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Kapitel 4 Der neue Anfang als Juniorchef

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Als Michael Wagner am späten Nachmittag dieses Donnerstags gegen 16:15 Uhr endlich in die Firma kam, wurde er bereits ungeduldig von seiner Tante Waltraud erwartet.

„Wo bleibst du denn, Micha? Die Belegschaft wartet jetzt schon seit gut einer Viertelstunde auf dein Erscheinen.“

„Ist ja gut, ich bin ja jetzt da“, erwiderte Michael Wagner sofort. „Glaubst du übrigens, dass dein schicker Pilotenstrampelanzug das richtige Outfit ist, um vor deine Leute zu treten“, legte Waltraud Wagner mit missbilligendem Blick sogleich nach.

„Ja liebe Tante, damit muss meine Belegschaft künftig leben. Denn es gibt ein paar Neuigkeiten zu verkünden, von denen ich heute Morgen beim Aufstehen auch noch keine Ahnung hatte.

Aber – wie du siehst – hab’ ich meine Dienstgradabzeichen schon abgelegt. Deshalb ist mein ‚Strampler’ – wie du meinen hübschen Overall gerade zu nennen beliebtest – ein simpler ziviler Arbeitsanzug, den unsere Leute hier demnächst noch öfter zu sehen bekommen. Ich bin nämlich nicht der Schlips- und Anzugträger und Stil und Form standen bei mir noch nie auf der obersten Prioritätenliste.“

Nur wenige Minuten später stand Michael Wagner zum ersten Mal vor seinen neuen Mitarbeitern, deren Chef er ab diesem Donnertag notgedrungenermaßen werden sollte.

„Meine Damen und Herren“, begann er seine kurze Rede. „Ich weiß, dass Sie alle denken, dass ich als designierter Juniorchef in den nächsten Tagen ein paar Schuhe anzuziehen versuche, die mir als längerfristig beurlaubten Polizisten eigentlich viel zu groß sind.“

„Während Michael eine kurze Pause machte, sah er, dass ein Raunen durch die Menge seiner Zuhörer ging. Deshalb fuhr er umgehend fort:

„Ich versichere Ihnen jedoch, dass ich mich, nach dem gewaltsamen Tod meiner Eltern, ab sofort der unerwarteten Herausforderung stellen und mich für die Firma ins Zeug legen werde. Vor allem aber sollen Sie wissen, dass ich nicht die Absicht habe, die Firma an das nächstbeste Konkurrenzunternehmen zu verkaufen.

Was meinen derzeitigen Beruf bei der Polizei angeht, so werde ich im Moment dem Angebot meiner Vorgesetzten folgen, die mich zunächst für 18 Monate von meinem Dienst beurlauben wollen. Was danach geschieht, wird sich zeigen.

Aber zunächst mal haben Sie damit ab sofort einen neuen Chef. Und meine Tante Waltraud hat dankenswerterweise zugesagt, mich in den nächsten Monaten bei der Geschäftsführung zu unterstützen.“

Erneut ging ein leises Murmeln durch die, in der provisorisch freigeräumten Lagerhalle sitzenden Mitarbeiter der Spedition, die anscheinend froh waren, dass Ihre Arbeitsplätze zumindest in nächster Zeit noch erhalten bleiben würden.

„Allerdings bin ich auf Ihrer aller Hilfe angewiesen, denn ich habe vom Geschäft meiner Eltern so gut, wie keine Ahnung“, fuhr der neue Juniorchef nun fort.

„Daher bitte ich besonders die leitenden Damen und Herren unseres Teams, mich ab morgen in die Geheimnisse des Speditionswesens einzuweisen. Aber keine Sorge, ich will darüber hinaus – und zwar Schritt für Schritt – auch jeden Einzelnen von Ihnen im Verlauf meiner Einweisung kennenlernen.“

Zuerst zögernd, dann aber immer mehr kam jetzt zustimmender Applaus von den Mitarbeitern der Wagner Logistik GmbH. Michael fiel dabei eine junge rothaarige Frau auf, die mit dem Beifall begonnen und die er auch schon bei der Beerdigung seiner Eltern gesehen hatte. Doch vor allem war er sich nahezu sicher, dass er die aparte Mittzwanzigerin von irgendwoher kannte.

„Herr Wagner“, meldete sich die besagte hübsche Mitarbeiterin jetzt zu Wort. „Ich bin Anna Baur und mache hier bei uns mit meinem Bruder das kaufmännische Marketing und das Arbeits- und Einsatzmanagement unseres Fuhrparks.

Und zusätzlich kümmere ich mich um die Kundenakquise sowie um die Angebots- und Vertragsgestaltung. Deshalb denke ich, dass mein Bruder und ich noch heute Nachmittag mit Ihnen das weitere Vorgehen Ihrer geplanten Einweisung besprechen sollten.“ Dabei zeigte Sie auf einen jungen Mann im Rollstuhl, der Michael ebenfalls bekannt vorkam.

