Читать книгу Hinter verborgenen Pfaden - Kerstin Hornung - Страница 12

6. Flimmernde Luft

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Philip war müde und unkonzentriert. Zwei Nächte in Folge war er sehr spät zu Bett gegangen und hatte zudem unruhig geschlafen. Die Anwesenheit der Elbin im Haus - in seinem Bett - beherrschte jeden seiner Gedanken und die Notwendigkeit immer darauf bedacht zu sein, kein falsches Wort zu niemandem zu sagen, tat ihr Übriges. Noch nie hatte er seinen Brüdern in so kurzer Zeit so viele Unwahrheiten aufgetischt, ohne mit einem frechen Grinsen zuzugeben, dass er sie genarrt hatte. Dass es sich bei der angeblichen Base um eine Elbin handelte, durfte keiner wissen.

Seine Mutter hatte beinahe den ganzen Sonntag in Jar’janas Zimmer verbracht, und jedes Mal, wenn sie in die Küche gekommen war, wirkte sie nachdenklich und besorgt. Philip wagte gar nicht nachzufragen, wie es ihr ging, lauschte aber angespannt, auf Mutters leise Zwischentöne.

Auch jetzt im Unterricht dachte er nur an Jar’jana. Er merkte zwar, dass sein Lehrer ihn immer wieder tadelnd ansah, aber er konnte einfach nicht aufhören an sie zu denken und zu gähnen.

Als die Mittagsglocke läutete, entließ Lehrer Theophil seine acht Schüler. Es waren ausnahmslos Buben zwischen zwölf und fünfzehn Jahren. Nur die Hälfte von ihnen kam aus Waldoria. Die anderen waren die Söhne wohlhabender Bürger aus den Städtchen Mendebrun und Markt Krontal, einer von ihnen war der jüngste Sohn Baron Felhorns. Laurenz von Felhorn würde gemeinsam mit Philip in diesem Sommer die Klasse verlassen. Soweit Philip gehört hatte, sollte er danach in der Schreibstube des Königs eine Stellung erhalten, da die Mittel des Barons erschöpft waren. Tjalf, der Sohn eines berühmten Arztes, ließ keine Gelegenheit aus, sich über diesen Umstand lustig zu machen.

»Philip, auf ein Wort«, donnerte Theophil, als Philip sich gerade seine Sachen unter den Arm klemmte. Aus dem Augenwinkel konnte er noch Tjalfs hämisches Grinsen sehen. Er schnitt dem Jüngeren eine Grimasse, legte seine Schreibtafel zurück auf das Pult und wandte sich dem Lehrer zu.

Theophil kramte so lange in seinen Unterlagen, bis der letzte Schüler den Raum verlassen hatte, und brummte dann: »Mach die Tür zu!«

Philip gehorchte.

»Was war heute los mit dir? So habe ich dich noch nie erlebt«, kam Theophil ohne Umschweife zur Sache.

»Entschuldigung … ich … ich habe zu wenig geschlafen«, brummelte Philip.

»Ich erwarte Konzentration, wenn du hier bist«, erklärte Theophil und fügte dann milde lächelnd hinzu. »Ich hoffe, es liegt nicht an dem Buch, das ich dir geliehen habe.«

»Nein, ich hatte auch noch nicht viel Zeit, um darin zu lesen«, gestand Philip.

Theophil nickte, sah ihn aber über sein Augenglas hinweg prüfend an. »Du wirst alles, was du heute verträumt hast, bis morgen nacharbeiten. Die Geschichte unseres Landes ist ein wichtiges Thema. Verstanden?!«

Philip nickte.

»Haben deine Eltern entschieden, wie es hiernach weitergeht?«, fragte der Lehrer mit gesenkter Stimme.

