anna – was machst du so?“
„Ich stehe Schmiere.“ Ich grinste und deutete auf Sam.
Alexa lachte. „Ah, alles klar. Mir auch eine, mein Herzblatt – eine light?“
„Bin ich euer Butler, oder was“, murrte Sam gespielt missmutig, zog aber das Gewünschte aus dem Automaten.
„Hier.“ Er drückte mir meine rote Cola in die Hand. „Dein Anteil an der Beute.“
Wir stießen mit den Plastikflaschen an und tranken einen Schluck, bevor wir uns in unsere verschiedenen Veranstaltungen aufteilten. Sam und Alexa gingen Arm in Arm davon, und ich zwang mich, ihnen nicht hinterherzusehen.
Das Setting meines ersten Shootings begeisterte mich nicht sonderlich. Ich bin altmodisch; ich möchte auf Fotos hübsch aussehen. Das hier war eine Industriebrache: eingeschlagene Fensterscheiben, abblätternder Putz, Graffiti-Schmierereien. Zum Haupteingang führten drei bröckelnde Stufen. Direkt daneben krallte sich ein vertrockneter Busch in eine Betonritze. Hier würde man keine hübschen Modefotos schießen. Hier würde vielmehr ein supermoderner Fotograf sich selbst verwirklichen, während ich mich mit grellem Makeup und schrillen Klamotten vor einer Betonwand verrenkte.
Dass es viel, viel schlimmer kommen würde, konnte ich nicht ahnen. Ich überlegte kurz, ob ich wieder nach Hause fahren sollte, aber wie gesagt, ich bin ein altmodisches Mädchen, und deshalb halte ich mich an Absprachen. Außerdem war das Ponymädchen aus der Agentur dabei, Silke, und hielt mir die quietschende Eingangstür auf. Ich wollte nicht, dass sie Ärger bekam, also ging ich mit.
Erst, als ich auf einem rostigen Schild das Wort „Chirurgie“ entzifferte, begriff ich, dass wir uns in einem alten Krankenhaus befanden. Es musste schon seit zwanzig oder dreißig Jahren leer stehen. Der Wind pfiff durch die leeren Fensterhöhlen. Putz blätterte von der Wand und wurde von Schimmel überwuchert. Betonbrocken und Steinchen knirschten unter meinen Schuhen, als wir einen langen Gang nach hinten gingen. Links und rechts führten Türen in die ehemaligen Krankenzimmer. Silke führte mich an einem leeren Aufzugschacht vorbei in ein Treppenhaus. Dort stiegen wir nach unten. Hier brannte nur die grüne Notbeleuchtung, die so gut wie kein Licht gab.
„Aber den Hals brechen soll ich mir nicht?“, murrte ich.
„Wir sind gleich da“, sagte sie und lächelte unsicher.
Am Fuß der Treppe war eine breite Tür aus Sicherheitsglas. Daneben hing eine Klingel an dünnen Strippen aus der Wand. Auf der Tür waren schwarze Buchstaben aufgeklebt, die halb abgeblättert waren.
P A T H L O I E
Ich atmete tief durch. Der Geruch von nassem, schimmeligem Beton stach mir in die Nase.
Hinter der Tür waren Stimmen. Ein Stromgenerator ratterte, und Licht fiel aus mehreren Räumen. Vorsichtig stieg ich über eine Pfütze und folgte Silke, die mich in einen Raum winkte. Hier hatte man eine provisorische Garderobe eingerichtet. Ein Tageslichtfluter beleuchtete einen Tisch, auf dem Schminkutensilien aufgebaut waren. Eine kleine, rundliche Frau mit blondem Pagenkopf kam mir entgegen.
„Hallo“, sagte sie freundlich und streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin Annette, deine Stylistin.“
„Freut mich. Anna.“ Ich nahm unter dem Strahler Platz, und sie begann, mit ihren Farben zu hantieren.
„Was wird das für ein Shooting?“, erkundigte ich mich. „Sehr modern, nehme ich an?“
„Ja“, sagte sie. „Die Kleider sind von Black Asylum, kennst du die?“
„Nein – nie gehört.“
„Ein Techno-Gothic-Label aus London. Sie bauen gerade einen deutschen Vertrieb auf und brauchen eine neue Fotostrecke. Du hast übrigens einen Shooting-Partner. Sein Name ist Animal.“
„Oh, super.“ Ich heuchelte Begeisterung. In Wirklichkeit wusste ich nicht, ob ich mich bei einem Partnershooting gut anstellen würde. Ich war sicher mit mir selbst genug beschäftigt. Meine Erfahrungen waren vierzig Jahre alt, und auch damals war ich Gelegenheitsmodel und kein Vollprofi gewesen. Ich begann, die Aktion zu bereuen. Ich hatte ein bisschen über den Laufsteg schweben wollen, hübsche Kleider tragen, Applaus und Blumen entgegennehmen. Ich hatte nicht in einem Abbruchhaus mit einem wildfremden Kerl auf Betonbrocken posieren wollen.
