Читать книгу Speeddates und Kuschelsocken - Katrin Domnick - Страница 9

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4 – Glück im Unglück

Samstag 10:30 Uhr: ausnahmsweise früh und pünktlich ist Romina auf dem Weg zu Ihren Liebsten. Sogar 2 Maschinen Wäsche hat sie noch gewaschen, das Waschbecken geputzt und den Flur gesaugt. Motiviert und zufrieden tuckert sie mit ihrer alten Karre raus aus München, rein ins Wochenende. Die kleine Rückbank ist vollbeladen mit ihrer Reisetasche, dem Beautycase, einem Strauss frisch gepflückter Rosen für ihre Schwester (Blumen zum Selbstpflücken, ein Strauss 5 EUR, lag auf dem Weg), einem Einhorn-Ballon für Nele, einer Kiste Sekt, ihrem dicken, geliebten Kopfkissen, einem Hundekörbchen (ich komme gleich dazu), sowie hier und da noch das ein oder andere notwendige Utensil für 2 Tage Wochenendtrip, was man (Frau) halt so braucht, wenn man zu seiner Schwester fährt.

Die leckere, cremige Schokotorte, bestellt beim Bäcker ihres Vertrauens, hat sie auf den Beifahrersitz verfrachtet, wegen festhalten und so. Jetzt fehlt nur noch einer: Hercules.

Seit Nele sprechen konnte, hat sie sich einen Hund gewünscht. Nun haben Papa und Mama endlich nachgegeben. Nele ist sehr verantwortungsbewusst und liebt Tiere über alles. Romina und Caro waren mehrmals beim Züchter und haben Hercules besucht. Am heutigen Tag darf Romina Hercules in sein neues zu Hause bringen. Und Nele? Na die weiss von alle dem nichts. Das wird eine Überraschung. Eine Stunde später sitzt der knuffige, kleine Hercules wie ein Wattebausch hinten in seinem Körbchen und schaut traurig aus seinen unfassbar zuckersüssen Knopfaugen. Sicher vermisst er seine Mama, aber das wird bald besser werden. Romina erzählt Hercules währenddessen von seinem neuen Zuhause, von Nele, von dem Garten und auch von Oma und Opa, die aber gerade an diesem Wochenende nicht da sind, da eine entfernte Verwandte von Opa verstorben ist und beide zur Testamentseröffnung nach Hamburg fahren mussten. Fröhlich fahren nun beide in der Klapperkiste weiter. Nach ein paar weiteren Minuten meldet die Kontrollleuchte Romina den schwindenden Inhalt ihres Benzintanks. „Scheisse, so ein verdammter Mist.“

Jetzt war sie einmal so organisiert, zeitlich gut unterwegs und hatte diese dämliche Tankerei vergessen. Sie hatte sich so auf die Begegnung mit Hercules gefreut, dass sie alles andere vergaß. Ein Glück hatte sie Hercules als letzten Punkt auf ihre To Do Liste gesetzt. Denn wäre der süsse Reisebegleiter bereits früher eingestiegen, hätte sie wohl noch die Torte vergessen. Und alles andere, keine Blumen, kein Luftballon, kein Sekt (oh Gott, unverzeihlich). „Ok ok, nächste Tankstelle…. ich bin schon mitten in der Pampa hier“… Mithilfe ihres Handy‘s versucht Romina eine Tankstelle in der Nähe zu finden – ohne Erfolg – kein Netz.

„Hercules, wir fahren zurück zur Autobahn, ich fahre gleich an der nächsten Raststätte mit Tankhof ab und dann bringe ich Dich noch rechtzeitig zu Deiner und meiner Familie, versprochen.“ Gesagt, getan. Auf der Autobahn angekommen sieht Romina bereits die Anzeigetafel: 5km bis zur nächsten Tankmöglichkeit. „Die nehmen wir Hercules.“ Romina setzt den Blinker und nimmt die Ausfahrt zur Tankstelle.