»Mutter erwähnte, dass ich im Monastirium Wilhelmus studieren solle. Aber …«

»Das ist gut. Eine sehr gute Entscheidung«, lobte der Lehrer. »Ich werde dem Abt gleich ein Schreiben zukommen lassen. Du musst noch viel lernen.« Er nickte zufrieden. »Eine sehr gute Entscheidung«, wiederholte er, stand auf und begann, nach etwas zu suchen. Dabei murmelte er unverständliche Worte, huschte von einem Schrank zum anderen und suchte darin wie ein Vogel, der im Gras nach Würmern stochert. Dann drehte er sich zu Philip um. »Jetzt kannst du gehen.«

Philip verneigte sich. »Auf Wiedersehen, Herr Lehrer«, sagte er und verließ den Raum.

Kaum stand er draußen in der Sonne, erwachten auch seine müden Lebensgeister wieder. Beschwingten Schrittes ging er nach Hause. Sein Herz klopfte erwartungsfroh in der Brust. Vielleicht würde er sie heute sehen. Allein der Gedanke an sie ließ ihn seinen Schritt beschleunigen. Vielleicht war sie ja diesmal wach und … Er wagte nicht, sich auszumalen, was geschehen würde, wenn sie ihn zum ersten Mal ansah. Wenn sie mit ihm sprach. Er war sich ganz sicher, dass ein Wort von ihr sein ganzes Leben verändern konnte.

Obwohl die Sonne warm auf seinen Rücken schien, fröstelte er plötzlich.

»Sag mal, stehst du auf deinen Ohren? Ich brüll mir die Seele aus dem Leib.« Jacob kam keuchend angelaufen.

»Wo kommst du denn jetzt her?«, fragte Philip verwundert.

»Nachsitzen! So wie du.« Er grinste breit.

»Ich bin nicht nachgesessen«, wehrte sich Philip.

»Natürlich nicht, großer Bruder. Aber ich. Und ich sag dir, diesen Zirkus mach ich nicht länger mit. Ich such mir eine Lehrstelle, oder noch besser, ich werde Ritter und ziehe in den Kampf, so wie früher.« Jacob grinste. Die Sommersprossen tanzten frech auf seiner Nase, und er wedelte mit dem Arm, als würde er ein Schwert führen.

»Träum weiter«, lachte Philip. »Als Sohn eines Schmieds wirst du niemals Ritter.«

»Ja, ja. Ich weiß, wir liefern nur das Zubehör«, knurrte Jacob schmollend. »Trotzdem schufte ich lieber in der Schmiede, als mich länger in dieser blöden Schule abzumühen. Wofür gibt es die bloß?«

»Damit Hornochsen wie du Lesen und Rechnen lernen«, gab Philip lachend zurück. »Sei doch froh, früher konnte es sich kaum einer leisten, was zu lernen. Erst König Willibald der II. hat in Waldoria die Schule bauen lassen und so zumindest der Stadtbevölkerung ermöglicht, an ein Mindestmaß an Bildung zu gelangen.«

»Ach, halt die Klappe«, wehrte Jacob ab. »Mir reicht’s für heute mit Vorträgen. Auf jeden Fall werde ich nicht zur Schule gehen, bis ich fünfzehn Jahre alt bin wie du, dazu habe ich wirklich keine Lust. Ein Gelehrter in unserer Familie reicht erstmal.«

Philip versetzte seinem Bruder einen leichten Schlag auf den zerzausten Hinterkopf, und der boxte ihn dafür in die Seite.

»Was hast du angestellt, dass du wieder nachsitzen musstest?«

»Gar nichts. Du weißt doch selbst, was für eine taube Nuss der Lehrer Jodokus ist. Der versteht gar keinen Spaß. Ich musste zwanzigmal schreiben ›Ich darf im Unterricht nicht mit Kreide werfen‹. Zwanzigmal! Aber das mach ich morgen wieder, dann werd ich bloß besser zielen, damit er’s nicht wieder an den Kopf bekommt.«

Philip hatte an diesem Nachmittag genug zum Lernen, und so verschwand er gleich nach dem Essen auf den Dachboden. Aber er fand keine Ruhe. Er hörte, wie seine Mutter in den Garten hinausging, und wusste, dass er für eine Weile alleine im Haus war. Auf leisen Sohlen schlich er die Leiter hinunter und vor der Tür von Jar’jana auf und ab, bis er endlich ein Geräusch hörte, das ein Eintreten rechtfertigte. Im dämmerigen Licht konnte er die blonden langen Haare sehen, die kreuz und quer über dem Kissen lagen. Jar’janas Gesicht konnte er nicht finden.

