Читать книгу Tod im Sommerhaus - Schweden-Krimi - Åke Smedberg - Страница 10
ОглавлениеMagnusson wandte sich dem Jüngeren zu.
»Was meinst du?«
Peter Larsson saß zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl. Nach einer Weile öffnete er die Augen, reckte sich seufzend und sah Magnusson an.
»Du bist an Feinheiten interessiert?«
Diese Rolle war ihm bei ihrer Zusammenarbeit zugefallen: Er war derjenige, der Nuancen und Misstönen nachspürte. Er stellte nur selten Fragen, das war Magnussons Zuständigkeit. Stattdessen beobachtete er und lauschte. Nahm Dinge wahr, die nicht stimmten oder zu gut stimmten.
»Er war anders als erwartet«, meinte er zögernd.
»Wie meinst du das?«, fragte Magnusson.
»Dir ist das doch sicher auch aufgefallen? Er besaß eine gewisse Ausstrahlung, nicht wahr? Selbstbewusst, aber nicht draufgängerisch. Natürliche Autorität könnte man das vielleicht nennen. Und ... tja, das Aussehen ... die Art ... nicht direkt, was man in diesem Milieu erwartet, meinst du nicht auch?«
Magnusson machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Jaja. Sonst nichts? Nichts Konkreteres?«
Larsson lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Er wirkte nicht sonderlich aufgebracht, als wir bei ihm geklingelt und uns vorgestellt haben. Eher verdutzt, aber weder nervös noch beunruhigt. Ohne längere Diskussionen hat er eingewilligt, uns zu begleiten. Als er erfuhr, weshalb wir ihn vernehmen wollten, hat er ziemlich mitgenommen gewirkt, nicht wahr? Seine Miene war einen Moment lang ausdruckslos. Und blass war er. Als hätte ihn das Gehörte schockiert. Ist dir aufgefallen, wie er deine Fragen beantwortet hat? Er hat nicht versucht, sich rauszuwinden. Es schien ihm gleichgültig, was für einen Eindruck er auf uns machte. Anfangs dachte ich, er ist vielleicht einfach etwas dumm, zurückgeblieben. Aber das scheint nicht so zu sein.«
Er verstummte. Magnusson betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn.
»Lügt er, oder sagt er die Wahrheit? Ist er in diese Sache verwickelt oder nicht?«
Larsson wippte auf seinem Stuhl vor und zurück und verzog das Gesicht.
»Tja. Das ist die Frage. Wenn er lügt, dann verdammt gut. Und wenn er die Wahrheit sagt, macht er das ebenfalls verdammt gut, falls du verstehst, was ich meine. Er wirkt einfach sehr überzeugend.«
Magnusson seufzte.
»Ja, das entspricht auch meinem Eindruck. Obwohl er für meinen Geschmack etwas zu gelassen wirkt.«
Er erhob sich.
»Wir müssen wohl einen weiteren Versuch unternehmen«, meinte er, zwängte sich an seinem Kollegen vorbei und öffnete die Tür zum Gang. »Vielleicht erfahren wir ja dieses Mal mehr von Herrn Lindberg und können beurteilen, ob es Sinn macht, ihn noch länger hier zu behalten.«
Peter Larsson erhob sich und folgte ihm. Er warf einen Blick auf die Uhr. Bald zwei. Er hatte nur ein paar Stunden geschlafen. Allmählich breitete sich Müdigkeit aus. Alles lief auf Sparflamme. Oder passierte wie in einem Albtraum: Man konnte noch so schnell rennen, kam aber trotzdem nicht vom Fleck. Eigentlich arbeiteten sie jetzt schon zu lange, dachte er, um noch so etwas wie wirkliche Konzentration aufbringen zu können. Aber Lindberg erging es wohl ebenso, was möglicherweise zu einem Ausrutscher führte. Dazu, dass er sich eine Blöße gab.