„Doch lassen Sie mich Ihnen zunächst einmal im Namen der gesamten Belegschaft für Ihre, für uns alle sehr ermutigenden Worte danken. Wenn wir alle zusammenhalten, werden wir das mit Ihrer Einweisung und Ihrem Einstieg ins Geschäft schon gemeinsam hinbekommen“, ergänzte Anna Baur mit einem freundlichen Blick aus ihren leuchtend grünen Augen.

Michael war von der Replik der ausgesprochen gutaussehenden jungen Frau mit dem krausen roten Lockenkopf sofort beeindruckt. Vor allem aber schien ihm das, was er da an fraulich wohlproportionierter Figur wahrnahm und vor allem aber ihre hübschen Grübchen, die sie erst beim Lächeln zeigte, ausgesprochen gut zu gefallen – was nicht zuletzt auch von seiner Tante wohlwollend bemerkt wurde.

„Okay, Frau Baur ich hatte heute ohnehin nichts Anderes mehr auf meiner To-Do-Liste. Ich schlage daher vor, dass wir uns dann gleich mit meiner Tante ins Büro meines Vaters zurückziehen und uns über die von Ihnen aufgeworfenen Themen unterhalten.

Ich hoffe, dass das allen Mitarbeitern recht ist. Ich kenne zwar die organisatorischen Strukturen der Firma noch nicht so wirklich, glaube aber, dass es einen Grund hat, dass Sie hier und heute, sozusagen als Sprecherin der Belegschaft auftreten.“

„Das ist richtig, Herr Wagner. Mein Bruder und ich waren bisher die leitenden Assistenten Ihres Vaters. Und außerdem hat man mich vor gut zwei Jahren zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt, die in unseren bisherigen Betriebsversammlungen deshalb auch stets die Belegschaftsinteressen mit der Geschäftsführung zu diskutieren hatte.

Dank der klugen Geschäftspolitik Ihres Herrn Vaters, haben wir dabei aber immer, wenn es Probleme gab, eine alle zufriedenstellende, gemeinsame Lösung gefunden.“

„Gut zu wissen, Frau Baur – und danke für die Aufklärung, wir treffen uns dann in zehn Minuten im Büro meines Vaters“, erwiderte Michael Wagner spontan, ehe sich die Versammlung kurz danach auflöste und alle anwesenden Mitarbeiter wieder zu ihren Arbeitsplätzen zurückgingen.

„Sag mal Tante Waltraud, diese Frau Baur und ihr Bruder – irgendwie kenne ich die beiden, aber ich komm’ im Moment nicht drauf, woher“, flüsterte Michael in Richtung seiner Tante, als er mit ihr zusammen in das große Büro seines Vaters auf der Chefetage ging.

„Das kann schon sein, du vergesslicher Hirsch. Die beiden sind eineiige Zwillinge. Sie sind hier in Erding aufgewachsen. Und sie sind mit unserem Oberbürgermeister verwandt. Soweit ich weiß, waren die beiden am gleichen Gymnasium, wie du“, erwiderte Tante Traudel ohne Umschweife.

„Das könnte sein – da gab es damals diese langbeinige Rothaarige mit Zöpfen und Zahnspange drei Klassen unter mir. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie von allen Jungs immer mit dem Spitznamen ‚Pippi Langstrumpf’ geärgert wurde.“

„Und du hast dabei natürlich mitgemacht – oder?“ „Na ja, vielleicht – so genau weiß ich das nicht mehr. Aber ich hätte sie mit ihrem heutigen Aussehen niemals wiedererkannt.“

„Ich hab’ schon an deinen wohlfälligen Blicken vorhin gemerkt, dass sie dir gefällt und du jetzt deshalb von deinen Jugendsünden nichts mehr wissen willst“, sagte Waltraud Wagner trocken. „Also benimm dich, wenn wir gleich mit ihr und ihrem Bruder zusammentreffen.

Sie hat übrigens einen Master in Wirtschaftswissenschaften und dein Vater hat Anna Baur nach ihrem Studium vom Fleck weg – nicht nur angesichts ihrer super Noten – sondern auch wegen ihres praktischen Könnens engagiert.

Und er hat darüber hinaus auch ihren nicht minder begabten Zwillingsbruder, nach dessen schlimmen Motorradunfall, als studierten Informatiker in die Firma geholt.“

„Und woher weißt du Neugierige das alles?“, fragte Michael überrascht.

