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»Falls es am Leben bleibt …« Ungewollte Kinder Arthur Schnitzler, Felix Salten und Gustav Klimt

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Uneheliche Liebschaften wurden von bürgerlichen Männern meist mit Mädchen eingegangen, die nicht ihrer eigenen Gesellschaftsschicht entstammten: mit Dienstmädchen aus dem eigenen Haushalt, Verkäuferinnen, Näherinnen und anderen ledigen Mädchen der Unterschicht. Zeigte ein derartiges Verhältnis Folgen, waren die Konsequenzen für die Frau ungleich schwerer als für ihren Geliebten.

Entschloss sich eine Frau, aus welchen Gründen auch immer, ihr uneheliches Kind zur Welt zu bringen, lag ein schwerer und zumeist einsamer Weg vor ihr. Die Gesellschaft war der Ansicht, dass eine ungewollte Schwangerschaft in erster Linie das Problem der Frauen wäre. Hatte das Mädchen Glück, kam der Mann für die gesetzlich verpflichteten Kosten der Geburt auf und zahlte auch Alimente. Deren Höhe und Regelmäßigkeit bestimmte er oft nach eigenem Gutdünken, waren die aus einfachen Verhältnissen stammenden Frauen doch in den seltensten Fällen in der Lage nicht gezahlte Alimente vor Gericht einzuklagen. Direkte Verantwortung für sein Kind übernahm er in der Regel nicht.

Um die Fassade der Wohlanständigkeit zu wahren, hatte die bürgerliche Gesellschaft eigene, inoffizielle Spielregeln ersonnen, wie mit dem unliebsamen Zwischenfall diskret umzugehen sei.

Schnitzlers »Der Weg ins Freie« beschreibt die damals übliche Verfahrensweise:

Anfang März war er [Georg] mit Anna aus Wien abgereist, da ihr Zustand kaum länger zu verbergen war … Der Plan für die folgenden Monate war entworfen. Bis zum Frühsommer wollte Georg sich mit Anna im Auslande aufhalten, dann sollte in der Umgebung von Wien ein Landhaus gemietet werden, so daß in der schwersten Zeit die Mutter nicht fern wäre und das Kind ohne Schwierigkeiten in der Nähe der Stadt in Pflege gegeben werden konnte.29

Die Realität war hier Pate gestanden. Schnitzlers große Liebe Marie Reinhard wurde 1897 schwanger. Eine Ehe kam für ihn offensichtlich nicht in Betracht und Schnitzler suchte daher eine Wohnung auf dem Land, wo seine Geliebte die Geburt abwarten konnte. Das Kind, ein Sohn, kam nach mehrtägigen Wehen tot zur Welt. Marie Reinhard starb zwei Jahre später an einem Blindarmdurchbruch.

Auch als seine Geliebte Olga Gussmann nach zweijähriger Beziehung schwanger wurde, dachte er nicht an Heirat. Sie verlor das Kind, wurde allerdings erneut schwanger. Wieder suchte Schnitzler – wie bereits zuvor bei Marie Reinhard – Quartier auf dem Land, wo sie die Geburt des Kindes fern vom Wiener Tratsch erwarten konnte. 1902 wurde Sohn Heinrich geboren, doch erst ein Jahr später am 26. August 1903 heiratete er Olga auf ihr Drängen hin.

Schnitzler war bei weitem kein Einzelfall, auch sein enger Freund Felix Salten wurde mehrere Male ungewollt Vater. Salten und die sozialdemokratische Frauenaktivistin Lotte Glas waren seit 1894 ein Paar. Als Lotte Glas schwanger wurde, zog auch sie sich, um die Schwangerschaft zu verbergen, in den Monaten vor der Geburt aufs Land zurück. Erst kurz vor der Niederkunft kehrte sie nach Wien zurück und brachte 1895 im Wiener Gebärhaus ein Mädchen zur Welt. Salten zahlte dafür nach eigenen Angaben fünfhundert Kronen.30 Wie damals üblich, wurde das Kind nach Niederösterreich zu einer Kostfrau in Pflege gegeben, wo es kurz darauf starb. Die Beziehung der beiden scheiterte daraufhin.