»Wir fassen noch einmal zusammen, worüber wir gestern Abend und heute Morgen gesprochen haben«, schlug Magnusson vor. »Dann sehen wir, ob wir damit weiterkommen.«
Er runzelte die Stirn und starrte ins Leere.
»Es war also Ihre Brieftasche, die am Tatort gefunden wurde?«
Sein Gegenüber nickte.
»Es hat ganz den Anschein.«
Magnusson warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Schließlich war Ihr Personalausweis darin, oder? Bo Erik Lindberg. Und das Geld. Außerdem haben Sie auch zu Protokoll gegeben, dass Sie sie wiedererkannt haben.«
»Stimmt.«
»Dann können wir doch davon ausgehen, dass sie Ihnen gehört, nicht wahr?«
Lindberg nickte und holte Luft.
»Sicher, sie gehört mir, das streite ich gar nicht ab, wozu auch.«
Er schwieg. Peter Larsson, der einen halben Meter links von Magnusson saß, sah ihn an. Er setzte sich oft so hin, damit sich der Befragte die ganze Zeit seiner Anwesenheit bewusst war, aber gleichzeitig den Kopf zur Seite drehen musste, wenn er ihm direkt in die Augen sehen wollte. Viele machte das nervös, aber Lindberg ließ sich dadurch nicht stören und sah kaum in seine Richtung.
»Aber Sie können nicht erklären, wie sie an den Fundort gelangt ist?«, fuhr Magnusson fort. »Ihnen war noch gar nicht aufgefallen, dass sie fehlte?«
Lindberg schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Das macht immer noch keinen Sinn. Dass Sie das nicht gemerkt haben. Schließlich waren fast dreitausend in der Brieftasche. Mir wäre es jedenfalls aufgefallen, wenn mir so viel abhanden gekommen wäre, aber Ihnen nicht, Bo?«
Der Mann verharrte eine Weile zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Dann richtete er sich auf und sah Magnusson in die Augen.
»Ja, ich weiß, das ist viel Geld, um es so mit sich herumzutragen. Das war alles, was ich übrig hatte, nachdem die Miete bezahlt war. Aber ich habe das Geld immer bei mir in der Brieftasche. Bankgeschäfte waren nie meine starke Seite. Aber ich habe nicht gemerkt, dass mir die Brieftasche abhanden gekommen war.«
Sollte er müde sein, ist ihm das jedenfalls nicht anzumerken, dachte Peter Larsson. Er wirkte eher konzentriert. Als läge ihm die ganze Sache ebenso am Herzen wie den Polizeibeamten.
Magnusson fuhr fort.
»Sie haben die Miete bezahlt, da hatten Sie Ihre Brieftasche noch. Das war letzten Donnerstag. Wir haben uns das bestätigen lassen, die Transaktion wurde am Donnerstag verbucht. Morgens früh am dreißigsten April.«
Er machte eine kurze Pause und betrachtete zweifelnd den Mann vor sich.
»Das ergibt also fünf Tage, die verstrichen sind, ohne dass Sie bemerkt haben, dass Ihre Brieftasche fehlt. Fast eine Woche. Haben Sie in dieser Zeit kein Geld gebraucht? Nichts zu essen gekauft? Überhaupt nichts?«
Bosse Lindberg sah ihm nach wie vor direkt in die Augen.
»Ich habe es schon mehrmals wiederholt, aber ich sage es trotzdem noch einmal. Vielleicht kann es ja dazu beitragen, das Ganze aufzuklären.«
Er sprach ruhig und ohne den leisesten Ärger.
»Es hätte mir vielleicht auffallen müssen, kann sein. Und früher oder später wäre es das natürlich auch. Aber ich habe gar nicht darüber nachgedacht, wo die Brieftasche sein könnte. Ich habe wahrscheinlich angenommen, ich hätte sie irgendwo hingelegt, wie man das eben so tut. Und Lebensmittel...«
Er hob seine Hand an sein mageres Gesicht und zwickte sich in die Wange.
