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Kapitel 2 Notfalleinsatz an der Donau
ОглавлениеIn den ersten beiden Tagen nach dem brutalen Überfall hielt sich Michael Wagner meist in seinem großen, an das Haus seiner Eltern angebauten Junggesellenappartement auf.
Das tiefe Loch, in das er wegen der Ermordung seines Vaters und seiner Mutter gefallen war, wurde durch das nasskalte Sauwetter, das sich zum Beginn des Monats Juni mit Sturzregen und kühlen Temperaturen noch intensiviert hatte, zusätzlich verstärkt.
Schon am Samstagmorgen nach dem Anschlag auf seine Eltern, war seine einzige Verwandte, die Schwester seines Vaters, bei ihm eingetroffen und hatte mit ihm zusammen die so plötzlich aus dem Leben Gerissenen beweint und ihn – wenn auch ohne Erfolg – zu trösten versucht.
Aber wie es ihre anpackende Art war, hatte Tante Waltraud, die nach dem frühen Krebstod ihres Ehemanns ihren früheren Mädchennamen ‚Wagner’ wieder angenommen hatte, sich sofort danach der Situation gestellt und auf Michaels Bitte hin in der Firma ihres Bruders vorläufig das Steuer in die Hand genommen.
Als sich Michael Wagner am 04. Juni 2013 bei einem späten Frühstück gerade eine Nachrichtensendung im Morgenfernsehen anschaute, in der über die rapide steigenden Flusspegel in ganz Bayern und Österreich berichtet wurde, klingelte Michaels Smartphone.
„Michael, Wolf hier. Wir haben hier in der Staffel ein Problem. Ich weiß, dass du im Moment wahrlich anderes um die Ohren hast, aber wir könnten dich heute hier gut gebrauchen.“
„Das Hochwasser, stimmt’s?“, fragte Michael sofort. „Gut geraten, damit hat’s zu tun“, erwiderte POR Wolf augenblicklich.
„Wir haben im Moment beinahe alle Kollegen im Einsatz. Nur für Markus fehlt uns momentan der Pilot, weil dein Nachfolger noch im Auslandsurlaub ist und deshalb erst ab der nächsten Woche verfügbar sein wird.
Heute Morgen hat uns Innenminister Karl Schwarz angerufen, weil er sich gerne aus der Luft ein persönliches Bild von der augenblicklichen Hochwasserlage an der Donau machen würde.
Da unsere übrigen Hubschrauber und auch die der Bundespolizei bereits seit Samstag alle im Einsatz sind, lautet meine Bitte: Wärst du trotz allem bereit, ab heute Mittag bei uns einzuspringen, um den Herrn Minister zusammen mit Markus über Regensburg und Deggendorf bis nach Passau und danach wieder hierher zurück zu fliegen?“
„Klar Heinrich. Einverstanden – ich komme gern. Hier fällt mir sowieso allmählich die sprichwörtliche Decke auf den Kopf. Vielleicht ist da ein wenig Ablenkung ganz nützlich. Meine Tante ist schon wieder in der Firma und hilft dort aus, weil ich mich dazu noch nicht aufraffen konnte.“
„Gut, aber fühlst du dich fit genug für diesen Einsatz?“, fragte POR Wolf zurück. „Sicher, das ist kein Ding. Am Nachmittag soll ja zumindest der Starkregen, dem Wetterbericht zufolge, ein wenig nachlassen.
Ich mach’ mich dann nachher gleich auf den Weg, will vorher nur noch meiner Tante Bescheid sagen. Markus soll schon mal unseren Heli vorbereiten – und sage ihm bitte, er soll voll auftanken. Ich hätte bei einem VIP-Transport bei diesem Wetter nämlich gern ausreichend Reserve an Bord.“
„Richte ich ihm aus, Michael – also dann bis nachher“, beendete Heinrich Wolf an dieser Stelle das Gespräch.
Schon eine gute Stunde vor dem geplanten Starttermin, kam Michael Wagner in der Einsatzbasis der Polizeihubschrauberstaffel an. Als er den Hubschrauberhangar betrat, lief ihm gleich sein Freund Markus entgegen.