Salten, geborener Salzmann, hatte aber noch weitere uneheliche Kinder. Die hier erstmals veröffentliche Lebensgeschichte von Elisabeth Kotter zeichnet ein für damalige Verhältnisse keineswegs ungewöhnliches Bild. Elisabeth Kotter, 1873 geboren, ein aus Groß Enzersdorf gebürtiges Mädchen, trat wie für Mädchen aus der Vorstadt üblich im Hause Salzmann in Hütteldorf eine Stelle als Dienstmädchen an. Salten verliebte sich in das Mädchen und ging mit ihr eine Liebesbeziehung ein. Das Verhältnis hatte Folgen, Elisabeth wurde schwanger. Offensichtlich überlegte Salten eine Legalisierung der Beziehung, doch die Tatsache, dass das Mädchen streng katholisch war, Felix Salten jüdisch und sie unterschiedlichen sozialen Schichten entstammten, machte eine Heirat unmöglich. Dennoch entschloss sich Elisabeth, das Kind zur Welt zu bringen und gebar 1896 ihre Tochter Caroline. Die Umstände der Geburt sind nicht näher bekannt. Obwohl eine legitime gemeinsame Zukunft nicht vorstellbar war, bestand das Verhältnis weiter und 1898 wurde Sohn Ottmar Peter geboren. Salten unterstützte im Unterschied zu vielen anderen seiner Geschlechtsgenossen seine beiden unehelichen Kinder finanziell und ermöglichte ihnen eine Erziehung nach bürgerlichen Maßstäben. Die Tochter erhielt unter anderem Klavierunterricht und der Sohn eine Ausbildung an der Akademie in Wien.


Elisabeth Kotter

Offensichtlich noch während seiner Beziehung zu Elisabeth hatte Salten bereits 1896 eine Liebesaffäre mit der Burgschauspielerin Ottilie Metzl begonnen, die er 1902 heiratete. 1903 wurde Sohn Paul geboren und 1904 Tochter Anna Katharina. »Von da an begann mein Schicksal leichter zu werden. Meine Frau, geistig, künstlerisch hochstehend, von großem Seelenadel, hatte bestimmenden Einfluß auf mich.«31 Das Kompliment, das Salten seiner Frau bezüglich ihres Seelenadels machte, mag sich auf die Tatsche begründen, dass Ottilie offensichtlich über seine Beziehung zu Elisabeth Kotter Bescheid wusste, und Verständnis zeigte. Caroline, seine Tochter aus dieser Verbindung, soll nämlich mehrmals im Hause Salten erschienen sein und nach ihrem Vater gefragt haben.32

Elisabeth Kotter, alleinstehend und Mutter zweier unehelicher Kindern, hatte in der Zwischenzeit per Heiratsannonce einen Mann gesucht. Der Schlossermeister Peter Hartmann meldete sich und sah in den beiden Kindern kein Hindernis für eine Ehe. Die Ehe scheint glücklich gewesen zu sein, denn es folgten noch weitere fünf Kinder. Einige erhaltene Postkarten, die Salten Lisi – wie er sie nannte – schrieb, zeigen, dass ein freundschaftliches Verhältnis weiterhin bestehen blieb.33 Die Postkarten stammen aus den Jahren 1909 bis 1921, als beide bereits verheiratet waren. Elisabeth Kotter, verehelichte Hartmann starb 1946.

Genaueren Einblick in eines der unzähligen namenlosen Schicksale unehelicher Kinder und deren Mütter bietet die Geschichte einer weiteren Künstlergeliebten. Ein erhaltener Briefwechsel zeigt aus der Sicht des Kindesvaters die Situation seiner ungewollt schwanger gewordenen Geliebten. Der Vater der beiden Kinder Maria Zimmermanns war niemand geringerer als der zu diesem Zeitpunkt bereits bekannte und gefeierte Maler Gustav Klimt.

Gustav Klimts Hang zum schönen Geschlecht war legendär und soll ihm insgesamt vierzehn uneheliche Kinder beschert haben, sechs davon wurden nach seinem Tod gerichtlich anerkannt.34

Rund zwei Monate vor der Geburt seines ersten Kindes mit Mizzi, wie Klimt sie nannte, hatte ihm bereits das Prager Wäschermädel Maria Usicka einen Sohn Gustav geschenkt.35 Ebenso war er nachweislich der Vater dreier Kinder der Consuela Camilla Huber, die seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr als seine Haushälterin arbeitete.