„Erstens, mein lieber Neffe, bin ich schließlich hier in Erding aufgewachsen und habe – wie du dich sicher erinnerst – auch viele Jahre hier gewohnt. Und erst nach meiner Heirat bin ich vor rund 25 Jahren auf den Bauernhof meines inzwischen verstorbenen Manns ins Allgäu umgezogen.“

Als man kurz darauf zu Viert in der Chefetage beieinandersaß, eröffnete Michael prompt das Gespräch. „Anna, ich weiß inzwischen von meiner Tante, dass wir uns von der Schule her kennen und auch Ihren Bruder habe ich wohl damals dort schon mal gesehen. Daher sollten wir – wenn euch beiden das als zukünftige Kollegen recht ist – zum ‚Du’ übergehen. Ich heiße übrigens Michael.“

„Ja, ja Michael – ich hab’ dich schon gestern bei der Trauerfeier gleich wiedererkannt – du mich aber anscheinend nicht, weil ich damals noch etwas anders aussah.

Liegt möglicherweise aber auch daran, dass du mich seinerzeit immer ‚Pippi Langstrumpf’ gerufen hast“, erwiderte Anna Baur nach einer kurzen Sprechpause mit einem spitzbübischen Grinsen.

„Ich, ich .... ich entschuldige mich dafür Anna, ich hoffe du trägst mir das nicht mehr nach“, stotterte Michael mit roten Ohren augenblicklich ziemlich verlegen.

„Nöh, ich hatte mich irgendwie schon damals mit dieser blöden Neckerei abgefunden, auch wenn mich das anfangs ziemlich geärgert hat.

Nur hätte ich dich damals gerne als Freund gehabt, aber du zeigtest damals als Oberstufenschüler an dem hässlichen rothaarigen Entlein aus der Mittelstufe keinerlei Interesse.“

Michael Wagner, dessen Wangen sich bei dieser Antwort von Rot auf die Farbe Dunkelrot verfärbten, holte tief Luft und sagte schließlich: „Ich war damals halt ein Idiot – reicht das als Kommentar meinerseits?“

„Ja Michael, und jetzt wollen wir dieses Thema ein für allemal abhaken, damit du mir hier nicht gleich heute schon vor lauter überflüssiger Aufregung aus der Spur gerätst.“

Bei dieser Antwort Annas konnte Waltraud Wagner ihr bislang mit gekonnt stoischer Miene mühsam zurückgehaltenes Lachen nicht mehr unterdrücken.

„Ich mach’ uns jetzt allen erst mal ’nen Kaffee, dann könnt ihr euch in der Zwischenzeit wieder beruhigen“, sagte sie deshalb mit leise vor sich hin glucksender Stimme, während sie in die Kaffeeküche nach nebenan verschwand.

Als sie wieder mit dem dampfenden Gebräu auf einem Tablett erschien, setzte Anna Baur sofort wieder an.

„Nun mal zur Sache, mein lieber Herr Juniorchef. Ich glaube, das Allerwesentlichste, was du als künftiger Leiter dieses Betriebs als Erstes mal kapieren musst ist, wie eine Spedition eigentlich funktioniert und wie vor allem die in deiner künftigen Firma auf den ersten Blick gar nicht so sichtbaren betrieblichen Abläufe dabei zusammenwirken.“

Michael Wagner fühlte sich von dem Rede-Stakkato seiner künftigen Assistentin in diesem Augenblick mehr als geplättet, als diese auch schon wieder weitersprach.

„Nun Michael, was will ich damit sagen? Zunächst einmal – es geht bei der Wagner Logistik GmbH primär um das stete Hereinholen von Transportaufträgen, deren Bearbeitung sowie um die anschließende, vertragsgemäße Abwicklung aller Frachtangelegenheiten.

Und das bedarf einer permanenten Auftragsverfolgung und Ablaufsteuerung. Dazu gehört aber zudem eine sinnvolle und validierbare Prozessüberwachung aufgrund realer und zeitnah erfasster Daten, weil wir nur so unsere Dienstleistungen im Sinne eines zeitgemäßen Controllings erfolgreich überprüfen und optimieren können.“

„Deshalb dieser große Computersaal mit den vielen Bildschirmen und Displays. Sah für mich bei meinem letzten flüchtigen Besuch bei meinem Vater fast so aus, wie unser Lagezentrum bei der Polizei“, warf der gespannt zuhörende Michael Wagner an dieser Stelle ein.

„Genau – und das Lagezentrum ist mein Job als Cargo-Dispatcher und Fuhrparkleiter, während meine Schwester primär den kaufmännischen Bereich abdeckt“, meldete sich jetzt Max Baur zum ersten Mal zu Wort.

„Ich werd’ dir das in den nächsten Tagen mal genauer zeigen – aber dein Vergleich mit einem Einsatzlagezentrum ist gar nicht so falsch.

