Читать книгу Die Firma des Piloten - K.B. Stock - Страница 7
Kapitel 3 Beerdigung und vorläufiger Abschied
ОглавлениеAm Dienstag der zweiten Juniwoche, genau eine Woche nach dem spektakulären Rettungseinsatz an der Donau, fand die Trauerfeier für Michaels Eltern auf dem westlich der Stadt gelegenen Erdinger Friedhof unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.
Nicht nur viele Kollegen der Hubschrauberstaffel, sondern auch eine große Anzahl von Stammkunden sowie die gesamte Firmenbelegschaft der Wagner Logistik GmbH waren gekommen und standen an diesem noch immer regnerischen Tag mit am Grab.
Und auch seine einzige noch lebende Verwandte, Waltraud Wagner, die jüngere Schwester von Michaels Vater, nahm an der aus Michaels Sicht viel zu pompösen Beerdigung teil und hielt ihn dabei beschützend fest an der Hand.
Michael Wagner gab sich unterdessen sehr wortkarg und einsilbig, als er die Beileidsbekundungen entgegennahm, die er nur für die unvermeidlichen örtlichen Honoratioren zugelassen hatte.
Obwohl er kaum zuhörte, waren ihm dennoch, genauso, wie bei den wenigen Firmenbesuchen der letzten Tage, schon während der Trauerfeier die verstohlenen, zum größten Teil aber auch ängstlichen Blicke der Firmenbelegschaft seines Vaters aufgefallen, da er sich als dessen Erbe bisher in keiner Weise zu einer Übernahme der Spedition geäußert hatte.
„So mein Lieber – und wie soll’s jetzt deiner Meinung nach weitergehen?“, fragte Waltraud Wagner, als man nach dem Beerdigungstrubel am darauffolgenden, noch immer verregneten und für die Jahreszeit zu kühlen Mittwoch im verlassen wirkenden Wohnzimmer der Wagners gemeinsam vor dem entfachten Kaminfeuer beisammensaß.
„Tante Traudel, im Moment weiß ich wirklich nicht, was ich machen soll.“
„Aber die leidenden Mienen unserer fast 200 Mitarbeiter sind dir bei der Trauerfeier hoffentlich nicht entgangen – oder?“
„Nein, liebes Traudchen – ich hab’s gesehen. Und deshalb fühle ich mich ja so mies. Ich wollte immer nur fliegen – und jetzt begreife ich langsam, wie selbstsüchtig das von mir war. Sag mal, könntest du nicht an Vaters Stelle die Firma übernehmen?“
„Du spinnst wohl, Michi. Ich hab’ vom Speditionsgeschäft kaum eine Ahnung. Ich bin schließlich seit Jahren verwitwet und für sowas auch schon viel zu alt. Und nenn’ mich nicht immer ‚Tante Traudchen’ – du weißt, dass ich das schon von deinem Vater nicht leiden konnte.“
„Ist ja gut, Tante Waltraud – ich dachte halt nur.“ „So, mein Neffe kann eigenständig denken, ich glaub’s ja fast nicht“, stellte Waltraud Wagner sichtbar genervt fest.
„Ich will dir mal was sagen, mein lieber Bub. Ich kenne dich jetzt schon seit fast 30 Jahren, hab dich auf den Knien geschaukelt und dich in etlichen Urlauben auf unserem Allgäuer Bauernhof herumtoben lassen.
Allerdings hätte ich – anders als dein alter Herr – dir deine Flieger-Sperenzien schon von Anfang an niemals durchgehen lassen. Doch das ist Schnee von gestern, denn jetzt bist du – und nur du ganz allein – in der Pflicht.
Da draußen gibt es gut 200 Mitarbeiter deiner Spedition. Die haben fast alle Familie und die haben Angst, dass sie über kurz oder lang auf der Straße stehen werden, weil sie fürchten, dass du eventuell vorhast, die Spedition so rasch, wie möglich zu schließen, um das Tafelsilber zu verscherbeln.