„Am Freitag warst du ja gleich weg. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, dir meine tiefempfundene Anteilnahme auszudrücken“, sagte PHK Markus Leitner, während er seinen Kollegen tröstend umarmte.
„Wenn ich dir bei irgendwas helfen kann, rufst du mich gefälligst an. Dafür sind Freunde schließlich da“, fügte er dann noch hinzu.
„Danke Markus, vielen Dank. Ich bin am Freitagnachmittag mit unserem Chef gleich in die Gerichtsmedizin nach München gefahren. Und die machen um 16:30 Uhr zu. Deshalb konnte ich nicht mehr bei dir vorbeikommen“, erwiderte Michael Wagner mit tränenfeuchten Augen, die er sich aber sogleich verstohlen wieder abwischte.
„Nun, wir haben zu tun – wie weit bist du mit der Flugvorbereitung?“, fragte PHK Wagner, nachdem er sich wieder gefasst hatte.
„Fast fertig, Start ist in ca. einer halben Stunde. Der Heli ist einsatzklar – ich lass ihn gleich rausschieben – und den Flugplan hab’ ich auch bereits eingereicht.“
„Okay, dann geh’ ich jetzt mal zum Boss und kümmere mich danach um die neuesten Wetterdaten für unser Strecke“, erwiderte PHK Wagner prompt.
Als Michael wenige Minuten später im Büro seines Chefs eintraf, wurde er von diesem schon erwartet. „Danke Micha, dass du uns zur Hilfe kommst. Innenminister Schwarz ist schon auf dem Weg hierher und wird wohl in Kürze eintreffen.
Ach so, ehe du fragst – es gibt leider noch nichts Neues zu dem Anschlag auf deine Eltern. Inzwischen hat die Mordkommission im K 119 der Kripo München die Ermittlungen aufgenommen und ich stehe mit deren Chef, einem EKHK10 Kurt Schröder, bereits in Kontakt. Wenn du in den nächsten Tagen mal Zeit hast, würde er übrigens gern einmal mit dir sprechen.
Ich kenne übrigens seinen Abteilungsleiter, den Leitenden Polizeidirektor Hans Breitner, ziemlich gut. Wir sind schon seit einiger Zeit befreundet und er hat mir versichert, dass der Fall bei Kommissar Schröder und seinen Leuten in den besten Händen ist.“
„Danke Heinrich, ich werde gleich morgen mal mit ihm telefonieren“, entgegnete Michael Wagner mit belegter Stimme, fasste sich aber sofort wieder und sagte: „Ich geh’ dann jetzt mal und hol’ mir das neueste Wetter für den heutigen Einsatz.“
„Habe ich schon für dich erledigt Micha“, erwiderte POR Wolf und drückte seinem Piloten eine Reihe von Ausdrucken und einen Datenträger in die Hand. „Musst du nur noch in deinen Navigationscomputer laden“, fügte er gleich noch hinzu.
Noch ehe PHK Wagner antworten konnte, riss POR Wolfs Sekretärin die Tür zu dessen Büro auf. „Die Herren sind da“, rief sie ganz aufgeregt, als hinter ihr auch schon Innenminister Schwarz mit seinem Personenschützer hereinkam.
„Grüß Gott meine Herren,“ sagte Karl Schwarz mit seiner bekannt sonoren Stimme, während er den beiden anwesenden Männern der Hubschrauberstaffel die Hand schüttelte.
„Ich hoffe, mein so kurzfristig erbetener Flug macht Ihnen nicht allzu viele Umstände. Aber unser Ministerpräsident Hofer möchte, dass auch die Politik bei dieser Hochwasserkatastrophe Flagge zeigt.
Er selbst und Finanzminister Sandner sind mit zwei Helikoptern von der Bundespolizei ebenfalls unterwegs und schauen sich die Lage entlang der A8 im deutsch-österreichischen Grenzgebiet bzw. entlang der Isar an.