Indes befindet sich Alex gerade auf dem Rückweg vom Flughafen. Es war ein schöner Abend gestern mit Robert. Sich persönlich zu sehen ist einfach was Anderes denkt er sich. Aufgrund der Entfernung aber leider nicht allzu oft möglich. Im kommenden Jahr soll Alex Robert in Shanghai besuchen. Mal sehen. Und bis dahin greifen beide wieder, wie gehabt, auf Online-Kommunikationstools zurück.

Es ist erst das 2. Mal, dass Alex seinen neuen Porsche auf der Autobahn fährt. Er hat einfach keine Zeit. Lediglich nach der Abholung des Wagens im Werk in Stuttgart auf der Heimfahrt nach München hatte er das Vergnügen. Da die A8 aber an allen Stellen komplett zugestopft war, war das Cruisen leider nicht wirklich möglich. Die Autobahn hier ist leider begrenzt auf 130 km/h, also wieder nichts mit Vollgas. Immer wieder ein paar Kilometer beschleunigt Alex seinen schicken Flitzer, mal auf 200, mal darüber hinaus, dann wieder schnell auf 130 km/h. Mehr geht grad wieder nicht, denn: „da, schon wieder einer, ich krieg gleich nen Anfall. Hey, fahr rüber Opa.“ Etwas zornig bremst Alex runter, wieder einmal versucht einer mit 80 auf der 3. Spur seinen Vorgänger zu überholen. Unfassbar sowas. Alex kriegt sich wieder ein und wechselt auf die 2. Spur.

Das Handy klingelt. „Alexander Abel, Abel Trading, guten Tag?“ „Ach, mein Junge, endlich erreiche ich Dich.“ „Hallo Mutter.“ „Ich habe schon den ganzen Morgen und gestern Abend angerufen, aber Du bist nicht rangegangen, wo steckst Du nur, warst Du über Nacht bei Deiner neuen Freundin?“ „Oh Gott Mutter, bitte lass das. Nein, ich war mit Robert zum Dinner und danach im Bett, zu Hause, in meiner Wohnung, alleine. Und den AB habe ich nicht mehr abgehört. Ich nehme an Du hast nur darauf angerufen?“ „Ja, nicht auf dem Handy, das mag ich nicht so gern.“ Alex schüttelt den Kopf, so modern und aufgeschlossen seine Mutter Konstanze ist, mit Technik hat sie’s einfach überhaupt nicht. Sie denkt noch immer, dass ein Anruf auf dem Handy ein Vermögen kostet – für den Anrufer. Obwohl sie finanziell überhaupt nichts zu befürchten hat. Alex stammt aus einer gut situierten, finanziell abgesicherten Familie. Sein Vater ist bei einem Autounfall verstorben, als Alex gerade 8 Jahre alt war. Bereits vorher, aber seit diesem Unfall extrem, ist er der Mittelpunkt und der Lebensinhalt seiner Mutter. Einer der Gründe, warum Alex sich entschloss, die Laufbahn an der Börse zu wählen und nicht die in der familieneigenen Bank einzusteigen. Dies hatte sein Cousin Raffael übernommen, der versteht noch immer nicht, wie sich Alex „solch eine Steilvorlage“ durch die Lappen gehen lassen konnte. Alex ist nach wie vor an der Bank beteiligt, hat und wollte aber kein Mitspracherecht. Alles ist gut, so wie es ist. Ausserdem wollte er zurück in die Stadt. Als Kind war er einen Grossteil seines jungen Lebens auf dem Landsitz am Starnberger See, nur selten in der Stadtwohnung seiner Eltern. Alex hat die Stadt immer gemocht und es hat ihn nach seinem Studium dahin zurückgezogen.

