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Ankunft in Tansania

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Noch wenige Minuten bis zur Landung in Tansania. Maya schaut aus dem Fenster und bewundert die Landschaft. Alles schaut so anders aus als in New York. Brian kramt in seiner Kameratasche herum und holt einen handgeschriebenen Zettel hervor.

„Wenn wir gleich unser Gepäck haben, müssen wir in der Ankunftshalle Ausschau nach einer Schwester N-a-k-o-p-i-t-a halten.“

Maya beugt sich vor und schaut auf den Zettel. „Nakopita, interessanter Name. Sie ist eine der Heimschwestern, richtig?“

„Ja, das ist sie. Wenn ich es richtig verstanden habe, leitet sie das Heim sogar. Mit ihrer Cousine zusammen. Beide kommen aus Kapstadt und waren dort früher als Krankenschwestern tätig.“ Brian verstaut den Zettel wieder in seiner Tasche und lehnt den Kopf zurück. Fliegen mochte er noch nie gerne, aber das gehörte nun einmal zu seinem Job als freiberuflicher Pressefotograf und Kameramann.

In der Ankunftshalle wimmelt es nur so von Menschen. Hier und dort wird gelacht und geredet. Mitten zwischen Touristen, Geschäftsleuten und Einheimischen steht Schwester Nakopita. Sie trägt eine weiße Kopfbedeckung, die einen starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildet. Dazu ist sie in einem hellblauen Gewand gekleidet, welches am Bauch mit einer gehäkelten weißen Schürze abgesetzt ist. In ihren Händen hält sie ein Schild mit der Aufschrift „Brian und Maya – Lovely Home for Children“. Als ihr ein jüngeres Paar mit suchendem Blick auffällt, reißt sie das Schild hoch, weit über ihren Kopf, und winkt wild damit umher.

„Dort, Brian, schau, dort stehen unsere Namen!“

Maya zeigt auf die mittlerweile auf und ab springende ältere Frau mit dem Schild in den Händen. Brian starrt die Frau an. „Das ist Schwester Nakopita? Na, die ist ja gut drauf für ihr Alter!“

„Wieso, wie alt ist sie denn?“

„Laut meinen Unterlagen ist sie Ende 70!“

Zur Begrüßung öffnet Schwester Nakopita ihre Arme weit und nimmt sich ausgiebig Zeit für eine herzliche Umarmung. Auf dem Weg zum Parkplatz greift sie immer wieder nach einem der beiden Koffer, doch Brian lässt sich das schwere Gepäck nicht abnehmen, bis sie an dem Jeep ankommen.

Neugierig fragt Schwester Nakopita die beiden Reisenden über ihr Leben aus. Es freut sie zu hören, dass Brian drei kleine Kinder hat, die er über alles liebt, und dass Maya frisch verlobt ist. Sie hört gerne positive Lebensgeschichten.

„Miss Solís, darf ich fragen, woher sie ursprünglich kommen? Sie sind bildhübsch und erinnern mich ein klein bisschen an eine Schauspielerin … wie heißt die noch mal … irgendwas mit A…“

„Alba. Sie meinen Jessica Alba.“ Brian, der auf der Rückbank sitzt, rutscht ein Stück nach vorne und schaut Maya intensiv an. „Jessica Alba in etwas dunkler.“

„Nennen Sie mich doch bitte Maya, Schwester Nakopita. Gerne dürfen Sie das fragen. Meine Mutter ist auf Mauritius geboren und mein Dad ist aus Ecuador.“

„Was für eine außergewöhnliche Mischung. Wie ist es denn dazu gekommen?“

Maya genießt die Offenheit der Schwester und erzählt die Geschichte, die sie vor knapp vier Jahren auch Dean erzählt hat, als er sie mit gleicher Neugier befragte. „Meine Mum hat damals als Kunsthändlerin gearbeitet und war beruflich in Ecuador unterwegs. Dort traf sie dann meinen Dad, der als Architekt beruflich dort zu tun hatte. Sie sind dort einmal miteinander ausgegangen. Anschließend haben sie sich für mehrere Jahre aus den Augen verloren. Als sie sich dann per Zufall in London bei einer Ausstellung wieder begegnet sind, stand für beide fest, dass dies kein Zufall sein kann. Sie sagten, es sei Schicksal gewesen. Naja, und dann kam ich auf die Welt.“

„Bla, bla, bla und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich bis ...“ Brian hustet und bricht seinen Satz ab. „Sorry, Männer können mit solchen Schnulzgeschichten nicht viel anfangen. Sind wir eigentlich bald da, Schwester Nakopita?“

Die Schwester lächelt und zwinkert Maya zu. Dann schaltet sie das Autoradio ein und ruft laut nach hinten, dass sie in weniger als einer Stunde am Hotel sein werden.