Unsere logistischen Aufgaben sind ja heutzutage weit mehr, als nur der bloße Gütertransport von A nach B. Es geht nämlich zudem um den Warenumschlag und demzufolge außerdem um das zeitweise Lagern von Transportgütern, vor allem, wenn es sich um Stückgutfracht und eilige Güter handelt.

Dies deshalb, weil wir nur in seltenen Fällen nur eine einzige Kundenadresse anfahren und die aufgenommene Ladung zu nur einem Bestimmungspunkt bringen müssen.

Was demnach bei mir zusammenläuft, sind alle Daten zu den Auftragsdetails nach Frachtmengen, Abhol- und Lieferorten sowie zusätzlich alle Termine und die per GPS15 gemeldeten, aktuellen Standorte unserer Lastzüge, einschließlich der Informationen zu deren im Moment freien und belegten Kapazitäten.

Denn nur so können wir ein optimales Dispositionsmanagement auf der Zeitachse hinbekommen und Leerfahrten, soweit es eben geht, vermeiden.

Das ist übrigens auch unser höchster Trumpf in Sachen Zuverlässigkeit und Güte – und das unterscheidet uns von den meisten Konkurrenten. Mithilfe unserer Technik sind wir nämlich in der Lage, bei unvorhergesehenen Problemen oder Wünschen äußerst flexibel einzugreifen und im Sinne unserer Kunden auf plötzliche Veränderungen zu reagieren.“

„Das klingt ziemlich spannend, und jetzt, wo du mir das so erklärt hast, leuchtet natürlich ein, warum Vaters Firma bisher so erfolgreich war. Wieso können die ganz großen Speditionen so etwas nicht?“, fragte Michael gleich weiter.

„Och, die könnten das mit ihrem Equipment schon, aber die setzen halt mehr auf Masse statt auf Klasse und da bleiben die diversen Kundenwünsche so manches Mal auf der Strecke“, nahm nun Anna Baur wieder den Gesprächsfaden auf.

„Letztlich ist aber nur unser Weg der Schlüssel, um eine dauerhafte Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Und das zahlt sich letztlich aus, denn nur zufriedene Kunden kommen gerne wieder.“

Nach einer kleinen Pause fuhr Anna fort. „Das soll jetzt fürs Erste einmal als grobe Skizze reichen. Mehr Einzelheiten wirst du erfahren, wenn du ab morgen durch unsere Abteilungen gehst.

Da wir hier bei uns nach dem Willen deines Vaters eine flache Organisationsstruktur eingerichtet haben, gibt es davon nur vier, die für dich von besonderer Bedeutung sind.

Ich schlage daher vor, dass du dir in den kommenden Tagen zunächst einmal das Revier von Max genauer anschaust. Das ist nämlich das Herz unseres Geschäfts. Danach werde ich dich in den kaufmännischen Bereich der Spedition einweisen.

Darüber hinaus musst du dir aber auch unbedingt noch unsere Lagerhaltung mit dem Warenumschlag und nicht zuletzt auch unsere Buchhaltung zu Gemüte führen.

Unser Lagerleiter Wilhelm Brand und unsere Chefbuchhalterin Christine Liebermann sind bereits informiert und werden dir ihre Arbeitsbereiche ebenfalls noch in dieser bzw. in der nächsten Woche zeigen“, beendete Anna Baur ihre Rede.

„Einverstanden Anna – ich vertraue ganz auf deine Terminplanung die du ja sicher dazu schon gemacht hast“, erwiderte Michael Wagner spontan, ehe er nach kurzem Überlegen weitersprach.

„Buchhaltung interessiert mich ganz besonders, denn dazu hätte ich zum Abschluss noch eine wichtige Frage.“

„Die da wäre?“, fragte Anna Baur prompt zurück.

„Na ja, ich hab’ mich gestern Abend im Internet schon mal mit dem Thema ‚Erbschaftssteuer’ befasst, dass in Kürze auch auf mich als neuen Firmeninhaber zukommt.

Gegenwärtig habe ich ja nur eine rudimentäre Ahnung von unserer Auftragslage sowie von unseren Umsätzen und Gewinnen. Dennoch ist mir gestern Abend bereits Eines klargeworden.

Und zwar, dass die bisherigen steuerlichen Vergünstigungen für Firmenerben schon bald auf der Kippe stehen und dass man im kommenden Jahr dazu ein Verfassungsgerichtsurteil erwartet, das angeblich damit aufräumen wird.

Dass könnte letztendlich bedeuten, dass wir mit der Firma vor hohen Belastungen stehen, die die Wagner Logistik GmbH dann zu tragen hätte.

Deshalb könnte es meiner Meinung nach sinnvoll sein, in eine zu gründende Tochtergesellschaft mit dem Ziel zu investieren, uns vor einer ggf. exorbitant hohen Steuer zu schützen.

