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Der Auftrag

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Es ist Montagmorgen. Maya und Dean haben das Wochenende in den Hamptons verbracht. Sie stecken auf dem Weg zur Arbeit in New York auf dem Long Island Parkway im Berufsverkehr fest. Immer wieder betätigt Dean wütend die Hupe.

„Das gibt es doch nicht!! Warum tut sich hier nichts!“

Lautes Hupen schallt durch die Straße.

„Hör‘ schon auf zu hupen! Bitte! Gott! Das macht mich wahnsinnig! Wären wir wie geplant gestern Abend schon zurückgefahren, würden wir jetzt nicht im Stau stehen.“ Maya verschränkt beleidigt ihre Arme vor ihrer Brust und starrt durch die Frontscheibe den stockenden Verkehr an. „Aber DU wolltest ja unbedingt noch eine Nacht länger bleiben …“

„Ich? Maya, du kennst doch meine Eltern! Wenn es nach denen ginge, würden wir ganz dort wohnen. Außerdem wolltest DU doch unbedingt persönlich von unserer Neuigkeit erzählen. Ich hätte sie auch einfach anrufen können und …“

„Und genau weil ich deine Eltern so gut kenne, weiß ich, dass sie es uns nie verziehen hätten, wenn du ihnen diese Nachricht bloß per Telefon übermittelt hättest. Dann sind wir halt beide schuld daran, dass wir jetzt hier im Verkehr festhängen.“

Dean lehnt sich zu Maya herüber, streichelt ihr über den Kopf und küsst sie sanft auf die Stirn.

„Das liebe ich so an dir!“

„Was?“

„Ich liebe es an dir, dass du immer die goldene Mitte findest, wenn wir zwei uns in der Wolle haben.“

Eine gute dreiviertel Stunde später hält Dean mit seinem Sportwagen in Brooklyn vor einem roten Backsteingebäude mit einer grünen Schirmmarkise an. Er lässt den Motor laufen, verabschiedet sich mit einem langen Kuss von Maya und den Worten: „Bis heute Abend, meine kleine Louise Lane!“. Dann fährt er weiter zur gemeinsamen Wohnung in Manhattan.

„Guten Morgen, Miss Solís!“ ruft die Empfangsdame quer durch das Großraumbüro. Maya winkt ihr zu und geht zu ihrem Schreibtisch ganz am Ende des Raums neben einem der vielen Fenster. Sie hängt ihren Blazer über die Stuhllehne und fährt den Computer hoch.

„Morgen Süße! Und erzähl’ schon! Wie haben seine Eltern eure Verlobung aufgenommen?“

Ihre Kollegin Diana steht plötzlich hinter ihr und hält zwei dampfende Becher in den Händen.

„Oh du bist ein Schatz, Danke für den Kaffee! Mist, wo ist denn nur mein Kugelschreiber? …“

„Hier, du kannst meinen haben. Nun spann mich nicht so auf die Folter!“ Diana stellt beide Becher auf dem Schreibtisch vor Maya ab und zaubert einen Stift aus der Seitentasche ihres Blazers. Dann setzt sie sich auf die Tischkante und trinkt einen Schluck aus ihrem Becher.

„Nochmals Danke! Seine Eltern haben sich natürlich genauso gefreut wie meine Eltern. Wir waren gestern Abend noch zur Feier essen. Seine Mutter steckt gedanklich schon mitten in der Planung. Das wird noch ein Spaß, sag‘ ich dir. Sind auch erst gerade aus den Hamptons zurück …

Hat Malone eigentlich schon die Agenda für unser Meeting verschickt?“

„Nein, das Meeting wurde auf 11.00 h verlegt. Malone hat die Themen schon wieder gefixt. Hättest dich also heute früh nicht so beeilen müssen.“

Sie schaut auf ihre Uhr und greift nach ihrem Kaffeebecher.