Wir wollen uns dann am späteren Nachmittag in Passau zu einer improvisierten Pressekonferenz treffen. Dazu müssen wir aber zunächst mal mit eigenen Augen sehen, wie schlimm die Lage, insbesondere in Passau tatsächlich ist.“
In diesem Moment fiel der Blick von Karl Schwarz auf Michaels Namensschild. „Ach du liebe Zeit – sind Sie der Beamte, dessen Eltern am Freitag bei diesem hinterhältigen Anschlag in Erding ihr Leben verloren haben?“, fragte er sichtbar bestürzt.
„Ja Herr Minister, das waren meine Eltern. Sie waren wohl, wie es immer so schön heißt, zur falschen Zeit am falschen Ort“, erwiderte Michael Wagner mit belegter Stimme.
„Mein allerherzlichstes Beileid, Herr Wagner“, entgegnete Karl Schwarz, während er nochmals Michaels Hand ergriff und diese ziemlich teilnahmsvoll drückte.
„Polizeidirektor Breitner von der Abteilung Einsatz im Münchner Präsidium hat mich über den Fall noch am Freitagabend informiert. Und ich verspreche Ihnen hoch und heilig, dass er und seine Leute keine Ruhe geben werden, bis wir diese Verbrecher gefasst haben.“
„Danke Herr Minister“, sagte Michael knapp, als Minister Schwarz auch schon weiter fragte. „Aber warum sind Sie heute hier – ich dachte man hätte Sie erstmal beurlaubt? Sie haben doch sicher eine ganze Menge an wichtigeren Dingen zu regeln, als mich bei diesem Mistwetter durch die Gegend zu fliegen.“
„Nun, wenn Sie gestatten Herr Minister, das kann ich wohl am besten beantworten“, meldete sich jetzt POR Wolf zu Wort.
„Wir sind im Moment ein wenig knapp an Piloten und deshalb habe ich Hauptkommissar Wagner gebeten, heute einzuspringen. Und er hat zugestimmt und ist gleich hergekommen. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind bei ihm als erfahrenem Profi – trotz des erlittenen herben Schicksalsschlags in den allerbesten Händen.“
„Im übrigen gibt’s im Moment für mich noch nichts zu regeln, weil die Obduktion meiner Eltern noch nicht abgeschlossen ist“, warf Michael jetzt mit betont leiser Stimme ein. „Außerdem habe ich in der Firma meines Vaters jetzt Unterstützung durch meine Tante und zuhause sitze ich doch bloß unnütz in der Gegend herum.“
„Gut Herr Wagner, aber wann immer Sie von mir Hilfe benötigen, melden Sie sich bitte. Ihren Beruf und die Firma unter einen Hut zu bringen, wird auf Dauer schließlich nicht gehen. Versprechen Sie mir daher, dass Sie mein Angebot annehmen, sobald Sie sich entschieden haben, wie es bei Ihnen beruflich weitergehen soll. Und das ist nicht nur eine so dahingesagte Floskel meinerseits.
Auch wenn ich nur ungern fähige Beamte verliere, hat die Politik schließlich auch ein Interesse daran, dass Ihre Firma und all die Arbeitsplätze, die da dranhängen, weiterbesteht.“
„Danke Herr Minister, ich verspreche es“, sagte Michael Wagner tief berührt. „Aber jetzt sollten wir so langsam mal losfliegen.“
Als Michael Wagner mit seinen beiden Passagieren das Vorfeld betrat, war dort, außer Markus Leitner, noch ein weiterer Beamter der Staffel anwesend, der sich offenbar ebenfalls zum Mitflug fertigmachte.
„Grüß dich Dirk“, rief Michael dem jungen Polizeihauptmeister entgegen, der gerade die elektrooptischen Sensoren des Hubschraubers vom Platz hinter dem Piloten aus klarmachte.
„Was macht den Dirk hier?“, fragte PHK Wagner indessen seinen Kollegen Markus Leitner.