„Alexander ich komme gleich zur Sache, hör zu: Onkel Nikolai (der Vater von Cousin Raffael) feiert ja kommende Woche seinen 65. Geburtstag. Gundula (Onkel Nikolai’s Frau) und ich haben beschlossen, dass wir auf unserem Landsitz am See ein Überraschungsfest ihm zu Ehren ausrichten, na, was sagst Du?“ „Ja, gute Idee, sicher freut er sich sehr. Macht das. Ich nehme an, ich soll kommen ja, willst Du darauf hinaus?“ „Ja, natürlich, unbedingt, diese Frage stellt sich gar nicht. Ich nehme an für Deine Onkel bist Du bereit auch evtl. Termine zu verschieben!“ „Natürlich Mutter, natürlich. Ok, Tag, Uhrzeit, welche Kleidung?“ „Nächste Woche Freitag, 18:00 Uhr ist Eröffnung, Snacks werden den ganzen Abend über gereicht. Das Grillbüffet als Hauptspeise ist für 20: 00 Uhr geplant. Und wegen der Kleidung: ja doch etwas schicker, also Du kannst Deinen Anzug einfach anlassen“, Konstanze lacht. „Ach und noch was Alexander Anatolij: Du bringst SIE mit! Basta!“

Aus reinem Selbstschutz hat Alexander seine Mutter bereits seit Monaten im Glauben gelassen, er habe eine neue Partnerin. Aus einer anfänglich wagen Vermutung heraus wurde für Konstanze eine offensichtliche Tatsache: sie hatte auf dem Flur seines Lofts ein besticktes Taschentuch gefunden, eine Woche später lange Haare an seinem Jackett entdeckt, es folgte Beweis auf Beweis. Davor hatte sie ihn bereits wochenlang gelöchert, ihm abendliche Treffen unterstellt. Die Wahrheit war, dass Alexander abends manchmal einfach keine Lust hatte, mit seiner Mutter die üblichen Gespräche über Ehe und Kinder zu führen. Er hatte das Telefon einfach klingeln lassen. Konstanze wünscht sich seit Jahren nichts mehr als eine stabile Partnerschaft für „ihren Jungen“ und natürlich auch ein paar Enkelkinderchen. „Mutter das wird nicht funktionieren, Du weisst, Jennifer ist noch beschäftigter als ich, durch ihren Beruf als Stewardess ist sie ständig unterwegs, noch mehr seit 2 Ihrer Kolleginnen in den Mutterschutz gingen.“

Ein schlechtes Gewissen? Nein, das hat Alex nicht. Seine Mutter war neugierig aber glücklich und er hatte – mehr oder weniger – seine Ruhe. „Wir reden nochmal, ich rufe Dich nächste Woche noch ein paar Mal an Alexander. Bitte melde Dich noch kurz telefonisch bei Raffael. Er hat bereits ein Geschenk besorgt und möchte noch eine Überraschung vorbereiten, wozu er Deine Hilfe benötigt.“ „Ok, mache ich.“ „Nun gut mein Junge, dann bis nächste Woche.“ „Alles klar Mum, machs gut.“

Das Autotelefon wählt bereits die Nummer von Raffael, als Alexander zu sich selbst sagt „ach, ich könnt gleich noch tanken fahren.“ An der nächsten Möglichkeit fährt er ab. Raffael hebt ab und beide sprechen über die geplante Überraschung zum Geburtstag am kommenden Freitag.

Schnellen Schrittes und mit einer bereits halb gefutterten Mini-Rolle gefüllter Doppelkekse in der Hand, steuert Romina auf ihr Auto zu. Hercules steht schwanzwedelnd zwischen Ballon, Blumen und anderen Utensilien am Fenster des Wagens und freut sich. „Da ist die Romina schon wieder mein süsser Schatz, gleich geht’s weiter, ich denke Du verstehst mich gut, nach dem ganzen Stress brauchte ich eine kleine Portion Zucker, denn bis wir den Geburtstagskuchen anschneiden, dauert es noch ein bisschen.“