Dies unter anderem auch deshalb, weil ich die Firma nicht durch hohe Steuerabgaben in Schieflage bringen und niemanden entlassen will. Daher brauche ich sehr bald laiengerecht aufbereitete, verständliche Wirtschaftsdaten der Firma, um so auch die Frage zu beantworten, ob wir überhaupt finanzielle Mittel für Investitionen haben.“

„Guter Punkt“, erwiderte Anna Baur sofort. „Und an was hattest du beim Punkt Investitionen so gedacht?“

„Ehe ich das, an was ich gerade denke, ausspreche, hab’ ich vorher noch eine ganz andere Frage. Wenn ich eure Ausführungen vorhin richtig verstanden habe, kommt es in unserer Firma gar nicht so selten vor, dass Terminfracht in kleineren Gebinden als Stückgut abzuholen oder anzuliefern ist.

Ich frage euch daher: Wie oft erhalten wir derartige Aufträge durchschnittlich und setzt ihr dafür zum Beispiel auch kleinere Lieferwägen als Transportmittel ein?“

„Gut, ich kann das grob beantworten“, sagte Max Baur ohne zu zögern. „Genaue Zahlen müsste ich natürlich ermitteln lassen. Vereinfacht gesagt ist es halt so: Für kleinere Gebinde unter einer Tonne, die eilig zum Empfänger müssen, haben wir ein paar wenige Kleintransporter, aber die setzen wir eher als Ausnahme und nur bei wirklich kritischer Terminfracht ein.

In der Mehrzahl der Fälle ist es hingegen die Regel, dass wir auch eilige kleinvolumigere Transportgüter kurze Zeit einlagern müssen, um sie danach flexibel als Beipackladung mit unseren Fernlastzügen zur Lieferadresse zu bringen, was dann halt unvermeidbar etwas längere Lieferzeiten zur Folge hat.“

„Ich glaub’ bei mir ist gerade der Groschen gefallen“, ergriff nun Anna Baur wieder das Wort. „Du denkst bei der Tochtergesellschaft an Lufttransport für eiliges Stückgut per Hubschrauber, hab’ ich Recht?“

„Erwischt!“, war alles was Michael anmerken konnte, als Anna auch schon weitersprach.

„Die Idee an sich ist gar nicht so blöd, aber man müsste das vorher genau durchkalkulieren. Und dazu, mein lieber Bruder, brauche ich deine Zahlen zum Transportvolumen und zum Aufkommen derartiger Fracht“, sagte sie an ihren Bruder Max Baur gewandt.

„Heißt das etwa, ihr könntet euch mit so einer solch, zugegebenermaßen ungewöhnlichen Idee anfreunden?“, fragte Michael Wagner jetzt völlig verdutzt.

„Ja Boss, genau das heißt es“, erwiderte Anna freundlich und setzte dann gleich noch burschikos grinsend hinzu: „Wir sind hier nämlich ’ne innovative Firma und neuen Einfällen gegenüber stets aufgeschlossen.

Allerdings brauche ich vom Herrn Piloten Wagner in dieser Sache ebenfalls ein paar Daten. Das betrifft vor allem die Investitions- und Betriebskosten eines Hubschraubers. Und nicht zuletzt spielen dabei dessen Reichweite, Ladekapazität und die infrastrukturellen sowie die Zulassungsvoraussetzungen eine entscheidende Rolle.

Wenn ihr beide mir die nötigen Zahlen dazu bis zum Ende der Woche liefern könntet, fertige ich anschließend, zusammen mit Christine, eine Machbarkeitsstudie sowie eine erste Kosten-Nutzenanalyse an – und dann sehen wir weiter.“

„Super, Anna, ich bin zwar noch immer überrascht, aber genauso sollten wir es machen“, erwiderte Michael Wagner jetzt freudestrahlend.

„Freu’ dich mal nicht zu früh, mein Lieber. Denn einen Haken hat die Sache aus steuerlicher Sicht schon noch. Funktionieren wird das mit den investitionsbedingt geringeren Abgaben und der steuerlichen Begünstigung nämlich nur, wenn du statt 18 Monaten mindestens 5 Jahre, besser aber noch länger, Chef der Firma bleibst“, warf Anna Baur an dieser Stelle ein.

„Wenn nicht, ist’s nämlich Essig mit der geringeren Erbschaftssteuer.“

„Das habe ich auch schon in einem Internetkommentar gelesen, aber aufgrund der derzeit unklaren Rechtslage nicht so wirklich verstanden“, entgegnete Michael augenblicklich.