„Na ja, ich hab’ schon heute Morgen unseren Boss gebeten, uns bei diesem Flug einen EOS-Operator11 mitzugeben, da ich bei dieser prominenten ‚Fracht’ auf Nummer sicher gehen will und gerne eine gescheite Navigationsunterstützung hätte“, meinte PHK Leitner leise.
Dem hat Heinrich sofort zugestimmt und unser Dirk hier ist der Beste. Außerdem ist er ein fähiger Rettungssanitäter, falls sich unsere Gäste bei deinen Flugkünsten mal wieder übergeben müssen“, erwiderte Markus Leitner sofort.
„Ganz schön vorlaut, der Herr Kollege“, meinte Michael zum ersten Mal an diesem Tag leise grinsend zu seinem Freund.
„Ist aber dennoch eine gute Idee, mein Lieber – dann lass uns mal so langsam aufbrechen. Und schnall’ unsere beiden Passagiere bitte gescheit fest, es dürfte bei diesen Windverhältnissen heute etwas ruckelig werden. Und leg’ ihnen ein Headset an, damit man nachher mit ihnen reden kann.“
Nur wenig später war der Hubschrauber Edelweiß 3 in Richtung Regensburg in der Luft. „Müssen wir bis Passau unterwegs noch irgendwo zum Tanken heruntergehen?“, erkundigte sich Minister Schwarz mit Blick auf das leicht angespannte Gesicht seines Personenschützers.
„Nein Herr Minister“, beantwortete Markus Leitner die Frage über die Bordsprechanlage. „Wir haben mit dem EC-135 eine Standardreichweite von rund 600 Kilometern, deshalb könnten wir den Flug sogar komplett ohne Auftanken bestreiten.
Da es aber heute in der Luft ziemlich unruhig ist und wir deshalb deutlich mehr Sprit verbrauchen, als normal, wollen wir lieber auf Nummer sichergehen.
Wir werden Sie deshalb in Passau, wie vorgesehen, auf einem Sportfeld in der Nähe des Stadtzentrums absetzen, damit Sie den Herrn Ministerpräsidenten treffen können. Ein Fahrzeug, das Sie zu ihm bringt, wird dort bei unserer Ankunft bereits auf Sie warten. Wir fliegen derweil – da der Flugplatz in Vilshofen bereits überflutet ist – weiter zum Flugplatz Fürstenzell, tanken dort auf und kommen dann wieder zurück.
Ich habe jetzt übrigens gerade die Katastrophenleitstelle der Landkreise über Funk am Ohr. Wenn Sie mithören oder mit denen sprechen möchten, schalte ich Sie dazu.“
„Sehr gerne, Herr Leitner, aber ich will im Moment nur zuhören“, entgegnete der Minister sogleich. Doch ehe er sich noch auf den Sprechfunkverkehr konzentrieren konnte, blickte Karl Schwarz ungläubig auf die Bildschirme des seitlich neben ihm sitzenden EOS-Operators Dirk Petersen.
„Das ist wirklich heftig, mein Gott – das da unten sieht ja aus, wie nach einem Krieg“, murmelte er in sein Headset, als der Hubschrauber in diesem Moment das Donaugebiet erreichte.
„Ja, Regensburg hat’s anscheinend ordentlich erwischt, aber im Landkreis Deggendorf und vor allem in Passau sind den Einsatzmeldungen zufolge noch schlimmere Verwüstungen zu verzeichnen“, meldete sich jetzt wieder PHK Leitner zu Wort.
„Wenn Sie genug gesehen haben, drehe ich jetzt in eine Rechtskurve und folge der Donau in Richtung Deggendorf“, schaltete sich der Pilot des Hubschraubers in diesem Augenblick in die Bordkonversation ein.“
„Okay, machen Sie das Herr Wagner“, sagte Karl Schwarz, dessen anfängliches Erstaunen nun einem zunehmenden Entsetzen Platz gemacht hatte.
„Sieht wirklich nicht gut aus“, merkte Markus Leitner in diesem Moment an, während der EC-135 sich gegen die Sturmböen entlang der A3 nach Südosten kämpfte.