Der Geruch des Kuchens machte sie schon die ganze Zeit über wahnsinnig. Der ganze Wagen duftete wie eine Konditorei. Ein Traum aus Rührteig, Vanille, Buttercreme und Schokolade. Fett und Zucker = Glück und Liebe. Pures Vergnügen. Aber, sie hat durchgehalten. Vorerst müssen die Doppelkekse ausreichen. Romina steigt ein, steigt nochmal aus, steckt Hercules zurück in sein Körbchen, nimmt Platz und legt sich den Gurt an. „So, nun geht’s los“, sagt Romina, in den Rückspiegel zum gespannten Wattebausch schauend. Als der Wagen auch nach dem dritten Zünden nicht anspringen will, dreht sich Romina Richtung Rückbank und sagt: „Hercules, jetzt haben wir ein Problem.“ Das hat sie wirklich. Zwar steht sie nicht im „Nirgendwo“, aber dennoch verlassen: Vor ein paar Monaten hat Romina die Mitgliedschaft im ADAC gekündigt, weil sie so gut wie nie fährt. In der Stadt ist doch meist alles mit Bus und Bahn erreichbar, selbst, wenn sie es eilig hat. Die Autofahrt zum Hotel diese Woche war eine Ausnahme, aber auch das hätte sie besser sein lassen, dann wäre sie nicht mit dem Aufzug stecken geblieben (wegen der Tiefgarage). Nun gut, es ist, wie es ist. Romina steigt aus dem Wagen und öffnet die Motorhaube, warum weiss sie eigentlich auch nicht, aber das macht man halt so. Kabel, Schmutz, oh, heiss… Keine Ahnung, was das alles ist, naja, zumindest den Wischwasserbehälter kann ich identifizieren.

Gerade als sie ihre Schwester Caro anrufen möchte, hört sie im Hintergrund ein freundliches: „Guten Tag, brauchen Sie Hilfe?“

Alexander hat den Porsche vollgetankt und läuft zum Wagen, als er eine offene Motorhaube an einem, sehr milde ausgedrückt, etwas heruntergekommen Fahrzeug erkennt. Aufgrund des Aufklebers auf der Heckscheibe „think pink“, vermutet er eine weibliche Person. Alexander ist seit seiner frühen Jugend mit Leib und Seele Oldtimer Bastler und kennt sich ziemlich gut mit der KFZ-Technik aus. Auf dem Landsitz seiner Mutter stehen insgesamt 3 Fahrzeuge: ein VW Käfer, ein Porsche Targa und der Mercedes seines verstorbenen Vaters. Wenn er hin und wieder dort ist, dann verbringt er die meiste Zeit des Tages (und der Nacht) in der alten Scheune und restauriert. Die Arbeit an den Fahrzeugen ist das komplette Gegenteil zur Börse. Macht ihm aber mindestens genau so viel Spass.

Beim Umdrehen stösst sich Romina den Kopf an der Motorhaube an, es macht einen ziemlichen Schlag. Hercules fängt auf der Rückbank an zu bellen und kratzt an der Autotür. Die Blicke der Beiden treffen sich. Zweimal weit aufgerissene Augen, zweimal ungläubiges Kopfschütteln. Zwei Menschen, ein Satz: „Äh, kennen wir uns nicht?“ „Oh mein Gott, Sie sind der Supersportler…“ „Ja, so sieht man sich wieder“, antwortet Alex irritiert, kommt aber gleich zum Wesentlichen: „so, dann lassen Sie den Supersportler mal nachsehen, was dem guten Stück fehlt. Haben Sie da schon jemals Öl nachgefüllt? Wie lange haben sie ihn schon?“ „Nein und 2 Jahre“, antwortet Romina. Eigentlich müsste sie sich über seine Hilfe freuen, aber muss es denn gerade DER sein?