Für diese Menschen trägst du Verantwortung, mach dir das endlich mal klar. Also, was ist dir lieber? Willst du das windige Unternehmersöhnchen sein, das dem, was sein Vater in langen Jahren mit vielen Entbehrungen erfolgreich aufgebaut hat, den Todesstoß versetzt, oder willst du dich jetzt endlich mal so langsam zu deinem Erbe bekennen und die Dinge anpacken?“
Michael Wagner überlegte eine ganze Weile, ehe er schließlich mit Bedacht antwortete. „Ich glaube Tante Traudel, du hast Recht. Man kann diese vielen Leute nicht im Regen stehen lassen.“
„Nein, das kann man nicht, bin froh, dass du das endlich begreifst“, bemerkte Waltraud Wagner trocken, als Michael auch schon mit seiner Rede fortfuhr.
„Mir bleibt also – wie es scheint – nichts Anderes übrig, als mich dieser neuen Verantwortung zu stellen. Ich hab’ übrigens ebenfalls – und noch weniger, als du – so gut, wie keine Kenntnisse von den Geschäften meines Vaters.
Deshalb wäre ich sehr froh, wenn du mir zumindest in der ersten Zeit ein bisschen unter die Arme greifen könntest. Deinen Bauernhof hast du ja inzwischen verpachtet und lebst in deiner Pension in Kempten. Und am Ende finden dann zwei blinde Hühner tatsächlich öfter mal mehr, als nur ein Korn.“
„Sei nicht so frech, mein Junge. Man kann alles lernen – und blöd bist du ja schließlich nicht.
Was deine Bitte angeht – sage ich dir nach stiller Beratung mit meinem im Himmel befindlichen Gatten: Ja, ich werde dir in den kommenden Monaten helfen. So gut ich halt kann. Aber erwarte keine Wunder von mir. Und vor allem nicht, dass ich den Betrieb längerfristig für dich übernehme, damit du dich wieder zu deinen Hubschraubern verdrücken kannst.“
„Ich hab’s ja kapiert, Tante Traudel. Ich muss aber erst mal mit meinen Vorgesetzten sprechen, wann und wie ich am besten aus dem Polizeidienst aussteige.
Morgen früh wollte ich sowieso zu meinem Chef fahren, um mich für seine bisherige Unterstützung zu bedanken.“
„Mach das, mein Junge. Und wenn wir schon mal dabei sind, deine Zukunft zu erörtern, solltest du auch mal drüber nachdenken, dir eine nette Frau zuzulegen, ehe du die besten Jahre deines Lebens nutzlos als ewiger Junggeselle vertändelst.“
Michael Wagner war völlig sprachlos, als er seine Tante bei diesen Worten überrascht aus seinen braunen Augen anstarrte.
Er hatte zwar schon ein paar Erfahrungen mit dem angeblich schwachen Geschlecht gesammelt, aber bisher war die Richtige nie dabei gewesen. Vor allem, wenn seine gerade aktuellen Freundinnen von seinen unregelmäßigen beruflichen Dienstzeiten erfuhren, war die jeweilige Beziehung meist sehr schnell wieder in die Brüche gegangen.
„Guck mich nicht so verblüfft wie ein Mondkalb an“, sagte Waltraud Wagner gleich darauf mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du bist jetzt 28 Jahre alt – und da wird’s langsam mal Zeit, dass du dich nicht nur um deine berufliche, sondern auch um deine private Zukunft kümmerst.“
„Okay Tante Traudel, ich hefte dann am morgigen Mittwochnachmittag, wenn ich mit der Belegschaft gesprochen habe, gleich mal ’nen Aushang an unser schwarzes Brett.
Wie wär’s damit: Angehender Jungunternehmer sucht erfahrene Geschäftsfrau für gewisse Stunden. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen“, erwiderte Michael Wagner trocken. „Vielleicht google ich aber auch im Internet oder gebe ’ne Annonce in der Zeitung auf.“
„Du bist und bleibst ein vorlauter Frechdachs, mein lieber Neffe“, erwiderte Waltraud Wagner prompt mit missbilligend gerunzelter Stirn.