„Aber der Wind flaut langsam ab und wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, beginnt auch der Donaupegel bei Passau inzwischen wieder langsam zu fallen“, sagte PHK Michael Wagner gerade über die Bordsprechanlage, als er kurz nach dem Überfliegen der Stadt Deggendorf auf ein akustisches Notsignal der örtlichen Rettungsleitstelle Hengersberg aufmerksam wurde.
„Was ist das?“, fragte Minister Schwarz besorgt. „Keine Sorge, das kommt nicht von unserer Maschine, aber da vorne scheint jemand in Not geraten zu sein“, erklärte PHM12 Dirk Petersen umgehend.
„Und immer, wenn so etwas geschieht, bekommen wir hier an Bord eine optische und akustische Warnanzeige.“
„Tut mir leid, Herr Minister. Aber wir sind jetzt gefordert – auch wenn wir dadurch möglicherweise ein bisschen zu spät nach Passau kommen“, rief Michael Wagner in sein Headset, während Markus Leitner bereits auf die Sprechfrequenz der örtlichen Rettungsleitstelle wechselte.
„Rettungsleitstelle, hier Edelweiß 3 – wir empfangen ihr Notsignal – wie können wir helfen?“, fragte er in den Äther.
„Edelweiß 3, hier Florian 14/30, Rettungsleitstelle Hengersberg. Ein Donaudamm bei der Gemeinde Winzer ist vor wenigen Minuten gebrochen und hat einen unserer Feuerwehrkameraden mitgerissen, der gerade auf der Dammkrone war. Er hängt jetzt an einer Treibgutinsel ca. 800 Meter vor dem nächsten Wehr fest. Könnt ihr helfen – wir kommen mit unseren Booten nämlich bei dieser Strömung nicht dorthin.“
„Florian 14/30, verstanden. Wir gehen jetzt kurz runter und bereiten eine Außenbergung vor. Melden uns gleich wieder!“, rief Markus Leitner in sein Mikro, ehe er sich auch schon von seinem Sitz losschnallte und die Seitentür des Hubschraubers aufschob.
„Das muss jetzt perfekt klappen. Dirk, du suchst einen Absetzpunkt, wo unsere Gäste aussteigen können und ich mich ans Außenseil einklinken kann. Ich trenne jetzt die Kabelverbindung zur Sprechanlage und schalte auf Helmfunk um.“
„Halt Markus!“, rief Michael Wagner in diesem Moment. „Der Landepunkt, den mir Dirk grade gibt, ist viel zu gefährlich. Der Boden dort direkt am scheinbar festen Ufer ist eindeutig zu glitschig und der Boden viel zu aufgeweicht.
Wir machen das deshalb so – du steigst am Landepunkt aus und ich halte unseren Heli knapp über dir, damit du die Traglast-Seilwinde aktivieren kannst. Dann hängst du dich ein und ich ziehe dich wieder hoch.“
Kurz nach hinten gewandt, fuhr PHK Wagner fort: „Sorry, Herr Minister – aber so wie es aussieht, werden Sie beide wohl an Bord bleiben müssen.“
Obwohl die entsetzten Augen von Innenminister Schwarz etwas Anderes ausdrückten, sagte er dennoch ruhig: „Verstanden Herr Wagner, machen Sie weiter – ich vertraue auf euer Können.“
„Bin am Seil!“, meldete sich wenige Minuten später PHK Leitner, dem es nach zwei erfolglosen Versuchen endlich gelungen war, sich an der von ihm zuvor freigelegten Außenlastwinde des Hubschraubers festzuklinken.
„Zieh langsam hoch, damit ich über die Bäume da vorn komme – und halt unseren Heli endlich mal gerade“, schimpfte er gleich hinterher.
„Halt die Klappe Markus, ich bin ja schon dabei!“, antwortete Michael, ehe er auch schon rief: „Dirk, gib mir die Richtung!“ „Bleib so, du bist genau auf Kurs“, antwortete PHM Petersen trocken.
„So, bin jetzt über diese Scheißbäume drüber – du kannst mich jetzt langsam wieder tiefer durch die Luft rudern lassen“, knurrte Markus Leitner kurz darauf an seinem Seil unter dem Hubschrauber.