Maya hievt ihren Koffer auf die leere Hälfte ihres Bettes und öffnet ihn. Nach und nach hängt sie ihre Anziehsachen in den Wandschrank und schaut nebenbei ein wenig lokales Fernsehen. Die lange Anreise und die vielen neuen Eindrücke haben sie müde gemacht.

***

Am nächsten Morgen holt Schwester Nakopita beide um 10 Uhr vom Hotel ab und zeigt bei einem kleinen Spaziergang durch die gesamte Anlage das Kinderheim. Währenddessen berichtet sie auch von der Freude der Kinder, als die großen Pakete von RUBEN Ltd. vor einigen Wochen im Heim ankamen. Jedes einzelne Kind im Heim bewacht seine geschenkte Sonnenbrille wie einen heiligen Schatz. Maya findet die Vorstellung niedlich, dass sich ein Kind so sehr über ein solch praktisches Geschenk freuen kann. Immer wieder huschen spielende Kinder an ihnen vorbei. Sie spielen sonnengeschützt Fußball im großflächig überdachten Innenhof. Schwester Nakopita erklärt, dass das Freizeitangebot im Heim so groß ist, damit die Kinder sich nicht langweilen. Maya fragt sich, ob diese Kinder das Heim auch mal verlassen dürfen. Bisher hat sie den Eindruck gewonnen, dass die hier lebenden Kinder ihren ganzen Alltag in diesem Heim verbringen. Sie werden sogar dort unterrichtet. Brian läuft schweigend hinter beiden her und macht hier und dort ein paar Aufnahmen mit seiner Kamera. Von einigen der Kinder macht er aus eigener Neugier heraus Nahaufnahmen. Die Kombination aus pergamentartiger Haut und deutlichen afrikanischen Gesichtszügen fesselt ihn. Einfach nur besonders!

„Folgen Sie mir bitte unauffällig.“ Schwester Nakopita öffnet eine große Holztür und vergewissert sich, dass Maya und Brian ihr folgen. Dann laufen sie einen stickigen Gang hinunter, welcher in einen großen Saal voller Betten führt.

Auf einem der Betten sitzt ein kleines afrikanisches Mädchen mit ungewöhnlich heller Haut, feinem hellen Haar und eindringlichen grauen zitterigen Augen. Freudig begrüßt sie den Besuch: „Hallo Schwester Nakopita! Und ihr seid die Reporter aus Amerika?“

Die Heimschwester läuft auf das Mädchen zu und bleibt am Fuße des Eisenbettes stehen. „Hallo Roberta. Das sind Maya und Brian aus New York. Magst du ihnen etwas über dich erzählen? Über deine neue Sonnenbrille?“

„Au ja! Setzt euch!“

Maya hockt sich auf das Bett, holt einen kleinen Block aus ihrer Tasche hervor und bittet Brian, die Kamera einzuschalten. Dann nickt sie dem Mädchen zu: „Das finde ich toll! Dann leg’ mal los, die Kamera läuft!“

Roberta richtet ihren Rücken auf, setzt die Sonnenbrille auf und schenkt Brian ihr schönstes Kameralächeln. Ihre kleinen Lippen sind voll und voller Leben. Die Schwester verabschiedet sich mit einer Handbewegung und verlässt den Schlafsaal zum Innenhof hin.

„Hallo! Ich bin Roberta. Ich bin neun Jahre alt und, äh, ja, meine Hobbys sind … malen. Also ich male gerne Bilder. Das hier ist mein Lieblingsbild …“

Roberta zeigt auf ein gemaltes Bild. Dann beginnt sie zu husten und haut sich sanft auf den Brustkorb. Ihre Stimme ist ungewohnt leise, zu schwach. Maya gibt Brian mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er die gemalte Giraffe an der Wand hinter dem Bett filmen soll. Dann schwenkt er zurück auf Roberta. Maya nimmt das Gespräch wieder auf.