Postkarte von Felix Salten an Elisabeth Kotter verehelichte Hartmann

Die Beziehung zu Maria begann im Herbst 1897. Auf dem Weg von der Wohnung ihrer Eltern in der Friedmanngasse 6 im 16. Bezirk zu einer Fortbildungsschule im 8. Bezirk, in dem Gustav Klimts Atelier lag, begegnete das junge Mädchen dem Künstler. Ein Traumbild von einem Mann, wie sie selbst beschrieb, »so wie ich mir das immer vorgestellt hab.«36 Maria nahm daraufhin öfter den Weg über die Josefstädter Straße um ihren Traummann auf sich aufmerksam zu machen. Nach einigen Begegnungen lud Klimt das hübsche Mädchen tatsächlich in sein Atelier in der Josefstädter Straße 21 ein. Mizzi wurde sein Modell: »… wie viel künstlerische Inspiration und Anregung danke ich Ihnen, wie viel schöne Bilder entstanden in meinem Kopfe, im Geiste, beim Anblick Ihrer schönen Gestalt, welche ich ahnen konnte, mit dem schönen Hals, dem lieben Kopf darauf, mit dem prachtvollen Haar, wie oft habe ich davon gesprochen«37 schrieb Klimt in einem Brief an sie.

Tatsächlich fand sich ihr Porträt in dem1899 im Zuge der Ausstattung des Palais Dumba fertig gestellten Bildes »Schubert am Klavier II«, das 1945 in Schloss Immendorf verbrannte.38

Aus der zunächst platonischen Beziehung scheint erst nach ungefähr zwei Jahren eine Liebesbeziehung geworden zu sein, die auch bald Folgen zeigte – Mizzi wurde schwanger. Klimt, der nur höchst ungerne Briefe schrieb und seine Korrespondenz vorwiegend in knappen Postkarten abwickelte, begann einen intensiven Briefwechsel mit Mizzi. Die an sie geschriebenen Briefe schildern nicht nur Klimts liebevolles Verhältnis zu seiner Geliebten, sondern auch die alltäglichen Nöte und Sorgen, die ihre ungewollte Schwangerschaft bei ihm auslösten.

Gustav Klimt, Schubert am Klavier, links Mizzi Zimmermann. Das Bild verbrannte 1945

Liebe Mizzi!

Voll von Kümmernis kann ich fast nicht schreiben.

In dumpfer Verzweiflung brüte ich hin … ich bin verzweifelter als Sie jemals glauben können … immer erschien mir drohend die Gestalt ihrer armen lieben Mutter, ihres kranken Vaters, den ich nur einmal gesehen, immer und immer Ihre eigene liebe Gestalt, vorwurfsvoll in tiefer Kümmernis – das Herz wollte mir zerspringen vor Weh!

Wie schön wäre alles gewesen unter normalen Umständen … Von Ihrem ersten Kommen an fühlte ich Sie als eine Art Verhängnis, ich ahnte es wäre besser Sie kämen nicht, aber ich konnte Sie nicht missen – der Künstler kam mit dem Menschen in Widerspruch

Aber auch die Bestie im Menschen rührte sich – aber ich hielt sie nieder, wir hielten uns tapfer.

Sie kamen jahrelang (2 Jahre) zu mir, dann sind Sie ausgeblieben, Sie waren rein von mir gegangen – vor der Jungfrau hatte ich heilige Scheu – wir waren gerettet.

Sie kamen wieder, kamen verändert wieder, das Unheil nahm seinen Lauf.

Seitdem verfluche ich den Träumer, welcher, bethört, so ganz vergaß, dass das irdische Leben weitab von einem erträumten liegt …39

Das aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Mädchen, ihr Vater war Haustischler die Mutter Weißnäherin, hatte offenbar große Angst vor der Reaktion ihrer Eltern auf ihre uneheliche Schwangerschaft und schien sie zunächst geheim gehalten zu haben:

Sollte Ihre liebe gute Mutter so gar keine Ahnung haben?