„Einfach unverbesserlich, dieser Kerl! Aber keine Sorge, lass mich das mal in die Hand nehmen. Schließlich bist du ja nicht der Hässlichste und ich hätte da auch schon eine gewisse Idee.“
„Willst du mich jetzt etwa auch noch verkuppeln? Ich glaub, ich steh’ im Wald.“
„Halt die Klappe, Michi. Du merkst anscheinend überhaupt nicht, wenn dir jemand was Gutes tun will. Und schließlich hast du mich ja um Hilfe gebeten – oder etwa nicht?“
„Ja, ja – ist ja gut, ich hab’s verstanden“, sagte Michael Wagner, seine Niederlage einräumend. „Gegen dich hab’ ich ja doch keine Chance. Aber jetzt gehe ich ins Bett. Schließlich werden die kommenden Tage noch hart genug.“
Am nachfolgenden Donnerstag fand sich PHK Wagner, wie angekündigt, zu Dienstbeginn im Büro seines Chefs bei der Hubschrauberstaffel der bayerischen Bereitschaftspolizei am Flughafen München ein, wo er schon von POR Wolf erwartet wurde.
„Na Micha, hast du schon eine Entscheidung getroffen – aber zuallererst mal, wie geht es dir?“, wurde er von Heinrich Wolf begrüßt.
„Es muss ja irgendwie weitergehen Chef – und ja, ich habe gestern eine Entscheidung getroffen. Ich werde den Polizeidienst verlassen und in die Firma meines Vaters eintreten. Mir ist nämlich klargeworden, dass ich die Mitarbeiter unserer Spedition nicht im Regen stehen lassen darf. Ich hoffe, du verstehst das.“
„Sicher Michael, das kann ich nachvollziehen. Und ich weiß ja auch, dass du nicht der Typ bist, der sich vor so etwas drückt. Und nochmals ganz herzlichen Dank für deinen Einsatz am letzten Dienstag.“
Nach einer kurzen Pause fuhr POR Wolf fort: „Ich habe – was deine mögliche Beurlaubung angeht – inzwischen schon mal mit unserem Präsidium in Bamberg gesprochen. Unser Präsident hat dabei eine Idee entwickelt, die er sich zudem von unserem Innenminister hat absegnen lassen.
Demnach schlägt er vor, dich vorläufig mal für 18 Monate unter Fortfall deiner Bezüge vom Dienst freizustellen. Und spätestens im kommenden Frühjahr musst du dich dann endgültig entscheiden, welchen Weg du in Zukunft gehen willst.
Das hätte zudem den Vorteil, dass du zunächst einmal Zeit gewinnst und wir dich gegebenenfalls später wieder zurückholen können, sofern es mit der Firma deines Vaters nicht so klappt, wie gedacht.
Spätestens also, wenn deine Fluglizenz nächstes Jahr im Dezember abläuft, erwarte ich eine Nachricht von dir.
Ach so, eine Stelle werden wir dir natürlich nicht freihalten können, darüber musst du dir im Klaren sein. Und fliegerische Inübunghaltung wird es seitens der Polizei auch nicht geben, weil das unsere Verwaltung, wie du dir sicherlich denken kannst, nicht mitmachen würde.
Außerdem meine ich, dass du dafür in den nächsten Monaten sowieso keine Zeit haben dürftest. Also, was sagst du zu diesem Vorschlag?“
„Ich bin – ich bin platt“, stotterte der völlig überrascht schauende Michael Wagner. „Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit.“
„Tja, mein Lieber, wir haben halt ein Interesse an unseren besten Leuten und da du ja auch bereits vom Herrn Innenminister u.a. für deine zahlreichen, erfolgreichen Rettungseinsätze zur Auszeichnung nominiert wurdest, wäre es schön, wenn wir hier und heute nicht alle Bande zwischen uns kappen würden.
Also denk darüber nach – ich soll dir nämlich noch bis zum Ende des Monats Bedenkzeit geben, da niemand hier erwartet, dass du schon heute ‚Ja’ zu diesem Angebot sagst.“
„Chef, da brauche ich eigentlich nicht lange zu überlegen. Ich finde diese Offerte einfach großartig. Lass mir aber trotzdem noch die vorgeschlagene Bedenkzeit. Ich muss halt erst mal genauer wissen, worauf ich mich da ab heute Nachmittag einlasse.