„Das ist eine schöne Brille, wo hast du sie her?“

„Die hat uns ein lieber Mann aus Amerika geschenkt. Er hat mehrere Kartons geschickt. Einfach so! Wir haben alle eine bekommen. Von so einer großen Firma. Cool, oder? Wenn ich jetzt draußen bin, krieg’ ich von der hellen Sonne weniger Kopfschmerzen. Meine Augen mögen das Licht nicht …“

Während Roberta von ihrer Brille schwärmt, betrachtet Maya das Kind von oben bis unten. Beim Sprechen fuchtelt das Mädchen energisch mit ihren Armen umher und zeigt immer wieder auf ihre Brille. Dabei bewegt sich ihr grünes Leinenkleidchen im Kniebereich ein wenig auf und ab und gibt unerwartet die Sicht auf ein verstümmeltes Bein frei. Ihr rechtes Bein hört kurz über dem Knie mit einer wüst verwachsenen Narbe auf. Maya erschreckt sich und hört nur noch die Hälfte von dem, was Roberta sagt. Sie bemüht sich, sich nichts von den traurigen Gedanken anmerken zu lassen, die ihr gerade durch den Kopf schießen. Doch dann lässt es ihr einfach keine Ruhe. Die Neugier siegt.

„Süße, was ist mit deinem Bein passiert? War es krank?“

Roberta schaut auf ihren Beinstumpf hinab. Dann nimmt sie die Bettdecke, zieht sie ein Stück höher und schaut sich verlegen im Schlafsaal um. Nach wenigen Minuten des Schweigens greift sie nach einer dunkelhäutigen Puppe auf dem Nachttisch. Sie fährt der Puppe mit ihren Händen durch die schwarzen Kunsthaare und flechtet kleine Zöpfe. Dabei schweigt sie. Brian schaut Maya an, zuckt mit den Schultern und filmt weiter.

Maya bereut ihre Worte und möchte das Gespräch so schnell wie möglich wieder dorthin zurückbringen, wo es vor wenigen Minuten noch war. „Du möchtest nicht darüber sprechen … das ist schon okay. … Du darfst diese coole Brille also auch mit zur Schule nehmen? Gehst du gerne zur Schule?“

„Mathe macht mir besonders viel Spaß. Kann im Kopf ganz schnell rechnen. Willst du mal sehen wie schnell?“

Sofort beteiligt sich das Mädchen wieder am Gespräch und lässt dabei ihre Puppe desinteressiert auf die Bettdecke gleiten. Dann kramt sie in ihrer Nachttischschublade ein Schulbuch hervor und redet weiter vor sich hin. Beim Lösen der Aufgaben nimmt sie ihre Finger zur Hilfe und hält das Ergebnis stolz in die Kamera. Dabei bemerkt Maya, dass Roberta drei Fingerkuppen fehlen. Sie macht sich eine Notiz dazu auf ihrem Block und lässt Roberta weitere Matheaufgaben vor laufender Kamera lösen. Nach einer knappen Stunde beendet sie das Gespräch und bittet Roberta darum, ihr auch eine Giraffe für New York zu malen. Das Mädchen freut sich und legt sofort los.

Während sich der Kameramann anschließend zum Schnitt des Filmmaterials ins Hotelzimmer verzieht, bleibt Maya noch im Heim und sucht nach Schwester Nakopita. Sie muss unbedingt mehr über das Schicksal des Mädchens erfahren.

Sie nimmt den gleichen Weg zurück zum Hauptgebäude wie vorhin. Vorbei an den fußballspielenden Kindern passiert sie einen Gemüsegarten, in dem zwei Heimschwestern die Tomatengewächse begutachten.

„Entschuldigen Sie! Äh, ich suche Schwester Nakopita.“

Eine der beiden Schwestern schaut hoch und tippt der anderen Schwester dabei auf die Schulter. Nun starren sie beide an.

„Mein Name ist Maya Solís. Ich bin die Journalistin aus New York und soll hier die Dokumentation über …“

„… über die Sonnenbrillen? Meinen Sie die Sonnenbrillenspende von RUBEN Ltd.?“

„Ja.“

„Schwester Nakopita ist außer Haus. Sie hat Termine und kommt erst am späten Abend wieder zurück. Sollen wir ihr etwas ausrichten?“

Maya überlegt für einen Moment, ob sie einfach diese beiden Schwestern nach dem Schicksal von Roberta fragen soll.

„Nein. Ist schon gut. Ich denke, ich komme heute Abend noch einmal wieder. Könnten Sie mir vielleicht ein Taxi bestellen? Ich wohne im Zulu Cottage Premier Hotel zwischen dem Heim und der Innenstadt.“

Zurück im Hotel geht Maya auf ihr Zimmer und bestellt sich über den Zimmerservice eine Kleinigkeit zu essen. Danach sortiert sie ihre Mitschriften und nimmt alles mit nach unten an den Pool. Bis Schwester Nakopita wieder im Heim zurück ist, sind es noch einige Stunden.

„Hey!“ Brian kommt winkend auf sie zugelaufen und breitet sein mitgebrachtes Handtuch auf der Liege neben ihr aus.