»Ich bin kein großer Esser«, meinte er mit einem schwachen Lächeln. »Ich hatte alles, was ich brauchte. Ich hatte keinen Grund einzukaufen.«
Magnusson sah ihn lange an. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich finde das immer noch unglaubwürdig. Was haben Sie in diesen Tagen getan?«
»Nichts, eigentlich. Wie ich bereits sagte.«
»Nichts? Fünf Tage lang?«
Lindberg musterte seine Hände.
»Ich wollte meine Ruhe haben«, erwiderte er. »Das braucht man manchmal, zumindest ich.«
Er schwieg.
»Und Sie haben in dieser Zeit überhaupt niemanden getroffen?«, fragte Magnusson.
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. Er schien eher zu sich selbst zu sprechen, als er antwortete:
»Ich habe mich ganz einfach eingeschlossen und nicht aufgemacht.«
Dann atmete er tief ein, sah Magnusson an und verzog den Mund.
»Aufgemacht habe ich erst, als Sie kamen. Aber Sie haben ja auch so einen wahnsinnigen Radau gemacht, dass mir nichts anderes übrig blieb.«
Magnusson ignorierte diesen Kommentar und erwiderte:
»Ich hatte den Eindruck, dass Sie unser Eintreffen nicht sonderlich überrascht hat. Es war fast so, als hätten Sie uns erwartet. Und obwohl wir Sie im Zusammenhang mit einem schweren Verbrechen vernehmen wollten, haben Sie, wenn ich mich recht erinnere, kaum Fragen gestellt. Hat Sie das überhaupt nicht interessiert?«
Lindberg schwieg. Dann beugte er sich vor und stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab.
»Ich bin nicht dumm. Jedenfalls nicht dümmer als die meisten. Ich habe mir nicht eingebildet, dass Sie mich mitnehmen, um mir meine Brieftasche auszuhändigen. Mir war sofort klar, dass irgendwas faul war. Aber dann ...«
Er hob die Hände.
»Nie hätte ich geahnt, dass es um etwas Derartiges geht! Dass Sie mich verdächtigen, jemanden erschlagen zu haben! Ich war ganz einfach schockiert! Und wonach hätte ich Ihrer Meinung nach fragen sollen? Was hätte es genützt? Ich weiß nur, dass ich nichts mit der Sache zu tun habe und nichts weiß!«
Magnusson nickte langsam.
»Nicht? Tja, das wird sich zeigen ...«
Er klopfte an die Tür, und einer der Kriminalassistenten schaute herein.
»Wir haben ein paar neue Informationen.«
Er sah Magnusson an, der sich einen Augenblick später erhob.
»Ach so. Ich komme«, sagte er zögerlich.
»Wir legen eine Pause ein«, sagte er, »und machen so bald wie möglich weiter.«
Peter Larsson blieb sitzen und warf seinem Gegenüber einen Blick zu.
»Durst?«, fragte er nach einem Augenblick. »Möchten Sie etwas trinken?«
Lindberg schüttelte den Kopf.
»Nein, es geht schon.«
Er lächelte schwach.
»Sie können tatsächlich sprechen?«
Peter Larsson erwiderte das Lächeln.
»Sie glauben mir nicht, stimmt’s?«
Larsson machte eine abwehrende Handbewegung.
»Das gehört zu unserem Job, könnte man sagen. Wir sind misstrauisch.«
Lindberg betrachtete ihn schweigend. Dann nickte er.
»Tja, so ist das wohl. Ich weiß auch nicht, was ich an Ihrer Stelle geglaubt hätte. Aber das Leben hat nicht sonderlich viel mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Peter Larsson.
Lindberg rieb sich das Kinn, das mit blauschwarzen Bartstoppeln bedeckt war.
»Wenn man gezwungen ist zu erklären, warum man zu einem gewissen Zeitpunkt dieses oder jenes gemacht hat, warum man sich so und nicht anders verhalten hat, dann erweckt man leicht den Eindruck eines Lügners. Oder eines Idioten.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte Peter Larsson langsam. »Hält man sich an die Wahrheit, gibt’s normalerweise keine Probleme.«
Der andere zog eine Augenbraue hoch.