„Dreh’ noch ein bisschen mehr nach 1 Uhr, genau – da vorn hängt der Feuerwehrmann – ich hab’ ihn genau im Visier“, meldete Dirk Petersen in diesem Moment.
„Danke Dirk. Markus siehst du ihn – er trägt ’ne orangegelbe Rettungsweste!“
„Ziel erfasst“, kam es umgehend von Markus zurück. „Wir sind genau auf Kurs – und jetzt – mach’ langsamer und lass mich vorsichtig runter. Mist, er kann sich scheinbar kaum noch halten,“ kam es gleich darauf von PHK Leitner.
Doch es benötigte nach dem ersten, noch einen weiteren Versuch, ehe PHK Leitner den inzwischen wild um sich rudernden Feuerwehrmann zu fassen bekam.
„Scheißdreck, diese Treibinsel scheint langsam auseinander zu brechen“, alarmierte Markus im gleichen Augenblick per Funk und auch vom knapp über der Wasseroberfläche äußerst niedrig fliegenden Hubschrauber konnte man sehen, dass sich das Konglomerat aus Ästen, kleinen Stämmen und sonstigem Treibgut durch den Rotorabwind langsam aufzulösen begann.
Während Markus den verunglückten Feuerwehrmann an sich krallte und dessen Hüftgurt in rasender Geschwindigkeit per Karabinerhaken an seiner Tragschlaufe befestigte, brach das Treibgut in der immer noch rasenden Strömung mit einem lauten Knall entzwei.
„Hoch, hoch – mach schon!“ rief Markus seinem Freund und Piloten Michael zu, der den EC-135 sofort ein ganzes Stück weit anhob. „Haben wir euch beide sicher am Seil?“, fragte er gleichwohl mit ruhiger Stimme. „Ja, alles klar – das war ziemlich knapp, mein Lieber“, erwiderte Markus Leitner per Funk.
„Dirk – Meldung an Florian 14/30 – wir haben ihn“, sagte Michael Wagner zu seinem dritten Besatzungsmitglied, während er den Hubschrauber behutsam in Richtung Donauufer drehte.
„Die sollen uns jetzt sofort einen nahegelegenen Landeplatz zuweisen, wo wir unsere ‚Außenfracht’ vorsichtig absetzen können.“
„Hier Florian 14/30. Wir haben mitgehört“, meldete sich der Einsatzleiter der Rettungsleitstelle in diesem Moment per Funk.
„Leute, ihr habt’s wirklich drauf. Danke, dass ihr unseren Mann gerettet habt. Euer Landepunkt ist der Sportplatz bei der Gemeinde Bergham, nur knapp einen Kilometer von euch entfernt. Ich sende euch gerade einen Positionsmarker. Zwei RTW13 von uns sind mit Notarzt bereits vor Ort.“
„Danke Florian, wir landen in knapp einer Minute. Stellt euch auf Unterkühlung ein. Und bitte weist eure Rettungskräfte darauf hin, dass die beiden per Seil an unserem Außenlasthaken hängen, und nicht an unserer Rettungswinde – denn dafür hatten wir keine Zeit mehr. Und ehe die zwei da unter uns nicht in Sicherheit sind, kann ich meinen Hubschrauber nicht aufsetzen.“
„Verstanden Edelweiß 3, Rettungskräfte erhalten Kenntnis. Nochmals Danke und viel Glück. Ich bin selbst in ein paar Minuten bei euch vor Ort.“
„Wer war das denn?“, fragte der den Funkverkehr mithörende Innenminister Schwarz in diesem Moment von hinten.
„Das war, der individuellen Funkkennung nach, der Landrat des Kreises Deggendorf höchstpersönlich. Soweit ich aus einem Presseartikel weiß, war er früher Offizier beim KSK14 der Bundeswehr“, antwortete PHM Petersen umgehend.