Liebe Mizzi vielleicht finden Sie den Muth ihr alles zu sagen – Mütter sind auch im Verdammen gütig – Ihre Mutter ist eine verständige intelligente Frau – vielleicht verurtheilt sie uns gnädiger als wir fürchten müssen, wenn sie unsere Reue, unsere Buße, unsere Leiden sieht – vielleicht findet sie es nicht so gräßlich unnatürlich – ist es denn auch so unnatürlich, so unbegreiflich, Mizzi?

Ist es das Scheußlichste, was über zwei Menschenkinder kommen kann, muß ich hier unstet und flüchtig irren auf Erden?

Bringen Sie mir ein wenig Trost indem Sie mir sagen, dass Sie mir ein wenig verzeihen, dass Ihre Mutter mich nicht ganz ganz verflucht – bringen Sie mir den Trost – ich brauche Kraft – die eiserne Pflicht gebietet es.40

Trotz Reue und Verzweiflung wurde von Klimt eine Ehe mit Mizzi offensichtlich niemals angedacht, vielmehr erbat er sich von seiner Geliebten Kraft und Trost für seine Situation. Immerhin erklärte er sich sofort bereit, Mutter und Kind zu unterstützen und eine Vaterrolle zu übernehmen:

Ich habe für das werdende Leben, für Sie selbst zu sorgen für alle Zukunft, ich will es in väterlichster Weise, Sie sollen versorgt werden als wären Sie meine Frau, ohne dass ich Ihnen nur im Geringsten wieder nahe trete.

Für das Kindlein nehmen Sie sich eine verlässliche Frau welche es unter Ihrer Aufsicht bedient.

Sie selbst haben allerlei Talente, ich glaube am meisten für bildende Kunst, für Malerei, pflegen und hegen Sie dies Talent, vielleicht werden Sie jene Künstlerin, welche Ihre Mutter, welche Sie selbst wünschen, ich will Ihnen dabei helfen was ich kann.

Nach einer Seite hin will ich Sie wenigstens sorglos halten, für Ihre Zukunft sorgen, als kleine kleine Buße für den Jammer den ich über uns gebracht.

Aber dazu brauche ich vor allem Kraft zu wachen aus der dumpfen Verzweiflung, brauche ich neue Hoffnung – Sie bringen mir diese, wenn Sie mir sagen, dass Sie mich und vor Allem dass mich Ihre liebe Mutter nicht ganz verflucht. – ich bitte um diesen Trost, dann will ich mit verdoppelter Kraft an meine Arbeit gehen – vielleicht gestaltet sich mein Leben erträglicher als jetzt – und ich muß leben, der Anderen wegen.

Wird mir Trost?

In der vielleicht ganz armseligen Hoffnung darauf schließe ich.

Mit herzlichsten Grüßen Ihr tief unglücklicher Freund

Gustav Klimt41

Als sich die Schwangerschaft nicht mehr verbergen ließ, wohnte Mizzi an verschiedenen Adressen, unter anderem auch in Hotels.42 In der Folge dürfte Mizzi sich, wie in einer derartigen Situation damals üblich, bald aufs Land zurückgezogen haben, um ihre Niederkunft weitab vom Wiener Tratsch zu erwarten. Klimt kam für die Kosten auf.

Gefällt es Ihnen dort nicht wo Sie sind so rücken Sie ein wenig näher, wir helfen uns durch fleißiges Schreiben über die paar Sommermonate hinweg, ist alles vorüber kommen Sie wieder nach Wien, wieder zu mir, lassen sich in Wien häuslich und niedlich nieder, nehmen sich eine verlässliche Bedienerin, werden das Kindlein, falls es am Leben bleibt, lieb haben, ebenso ich, wir werden beide jeder in seiner Art sorgen, dass ihm nichts abgeht, es wird sich finden dass ich nicht so garstig sei wie Sie sich’s ausmalen.43

Für Mizzi schien die Situation naturgemäß nicht einfach gewesen zu sein und auf ihre Nöte und Sorgen, die sie ihm brieflich mitteilte, reagierte Klimt wieder mit einem verzweifelten Apell, die schwierige Situation nicht zusätzlich zu belasten:

So geht das nicht liebe Mizzi, wir müssen uns bessern, schönere Briefe schreiben als bisher, das sind ja die reinsten Selbstmörderbriefe, so geht das nicht.