»Was Sie nicht sagen! Da bin ich mir nicht so sicher.« Ein paar Minuten später kam Magnusson zurück. Er hielt eine aufgerollte Zeitung in der Hand, blieb in der Tür stehen, steckte die Zeitung in die Jackentasche, ging zum Tisch und setzte sich.
»Wir machen weiter«, sagte er. Er musterte Lindberg. »Sie waren also über die Feiertage allein, wenn ich Sie richtig verstanden habe? Haben keinen Schritt vor die Tür gemacht und auch niemanden getroffen?«
Bosse Lindberg nickte.
»Ja«, erwiderte er. »Sie haben mich richtig verstanden.«
»Ich wollte mich nur vergewissern. Uns liegt nämlich die Zeugenaussage einer Person vor, die zum fraglichen Zeitpunkt mit Ihnen zusammen war. Und zwar ohne Unterbrechung bis letzten Montag. Was sagen Sie dazu?«
Er wartete einen Augenblick.
»Vielleicht haben Sie sich ja geirrt und möchten Ihre Aussage korrigieren?«
Mit gerunzelter Stirn starrte Lindberg ihn an.
»Sie sprechen von Li, nicht wahr?«
»Von wem?«
»Li. Anneli Holm. Nur sie kommt in Frage.«
Magnusson betrachtete ihn schweigend. Bosse Lindberg schüttelte den Kopf.
»Ja, leider war ich nach wie vor allein und habe niemanden getroffen. Auch sie nicht, jedenfalls nicht seit letztem Donnerstag, als sie bei mir zu Besuch war. Sie ist gegen Mitternacht oder kurze Zeit später gegangen, glaube ich.«
»Aber davon haben Sie gar nichts gesagt.«
»Meines Erachtens hat das nichts mit der Sache zu tun. Ich habe keinen Grund gesehen, sie in diese Sache reinzuziehen.«
»Ach, nein?«, fragte Magnusson. »Ist sie vielleicht Ihre Freundin?«
Lindberg zögerte, ehe er antwortete.
»Wir treffen uns, kann man sagen. Ziemlich oft.«
»Sie haben ein Verhältnis?«
Lindberg hob die Hände. Er kniff die Augen zusammen und wirkte zum ersten Mal verärgert.
»Ich schlafe mit ihr, wenn es das ist, was Sie interessiert!«
»Aber Sie wohnen nicht zusammen?«, fuhr Magnusson unbeirrt fort.
»Nein.«
»Und seit ungefähr vierundzwanzig Uhr am Donnerstag, in der Walpurgisnacht, haben Sie sich also nicht mehr gesehen? Obwohl sie das Gegenteil behauptet?«
»Nein.«
»Sie lügt also.«
»Sie hat sich wohl geirrt und die Tage durcheinander gebracht.«
»Ein bisschen komisch ist das schon, oder? Dass sie sich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt irren sollte? Ausgerechnet der Zeitraum, für den wir uns interessieren. Bei mir erweckt das den Anschein, als versuchte sie, Ihnen ein Alibi zu verschaffen. Für irgendetwas. Woran könnte das, Ihrer Meinung nach, liegen?«
Bosse Lindberg lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust.
»Stimmt, es sieht so aus, als wollte sie mir helfen. Man muss schon ziemlich beschränkt sein, um das nicht zu merken. Aber ich habe sie nicht darum gebeten und nichts damit zu tun. Ich habe ausgesagt, wo ich mich in den besagten Tagen aufgehalten und was ich gemacht habe. Habe Ihre Fragen beantwortet. Mehr kann ich nicht tun, und mehr ist auch nicht nötig, finde ich.«
Magnusson nickte.
»Sie haben Recht«, sagte er. »Sie haben ganz Recht. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir Sie etwas ausführlicher darüber informieren, warum Sie hier sitzen. Damit Sie den Ernst der Lage begreifen ...«
Er unterbrach sich und beugte sich vor.