„Hoffentlich kriege ich nicht wieder so einen Quatsch aufgedrückt wie die Eröffnung des Pudelsalons in China Town letzten Donnerstag. So gewinne ich nie einen Preis!“

Der Konferenzraum der Agency befindet sich einige Etagen über dem Großraumbüro und wird von allen Unternehmen genutzt, die sich in dem Gebäude befinden. Zur einen Seite heraus sieht man einen Teil der Brooklyn Bridge und den Hudson River. Maya hat immer davon geträumt, eine Wohnung mit diesem Ausblick zu haben. Als sie damals mit Dean zusammenzog, bestand dieser aber darauf, in eine der edlen Wohnungen seiner Eltern mitten in Manhattan zu ziehen. Dort schaut man aus allen Zimmern auf Gebäude und Hauswände. Geld spielte im Leben von Dean noch nie eine Rolle. Er kommt aus einem reichen Hause. Bald, wenn sie mit ihm verheiratet ist, würde Geld auch in ihrem Leben keine Rolle mehr spielen. Dean erwähnt das oft. Diana beneidete sie sehr darum. Maya selbst machte sich noch nie viele Gedanken über Geld. Es gibt einfach zu viel im Leben, das man mit keinem Geld der Welt kaufen kann. Deans Vater wollte, dass sie beruflich in einer seiner Hotelketten einsteigt. So wie Dean es auch getan hat. Doch sie schreibt für ihr Leben gerne und ist dankbar dafür, dass sie diesen Job über die Zeitung gefunden hat.

Mr. Malone betritt den Konferenzraum. Dass er gerade seinen fünfzigsten Geburtstag hinter sich hat, sieht man ihm kaum an. Er sieht jünger aus, als er ist, nicht nur wegen seiner modernen Kleidung. Unter seinem Arm klemmt sein Tablet-PC, den er per App mit dem Beamer im Raum verbindet. Kurz darauf dimmt er das Licht und fährt die Jalousie elektrisch runter. Alle Mitarbeiter reden wild durcheinander und berichten von ihren Wochenenderlebnissen. Malone klopft vorsichtig auf den Tisch und bittet um Aufmerksamkeit.

„Wieso bringt mir eigentlich nie einer einen Kaffee mit? … Na, was soll’s.“ Lächelnd dreht sich Malone zu der Leinwand und startet seine Präsentation.

„Für die nächste Ausgabe habe ich mir ein paar Themen überlegt, die jeden von unseren Lesern betreffen. Damit für jeden potenziellen Neukunden auch etwas dabei ist und …“

Steve ruft in den Raum: „Wie? Was mache ich denn jetzt mit meinem fertigen Artikel über die Sanierung des Flat Iron Building?“

„Der muss warten. Sie schreiben nun über den Ausbau des U-Bahnnetzes. Diana, Sie recherchieren bitte die Hintergründe zu dem Verdacht auf Kreditkartenmissbrauch von dem McCally-Modegeschäft in der Innenstadt. Und Sie, Alan, Sie kümmern sich um die plötzliche Schließung der Ladenkette der Großbäckerei in Brooklyn und was es damit auf sich hat. … Alan?“

Malone schaut verwirrt im Raum herum und sucht nach Alan. „Hat jemand Alan gesehen? Wo ist er denn?“

Diana dreht ihren leeren Kaffeebecher auf dem Tisch im Kreis und ruft in den Raum hinein, ohne aufzuschauen: „Alan ist schon wieder krank. Seit Ende letzter Woche.“

„Ich nehme’ die Story über die Bäckerei!“ Maya notiert sich die auf der Leinwand dazu angezeigte Überschrift auf ihrem Block und überlegt schon, wie sie mit den Recherchen zu dem Fall beginnen wird. Hat sie nicht erst neulich noch gelesen, dass jemand aus dem Stadtrat sich mit beachtlichen Anteilen in die Kette eingekauft hatte? Auf ihrem Gesicht macht sich ein stolzes Lächeln breit.

„Wieder eine Erkältung? Naja, egal, dann übernehme ich den Artikel eben selbst. Nichts gegen Sie, Maya, aber es ist ein kleines Firmengesetz, dass unsere Neuen erst mal mit kleineren Berichten rund um Mode anfangen. Für Sie habe ich eine ganz tolle Story über eine Sonnenbrillenspende an ein Kinderheim.“

Maya starrt Malone mit offenem Mund an und kann nicht fassen, was sie da gerade hört. Immerhin ist sie schon fünf Monate in der Agentur beschäftigt. Zählt sie damit immer noch zu DEN NEUEN?