Wir machen das Ganze dadurch nicht besser, sondern schlechter.

Das Brieflein, welches Sie mir schrieben zur Bestätigung des Empfanges der telegrafischen Anweisung, war nicht ohne Humor geschrieben, ich war erfreut darüber, war sofort besser gestimmt, ja es schien mir als wäre es wirklich und wahrhaftig Frühling, denn ich fühlte aus dem Briefe als wären Sie nicht so ganz, ganz unglücklich.

Kurz war die kleine Freude, es kam der eine kurze Unglücksbrief, es kam der zweite Jammerbrief, ich war so unglücklich wie zuvor.

Wir dürfen uns nicht solche Briefe schreiben, nicht so im Jammer wühlen und in schwärzesten Gedanken uns vergraben, wir werden beide ja ganz trübsinnig, nein das dürfen wir nicht, im Gegentheil, wir müssen uns so gut es geht, gegenseitig zu trösten suchen, einer milderen besseren Lebensauffassung Raum geben

Wie wurde mein Brief missverstanden, oder habe ich mich schlecht ausgedrückt, der sollte doch ganz Anderes sagen, als Sie und Ihre Frau Mama herausgelesen haben! Sollte er doch sagen daß das ganze Verhältnis zu einander nicht fleischlicher Lust, nicht thierischer Gier entsprang.

Es begann doch so ideal wie möglich, in reiner künstlerischer Verehrung der äußeren Erscheinung in reiner platonischer Zuneigung.

Wollte Gott, es wäre dabei geblieben!

Welchen Jammer hätten wir uns erspart liebe Mizzi!

Wo war denn unsere ganze Sünde, vielmehr meine Sünde? daß ich Sie lieber hatte als ich sollte, dass ich Sie lieb hatte und Sie nicht lieb haben durfte!44

Er ging auch hart mit sich selbst ins Gericht. Die erotische Ausstrahlung Klimts, der seine Triebhaftigkeit hier selbst verfluchte, wirkte nicht nur auf die einfachen Mädchen, die ihm Modell standen sondern auch auf seine bürgerlichen Klientinnen, wie etwa Friederike Beer-Monti. Mizzi gegenüber gestand er auch offen seine ungezügelten Triebe ein, die ihn immer wieder in Schwierigkeiten brachten:

Ich weiß nicht warum, oder weiß es und will’s nicht wissen, forschen sie nie danach, denn ich verlaufe mich dabei immer an die Grenzen meines Denkvermögens, meiner Vernunft, ohne jemals klar zu werden, weiß nur eines sicher, daß ich jedes schöne Weib, jedes schöne gute Weib meiden soll, nur schauen soll, von der Ferne schauen, und nichts Anderes.

Es war immer Unglück, ob ich mich in Tugend hielt oder nicht.

Ferne halten, zurück! Wäre die rechte Lösung, wer kann das, welcher Mensch?

Das alles fühlte ich auch Ihnen gegenüber, immer und immer sagte mir die Stimme des Gewissens du sollst nicht, du sollst nicht!

Nicht einmal sehen sollst du, um wie viel weniger mehr! Immer hatte ich die besten Vorsätze bei Ihrem Fernsein und immer zerstoben die guten Vorsätze in die Winde bei Ihrer Anwesenheit.

Bis ich endlich in so furchtbarer Weise an die Vernunft gemahnt wurde …45

Klimt mietete für Mizzi ganz in der Nähe seines Ateliers eine Wohnung in der Tigergasse 38, Tür 17, die sie zwei Wochen vor der Entbindung bezog. Hier erblickte sein Sohn Gustav am 1. September 1899 im Beisein einer Hebamme das Licht der Welt . Getauft wurde das Kind in der Kirche zu den sieben Zufluchten in der oberen Lerchenfelderstraße. Taufpate war der Gutsbesitzer und k. u. k. Truchsess Rittmeister Josef von Savinschegg, der sich allerdings bei der Zeremonie von Mizzis Vater Johann Zimmermann vertreten ließ.46

Klimt wohnte nicht mit Mizzi zusammen. Seit dem Tod seines Vaters lebte er mit seiner Mutter und zwei Schwestern in einem gemeinsamen Haushalt in der Westbahnstraße 36.