»Kann ich Euch helfen?«, fragte er vorsichtig.

Die Decke bewegte sich, und jetzt erkannte er, dass sie mit dem Gesicht zur Wand gelegen hatte. Als sie sich zu ihm umdrehte, hörte er sein Herz laut hämmern. Bestimmt hörte sie es auch.

Sie hatte die gleichen veilchenblauen Augen wie Lume’tai, und sie sahen ihn so erschrocken an, dass Philip am liebsten weggelaufen wäre. Aber er blieb.

»Braucht Ihr etwas?«, fragte er tapfer.

»Bist du gekommen, um mich zu holen?«, flüsterte sie. »Hat Varsa´ra dich geschickt?«

Sie redet wirr, dachte Philip enttäuscht. »Niemand hat mich geschickt. Ich dachte nur …«

»Ich spüre die Nähe von As’gard.« Ihre Hand griff nach seiner. »Das Vergessen ist nicht mehr fern.« Sie seufzte. »Fari’jaro ist mir vorausgegangen. Varsa’ra hat seinen Faden abgeschnitten. Aber Lume’tai wird leben. Wie geht es ihr?«

Hilflos sah Philip in die Wiege.

»Sie schläft«, sagte er schlicht. Er spürte seine grobe Hand zwischen ihren zarten feingliedrigen Fingern und trieb losgelöst von der Wirklichkeit, wie in einem Traum, von dem er nicht wusste, was für eine Wendung er nehmen würde.

»Es ist so schön, dich wiederzusehen. Du warst sehr lange fort. Du musst zu Ala’na gehen. Du musst ihr sagen, dass noch nicht alles zu spät ist. Die letzte Prophezeiung ist eingetreten. Nate’re ist hier! Sag Ala’na, Nate’re ist bei meinem Kind. Lume’tai wird leben. Geh für mich nach Pal’dor – sie sollen es alle wissen, ich …« Jar’jana stockte und ließ seine Hand los.

Philip spürte eine Bewegung hinter sich und drehte sich um.

Seine Mutter stand in der Tür. Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.

»Was tust du hier drin?«, fragte sie.

»Ich habe etwas gehört und dachte, sie braucht …« Philip stockte, denn der Blick, mit dem ihn seine Mutter musterte, war streng, besorgt und gleichzeitig wild. Hilflos stand er zwischen den beiden Frauen. Stand zwischen zwei Welten und wusste plötzlich nicht mehr, wo er hingehörte. Seine Mutter verkörperte alles, was ihm vertraut und lieb war. Aber Jar’jana hatte soeben eine Tür aufgestoßen. Sie hatte ihm einen neuen Weg gewiesen, zu Orten, von denen er bisher nicht einmal geträumt hatte. Wie ein Reh scheute er vor dem Unbekannten zurück und ging zu seiner Mutter. Fühlte sich wie ein reuiger Sünder, der wieder aufgenommen werden wollte.

Er war nur noch einen halben Schritt von ihr entfernt, als sie ihm auswich und an Jar’janas Bett trat. Verloren stand Philip im Raum.

Etwas war geschehen, aber er konnte es nicht begreifen, er wusste noch nicht einmal, was es war, aber er fühlte sich verraten. Seine Mutter hatte ihn stehenlassen und sich mit der Elbin verbündet.

Gedanken, die er nicht zu Ende dachte und Gefühle, die er nicht beschreiben konnte, brachen über ihn herein. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Zimmer. Er lief aus dem Haus und blieb erst stehen, als er am Teich an der großen Weide ankam.