Aber nun saß ich schon da, und Annette toupierte und zerzauste meine Haare. Sie verwendete mindestens eine Dose Haarspray, um meinen neuen Look zu festigen. Dann schminkte sie mich: blasser Puder, schwarze Augen, ein blutroter Mund. Inzwischen suchte Silke auf einem fahrbaren Garderobenständer meine Outfits zusammen: Lack, Leder, schwarze Spitze, dazu Plateaustiefel mit Zehn-Zentimeter-Absätzen. Mir war klar, dass ich diese Fotos in meinem Studenten-Bekanntenkreis eher nicht herumzeigen würde.
Gehorsam zog ich mich an. Silke half mir mit den Schnürungen und Reißverschlüssen. Es gab keinen Spiegel in dieser improvisierten Garderobe, aber der Blick an mir hinunter zeigte mir, dass ich sehr aufreizend aussah – wenn man eine Schwäche für Fetischmode hatte. Wir waren gerade fertig, als ein junger, schlaksiger Mann unter der Tür erschien. „Können wir?“ Ich nickte und stakste ihm auf meinen Plateaus hinterher. Annette folgte mir, im Arm die Haarspray-Dose und ein Täschchen mit Utensilien zum Nachschminken.
Es ging schräg über den Gang in einen großen Raum, der zumindest vernünftig ausgeleuchtet war. Hier erwartete mich ein Set: eine medizinische Liege und ein Blechschrank auf Rollen, daneben ein Tisch mit verschiedenen Utensilien: Verbandscheren, ein Stethoskop, sogar eine große Spritze.
Ein Typ mit pockennarbigem Gesicht kam mir entgegen, im Mundwinkel eine Zigarette, an der eine Aschesäule hing.
„Marc Ray“, stellte er sich mit amerikanischem Akzent vor. „Ich fotografiere dich heute. Du siehst gorgeous aus.“
„Danke“, sagte ich. Der schlaksige Junge war offenbar Assistent und Beleuchter, denn er machte sich sofort an der Technik zu schaffen. Zuletzt lernte ich meinen Shooting-Partner kennen: ein junger, tätowierter Kerl, den man in ein Punkrock-Outfit gesteckt hatte. Er hatte halblange, dunkle Haare und einen muskulösen, rasierten Oberkörper unter einem ärmellosen, zerrissenen Netzshirt.
„Hi“, sagte er. „Ich bin Animal.“
„Freut mich“, log ich. Er war hübsch, aber ich hasste ihn. Ich wusste nicht, warum. Hoffentlich musste ich keine Leidenschaft mit ihm spielen. Marc Ray hängte sich seine Kamera um.
„Und los geht’s. Setz dich auf die Liege, Animal. Und jetzt zieh Anna zu dir runter.“ Animal ging in Pose, packte mich an den Schultern und zog mich auf sich. Ich stemmte meine Hand unter sein Kinn und drehte mich weg zur Kamera. Ich wollte nicht, dass der Kerl mich anfasste. Gleichzeitig lief mir eine brutale Erregung wie rotes Feuer durch die Adern. Ich hätte mich an seinem Blut berauschen können. Ich rief die Wölfin zur Ordnung und spielte weiter mit, kletterte über Animal und stieß ihn rücklings auf die Liege. Ich packte ihn an seinem Netzshirt, dass die Nähte krachten, und zog ihn zu mir hoch. Als er meine Taille umfasste, spürte ich seinen warmen Atem in meinem Gesicht und hätte am liebsten gekotzt. Ich presste meine Hand gegen sein Gesicht und bog den Rücken durch, und die ganze Zeit wurde ich von dem Klick, Klick der Kamera begleitet.
„Gib's mir ruhig“, keuchte Animal. „Ich stehe da drauf.“
„Maul halten“, zischte ich und versuchte, von seinem Schoß zu klettern, aber er hielt mich fest und presste mich an sich. Unter seiner engen Lederhose spürte ich seine Erektion.