„Na ja, dieser Kerl ist zwar ein Roter, aber einer von der besseren Sorte. Glaub’ ich wenigstens. Bin mal gespannt, was er sagt, wenn ich gleich mit aus dem Hubschrauber aussteige.“
„Politiker!“, grummelte Michael Wagner leise und innerlich lächelnd vor sich hin, als er den bezeichneten, höher gelegenen Landeplatz mit aller Vorsicht anflog.
Nachdem die Rettungskräfte am Boden die beiden, als ungewöhnlichen Außenlast transportierten Personen, in Empfang genommen hatten, landete er den EC-135 gleich danach sanft auf dem Rasen des Sportplatzes der Berghamer Schule.
„Schon wieder ein Ort namens Bergham, wenn auch ein ganz Anderer“, dachte Michael Wagner, als er die beiden Turbinen des Hubschraubers in den Leerlauf brachte und nach deren Abschalten die Rotorbremse einlegte.
„Aber diesmal haben wir den Wettlauf gegen die Zeit gewonnen“, sagte er sich und war zum ersten Mal froh, dass dieser Tag bislang völlig anders, als der letzte Freitag verlaufen war.“
Als der Hauptrotor des EC-135 zum Stillstand gekommen war, öffnete Michael Wagner seine Cockpittür und sprang auf den Boden, um Dirk Petersen beim Aussteigen seiner Gäste an diesem unvorhergesehenen Landeplatz zu unterstützen.
Den Innenminister dem überaus verblüfften politischen Kontrahenten überlassend, eilte Michael sofort im Laufschritt zum RTW, in dem sein Kumpel Markus inzwischen mit einem Goldfolienumhang unter einer Infrarotlampe aufgewärmt wurde.
„Fehlt ihm was?“, fragte er den anwesenden Notarzt augenblicklich.
„Nein, Ihr Kollege ist nur ein wenig unterkühlt und nass geworden ist er auch. Aber ansonsten ist er unverletzt und wohlauf.“
„Markus, alter Krieger, ich hatte schon gedacht, dass du ernsthaft zu Schaden gekommen wärst. So schnell, wie die Rettungskräfte dich gerade abtransportiert haben, war ich schon aufs Schlimmste gefasst. Aber wie ich sehe, liegst du nur faul unter einer Höhensonne auf einer bequemen Trage“, neckte Michael Wagner seinen Partner.
„Du Spinner!“, grollte Markus Leitner sogleich. „Unkraut vergeht bekanntlich nicht. Aber ich bin nicht nur höllisch nass geworden, sondern ich friere auch noch immer. Lass mich also noch ein paar Minuten in Ruhe.“
Da sich der besorgte Michael Wagner, selbst nach diesem verbalen Ausbruch seines Freunds, keinen Zentimeter von der Trage entfernte, sagte Markus mit entnervten Blick: „Sag mal, haben unsere VIP-Gäste eigentlich begriffen, dass so eine Rettung am Außenlasthaken eines Hubschraubers eigentlich noch nie versucht worden ist, weil sie gegen alle Regeln verstößt?“
„Weiß ich nicht – ist mir aber auch egal. Zumindest war das eine absolut geglückte Premiere, auf die wir alle beide stolz sein können, denn bei dieser Harakiri-Aktion – noch dazu mit unserem obersten Dienstvorgesetzten an Bord – hat die Rettung von Menschenleben ausnahmsweise ja mal geklappt.
Und was die Herren Vorgesetzten später mit mir machen, ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Ich werde den Dienst ja sowieso über kurz oder lang quittieren müssen. Also denk dran – ich, und nicht du – habe das heute zu verantworten.“
Doch Michael Wagners Befürchtungen erwiesen sich am Ende als absolut unbegründet. Nicht nur die ungewöhnliche Rettungsaktion seiner Crew ging durch alle Medien, sondern es wurden ihm und seiner gesamten Besatzung auf Veranlassung des Innenministers – nach dem in weiterer Abfolge sehr planmäßig verlaufenen VIP-Transport – viele Wochen später und völlig unerwartet zudem noch die bayerische Rettungsmedaille für den erfolgreichen Einsatz bei Hengersberg verliehen.