An den Stamm gelehnt, starrte er ins Wasser. Sein Atem ging schnell. Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, zumindest seine Gedanken zu ordnen. Der Gefühle, die so stark in ihm brannten, und die er nicht verstand, konnte er nicht Herr werden.

Jar’jana hatte zu ihm gesprochen, doch den Sinn ihrer Worte hatte er nicht verstanden. Offensichtlich hatte sie ihn mit jemandem verwechselt. Trotzdem war ihr Auftrag klar gewesen: Geh nach Pal’dor! Dass es diese Stadt im Wald wirklich gab, überraschte ihn jetzt kaum noch. Er musste dafür sorgen, dass Jar’jana und Lume’tai wieder zurückkehren konnten. Er musste beide nach Hause bringen. Wahrscheinlich hatte seine Mutter das gehört. Wahrscheinlich war es ihr nicht recht. Mit Sicherheit sogar. Sie war sehr ängstlich, wenn es um den Alten Wald ging.

Aber sie hatte nichts gesagt. Nur ihr Blick war anklagend und enttäuscht gewesen. Oder traurig? Philip konnte es nicht sagen. Seit Jar’jana im Haus war, benahm Mutter sich eigenartig. Sie hütete die Elbin wie eine Glucke ihre Küken. Es war, als hätte Philip eine unsichtbare Grenze überschritten, als er in ihr Zimmer ging. Als hätte er etwas Verbotenes getan.

Wütend warf er einen Stein ins Wasser. Er fühlte sich alleine im Niemandsland, als säße er zwischen zwei Türen, die ihm ein Luftzug beide vor der Nase zugeschlagen hatte.

Trotzig ließ er sich ins Gras sinken, den Kopf an den rauen Stamm gelehnt. Die Sonne schien warm zwischen den Ästen der Weide hindurch, und der Wind spielte leicht mit ihren langen Zweigen, so dass diese leise rauschten. Er schlief ein.

Als er wieder aufwachte, war bereits später Nachmittag. Philip gähnte und das schlechte Gewissen meldete sich. Weder hatte er die Arbeit erledigt, die der Lehrer ihm aufgetragen hatte, noch hatte er in dem Buch auf dem Speicher gelesen, um etwas über diese geheimnisvolle Stadt im Wald zu erfahren. Er hatte noch nicht einmal Holzspäne für das Feuer gehackt, um die ihn seine Mutter beim Mittagessen gebeten hatte.

Als er in die Küche kam, knetete die Mutter gerade einen großen Klumpen Brotteig. Josua saß auf einem Hocker, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und schaute missmutig drein.

Philip warf seiner Mutter einen kurzen Blick zu. Sie machte ihm ein stummes Zeichen, dass er sich um Josua kümmern sollte. Philip unterdrückte ein Seufzen und setzte sich zu seinem Bruder an den Tisch.

»Was ist los?«, fragte er.

»Nichts.«

»Ihr könntet die Wäsche in dem Korb da hinten waschen«, mischte sich Phine ein. Es war ein Angebot an beide, damit sie in Ruhe miteinander sprechen konnten, das verstand Philip, aber zum Wäschewaschen hatte er heute weder Zeit noch Lust. Ein leises Seufzen entfuhr ihm. Er spürte den Blick seiner Mutter. Diesmal bittend.

»Wäsche waschen ist gut, um auf andere Gedanken zu kommen«, behauptete er.

»Frauenarbeit«, brummte Josua abweisend.

»Ja«, knurrte Philip zurück. »Aber wenn du dir dafür zu fein bist, könntest du auch den Sack Mehl da wieder in den Keller tragen oder Holzspäne hacken.«

Bei dem Versuch Holz zu hacken, hatte Josua sich erst im Frühling einen beachtlichen Schnitt im Schienbein eingehandelt, und den schweren Mehlsack würde er wahrscheinlich nicht einmal aufheben können. Josua seufzte resigniert.