„Aber für den Fall, dass wir eine Tochtergesellschaft realisieren können, wäre ich auch bereit, den Polizeidienst ganz an den Nagel zu hängen.“

„So wärst du das?“, fragte Anna Baur jetzt mit einem fragend hochgezogenen, ungläubig wirkenden Stirnrunzeln zurück, ehe sie fortfuhr:

„Also ich denke da ganz pragmatisch. Bevor wir uns dafür entscheiden, müssen wir die ganze Angelegenheit sowieso mit unserem Steuerberater und dem Wirtschaftsprüfer vom Finanzamt besprechen, das ist unverzichtbar. Und dann erst werden wir wissen, ob dein Vorschlag erfolgreich realisiert werden kann.“

„Okay, also ist nur verhaltener Optimismus angesagt“, erwiderte Michael Wagner, wobei er seine neue Assistentin mit einem unnachahmbar verschmitzten Aufschlag seiner braunen Augen unschuldig angrinste. „Bis wann brauchst du die Zahlen von mir?“, fügte er dann noch eine letzte Frage hinzu.

„So schnell es geht, aber bitte auch so präzise, wie möglich. In Sachen Hubschrauber bist du der Fachmann, da verlass ich mich ganz auf deine Expertise.

Außerdem, wenn ich das richtig sehe, brauchen wir für einen über 5 Tage die Woche laufenden Lufttransport eiliger Güter mindestens noch einen weiteren Piloten und ein paar Wartungstechniker, die wir kostenmäßig mitkalkulieren müssen“, gab Anna lächelnd zurück.

„Du weißt ja anscheinend doch ’ne ganze Menge über das Thema Lufttransport. Also gut, ich setze mich in den Abendstunden der kommenden Tage gleich an die von dir geforderte Recherche. Dies deshalb, weil ich ja tagsüber von dir zum Lernen verdonnert worden bin.

Übrigens, was zusätzliches fliegerisches Personal angeht, hab’ ich da – glaub’ ich auch schon eine Idee, die vielleicht funktionieren könnte.“

Nach einer kurzen Redepause fuhr der neue Chef der Wagner Logistik GmbH fort: „Es ist spät geworden und ich denke, dass wir unser Gespräch für heute an dieser Stelle beenden können. Ich schlage daher vor, dass wir uns noch vor dem Wochenende erneut zusammensetzen, um zu sehen, in welche Richtung der Hase läuft.“

„Sehr gut Michael, wir treffen uns dann – sagen wir am Freitagnachmittag – genau hier wieder, um zu sehen wie weit wir dann sind“, entgegnete Anna Baur, ehe sie sich mit ihrem Bruder von Michael und Waltraud verabschiedete, um in ihre eigenen Büros zurückzukehren.

„Man kann ja sagen, was man will, aber Drive und Ideen hat der Neue ja ’ne ganze Menge“, raunte Max Baur auf dem Flur der seinen Rollstuhl schiebenden, hübschen Schwester zu.

„Und ich glaube, dass dieser Jungspund bereits jetzt schon vom Unternehmervirus und den Vorteilen der damit verbundenen Selbständigkeit infiziert ist und dass er das, was er vorhat, ernst meint, und dabei auch nicht so leicht aufgibt.“

„Das glaube ich auch, mein lieber Bruder. Außerdem ist Michael Wagner ein äußerst liebenswerter und angenehmer Mensch, dessen höfliche und unkomplizierte Art mir persönlich sehr gut gefällt. Und außerdem sieht er sehr gut aus, auch wenn er sich in diesem unvorteilhaften Pilotenanzug versteckt.“

„Man hat’s an deinen entzückten Blicken, die du ihm vorhin gerade heimlich zugeworfen hast, ganz gut gesehen“, meinte Max Baur trocken.

„Und wie mir scheint, kann dieser gutaussehende Ex-Polizist die Pippi Langstrumpf von damals in ihrer heutigen Aufmachung auch ganz gut leiden.“

„Mal wieder typisch Mann. Nur, weil ich den Junior gut finde, muss ich ja noch nicht gleich in ihn verliebt sein. Halt also bloß deine vorlaute Klappe, du Hirsch“, war alles, was die sanft errötete Anna ihrem Bruder Max mit gespieltem Zorn zurief, ehe sie ihn gleich danach mit Schwung in dessen Computersaal schob und die Tür zu seinem Allerheiligsten in gespieltem Zorn hinter ihm zuwarf.

Bereits an diesem Donnerstagabend saß Michael Wagner – wie er es versprochen hatte – schon gleich nach dem Abendbrot, das seine Tante für ihn zubereitet hatte, an seinem Macbook und durchforstete das Internet nach technischen Daten von infrage kommenden Hubschraubern.

„Du hast dein Abendessen ja kaum angerührt“, schimpfte seine Tante, als sie ihn in seiner benachbarten Appartementwohnung aufsuchte. „Ich esse es so nebenbei“, erwiderte Michael, während er erneut auf den Herstellerseiten herumscrollte.