Ich treffe mich nämlich nachher mit der Belegschaft meines Herrn Vaters – und nach der noch in dieser Woche beginnenden Einweisung in seine Geschäfte denke ich, dass ich deine Frage im Anschluss daran besser beantworten kann.“
„Gut Michael, ich hatte auch nichts Anderes erwartet. Wir sehen uns dann Ende Juni wieder hier. Und dann teilst du mir deinen Entschluss mit.“
Nachdem sich PHK Wagner – noch immer von der Rede seines Vorgesetzten sehr beeindruckt – von POR Wolf verabschiedet hatte, ging er noch einmal in den Bereitschaftsraum, um mit seinem Kollegen und Freund PHK Markus Leitner zu sprechen.
„Hab’s schon gehört“, wurde er von seinem Flugtechniker mit Handschlag begrüßt. „Ich verstehe, dass bei dir jetzt erstmal die Familie vorgeht.
Und eh’ du was sagt’s – ich kann – wenn auch nur schwer – damit leben, dass du mich und unseren Hubschrauber eine Zeitlang verlassen willst und ich deswegen jetzt mal wieder ’nen neuen Hubschrauberjockey kriege.
Aber mach dir mal keine Sorgen, Michael. Ich setze nämlich drauf, dass du für den Moment und auch danach das Richtige tun wirst“, meinte PHK Leitner jetzt mit seinem gewohnt burschikosen Grinsen.
„Heißt das, du könntest damit leben, wenn ich mich jetzt zunächst mal für 18 Monate dünnemache?“, fragte Michael Wagner seinen Freund und Kollegen jetzt doch einigermaßen verblüfft.
„Sicher mein Lieber, mach dir da mal keine Gedanken. Ich werde dich zwar vermissen, aber wir zwei beide sind ja schließlich nicht verheiratet. Also, mach dein Ding – und wenn du die Nase vom Spediteurwesen voll hast, kommst du halt einfach wieder zu uns zurück.“
„Nett, dass gerade du das sagst, denn vor diesem heutigen Gespräch mit dir hatte ich am meisten Angst“, erwiderte PHK Wagner. „Wir bleiben in Verbindung – auch wenn ich ab heute Nachmittag erstmal keine Uniform mehr trage.“
„Alles klar, Micha – wir sehen uns bestimmt in der Zwischenzeit mal wieder. Und wenn du dich zu drücken versuchst, lande ich mit dem Neuen am Steuer direkt auf eurem Speditionshof und blase dir den Marsch.“
„Das lässt du schön bleiben, Markus – außerdem wird der Neue es merken, wenn du ihn zu ’nem falschen Ziel führst.“
„Mitnichten, mein Freund – ich bin doch der Navigator, dem die Piloten vertrauen – oder etwa nicht? Wenn ich gewollt hätte, wärst du blinde Pilotennuss selbst mitten auf dem Marienplatz gelandet und hättest das erst beim Aussteigen mitgekriegt.“
„Mein lieber Herr Kollege Hauptkommissar, bewahre dir deinen sonnigen Humor – und viel Glück mit meinem Nachfolger – ich ruf’ dich Ende der Woche mal an. Und halt mich bitte informiert, wenn du was Neues zum Mordfall meiner Eltern hörst.“
„Versprochen Michael, keine Frage, ich halt’ – was den Anschlag auf deine Eltern angeht – die Ohren offen. Und jetzt hau endlich ab, sonst fang ich noch an zu flennen.“
Nachdem sich die beiden Freunde zum Abschied noch einmal freundschaftlich umarmt hatten, machte sich der nun beurlaubte PHK Wagner mit seinem alten 5er BMW auf den Weg zurück zum Haus seiner Eltern, wo er sich auf die von seiner Tante Waltraud für 16:00 Uhr angesetzte erste Besprechung mit der Firmenbelegschaft vorbereiten wollte.