„Sonnenbrillenspende? Das ist ja so weltbewegend wie der Hundesalon neulich!“

„Tja, einer muss ja auch die Kunden versorgen, die mit viel Geld über Anzeigen unser Magazin am Leben erhalten. Und dieser namhafte Sonnenbrillenhersteller möchte eine doppelseitige Anzeige schalten, auf die wir nicht verzichten können. Sie können dafür vor Ort einen befürwortenden Artikel schreiben, der mit der Anzeige zusammen präsent abgedruckt wird. Mit ihrem Namen darunter! Glückwunsch!“

Malone beugt sich über seinen Tablet-PC und notiert hinter dem Sonnenbrillenartikel ihren Namen. Hinter den Artikel über die Bäckerei schreibt er seinen Namen. Sie streicht ihre soeben gemachten Notizen über den Stadtrat mehrfach durch und leert ihren Kaffeebecher wütend mit einem Schluck. Während Malone seinen Tablet-PC ausschaltet und wieder in seine Aktentasche schiebt, verlassen die anderen Mitarbeiter langsam den Raum. Maya läuft nach vorne und weicht ihm nicht von der Seite.

„Ich soll also tatsächlich irgendwas “Belangloses“ schreiben, den Namen der Firma lobend erwähnen und gut ist? Wie lange darf ich denn vor Ort bleiben? Fliegt noch jemand von den Filmleuten mit? Darf ich vor Ort auch ein wenig drehen? Ich könnte den Bericht erweitern und noch etwas für unser Online-Magazin generell über Kinderheime schr…“

„Ob jemand mitfliegt? Das müssen wir mit dem Auftraggeber des Artikels abklären. Wenn wir Glück haben, übernehmen die auch noch die Flugkosten für eine weitere Person. Ich gebe Ihnen gleich die Kontaktdaten. Sie müssen sich ohnehin mit denen in Verbindung setzen, um die Anreise zu planen. Sie haben 10 Tage für den gesamten Artikel Zeit. Ob noch was für unser Online-Magazin dabei herauskommt, bleibt abzuwarten. Vielleicht ein kleiner Reisebericht. Kommen Sie nach der Mittagspause in mein Büro, dann besprechen wir die Details.“

„Eine Frage hätte ich aber noch.“ Maya setzt das zuckersüßeste Lächeln auf, was sie zu bieten hat. Sie möchte sich nicht mit ihrem Vorgesetzten streiten. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem sie einen bedeutenden Artikelauftrag bekommen wird. Das weiß sie ganz genau.

„Was?“

„Äh, wo befindet sich das Kinderheim? An der Ost- oder an der Westküste?“

„Weder noch.“

„Weder noch?“

„Waren Sie schon einmal in Afrika?“

„In A… A-f-r-i-k-a?“ Sie schüttelt langsam verneinend ihren Kopf, völlig baff darüber, dass ihre erste Dienstreise sie direkt auf einen anderen Kontinent verschlägt.

Dean bringt sie zum JFK

„Und dieser Typ, der dich da begleitet, kennst du ihn?“ Dean holt Mayas Koffer aus dem Auto und nimmt sie in den Arm.

„Ich bin doch in 10 Tagen wieder da. Brian ist sein Name. Ich kenne ihn nicht, aber Diana hat schon einige Male mit ihm zusammengearbeitet. Der ist übrigens glücklich verheiratet und Vater von drei Kindern.“

„Ich meine ja nur … Kannst du nicht einfach hier vor Ort über die Brillenspende schreiben? Das passende Foto dazu könnt ihr doch am PC basteln. Kinderheime gibt es hier schließlich auch! Oder dieser Brian fliegt alleine rüber und macht Fotos.“

„Dean!“ Maya schaut ihn enttäuscht an. Scheinbar fällt es Dean immer noch schwer, dass Maya sich gegen das Jobangebot seines Vaters entschieden hat. Sie packt ihren Koffer am Griff und gibt ihm einen letzten Kuss auf die Wange.

Schneeflocken in Afrika

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