„Jetzt iss erstmal zu Ende, damit ich den Abwasch machen kann. Du musst ja nicht gleich am ersten Tag ein Rekordergebnis aufweisen. Und morgen ist dein erster Einweisungstag in der Firma, da solltest du vorher ausgeschlafen sein.

Vielleicht gibt dir Max Baur morgen ja auch einen Tipp, wie du das mit der Internetrecherche am besten angehen kannst. Von Computern scheint er ja ’ne ganze Menge zu verstehen.“

„Okay Tante Traudel. Wenn ich aufgegessen haben, folge ich dir in die Küche und helfe dir beim Abwasch“, meinte Michael, als er sich müde über das Gesicht fuhr. „Aber danach werde ich noch ein bisschen telefonieren und ein paar Bekannte anrufen.“

„Den Abwasch schaffe ich schon alleine. Mach also, was du nicht lassen kannst, aber um 23:00 Uhr ist Schluss damit. Morgen hast du viel zu tun und du willst ja nicht gleich an deinem ersten Arbeitstag einen übermüdeten Eindruck machen.“ „Ja mein Traudchen, zu Befehl – ich werde gehorchen.“

„Frecher Kerl!“, erwiderte Waltraud Wagner mit gespielt böser Miene – und nennst du mich noch einmal ‚Traudchen’, leg’ ich dich, genauso, wie früher in deinen Ferien auf unserem Bauernhof, übers Knie!“

Dann verkündete Waltraud noch mit erhobener Stimme: „Ich geh’ jetzt zu Bett und du, mein grinsender Neffe, solltest das auch bald tun!“

„Mach ich, Tantchen – versprochen“, erwiderte Michael Wagner sofort, da er wusste, dass seine Tante keinen Widerspruch dulden würde.

Kurze Zeit später schaltete Michael seinen Computer ab und nahm danach sein iPhone in die Hand, weil er an diesem Abend unbedingt noch seinen alten Freund Matthias Debus erreichen wollte.

Nach zwei erfolglosen Versuchen mit nicht mehr existenten Rufnummern hatte er ihn schließlich über die Auskunft an der Strippe.

„Das nenn’ ich mal ’ne Überraschung, mein Lieber. Von dir habe ich ja schon seit einer halben Ewigkeit nichts mehr gehört“, hörte er die Antwort, nachdem Matthias Debus Stimme aus dem Lautsprecher drang.

„Du hast ja Recht Matthes, und ich bin darüber auch ziemlich zerknirscht, bin halt kein Vieltelefonierer. Aber hier bei mir ist eine Situation eingetreten, bei der ich dich gerne mal um deine fachmännische Meinung bitten würde.“

Und dann erzählte Michael Wagner seinem alten Fliegerkumpel, den er von etlichen gemeinsamen Firmenlehrgängen bei der Firma Eurocopter her kannte, was in den letzten Wochen geschehen war.

„Mein Gott, das waren deine Eltern?“, meinte Matthias Debus sofort. „Ich hab’ darüber in der Zeitung gelesen, aber da standen ja keine Nachnamen. Menschenskind, das tut mir sehr leid für dich. Habt ihr die Schweine wenigstens inzwischen gekriegt?“

„Nein, leider nicht. Jede Spur ist bis jetzt im Sande verlaufen. Aber die Kollegen von der Kripo sind an dem Fall dran und ich werde nächste Woche mal ins Präsidium nach München fahren und schauen, wie weit sie dort mit den Ermittlungen sind.“

Gleich darauf berichtete Michael von seinem beabsichtigten Ausstieg aus dem Polizeidienst sowie über seine Entscheidung, die Spedition seiner Eltern zu übernehmen.

„Hätte nie gedacht, dass du deine geliebte Hubschrauberstaffel je mal verlässt. Aber wie kann ich dir bei deinem neuen Unternehmerjob helfen? Vom Spediteurwesen habe ich nämlich nicht die geringste Ahnung.“

„Ich auch nicht, aber ab morgen werde ich das lernen“, entgegnete Michael Wagner bestimmt. „Fachleute, die mir das beibringen können, gibt’s dafür in unserer Firma ja genug.“

„Verstehe, aber wofür brauchst du dann meinen Rat?“, fragte Matthias Debus zurück.

„Nun, ich trage mich mit dem Gedanken, unser Geschäftsfeld – vor allem aus steuerlichen Gründen – um die Sparte ‚Nahstreckenlufttransport für eilige Güter’ zu erweitern. Das ist zwar momentan nur eine erste Idee, aber es gibt offenbar einen Bedarf, der im regionalen Bereich so noch von keiner Spedition bedient wird.“

„Interessant – und dabei geht es um Hubschrauber, könnte ich mir vorstellen. Die Fliegerei lässt dich also nicht los, alles andere hätte mich auch gewundert, mein Lieber.