»Das sieht entzündet aus. Wir müssen dafür sorgen, dass jemand da mal einen Blick draufwirft.«
Er deutete mit dem Kopf auf Lindbergs rechte Hand, deren gerötete Handfläche ein breites Pflaster bedeckte. Bosse Lindberg schüttelte den Kopf.
»Das? Das ist nur eine Schramme ...«
»Ja, darüber sprechen wir später«, fuhr Magnusson geradezu gut gelaunt fort.
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie die Gegend von Jädraås und Åmot an der Grenze zu Hälsingland kennen. Ob Sie sich in den letzten Tagen an einem dieser Orte aufgehalten haben. Sie haben das verneint.«
Lindberg schüttelte den Kopf.
»Das ist schon Jahre her«, erwiderte er. »Und damals bin ich auch nur durchgefahren, soweit ich mich erinnern kann.«
»Der Ortsname Rönnåsen sagt Ihnen auch nichts?«
»Nein, überhaupt nichts.«
Magnusson musterte ihn und spitzte die Lippen.
»Ein recht abgelegener Hof. Die Besitzer heißen Haglund. Dort haben wir Ihre Brieftasche gefunden.«
Er wartete einen Augenblick, zog die Zeitung aus der Tasche, schlug sie auf und legte sie auf den Tisch.
»Hier. Das hier sollten Sie sich einmal anschauen.«
»Bestialischer Doppelmord. Hier wurde ein altes Paar massakriert. Verdächtiger in Haft.« Die Schlagzeile nahm die Hälfte der ersten Seite ein. Darunter war das Foto eines Hauses vor düsterem Hintergrund zu sehen.
Lindberg saß reglos da, starrte erst das Bild an und überflog dann den Text. Magnusson zog die Zeitung wieder zu sich heran.
»Ja, im Augenblick reicht das vielleicht. Wir werden noch mehr über diesen Fall sprechen. Ich wollte Ihnen nur eine Kostprobe präsentieren.«
Er rieb sich das Kinn.
»Wir haben Ihnen bereits mitgeteilt, dass Ihre Brieftasche am Tatort gefunden wurde und dass wir deswegen mit Ihnen reden wollten. Später wurde dann im Hinblick auf die Art des Verbrechens ‒ Mord beziehungsweise Totschlag ‒ beschlossen, Sie vorläufig festzunehmen. Wie Sie sehen konnten, haben wir kaum übertrieben. Es geht also um ein älteres Paar, das auf eine Art ums Leben gebracht wurde, wie ich es noch kaum gesehen habe, obwohl ich schon recht lange dabei bin.«
Er hielt inne und hob mahnend den Zeigefinger.
»Und Ihre Brieftasche, Bosse, lag in dem Haus, in dem die Morde verübt wurden. Ja, sie wurde in der Tat unter einem der Opfer gefunden! Vieles spricht also dafür, dass sie dorthin gelangte, als das Verbrechen verübt wurde. Der Täter, oder jemand anders, der sich ebenfalls im Haus befand, hat sie einfach verloren. Was sagen Sie dazu, Bosse?«
Der Mann auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches reagierte nicht. Dann zuckte er zusammen.
»Ich bin nicht ...«
Er verstummte und schüttelte mehrmals den Kopf.
»Was sind Sie nicht?«, fragte Magnusson.
Lindberg holte tief Luft.
»Ich bin ... ich bin nie dort gewesen!«, fuhr er fast keuchend fort.
»Ja, ja. Dafür gibt es auch keine Indizien. Dass Sie sich dort befunden hätten. Jedenfalls jetzt noch nicht. Aber in diesem Fall gibt es noch so viele Ungereimtheiten und offene Fragen, dass Sie damit rechnen müssen, noch eine Weile bei uns zu bleiben.«
Er steckte die Zeitung wieder in die Jackentasche.