Hercules kläfft ohne Ende, Alex ist extrem genervt. „Ist das ihr Hund? Warum lassen Sie ihn nicht raus?“ Ja, stimmt eigentlich überlegt Romi. Sie öffnet die Tür und nimmt den süssen, kleinen Hercules auf ihren Arm. „Na bitte, schon ist Ruhe.“ Alex tätschelt Hercules das Köpfchen und Hercules knurrt Alex giftig an. Leise flüstert Romi dem Hündchen ins Ohr: „hast recht, ich mag ihn auch nicht.“ „Ist das ihr Hund? Dann machen Sie ja vielleicht doch demnächst Sport, wenn er grösser ist.“ Ein bisschen lästern kann sich Alex nicht verkneifen. „Ha, witzig. Nein, das ist Hercules. Meine Nichte feiert heute ihren 9. Geburtstag und bekommt den besten Freund der Welt, sie weiss nichts und sie ahnt nichts, ihre Eltern natürlich schon. Das wird eine riesige Überraschung.“ „Ich habe leider auch eine Überraschung für Sie“, aus Alex Miene kann man ein klein wenig Mitleid erkennen. „Mit diesem W agen fahren Sie nirgendswo mehr hin. Nicht heute und auch sonst nicht. Der Motor ist komplett hinüber.“

Es trifft Romina wie ein Schlag ins Gesicht. Vorsichtig setzt sie Hercules ab und lässt sich neben ihn auf den Boden sinken. Dass es gerade heute passiert, ist schon schlimm genug. Alles war exakt geplant, alles hat mega-gut geklappt – bis jetzt. Und erschwerend kommt hinzu, dass sich Romina momentan kein Ersatzfahrzeug leisten kann. Ja, ihre Eltern haben genug Geld und jetzt noch das Erbe der entfernten Verwandten, aber sie hat nie Geld von ihren Eltern genommen, selbst, wenn es fast gar nicht mehr ging. Dazu ist sie zu stolz.

Vorallem auch, weil ihre Eltern mit ihrem Entschluss nach der 11. Klasse vom Gymnasium abzugehen um Erzieherin zu werden, statt, wie Schwester Caro und ihr Vater, Jura zu studieren, überhaupt nicht einverstanden waren. Diesen Entschluss verstehen sie bis heute nicht. Romina aber würde alles wieder genauso machen.

„Wir lassen das Fahrzeug hier stehen“, schlägt Alex vor, „Sie müssten sich dann in den kommenden Tagen einen Abschleppdienst beauftragen, direkt zum Schrottplatz am besten. Oder Sie schalten kurzfristig eine Annonce in den Kleinanzeigen. Fahrzeug zu verschenken – defekt oder sowas in der Art.“ „Ja, das ist gut, das mache ich gleich nachher bei meiner Schwester. Danke für Ihre Hilfe – Alexander, richtig?“. Ja, Sie waren Romina?“ Romina nickt traurig. „Ok Romina, wie kommen Sie nun zu Ihrer Nichte auf den Geburtstag, wo müssen Sie hin?“ „Ich muss nach Puchheim, meine Familie wohnt dort. Es ist nicht mehr weit, 20 km, aber meine Eltern sind nicht da, meine Schwester ist mit meiner Nichte heute Morgen im Erlebnisbad und mein Schwager, er ist Richter am Landgericht, ist bis heute Nachmittag auf einer Tagung.“ „Ok, das ist nicht weit. Wissen Sie was, wir schauen, dass wir ihr ganzes Zeug in mein Auto laden und ich bringe Sie hin. Mehr Platz war in ihrem Wagen auch nicht für das ganze Zeug mitsamt dem Hund.“ „Pfuhl, ist das ihr Ernst? Also, ich weiss nicht, ob ich das annehmen kann?“ „Na sonst hätte ich es Ihnen nicht angeboten. Auf geht’s, kommen Sie, wir laden um, ich hole meinen Wagen.“