Ich bin zwar jetzt schon ein paar Monate pensioniert, aber, wenn ich kann, helfe ich dir gerne. Verreisen und Urlaub machen ist mir nämlich inzwischen zu fad geworden.“

„Du bist pensioniert?“, fragte Michael Wagner verblüfft. „Wie ist das denn gegangen? Ich dachte bei deiner Bundeswehr hätte man erst vor ein paar Jahren die Altersgrenzen nochmal angehoben.“

„Tja, das ist zwar richtig, aber die Bundeswehrreform lässt grüßen. Sie ist – wie du vielleicht weißt – mit einer drastischen Reduzierung der Hubschrauberverbände, nicht nur beim Heer verbunden. Und daher gibt es in meiner Branche viel zu viele Piloten, die schon bald keinen Dienstposten mehr haben werden.

Ich war ja bis Ende letzten Jahres noch als Fluglehrer auf dem EC-135 an der Heeresfliegerwaffenschule in Bückeburg eingesetzt und hab’ dann meine letzten Tage im Dienst mit der Auflösung des Kampfhubschrauberregiments 36 in Roth bei Nürnberg verbracht, wo ich übrigens noch immer wohne.

Als das mit dem Bundeswehrreformgesetz schließlich spruchreif wurde, kam das Angebot meiner Personalführung, vorzeitig und ohne Abstriche bei der Pension in den Ruhestand zu treten – und das habe ich nach reiflicher Überlegung angenommen.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich in wenigen Jahren ohnehin ausgeschieden wäre und eine Umschulung auf den NH-90 für mich alten Kerl nicht mehr infrage gekommen wäre. Und einen Schreibtischjob wollte ich als Alternative letztendlich auch nicht haben.“

„Dann fliegst du also seitdem gar nicht mehr?“, fragte Michael völlig perplex zurück. „Na ja, so hin und wieder darf ich bei einem Bekannten dessen Mühle kutschieren, damit ich meine Flugberechtigung behalte. Die hab’ ich nämlich sofort nach meinem Ausscheiden auf eine zivile Lizenz umschreiben lassen.“

„Sehr gut, dann bist du wahrscheinlich genau der richtige Mann für mich – sofern du denn willst und sofern sich mein Plan realisieren lässt.

Wir sind hier nämlich im Augenblick dabei, eine Machbarkeitsanalyse für eine kleine Lufttransport-Tochtergesellschaft zu erstellen – und dabei soll ich das Hubschrauber-Knowhow beisteuern. Das ist übrigens der Punkt, bei dem ich dich gern um Rat bitten würde. Vielleicht kannst du ja in den kommenden Tagen mal herkommen, dann können wir das näher besprechen.“

„Mach’ ich gerne Michael, von Roth bis zu dir nach Erding ist’s ja nicht allzu weit.“ „Super, Matthes – und überleg’ dir schon mal, welchen Hubschraubertyp du für Transportlasten von bis zu einer Tonne einsetzen würdest und wo man den gegebenenfalls günstig herbekommen könnte.“

„Gut – ich werde mich morgen früh mal ein bisschen umhören. Hab’ da ja auch noch ein paar Kontakte zur Firma Eurocopter in Donauwörth. Vielleicht weiß ich dazu schon mehr, wenn ich dich – sagen wir gleich Freitagmittag – besuchen komme.“

„Spitze Matthes – ich dank’ dir ganz herzlich dafür – also dann bis Freitagmittag“, sagte Michael Wagner, ehe er nach diesem längeren Telefonat die Verbindung trennte.

Als er anschließend über das gerade geführte Gespräch nachdachte, fiel sein Blick auf das auf seinem Schreibtisch stehende Foto seiner Eltern. Unwillkürlich brach er bei diesem Anblick aus glücklichen Tagen in ein lautes Schluchzen aus, das auch von seiner Tante im unmittelbar nebenan gelegenen Gästezimmer des Haupthauses vernommen wurde.

Gleichwohl entschied sich Waltraud Wagner, ihren Neffen jetzt in Ruhe zu lassen. „Lass es raus Micha“, dachte sie bei sich. „Es ist an der Zeit, dass auch du harter Knochen deiner Trauer mal freien Lauf lässt und deine getöteten Eltern beweinst. Denn da musst du schließlich ganz alleine durch, aber du schaffst das schon.“

Eine halbe Stunde später kehrte jedoch wieder Ruhe im Haus ein, da anscheinend auch ihr Neffe endlich beschlossen hatte, sich endlich zur Ruhe zu begeben.

Die Firma des Piloten

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