Wie seinen Briefen an Mizzi zu entnehmen ist, hatten ihn Miete und Einrichtung für Mizzis Wohnung im Vorfeld offensichtlich in finanzielle Bedrängnis gebracht:

War in München, dort ein Schuld einzutreiben, leider wird sich die Sache verzögern, werde das Geld nicht gleich erhalten, vielleicht erst in Wochen, jedenfalls nicht die nächsten Tage, ich kann vorläufig nichts senden, von zu Hause habe ich mir knapp mitgenommen, ich habe sicher gerechnet, ich bringe von München das Geld gleich mit (hoffentlich dauert’s nicht allzu lange). Du wirst mit dem von mir erhaltenen nicht auskommen, der Zins muß gezahlt werden, es wird für die »Einrichtung« verdammt wenig überbleiben, vielleicht geht es doch die Einrichtung auf Raten zu nehmen auch wenn’s theurer ist, das längere Ausbleiben des Münchnergeldes bringt uns nun einmal in Verlegenheit.47

Ab der Geburt des Kindes sandte Klimt nachweislich mehr oder weniger regelmäßig zwanzig Gulden, die er seinen Briefen beilegte. Dies scheint nicht ganz einfach gewesen zu sein. Klimt war offensichtlich um Geheimhaltung bemüht und postalische Geldsendungen waren nicht unproblematisch:

Trotz der gutgemeinten Warnung wähle ich wieder diesen Weg, ich habe Dir schon einmal erklärt warum ich dieß so mache. Man darf auch in einem recommandirten Brief kein Geld senden

Es ist also noch mehr riskiert als durch einen gewöhnlichen Brief den man bequem in ein »Kasterl« wirft – und was die Geringfügigkeit des Betrages betrifft, so möchte ich bloß erwähnen daß 5 mal zwanzig auch hundert giebt. Mehr wie zwanzig traue ich nicht zu riskiren weil der Brief zu dick wird – dafür kommt‹s öfter.48

Seinen Schreiben ist zu entnehmen, dass Klimt offensichtlich immer wieder in Geldnöten war. Einerseits, weil er auch seine Mutter und zwei Schwestern erhalten musste, andererseits scheint er keine gute Hand für Geld gehabt zu haben. Bisweilen hatte er jedenfalls Schwierigkeiten seinen selbst auferlegten Verpflichtungen nachzukommen. Wirft man einen Blick auf seine Einnahmen, so zeigt sich allerdings, dass er ausgezeichnet verdiente. 1899 erhielt er für das Bildnis Serena Lederer die stattliche Summe von 17 000 Gulden – umgerechnet 35 000 Kronen, das sind rund 150 000 Euro.49 1905 betrug der Preis für ein Klimtporträt 5000 Gulden beziehungsweise 10 000 Kronen. 1908 verkaufte er das Bildnis der Emilie Flöge für circa 12 000 Kronen an das Niederösterreichische Landesmuseum. Im Vergleich dazu betrug das Monatsgehalt eines Hausdieners rund einhundert Kronen, das eines Lehrlings dreißig Kronen und die Miete einer kleinen Stadtwohnung belief sich auf rund vierzig Kronen.50

Trotz seines ausgezeichneten Verdienstes – Klimt malte pro Jahr rund ein großes Frauenporträt und zwei bis drei Landschaften –, schienen die Zuwendungen an Mizzi immer wieder ein Problem zu sein. Offensichtlich hatte er auch immer wieder Schwierigkeiten die Miete für ihre Wohnung zu begleichen.

Abgesehen von den immer wieder auftretenden finanziellen Nöten zeigte Klimt lebhaftes Interesse am Wohlergehen von Mutter und Kind. Aus seiner Korrespondenz mit Mizzi erschließt sich ein liebevolles und enges Verhältnis zu seiner Geliebten, die er an seinen ganz persönlichen Ängsten, gesundheitlichen Unpässlichkeiten, Alltagssorgen und Schaffenskrisen teilhaben ließ. Von seinen Sommerurlauben am Attersee, die er mit der Familie Flöge verbrachte, schrieb er Mizzi regelmäßig trotz seiner legendären Schreibfaulheit. Auch an seinen kleinen Sohn dachte er und fügte zu dessen erstem Geburtstag seinem Brief an Mizzi einige Zeilen direkt an ihn an:

Mein liebes Gusterl! Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu Deinem Geburtstag und wünsche Dir das Allerbeste für die Zukunft. Nun bist Du schon ein ganzes Jahr alt, das heißt also du bist schon ein ganz kleiner Mann von dem man verlangt daß er allein gehen kann, daß er Mama und Papa sagen kann oder lernt, daß er verschiedene Dinge höchsteigen verlangt und zwar mit dem Worte, Dinge welche er bis jetzt ohne das Wort zu nehmen unter gewisser Stille vor sich gehen ließ.