Als Alex mit dem „krassen Schlitten“ auf sie zurollt, glaubt sie ihren Augen nicht zu trauen. „Wow Hercules, was eine Karre, nun wirst Du aber mal richtig standesgemäss nach Hause gebracht.“

Zuschauern bietet sich ein groteskes Szenario: Während Alex zum Auto lief, hat Romina bereits ihre Sachen ausgeladen. Da steht sie nun, vor ihrer Schrottkarre, mit Hercules auf dem Arm, umringt von all ihrem Gerümpel samt Sahnehäubchen: einem schwebendem Einhornballon über alle dem. Alex rollt im wohl saubersten Auto, dass Romina jemals gesehen hat, auf sie zu. Öffnet die Türen und den Gepäckraum, der ist dort, wo bei Romina’s Wagen der Motor war, und fängt an einzuladen. Romina steht wortlos daneben. „Na los, wollen sie mit in den Kofferraum oder doch vorne einsteigen? Was machen wir mit dem Hund? „Mh“, Romina überlegt, „ich denke Hercules und sein Körbchen passen auch noch auf den Notsitz, da ist er auch relativ sicher, schieben Sie die Rosen und den Ballon zur Seite. Die Torte nehme ich auf den Schoss, ansonsten ist sie ganz hinüber, für die Schokolade ist es ohnehin schon zu warm.“ „Gut, dann setzen Sie sich, anschnallen bitte, ich gebe Ihnen gleich die Torte.“ Hercules wird auf der Notbank verstaut und sitzt nun sicher in seinem Körbchen. Los geht die Fahrt.

„Geben Sie mir die Adresse fürs Navi. Oh Mist, wir haben einen Karton vergessen, ich drehe noch schnell um, zum Glück waren wir noch nicht auf der Auffahrt.“ Mit einer sachten Wendung, bei der ganzen Ladung ist Vorschicht geboten, sieht Romina, dass sie, neben Hercules, das Wichtigste überhaupt übersehen hat: die Kiste Blubberbrause. Ein Wochenende bei der Schwester ohne Sekt? Nie und nimmer. Gut, man könnte dort auch welchen kaufen, aber Romina liebt diese Marke und die gibt es derzeit nur in einem Laden in der Münchner Innenstadt. Halt, nein, was ist das? Romina sieht den Müllwagen, er hält, einen Mann, der motiviert und voller Elan von der Rampe springt, die Tonne leert, diese wieder an ihren Platz stellt, sich nochmals umdreht, den vollen Sekt-Karton schnappt und mit voller Power in die Müllpresse wirft. „Nein, nein, nein, das darf doch nicht wahr sein, oh mein Gott, haben Sie das gesehen? Der ganze Sekt, das waren 50 EUR, weg, einfach weg. Ist der blöd oder was? Sowas muss man doch merken.“ Romina ist fix und fertig. Alex versucht sie zu beruhigen. „Ja, das versteh ich auch nicht, zumindest guckt man mal rein, ich denke die Kiste war ja auch nicht grade leicht. Der Mülllaster ist weg, egal wie, die Flaschen wären eh hin. Ich schlage vor, wir fahren noch kurz an einem Laden vorbei und sie decken sich neu ein.“ „Wirklich, das wäre so nett, es tut mir leid, jetzt fahren sie mich schon nach Puchheim und dann noch ein Umweg.“ „Das macht mir nichts aus, ich hole gleich noch Kaffee, bin die ganze Woche zu nichts gekommen, sonst habe ich am Wochenende keinen zu Hause und je nachdem, wie sich die Kurse insgesamt dieses Wochenende entwickeln, ich habe dann so gut wie keine Zeit Besorgungen zu machen.“ „Prima, dann machen wir das. Danke. Sind Sie Aktienhändler oder sowas?“ „Ja, oder wie mich der Kleine meiner Cousine beschrieb: der Alex ist ein Spekulatius an der Börse.“ Beide fangen schallend an zu lachen. Hercules bellt schwanzwedelnd mit. So viel Humor hätte sie dem Schnösel gar nicht zugetraut. Ok, vielleicht war er ja auch keiner, immerhin fährt er sie, mitsamt des nahezu kompletten Hausstandes, zu ihrer Bagasche – und noch dazu in den Supermarkt. Gut, das wohl nicht ganz uneigennützig, wegen des Kaffees. Was der wohl trinkt? Sicher nicht das Angebot für 3,59 EUR, evtl. ein super-veganer Hochland-Bio-Arabica, Fair Trade und in sich selbst recyceltem Material verpackt, 25,90 EUR á 200 Gramm, oder vielleicht den mit aus getrockneter Katzenkacke? Kennt ihr nicht? Na dann googelt mal. Aber ne, den gibt es nicht im Supermarkt.