»Außerdem brauchen wir noch eine Blutprobe von Ihnen«, fuhr er beiläufig fort. »Wir erledigen das, wenn sich jemand um die Verletzung Ihrer Hand kümmert.«
Er hielt inne.
»Und noch etwas. Ein Rechtsanwalt. Als wir gestern Abend davon sprachen, fanden Sie es nicht nötig, einen hinzuzuziehen. Jetzt erscheint Ihnen die Sache vermutlich in einem anderen Licht. Sie werden einen Pflichtverteidiger brauchen, das sehen Sie doch ein?«
Lindberg atmete jetzt gleichmäßiger und starrte geradeaus.
»Da gibt es jemanden, den ...«, begann er, verstummte und schien in seinem Gedächtnis zu suchen. »Ja, jemand, mit dem Sie vielleicht Kontakt aufnehmen könnten ... Henning ...«
Magnusson verzog leicht den Mund.
»Sjöström vielleicht?«
Lindberg schien den Einwurf kaum wahrzunehmen.
»Henning«, wiederholte er. »Lasse Henning.«
Magnusson sah ihn an.
»Ist das ein Anwalt, den Sie kennen?«
Der andere schüttelte den Kopf.
»Nein, ein Polizist.«
Magnusson runzelte die Stirn.
»Ein Polizist? Jedenfalls niemand, den ich kenne.«
»Nicht hier. In Stockholm. Ob er immer noch dort ist, weiß ich allerdings nicht. Das ist schon ein paar Jahre her.«
Magnusson legte den Kopf schief.
»Gibt es einen besonderen Grund, weshalb wir uns mit ihm in Verbindung setzen sollten?«
»Er weiß, wer ich bin.«
Lindberg hatte die Arme sinken lassen und schien sich plötzlich wieder zu entspannen.
»Falls es möglich wäre ... Ja, dann würde ich mich gern mit ihm unterhalten.«
Magnusson nickte.
»Wir wollen sehen, was sich machen lässt«, erwiderte er knapp.
Magnusson hatte eine Zigarette aus der Schachtel gefischt, drehte sie hin und her und steckte sie mit einem leisen Seufzer wieder zurück. Peter Larsson lehnte ein paar Meter von ihm entfernt mit verschränkten Armen an der Wand des Korridors.
»Geh halt schnell eine rauchen, wenn du Lust hast. Wir können uns danach unterhalten.«
Magnusson sah ihn kurz an und schüttelte den Kopf.
»Meine Ration, du weißt schon. Ich hebe mir die Zigarette lieber auf. Riechen muss reichen.«
Er räusperte sich.
»Bist du wütend?«
Peter Larsson zuckte mit den Achseln.
»Wütend ist vielleicht zu viel gesagt. Ich finde, du hättest diesen Auftritt vorher mit mir absprechen können.«
Magnusson zog eine Braue hoch.
»War es so schlimm?«
»Das war doch reinstes Theater, wie du ihm die Zeitung hingeknallt hast. Wir hätten das vorher besprechen müssen.«
»Es ergab sich halt so«, erwiderte Magnusson.
Larsson schnaubte.
»Unsinn! Du hast bewusst die Zeitung mitgenommen, um dein Ding durchzuziehen.«
Magnusson lächelte schuldbewusst.
»Ja, du hast vielleicht Recht. Er war mir einfach zu unbeeindruckt. Ich war gespannt, wie er reagieren würde. Irritiert oder verängstigt oder so erregt, dass er einen Ständer kriegt, wenn er es schwarz auf weiß vor sich sieht.«
»War das so schlau? Ihn das lesen zu lassen?«
Magnusson machte eine abwehrende Handbewegung.
»Das war doch nur die Titelseite. Die Schlagzeile. Nichts, was ihm nützen könnte, wenn er sich aus der Sache herausreden will.«
»Du wolltest sehen, wie er reagieren würde«, sagte Larsson nach einer Pause. »Und wie hat er reagiert?«
Magnusson runzelte die Stirn.