„Nett, so eine Dienstreise im Ausland. Ich muss schon sagen …“

„Hast du den Film schon fertig geschnitten?“

„Den Teil, wo die Kleine so geschwiegen hat, habe ich herausgeschnitten und noch so einige uninteressante Längen. Insgesamt ist der Beitrag jetzt knapp 7 Minuten lang. Das sollte reichen.“

„Was hast du mit dem restlichen Filmmaterial gemacht?“

„Es ist noch auf meinem Laptop. Warum?“

Maya zieht ihre Rückenlehne nach vorne und wendet sich Brian zu.

„Ich weiß nicht. Mich würde interessieren, was mit Roberta passiert ist. Warum leben diese Kinder alle dort unter einem Dach? Sind es alles Waisen? Was meinst du denn?“

Brian verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf und überkreuzt dabei seine Beine. Während er redet, schaut er in den Himmel. „Ich? Keine Ahnung. Für mich sehen die Kinder dort alle wie kleine geisterhafte Freaks aus. Im Hof habe ich noch zwei verstümmelte Kinder gesehen. Eines hatte nur einen halben Arm und dem anderen Kind fehlte ein Ohr. Vielleicht haben sie ja so eine Art Lepra und sind deshalb alle dort untergebracht.“

„Ich fasse es nicht. Du hast jetzt nicht gerade g-e-i-s-t-e-r-h-a-f-t-e F-r-e-a-k-s gesagt?! Dir ist schon klar, dass diese Kinder nur eine Pigmentstörung haben und deshalb so helle Haut und lichtempfindliche Augen haben?!“

„Oh, da hat wohl jemand seine Hausaufgaben gemacht. Freut mich für dich.“

„Ich habe vor der Abreise bei RUBEN Ltd. einfach nur gefragt, warum die kartonweise Sonnenbrillen an ein Kinderheim in Afrika spenden. Wer macht denn so etwas? Dann erfuhr ich von den hellpigmentierten Albinos. Sie haben sehr lichtempfindliche Augen. Deshalb mögen Robertas Augen auch die Sonne nicht. Und …“

„Maya, verschone mich mit den Einzelheiten. Ich möchte den Tag heute noch genießen. Schließlich hocken wir in ein paar Tagen um diese Zeit schon wieder in New York bei New Yorker Wetter. Ich mache jetzt ein Nickerchen.“

Maya kühlt sich kurz im Pool ab und geht dann auf ihr Zimmer. Das schlechte Fernsehprogramm nutzt sie als Gelegenheit, um Dean anzurufen. Sie erwischt ihn gerade beim Frühstücken.

„Süße? Bist du das?“

„Hörst du mich? Dean, ich bin es!“

„Hey, Süße. Ja, ich verstehe dich, wenn auch nur schlecht. Was macht die Dokumentation? Habt ihr alles fertig?

„Wir sind hier total herzlich in Empfang genommen worden. Schwester Nakopita hat uns ein wenig vom Heim gezeigt. Ein Kind haben wir heute am Vormittag interviewt. Sie hat mir ein Bild gem…“

„Klingt doch gut. Ich freue mich schon, wenn du wieder hier bist. Denk‘ daran, dass meine Eltern am Wochenende noch eine kleine Dinner Party geben.“

„Was denn für eine Dinner Party? Etwa wieder wegen der Verlobung?“

„Ja. Das habe ich dir doch erzählt? Mein Vater hat noch ein paar Geschäftskollegen eingeladen und…“

„Dean, bitte. Wir haben uns gerade erst verlobt und schon steht deine Familie Kopf. Ich werde am Wochenende total platt sein von der Reise. Eigentlich wollte ich mit Alison Samstag zum Spa gehen.“

„Das kann ich jetzt nicht mehr absagen. Du kennst doch meine Eltern!“

Frustriert rollt Maya mit den Augen und starrt zur Decke. „Na gut. Dann sage ich Alison noch ab. Ich wollte dir noch was erzählen! Weißt du was? Roberta, das Kind, welches wir heute interviewt haben, es hat ein furchtbar verstümmeltes Bein und fehlende Fingerkuppen. Der Anblick geht mir gar nicht aus dem Kopf.“

„Fingerkuppen? Ist halt Afrika und nicht Amerika. Verrückt. Danke, dass du mitkommst. Ich verspreche dir auch, dass ich meine Eltern danach bitte, einen Gang herunterzuschalten, was die ganze Hochzeitsplanung angeht. Ich muss jetzt zur Arbeit. Bis morgen Abend. Liebe dich!“

„Ich dich auch.“

Schneeflocken in Afrika

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