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Ankunft

Ein leichter Geruch von Urin auf warmem feuchtem Stein. Sobald ihr die vertraute Mischung in die Nase stieg, wusste Eva: sie war angekommen. Die Duschen lagen rechts und links der Terrasse, direkt neben den Toiletten mit den hellblauen Holztüren. Abends stapfte sie mit ihrem Vater durch den Sand nach oben, sonnenwarm oder fröstelnd von Wind und kaltem Meerwasser. Wenn sie die Gettoni, die Signor Bertoni ihnen umsonst gab, in das abgewetzte Metallkästchen steckte, hüllte der Dampf in der gemauerten Duschkabine sie ein wie ein Willkommensgruß. Über ihr der Himmel, manchmal blau, oft aber grau, mit Wolken, die der Scirocco vor sich hertrieb. Sie kamen im Frühjahr und im Herbst. Es waren die Zeiten der Arbeit. Des Aufräumens und der Vorbereitung. Wenn Bernd den alten VW-Bus im Herbst auf der Terrasse des Restaurants parkte, waren die Spuren der Saison schon fast beseitigt. Sonnenschirme und Liegestühle hatte Eva nie gesehen. Vereinzelt wurden noch Boote winterfest gemacht. Vor allem aber mussten die Zäune aufgebaut werden, die verhinderten, dass der Sand im Winter bis auf die Terrasse geweht wurde.

Eva und Bernd waren in dem kleinen Kosmos von Signor Bertonis Strandbad so etwas wie Zwitterwesen, keine Einheimischen, aber auch nicht wirklich Touristen. Bernd half dem Padrone beim Auf- und Abbau vor und nach der Saison, dafür durften sie kostenlos direkt am Restaurant campen. Wenn Eva und ihr Vater ankamen, wurden sie jedesmal herzlich begrüßt.

»Ecco, arrivano i tedeschi! Die Deutschen sind wieder da!«

Die Einheimischen kannten sie schon. Ebenso wie die clienti, die Sommergäste, die in der Zeit um Ostern ihren ersten großen Auftritt hatten. Wie sie in Signor Bertonis Bagno Einzug hielten, erinnerte Eva immer an eine Fronleichnamsprozession: in feinem Zwirn und hochglanzpolierten Stöckelschuhen, die Kinder matrosenblau oder rüschenbehangen, vorneweg mit einem spitzenbesetzten Tuch um die Schultern und wichtiger Miene die nonna als Älteste der Familie. Sie kamen, um für die Sommermonate Liegestühle und Sonnenschirme in den vorderen Reihen zu reservieren. Mit den Jahren hatten sie sich wohl an den rostenden blauen VW-Bus mit Stuttgarter Kennzeichen gewöhnt, der mitten auf der Sonnenterrasse stand, direkt vor dem Panoramafenster des Restaurants. Trotzdem gehörte es zu ihrem Osterritual, auf dem Weg vom Bagno zum Strand langsam in geordneter Formation die Terrasse zu durchschreiten. Hörbar klingelten Großmütter und Tanten mit den goldenen Kettchen, die sie um Hals und Handgelenke trugen, und warfen missbilligende Seitenblicke auf das klapprige Gefährt. Bernd grinste dann immer süffisant. Er klopfte Eva auf die Schulter.

»Merkst du es? Wir zwei Hippies stören die großbürgerlichen Kreise.«

So war es immer gewesen. Sie beide gegen den Rest der Welt.

»Wir sind die Familie, vergiss das nie!«

Wie hätte Eva es je vergessen können? Sie hatte ja nur ihren Vater.

Jetzt saßen sie sich zu Hause am Küchentisch gegenüber. Er stopfte genüsslich seine Pfeife, zog ein paar Mal daran, paffte Rauchwölkchen in die Luft.

»Und? Was gibt’s so Wichtiges zu erzählen?«

Wo sollte sie beginnen? Am Abend zuvor war sie nach Hause gekommen. Sie war nur zwei Wochen weg gewesen, doch es fühlte sich an, als habe sie zwei Jahre auf einem fernen Kontinent verbracht. Der kleine Holztisch, an dem sie seit Evas Kinderzeit gemeinsam gefrühstückt hatten, erschien ihr auf einmal wie ein unüberwindliches Hindernis zwischen ihnen. Waren sie sich nicht immer nah gewesen? Wann hatte sich das verändert? Vermutlich hatte es an jenem Tag im Januar begonnen, als Eva sich mit Ruben im alten Waisenhaus traf.

Windmühlentage

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