»Tja, ich hatte schon den Eindruck, dass ihn der Artikel erschüttert hat. Er hat ihm kurz den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber zugegeben hat er nichts. Und gesprächiger wurde er auch nicht, das muss ich zugeben.«
Er atmete geräuschvoll ein und schnalzte mit der Zunge.
»Na ja, war ja auch nur ein Versuch. Vielleicht sollten wir eine Weile auf die Psychologie verzichten und uns auf die konkreten Hinweise konzentrieren.«
»Die ja recht spärlich sind, nicht wahr?«, entgegnete Peter Larsson säuerlich.
Magnusson warf ihm einen raschen Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Jetzt jammer nicht, und hör mir gut zu. Wir wissen, dass die Brieftasche ihm gehört und mit aller Wahrscheinlichkeit mit den Morden im Zusammenhang steht. Außerdem haben wir seine recht fadenscheinige Erklärung, er habe sie verloren, wisse aber nichts über das Wann, Wo und Wie.«
»Irgendwie muß er dort ja auch hingekommen sein. Und wieder zurück. Was zu Fuß eher unwahrscheinlich ist. Im Besitz eines Autos ist er unseres Wissens auch nicht. Und die Busverbindungen sind miserabel ...«
Magnusson schnaubte.
»Hast du nicht selbst gesagt, es müssten mehrere Personen beteiligt gewesen sein? Reyes meint das auch. Wenn wir einfach dranbleiben, tauchen vielleicht Transportmittel und eventuell weitere Beteiligte im Zuge der Ermittlungen auf, wer weiß?«
Er hob eine Hand.
»Was Reyes angeht, wollte ich noch etwas sagen. Er hat mir eine Nachricht zukommen lassen, die interessant zu sein scheint. Blut auf Schulterhöhe am Türrahmen in der Küche. Als hätte sich jemand angelehnt oder abgestützt. Es ist Reyes gelungen, dort einen Fingerabdruck zu sichern. Verwischt zwar, aber wie er glaubt, dennoch verwendbar. Es gibt übrigens nur sehr wenig Fingerabdrücke. Auf der Axt sind überhaupt keine. Die Person, die sie gehalten hat, muss Handschuhe getragen haben, und nicht irgendwelche. Wahrscheinlich aus Latex, wie Chirurgen sie benutzen. Dehnbar und stabil. Es ist auch möglich, dass sich die Täter etwas über die Schuhe gezogen haben. Was darauf hindeuten würde, dass die Tat genau geplant worden ist. Das alles natürlich nur laut Reyes. Und der hat immer eine blühende Phantasie.«
Er sah Larsson an, der mit den Achseln zuckte.
»Er ist ein Fachmann.«
Magnusson verzog das Gesicht.
»Klar. Und darüber lässt er auch niemanden im Zweifel.«
Er verstummte, ging ein paar Schritte den Gang entlang und kam wieder zurück.
»Aber dieses Mal ... ja, es ist nicht unmöglich. Ist dir Lindbergs verletzte Hand aufgefallen? Es könnte stimmen. Irgendwann während dieses verdammten Blutbads verletzt er sich, zieht den Handschuh aus, um sich die Wunde anzuschauen, und berührt auf dem Weg nach draußen den Türrahmen. Mit etwas Glück sichern wir sowohl DNA‒Proben als auch Fingerabdrücke. Dann wird er sich nicht mehr so leicht rausreden können.«
»Nur wenn es wirklich sein Blut ist«, erwiderte Peter Larsson. »Bist du dir da bereits sicher?«
Magnusson schüttelte den Kopf.
»Ganz und gar nicht. Aber ich will Gewissheit haben, bevor er hier verschwindet. Ich habe noch kurz mit Hjerpe gesprochen. Mit der U‒Haft gibt es keine Probleme.«
»Und das Mädchen? Diese Zeugenaussage?«, fragte Larsson. »Über die hätten wir auch erst mal reden müssen. Vor dem Einleiten psychologischer Experimente.«
Magnusson seufzte.