„Gorgeous!“, rief Marc Ray. „Give me passion!“ Ich packte zu, rammte meine Fingernägel in Animals Brustwarzen, die sich durch das Netzshirt geschoben hatten, und drehte. Animal brüllte auf, und ich sprang von seinem Schoß.
„Entschuldigung“, sagte ich mädchenhaft. „Ich glaube, ich brauche eine Pause.“ Marc Ray nickte und zündete sich eine neue Zigarette an. Das protzige, mit Swarovski-Steinen besetzte Feuerzeug warf er auf das Tischchen neben den Laptop. Dann scrollte er durch die Bilder, die bisher entstanden waren, und beriet sich mit seinem Assistenten. Inzwischen schminkte Annette mich nach und verpasste mir eine neue Ladung Haarspray. Animal massierte mit verzerrtem Gesicht seine Brust und funkelte böse in meine Richtung.
„Gut“, sagte Marc Ray nach ein paar Minuten. „Sind schöne Fotos dabei. Jetzt nochmal eine andere Kulisse.“
Im hinteren Bereich zog er eine lange, breite Schublade auf, die in die Wand eingelassen war. Sie fasste genau einen Menschen. Er ließ die Beleuchtung anpassen und dirigierte uns dann in die Ecke. Mir hängte er das Stethoskop um, und Animal schnappte sich die Spritze. Aus der Nähe sah ich, dass die Spritze sogar eine echte Nadel hatte. Eine goldgelbe Flüssigkeit war aufgezogen, für Nahaufnahmen vermutlich, wenn eine Attrappe auffallen würde.
„Ich lege mich da nicht rein“, stellte ich klar. „Ich habe Platzangst.“
„Keine Sorge“, sagte Marc Ray. „Wir haben ganz andere Pläne mit dir.“ Er lächelte ein falsches Lächeln und nahm die Kamera vor das Gesicht. Ich hob die Arme über den Kopf und hängte mich an den Rand der Schubladenöffnung, posierte mit Blick über die Schulter, spielte mit dem Stethoskop, hielt mir das flache silberne Ende an die eigene Brust und versuchte, Doktorspielchen-Erotik aufkommen zu lassen. Dann kam Animal wieder dazu. Er bewegte sich auf allen Vieren auf die Bahre, die Spritze zwischen den Zähnen. Ich schlang ihm das Stethoskop um den Hals und zog seinen Kopf zu mir. Als ich bemerkte, dass seine Augen plötzlich grün leuchteten, war es bereits zu spät. Er wuchs in meinen Armen, seine Haut riss auf, Fell drängte nach außen. Er stöhnte auf, und während sein Gesicht zerbrach und sich zu dem eines grotesken halb menschlichen Monsters neu ordnete, holte er aus und rammte mir die Spritze in den Arm. Er drückte ab, und fast gleichzeitig begann meine Sicht zu verschwimmen. Mein Körper fühlte sich an, als hätte jemand einen schweren Sack darüber geworfen. Mein Mund wurde trocken. Die gelbe Substanz rauschte durch meine Adern und ließ mein Herz stolpern. Ich wurde schwach.
Dann war da plötzlich die Wölfin in mir. Sie riss mich hoch und verlieh mir Kraft. Mit einem gewaltigen Ruck stieß ich Animal von mir und kam auf die Füße.
War ich in einem Traum? Alles fühlte sich beängstigend real, aber nicht wirklich greifbar an. Ich beobachtete mich selbst, wie ich durch den Raum stolperte. Animal kam mir hinterher. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm. Er bewegte sich schwerfällig, aber schnell auf zwei kräftigen Hinterbeinen. Seine Arme hingen ihm bis in die Kniekehlen und endeten in messerscharfen, langen Krallen. Sein hübsches, nichtssagendes Modelgesicht war verschwunden. Aus grünen Augen blitzte er mich an. Von seinen Fängen troff der Geifer, und in einem grotesken Grinsen entblößte er seine gelben Fangzähne.
Ich torkelte. Das Zeug aus der Spritze wischte mir das Gehirn aus dem Schädel. Ich hielt mich am Tisch fest, um nicht zu stürzen. Der Raum um mich verformte sich, als wären die Wände aus Wachs. Langsam öffneten sich die anderen Schubladen in der Wand. Sie waren voller Schatten, und so konnte ich nicht sehen, ob jemand darin lag, doch die Schatten griffen nach mir und versuchten, mich auf den Boden zu ziehen.