Ich bin neugierig ob Du das Alles fein treffen wirst damit man dich ein feines Büblein nennen kann. Nochmals die besten Wünsche.51

Auch drückte er immer wieder seine Freude an dem offensichtlich lebhaften Kind aus: »Daß der kleine ›Kerl‹ schlimm und lebhaft ist – ist ja gut, zeigt von Temprament, und ist viel besser, als so ein stilles ruhiges ›Hascherl‹ und du bist gewiß zufrieden, daß er ›aufzulösen‹ giebt.«52

Eine Anekdote, die Klimt in seiner Rolle als Vater beschreibt, übermittelte Mizzi selbst in einem Gespräch mit ihrer Urenkelin.53 Als der kleine Gustav seine Mutter mit einem ihm zum Spielen überlassenen hölzernen Fleischschlögel spielerisch schlägt, legt der Vater seinen Sohn kurzerhand übers Knie. Der Kleine wies daraufhin dem Vater beleidigt die Tür.

Die guten Vorsätze, Mizzi nie mehr nahezutreten, die Klimt anlässlich ihrer ersten Schwangerschaft gefasst hatte, hat er nicht eingehalten. Mizzi schenkte ihm im Juni 1902 ein zweites Kind.

Offensichtlich hatte Mizzi auch dieses Kind zu Hause im Beisein einer Hebamme entbunden. Der gesund geborene Otto starb nach zweieinhalb Monaten im September 1902. Wie lange die Beziehung Klimts zu Mizzi weiter bestand ist nicht klar. 1904 wurde das Haus in der Tigergasse abgerissen und Mizzi wohnte an verschiedenen Adressen, seit 1909 nachweislich in der Hernstorfertstraße 19 im 13. Bezirk.

Zu seinem Sohn Gustav blieb die Beziehung aufrecht. Als dieser noch nicht achtzehnjährig zum Militär wollte und den Vater um sein Einverständnis und finanzielle Unterstützung bat, lehnte Klimt ab, denn er wollte, dass Gustav junior zuerst seine Berufsausbildung beendete. Da er aber seinen Sohn nie offiziell anerkannt hatte, blieb ihm die Möglichkeit einzugreifen verwehrt und der Sohn rückte ein. Die letzte Begegnung zwischen den beiden verlief also enttäuschend. Als der Sohn aus dem Krieg zurückkehrte, war der Vater bereits tot.

Mizzi, die über lange Jahre eine besonders enge Beziehung zu Klimt hatte, zeigte offenbar stets Verständnis für seinen Drang nach Freiheit und fügte sich in ihr Schicksal einer heimlichen Geliebten. Noch Jahre nach ihrer Liebesbeziehung, als 95-jährige Frau erinnerte sie sich voll Liebe und Respekt an Klimt und sprach von seiner »auffallenden Erscheinung« und seinem guten, empathischen Wesen. Bescheiden nahm sie sich persönlich zurück, um seine Entwicklung als Künstler nicht zu behindern.

Irgendwann brach Klimt den Kontakt zu Mizzi bis auf die monatlichen Zahlungen von einhundert Kronen ab, und vermied von da ab jedes persönliche Gespräch. Als Klimt im Sterben lag wurde sie nicht zu ihm vorgelassen. Mizzi und ihr Sohn Gustav erbten laut Testament die eher bescheidene Summe von 4000 Kronen.54 Nach Klimts Tod geriet Mizzi in große finanzielle Not und versuchte als Näherin und Schaffnerin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. 1931 heiratete sie schließlich den zwanzig Jahre älteren, bereits pensionierten Straßenbahnkondukteur Leopold Graindl. Maria Zimmermann starb 1975 im Alter von 96 Jahren.

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