»Ja, ja. Ich gebe ja alles zu, zum zweiten Mal. Ich streue mir Asche aufs Haupt. Bist du jetzt zufrieden?«
Er sah den Jüngeren eine Weile herausfordernd an und fuhr fort:
»Richtig, die Freundin, die keine Freundin ist. Sie hat vor einer Dreiviertelstunde angerufen und erklärt, von Donnerstag bis Montag ununterbrochen mit Herrn Lindberg zusammen gewesen zu sein. Aber meines Erachtens verändert dies die Sachlage kaum zu seinem Vorteil. Eher das Gegenteil ist der Fall.«
»Du glaubst, sie könnte ebenfalls in die Sache verwickelt sein?«
»Im Augenblick glaube ich überhaupt nichts. Ich ziehe es vor, erst einmal abzuwarten. In jedem Fall scheint es ihr sehr wichtig zu sein, Lindberg ein Alibi zu verschaffen, findest du nicht auch?«
»Aber er hat nicht angebissen«, erwiderte Peter Larsson.
»Nein, er war verärgert. Das wäre ich auch gewesen.«
Magnusson verzog den Mund.
»Wenn ich versichert hätte, allein gewesen zu sein. Hinter verschlossener Tür. Niemanden getroffen und nur dagesessen und den Kopf hängen gelassen zu haben, drei bis vier Tage. Etwas seltsam, aber auch nicht ganz unwahrscheinlich. Dann kommt jemand und verdirbt das Ganze, vielleicht sogar noch aus Hilfsbereitschaft. Und auf einmal wirkt alles suspekter denn je. Ich wäre auch wütend geworden.«
Peter Larsson runzelte die Stirn.
»Woher wusste sie, dass er hier ist? Und worum es geht?«
»Tja, es gibt nicht mehr viel, was sich heutzutage noch geheim halten lässt, nicht wahr?«
Magnusson schlug mit der Hand auf die Tasche, in der die Zeitung steckte.
»Hier steht eigentlich alles. Was sich ereignet hat, wann es sich unserer Ansicht nach ereignet hat, und sogar, dass wir eine Person zum Verhör abgeholt haben. Das Einzige, was fehlt, ist der Name, aber den hat sie auch so rausgekriegt.«
»Wie?«
»Das will sie uns nicht verraten. Nur, dass sie den Namen von jemandem erfahren hat. Mal sehen, was wir erfahren, wenn wir uns eingehender mit ihr unterhalten.«
»Dieser Name, den Lindberg genannt hat«, meinte Peter Larsson. »Sollen wir damit unsere Zeit verschwenden? Was meinst du?«
Magnusson kaute auf seiner Unterlippe.
»Henning? Hieß er nicht so? Ich erkundige mich mal.«
Er ging wieder im Korridor auf und ab und fingerte an der Zigarettenschachtel in seiner Jackentasche.
»Aber am wichtigsten ist im Augenblick Lindberg. Wir stellen seine Wohnung auf den Kopf und suchen dort jeden Millimeter ab. Ihn selbst auch. Wenn er in dieser Hütte in Rönnåsen war, dann kriegen wir das raus.«
»Und das Motiv?«
»Darum kümmern wir uns später. Wenn wir erst mal beweisen können, dass er sich am Tatort aufgehalten hat, dann glaube ich, dass er von sich aus erzählt. Und ich glaube nicht, dass es irgendwas Sensationelles ist. Das Übliche. Ein Einbruch, der schief ging. Irgendwas in dieser Richtung.«
Larsson betrachtete ihn nachdenklich.
»Ich bin mir da nicht so sicher«, entgegnete er schließlich. »Wie es dort aussah, pfui Teufel ... Das wirkt zu einfach.«
»Zu einfach?«
Magnusson zog die Augenbrauen hoch.
»Man merkt, dass du jung bist und alles verkomplizieren musst. Warte, bis du so alt bist wie ich. Dann ist nichts einfach genug. Je einfacher, desto besser.«