Animal war nur noch Schritte von mir entfernt. Marc Ray sprang auf mich zu, ein irres Lachen im Gesicht, und ich stieß ihn weg. Ich war noch stark, das merkte ich, als er durch den Raum flog und krachend auf der Untersuchungsliege landete. Eine Frau schrie mit schriller Stimme. Das musste Annette sein. Ich sprang mit einem unsicheren Satz zu ihr und riss ihr die Haarspraydose aus der Hand, die sie immer noch umklammert hielt. Feuerzeug. Wo war das verfluchte Feuerzeug? Ich ließ mich auf die Knie fallen. Der kalte, nasse Betonboden saugte an meiner Haut. Schatten schlängelten sich auf mich zu. Graffittigesichter schaukelten in mein Sichtfeld und verhöhnten mich mit zahnlosen Altmännermündern. Dann erschien Animal brüllend über mir, die Klauen nach mir ausgestreckt. Ich ließ mich auf den Rücken fallen und trat mit aller Kraft und meinen schweren Plateauabsätzen nach ihm. Ich traf ihn ins Gemächt, und er krümmte sich heulend zusammen. Ich rollte herum. Da blitzte etwas matt unter dem Tisch. Ich streckte meine Hand danach aus und bekam es zu fassen. Im gleichen Augenblick stellte jemand seinen Absatz auf meine Hand. Ich schrie. „Gorgeous“, rief Marc Ray mit schriller Stimme und fotografierte zu mir hinunter. Ich schnellte in die Höhe, packte den Riemen seiner Kamera und zerrte mit aller Kraft daran. Marc Ray verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorne auf mich drauf. Ich boxte ihn hart in die Magengrube und wand mich unter ihm hervor. Dann riss ich das Feuerzeug an mich und ließ die Hölle los.
Ich sprühte Haarspray in die Flamme. Eine riesige Lohe schoss nach vorne und setzte Marc Rays Jacke in Brand. Der kreischte wie ein Irrer und wälzte sich auf dem Boden. Keuchend, meinen improvisierten Flammenwerfer vor mir, kam ich in die Höhe. Ich wackelte auf meinen hohen Absätzen, während ich mich rückwärts zur Tür zurückzog. Am Rande meiner Wahrnehmung stand Annette und kreischte. Marc Ray wälzte sich in Animals Richtung. Animal sprang rückwärts, machte dann aber einen riesigen Satz über den brennenden Fotografen und näherte sich mir geduckt, zum Sprung bereit. Ich hielt die Flammenlohe in seine Richtung und ging weiter rückwärts.
Dort, wo die Tür gewesen war, war nur nasse, elastische, wattige Wand. Hände kamen aus ihr heraus und zogen mich nach hinten, sie waren kalt und tot auf meiner Haut und schnürten mir die Luft ab. Ich drehte mich taumelnd um und ließ die Flamme über die Wand züngeln. Die Hände zogen sich zurück, doch das Feuer blieb an einigen herunterhängenden Kabeln hängen und fraß sich an der Isolierung entlang. Es stank. Geschmolzenes Plastik tropfte auf mich hinunter, während ich in dem Qualm vergeblich versuchte, die Tür zu finden.
Ein wildes Knurren hinter mir ließ mich herumfahren. Im zuckenden Feuerschein sah ich nur Animals schwarze, riesige Silhouette, wie er auf mich zu sprang. Ich ducke mich weg, und er stürmte an mir vorbei, einen Schweif schwarzer, kreischender Schatten hinter sich her ziehend.
Halluzination, dachte ich mühsam. Das Zeug, was sie mir gespritzt haben. Aber was war wirklich, und was nur eingebildet? Ein kühler Luftzug strich über mein Gesicht. Die Wölfin schnupperte. Dort ging es hinaus. Zwischen mir und dem Ausgang stand Animal, geduckt, zum Sprung bereit. Ich drückte den kleinen Hebel des Feuerzeugs und schoss ihm eine Flamme direkt in den Magen. Die Fetzen seiner Kleidung fingen Feuer. Stinkend und rauchend griff es auf seinen Pelz über. Brüllend wich Animal rückwärts auf den Gang, prallte gegen die Wand und versuchte, das Feuer am Beton zu löschen. Ich rannte an ihm vorbei und orientierte mich zum Ausgang.