»Das Wasser hier«, die Mutter deutete auf einen großen Topf, »ist für die Wäsche.«

»Glaubst du, dass Vaters Base bei uns bleibt?«, fragte Josua, als sie beide, mit den Armen bis zum Ellbogen im Waschtrog, Säuglingswäsche wuschen.

Philip zuckte mit den Schultern.

»Das wäre gut, weil diese Jana dann Mutter bei der Hausarbeit helfen könnte. Wäsche waschen ist blöd.«

»Zumindest werden die Finger davon richtig sauber«, bemerkte Philip und begutachtete seine aufgeweichten Hände.

»Ich will keine sauberen Hände«, protestierte Josua. »Nur reiche Säcke haben saubere Hände.« Er warf das Hemdchen zurück ins Wasser und fing an zu heulen. »Lennart hat das auch gesagt.«

»Was?«, fragte Philip, aber jetzt verstand er, woher Josuas schlechte Laune kam. Lennarts Vater war Ackerbürger. Seine Familie wohnte zwar in der Stadt, doch sie führten ein Bauernleben. Im Sommer, wenn die meiste Arbeit auf den Feldern war, mussten alle mithelfen. Das bedeutete, dass Lennart ab jetzt nicht mehr zur Schule ging, bis die Ernte eingefahren war, und nachmittags auch keine Zeit mehr zum Spielen hatte.

»Lenart hat gesagt, dass wir reiche Säcke sind.«

»Wie kommt er darauf?«

Josua wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah Philip böse an. »Weil alle bei uns zur Schule gehen, weil wir ein Haus und eine Schmiede haben und weil du schon größer bist als sein Vater und immer noch keine Lehrstelle hast«, zählte er zornig auf. »Warum hast du keine Lehrstelle wie alle anderen?«

Mit dieser Frage aber vor allem diesem vorwurfsvollen Ton hatte Philip nicht gerechnet.

»Ich wollte gerne weiter zur Schule gehen«, sagte er. »Mutter und Vater waren damit einverstanden. Aber darum sind wir doch keine reichen Säcke.« Er rubbelte wild an einer Windel und dachte daran, was für ein Gerede es im Ort geben würde, wenn er in diesem Sommer tatsächlich im Monastirium Wilhelmus mit dem Studium begann. Wie seine Eltern das bezahlen wollten, war ihm ohnehin schleierhaft.

Als er aufblickte, sah er Mutter in der Tür stehen. Sie lächelte.

»Ihr macht das wirklich gut.«

Josua murmelte etwas vor sich hin, erfreut klang er nicht.

»Ich hab ein wenig Zeit. Ich könnte euch etwas erzählen.«

»Eine Geschichte«, brummte Josua ohne jede Begeisterung. Wahrscheinlich wäre es ihm, genau wie Philip, lieber gewesen, die Mutter hätte an ihrer Stelle die Wäsche gewaschen.

Josephine aber setzte sich auf die schmale Holzbank neben der Tür und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

»Eine wahre Geschichte«, begann sie. »Damit du verstehst, Josua, dass das, was heute unser Wohlstand ist, durch das Leid vieler anderer zustande kam. Die Schmiede, so wie ihr sie kennt, wurde nach dem letzten Krieg erbaut.«

Philip erinnerte sich, dass Theophil in der Schule über diesen Krieg gesprochen hatte. Es war vor etwa hundertfünfzig Jahren der letzte Krieg zwischen Ardelan und Mendeor gewesen. Ardelan hatte dem übermächtigen Nachbarn getrotzt, aber die Verluste waren gewaltig. Corona, einst die Hauptstadt von Ardelan, war vollständig zerstört worden. Nach dem Krieg hatte König Willibald Corona als Königsitz aufgegeben und die Falkenburg errichten lassen. Dadurch war Waldoria vom kleinen Provinzstädtchen zur Hauptstadt geworden.