Ein paar Minuten später steuert Alexander den Parkplatz des Lebensmittelladens an. „So, da sind wir, sollen wir nacheinander gehen, wegen dieser schnarchenden Wolke dahinten?“ „Ne, schon ok, Hercules schläft, wenn wir nur die Fenster einen kleinen Spalt öffnen könnten bitte, wir sind ja gleich wieder da.“ Schnell werden im Geschäft die jeweiligen Regale angesteuert und beide Treffen sich auf dem Weg zur Kasse. „Schauen Sie mal, da vorne gibt es Floristensträusse, wollen Sie nicht lieber so einen nehmen, ich meine der im Auto sieht aus wie selbst gepflückt und ehrlich gesagt schon ziemlich mitgenommen.“ Etwas irritiert antwortet Romina: „die Rosen habe ich heute tatsächlich selbst gepflückt und auch dafür bezahlt. Mir gefällt der Strauss und er ist überhaupt nicht mitgenommen.“ Stille. Keiner sagt was. Derweil in der Kassenschlange weiter vorne: Ein schätzungsweise 10 Jahre alter Junge steht mit seiner Mutter, davor eine junge Frau, sichtlich gestresst. Das Kind hampelt ständig vor und zurück und summt dabei. Der Einkaufswagen rollt vor, bis er ans Gesäss der Frau stösst. „Jetzt reicht’s mir mit dem frechen Balk, halten Sie ihr Kind mal unter Kontrolle, ich glaub’s geht los.“ Heftiges Geschrei und Schuldzuweisungen fallen, die Kassiererin mittendrin statt nur dabei, aber nicht fähig etwas zu sagen.

Ein paar Sekunden später beruhigt sich die Situation. Die junge Frau bezahlt, wünscht der Kassiererin einen schönen Tag und der ungezogene Junge rammt ihr mit voller Wucht den Einkaufswagen ans Schienbein. „Ohjeee, das wars, jetzt eskaliert’s“, sagt Romina zu Alex. Der junge lacht schadenfroh und rotzfrech. Anstatt sich bei der jungen Dame zu entschuldigen, nimmt die Mutter ihren Sohn noch in Schutz: „unser Sohn geniesst eine anti-autoritäre Erziehung. „Boah, ich glaub jetzt hätt ich ihm mitsamt der Mutter eine reingesemmelt“, sagt Romina, eigentlich zu sich selbst, aber einstimmiges Nicken in der gesamten Schlagen bestätigt sie in ihrer Meinung. Alex, sonst immer ruhig und besonnen, alle Situationen kontrollierend, kämpft sich nun mit hochrotem Kopf in der Schlange nach vorne. Er nimmt einen Becher Buttermilch vom Kassenband, öffnet den foliierten Deckel und schüttet dem Bengel die volle Ladung über den Kopf. Totenstille im Raum. Alex fügt hinzu: „wehrte Dame, auch ich wurde anti-autoritär erzogen.“ Drückt der zu Stein erstarrten Mutter den leeren Becher in die Hand und geht zu seinem Platz in der Schlange zurück. Als er wieder neben Romina steht, lächelt er zufrieden. Romina starrt ihn mit grossen Augen und offenem Mund ungläubig an. Mutter und Sohn verlassen wutentbrannt den Laden „das wird ein Nachspiel haben, das sage ich ihnen.“ Der tropfende Junge weint bitterlich.

