Читать книгу Frühere Verhältnisse - Katrin Unterreiner - Страница 6
Vorwort
Оглавление»Ist das Weib geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein«, so der Psychiater und Rechtsmediziner Richard von Krafft-Ebing.1 Angesichts der Tatsache, dass in Wien Mitte des 19. Jahrhunderts jedes zweite Kind unehelich zur Welt kam, scheinen diese Ängste nicht ganz unbegründet gewesen zu sein. Wie war es möglich, dass zu einer Zeit, da der Anblick eines unbedeckten Frauenknöchels bereits zum Skandal geriet, derartig viele »Fehltritte« mit Folgen passierten? Wer waren diese »wohlerzogenen Frauen mit mäßig sinnlichem Verlangen«, die uneheliche Kinder zur Welt brachten? Wie reagierte die Gesellschaft auf derartige Vergehen? Was geschah mit den Müttern und ihren in Schande geborenen Kindern in einem Umfeld, das »die Sexualität als ein anarchisches und darum störendes Element, das man nicht am lichten Tage schalten lassen dürfe, weil jede Form einer freien Liebe dem bürgerlichen ›Anstand‹ widersprach«, empfand?2
Tatsache ist, dass außereheliche Verhältnisse offensichtlich im 19. Jahrhundert gelebte Praxis waren, wie dies Otto Friedländer, Chronist der Monarchie, nicht ohne Sarkasmus beschrieb:
Männer flüchten aus unglücklichen Ehen in eine sogenannte ›zweite Menage‹. Es gibt zahllose ›zweite Menagen‹ vom Kaiser herab bis zum wohlhabenden Gewerbetreibenden. Das Eigentümliche ist, daß die zweite Menage genauso aussieht wie die erste, nur etwas billiger: Hat die erste Menage vier Dienstleute, dann hat die zweite zwei und so weiter. Meistens gibt es in der zweiten Menage auch Kinder, und kein Mann empfindet sie als weniger verpflichtend als die erste.3
Also auch die Mitglieder des Kaiserhauses und des Adels pflegten diese Usancen, wie die »zweiten Menagen« Erzherzog Ottos mit Marie Schleinzer und Louise Robinson zeigen. Sogar der Kaiser selbst war davon nicht ausgenommen:
Manche Frauen der ersten Menage fördern die zweite geradezu. Mit Abenteuer, Verschwendung und Leichtsinn haben diese zweiten Menagen gar nichts zu tun – nicht einmal viel mit Erotik. Es soll zweite Menagen geben, die überhaupt nichts mit Erotik zu tun haben. Das behaupten viele, die etwas wissen sollten, zum Beispiel von der zweiten Menage des Kaisers.4
Was geschah nun, wenn diese Verbindungen – wie die Statistiken zeigen offensichtlich häufig – Folgen hatten und die Frauen schwanger wurden. Standen die Väter zu ihren heimlichen Geliebten und unehelichen Kindern?
Das Buch geht der Frage nach, wie heimliche Geliebte versorgt und mit außerehelichen Schwangerschaften im Kaiserhaus, in den Villen der Bürger und in den Dachkammern der Dienstmädchen verfahren wurde.