Ich war furchtbar langsam. Meine Füße fühlten sich an, als hätte man mir Betonklötze darunter gebunden, die mich nun hinunter in den nassen, zähen Boden zogen. Wie durch Treibsand watete ich den Gang entlang. Irgendwann fiel ich hin und kroch auf allen Vieren weiter. Um mich war Rauch und flackerndes Licht, und dann war Animal direkt hinter mir. Ich warf mich nach vorne und erreichte die Tür zum Treppenhaus, doch auf den ersten Stufen hatte er mich eingeholt. Ich spürte, wie sich sein Gewicht auf meine Beine senkte und mich an Ort und Stelle festhielt. Er stank nach verschmortem Fleisch und Verwesung. Ich versuchte, mich die Treppe hinauf zu ziehen, aber meine Hände fanden keinen Halt auf den Steinstufen. Als seine Krallen meine Haut aufrissen, schrie ich. Der Druck wurde unerträglich. Plötzlich kam die Wölfin. Binnen Sekunden brach sie sich Bahn, ich verließ meinen menschlichen Körper und schnellte auf allen Vieren nach vorne. Die hinderlichen Plateauschuhe ließ ich samt meinem Gegner hinter mir. Wie ein Schatten raste ich die Treppe hinauf, immer dem Geruch nach Frischluft nach. Glasscherben knirschten unter meinen Pfoten, und an meinen Hinterläufen saß ein brennender Schmerz. Ich hörte Animal hinter mir heulen.
Den Gang erreichend, raste ich in eines der ehemaligen Krankenzimmer und rettete mich mit einem riesigen Sprung durch das zerbrochene Fenster ins Freie.
Die Stadt empfing mich mit grellem Licht und unerträglichem Lärm. Der Gestank von Menschen und Autos biss in meine Nase. Meine Sinne waren immer noch von der Spritze benebelt, aber sie schien der Wölfin nicht so zuzusetzen wie der Frau. Während die Wölfin rannte, versuchte ich, bei Bewusstsein zu bleiben. Wenn mir das nicht gelang, würde die Wölfin vor ein Auto laufen, das war mir klar.
Wohin jetzt? Ich wusste, dass ich in meine Wohnung nicht zurückkonnte. Die Gefahr, dass sie mich dort finden würden, war zu groß. Ich rannte an der Hauptstraße entlang. Meine Hinterläufe und Pfoten schmerzten, als stünden sie in Flammen. Nach einiger Zeit zwang ich mich, langsamer zu werden. Die Wölfin konnte vor den Schmerzen nicht davonrennen und würde sich nur unnötig verausgaben. Immer wieder sah ich mich um und witterte, doch Animal schien mir nicht zu folgen. Entweder hatte das Feuer ihn zu sehr in Mitleidenschaft gezogen, oder er traute sich nicht ans Licht. Werwölfe hatten untereinander strenge Regeln: Wer sich in verwandelter Form in der Öffentlichkeit zeigte, wurde mit einer silbernen Kugel erschossen. Ich hinkte den Gehsteig entlang. Manchmal wandte sich ein Passant mir zu und machte mitleidige Laute. Ich knurrte ihn an und hinkte weiter. Um eine Menschentraube an einer Bushaltestelle schlug ich einen Bogen, bemerkte aber, wie viele Leute zu mir hinüber sahen. Einer griff sogar zum Handy. Da wurde mir klar, dass ich immer noch in Gefahr schwebte: Wenn Animal mich nicht erwischte, würden es vielleicht die Frankfurter Tierschützer tun. Ich bog in eine Seitenstraße ab und versuchte, mich von meinem Instinkt leiten zu lassen. Ich wollte nichts als in eine vertraute Umgebung. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich zwischen all den verwirrenden Gerüchen der Stadt einen vertrauten auffing. Ich schnüffelte und sog ihn tief in meine Nase. Wie eine goldene Spur kreuzte er meinen Weg, führte in eine kleine Bäckerei und wieder hinaus, die Straße entlang. Es war ruhig hier, nur wenig Autos fuhren vorbei. Eine Mama mit Kinderwagen kam mir entgegen, und ich wich ihr aus. Sie sah ängstlich zu mir rüber. Ich schleppte mich weiter. Die goldene Spur zog mich in eine schmale Nebenstraße, die voller geparkter Autos war, an einer Hecke entlang, an Briefkästen und abgestellten Fahrrädern vorbei. Dann endete sie in einem Hauseingang.
Ich sah mich um und lauschte in alle Richtungen. Eine Amsel scharrte im Beet, aber Menschen waren keine in der Nähe.
Ich verwandelte mich zurück und drückte die Klingel. Ein wahnsinniger Schmerz saß in meinen Beinen. Ich sah an mir herunter und sah nichts als Blut. Dann wurde ich ohnmächtig.