Die ganze Schlange klatscht Beifall. Ein Mann sagt: „das war höchste Zeit, vielleicht überdenkt diese dämliche Nuss jetzt mal ihre Erziehungsmethodik.“ Die Frau neben ihm kontert: „welche Erziehungsmethodik?“ Erneut schallendes Gelächter. Eine Angestellte des Supermarktes kümmert sich derweil auf die riesige Buttermilchpfütze auf dem Boden. Romina und Alex eilen gemeinsam hin. „Warten sie, wir machen das“, sagt Alex. Die junge Dame, das Opfer des Bengels, hatte der Angestellten bereits mit einem Lappen und dem Wischer geholfen. Sie steht auf: „ich danke Ihnen, das war einfach spitze, ihre Reaktion, unbezahlbar. Vorallem die Gesichter. Ich hoffe das war diesem Pimpf mal eine Lehre und der Mutter auch.“ „Schon gut, ich hasse solche Eltern, eigentlich können die Kinder ja nichts dazu, sie werden so erzogen, aber ein gewisses Maß an Anstand sollte auch ohne Erziehung in jedem selbst vorhanden sein“, sagte Alex. Die junge Frau, die sich als Dolores vorstellt, stimmt zu. Das Geplänkel zwischen Beiden geht dann noch ein paar weitere Minuten, Romina steht wie ein Trottel daneben und zieht sich das Spektakel rein. Fühlt sich aber irgendwie total fehl am Platz.

Hinzu kommt, dass sie sich, verglichen mit dieser Dolores, vorkommt, wie ein schlecht gekleidetes Nilpferd im Breton Shirt. Wie so oft trug sie ihr Jeans-Latzkleid über dem schon etwas verwaschenen, aber heiss geliebten gestreiften Shirt, dazu Camel-Boots und Leggings. Hatte die überhaupt schonmal etwas gegessen? Feste Nahrung wohl noch nie, die letzte Flasche bei Mama ist auch schon lange her. Ein Knochengerippe, kein Gramm Fett an der, noch weniger, negativ Fett. Die Haut im Gesicht, ohne Poren, ohne Pickel, kein Haar zuviel an den Augenbrauen. Die Nase, sicher vom Chirurgen. Die Brüste sowieso. Der Overall, den sie trägt, passt ihr wie auf den Leib geschneidert. Was wohl in der vorgeht, wenn sie vor einem Regal voll mit Schoko-Keksen steht? Gar nichts? Das kann es nicht geben. Unmöglich, undenkbar. Dolores gibt Alex ihre Visitenkarte: „wenn Sie mal einen Anwalt brauchen“ und zwinkert ihm lächelnd zu. Nun steht Alexander da wie ein Trottel, mit der Visitenkarte in der Hand, dazu ziemlich dämlich grinsend und der hinternwackelnden Dolores hinterher schauend, wie sie das Geschäft verlässt. Bevor sie in ihr Auto einsteigt, wirft sie schwungvoll ihr volles, prächtiges, splissfreies, schwarzes Haar zur Seite, dann rauscht sie in ihrem sauteuren Sportflitzer davon.

Was hatte die eigentlich gekauft? Abführtee vielleicht, oder Mineralwasser zum Haarewaschen. Widerlich, diese Modepuppe. Als Alex allmählich wieder zu sich kommt, dreht er sich zu Romina um: „ah, da sind sie ja, so können wir gehen?“ Nickend dreht sich Romina um und läuft in Richtung Ausgang, Alexander schwebt hinterher. „Boah, was ein oberflächlicher Typ“, sagt sie zu sich selbst. „Egal, Hauptsache er bringt mich zu meiner Family.“

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