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Wunderwerke der Technik

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Unter diesen Umständen können sich die Ägypter auch für die französische Kultur kaum erwärmen. Im August 1798 wird das Institut d’Égypte in Kairo gegründet. Es hat sich einem vornehmen Ziel verschrieben: „Fortschritt und Verbreitung der Aufklärung in Ägypten.“ Doch darunter verstehen die Franzosen zunächst die rationale Verwaltung der ägyptischen Eroberungen. Deutlich zeigt sich das in den Aufgaben, die das Institut erfüllen soll. Zu ihnen zählt ganz wesentlich auch die Politikberatung. Effiziente Verwaltung, Reform des Justizwesens, produktive Landwirtschaft, Verbesserung der Wasserqualität: zu allem soll das Institut Vorschläge erarbeiten. In allem, was sie tue, glaubt darum ein Redakteur des Institutsjournals, habe die Einrichtung einen Sinn, der weit über seine unmittelbaren Aufgaben hinausreicht: „Europa könnte nicht gleichgültig auf die Effizienz der Wissenschaften schauen, die durch tüchtige Klugheit und Liebe zur Menschheit in einem Land Anwendung finden, aus dem Barbarei und religiöser Furor sie für lange Zeit vertrieben hatten.“22

Und doch: Aufklärung ist vor allem Steigerung der Effizienz. Und so wünschenswert diese grundsätzlich ist, so verhalten begegnet ihr man dann, wenn sie allein den Interessen der Besatzer dient. La civilisation behaupten die Franzosen den Ägyptern zu bringen, aber die erleben diese „Zivilisation“ vor allem als Ankunft einer mächtigen Armee, eines Verwaltungssystems, das sie immer umfassender, immer dichter kontrolliert. Sicher, der kulturelle Überbau mag wichtig sein. Aber zuerst und vor allem schauen die Ägypter auf die finanzielle Basis. Und die ist bei Kosten, die in schon bald nicht mehr hinnehmbare Höhen schießen, alles andere als gesichert.

Allem Ärger zum Trotz erkennen die Ägypter eines an: Die Franzosen haben beeindruckende Technik im Gepäck. Die Druckerpresse zum Beispiel – die ägyptischen Würdenträger werden nicht müde, das Exemplar zu bewundern, das die Franzosen mit an den Nil gebracht haben. Unverkennbar sind sie von der Leistungsfähigkeit der Maschine beeindruckt. „Er wollte wissen, welchen Einfluss die Druckerpresse auf den zivilisatorischen Stand eines Landes haben könnte“, berichtet der Courier de l’Égypte über den Besuch eines Scheichs. „Er sah, welchen Vorteil es hat, gute Werke schnell zu vervielfältigen und in hoher Auflage zu verbreiten – Werke, die, wenn sie von Hand geschrieben wären, nur von wenigen Menschen gelesen werden könnten. Auch verstand er, dass diese Exemplare durch nichts mehr vernichtet und unterdrückt werden können, wie es mit Manuskripten geschehen kann.“ Nichts wäre wünschenswerter, so der Scheich, als wenn auch die Ägypter eine solche Maschine hätten. „Denn es gebe viele gute arabische Bücher, deren Veröffentlichung in Ägypten unendlich nützlich wäre.“23

Nicht nur die Druckerpresse beeindruckte die Ägypter. Napoleon hatte auf seinen Feldzug eine ganze Reihe Techniker und Ingenieure mitgebracht, die die Armee technisch unterstützen sollten. Doch der Feldherr wusste auch, dass sie noch zu etwas anderem dienen konnten: den Ägyptern den Stand der französischen Zivilisation zu demonstrieren, ihnen zu zeigen, dass es sich lohnen könnte, gute Verbindungen nach Frankreich zu pflegen. Was die Ingenieure dem Publikum in Kairo vorführten, grenzte in deren Augen an Zauberei: Die Menschen wurden Zeugen technischer Kunststücke, die sie nie zuvor gesehen hatten – ja, die sie sich niemals hätten vorstellen können. Die Vorführungen elektrischer Energie etwa: Dazu hatten Napoleons Spezialisten eigens einige Leidener Flaschen im Gepäck, um die damals fortschrittlichste Methode, Elektrizität zu erzeugen und deren Kraft erfahrbar zu machen, demonstrieren zu können. Diese Art der Energie war für die Ägypter eine ganz neue Erfahrung, die, wie einige Jahre vorher auch in Europa, größtes Staunen auslösten: „Wenn man mit der einen Hand die Verbindungskabel hielt und mit der anderen das rotierende Glas berührte, zitterte der ganze Körper, und der gesamte Knochenbau geriet in Bewegung. Es durchzog die Wirbelsäule, und der Unterarm begann zu schlackern. Wer immer die mit der Apparatur verbundene Person, deren Kleider oder sonst etwas von ihr berührte, spürte das Gleiche – auch wenn es tausend Personen waren, die einander berührten.“24

Auch die chemischen Experimente machten Eindruck – so etwa die Destillationsversuche, die flüssige in feste Körper verwandeln. Al-Dschabarti konnte seine Verwunderung über da Gesehene kaum verhehlen: „Eines der seltsamsten Dinge, die wir in dem Institut sahen, war folgendes: Einer der Assistenten nahm eine Flasche, die eine destillierte Flüssigkeit enthielt und goss davon etwas in eine Tasse. Dann goss er aus einer weiteren Flasche eine andere Flüssigkeit hinzu. Die beiden vermischten sich und erzeugten einen bunten Rauch. Als der Rauch verzogen war, war die Flüssigkeit getrocknet und hatte sich in eine gelbliche Gesteinsmasse verwandelt.“

Doch nicht immer zeigten die Ägypter ihr Erstaunen. Manchmal versuchten sie auch, sich möglichst gelassen zu geben, um sich ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen. „Die chemischen Experimente imponieren ihnen ebenso wenig wie die elektrischen“, hielt ein ernüchterter Wissenschaftler seinen Eindruck fest. Er täuschte sich. In seinen Aufzeichnungen gab Al-Dschabarti später zu erkennen, wie tief beeindruckt er und seine Landsleute waren: „Sie haben merkwürdige Dinge in ihrem Institut: Instrumente und Apparate, deren Wirken wir mit unserem Verstand nicht begreifen.“25

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