»Als Waldoria immer größer wurde, musste die alte Stadtmauer abgerissen und eine neue gebaut werden. Dies war die Gelegenheit für euren Urahnen, die Schmiede zu errichten. Er hat sie sich Stein für Stein vom Mund abgespart, in dem Glauben, jedem seiner beiden Söhne durch dieses Opfer zu einem Erbe verholfen zu haben. Doch einer seiner Söhne starb bei einem Unfall. Der andere bekam sieben Kinder, die ihn beerben konnten. Doch dann wütete eine Seuche in der Stadt, die seine Frau und sechs seiner Kinder dahinraffte. So befand sich der gesamte Familienbesitz selbst nach zwei Generationen immer noch in einer Hand.«

Josua hatte aufgehört, die Wäsche zu rubbeln. Seine Hände hingen ins Wasser.

»Es war wie ein Fluch, der über diesem Haus hing. So wie das Haus und die Schmiede von Generation zu Generation weitervererbt wurden, schien auch der Fluch einer hohen Kindersterblichkeit weitervererbt zu werden. Drei Ehefrauen eures Urgroßvaters starben gemeinsam mit ihren Kindern im Kindbett und erst im hohen Alter gebar ihm seine vierte Frau einen Erben, euren Großvater. Doch auch er hatte wenig Glück. Von den fünf Geschwistern eures Vaters erlebten drei ihren ersten Geburtstag nicht. Einer seiner Brüder starb im Alter von zehn Jahren, als er von einem Baum herunterfiel. Einzig seine Schwester, eure Tante Irmtraut aus Mendebrun, lebt heute noch.« Phine seufzte. »Das, was wir heute als Glück oder Wohlstand bezeichnen können, hat eine lange Tradition von Tränen.«

»Und wenn wir auch alle sterben?«, fragte Josua.

»Josua!«, schimpfte Philip, aber Phine lächelte nachsichtig.

»Nein«, sagte sie. »Ihr werdet nicht sterben. Keiner von euch sieben.«

»Sieben?!«, flüsterte Philip, aber seine Mutter antwortete nicht, sondern sah ihn nur mit einem versonnenen Gesichtsausdruck an. Sie ist wieder schwanger, dachte er erschrocken. Noch ein Bruder!

»Aber wir können doch nicht alle Schmied werden!«, rief Josua.

»Nein, das sollt ihr auch nicht. Philip wird kein Schmied. Und ihr anderen werdet euren Platz im Leben noch finden, auch du Josua.« Sie drückte ihrem ungläubig dreinschauenden Sohn einen Kuss auf die Stirn.

Einen Platz im Leben finden, dachte Philip, war leichter gesagt als getan. Natürlich wäre durch ein Studium im Monastirium Wilhelmus diese Frage erst einmal aufgeschoben, und danach boten sich ihm ganz andere Möglichkeiten, aber plötzlich verspürte Philip überhaupt nicht mehr den Wunsch, von zu Hause wegzugehen. Um in Wilhelmus zu studieren, musste er in spätestens vier bis fünf Wochen aufbrechen. Das konnte er sich im Moment am allerwenigsten vorstellen. Er wollte Waldoria und seine Familie nicht verlassen. Gerade jetzt brauchten sie ihn doch mehr denn je. Jar’jana und ihr Kind mussten wieder in den Wald gebracht werden, und wenn Mutter wieder schwanger war …

»Worüber denkst du nach?«, fragte Phine, als sie alleine waren.

»Ach«, versuchte er abzuwehren, aber unter dem aufmerksamen Blick seiner Mutter fiel ihm keine Ausrede ein, die nicht wie eine Lüge geklungen hätte.

»Ich dachte an das Monastirium, und ob es nicht besser wäre, hier zu bleiben«, antwortete er deshalb ehrlich.

»Du musst noch so viel lernen, und dort wärst du wirklich ungestört und könntest endlich all das lesen, was dir wichtig ist.«

»Und was wird dann aus euch?«, fragte er.

Phine lachte. »Du hältst dich wohl für unentbehrlich.«

»Nein«, sagte er beschämt und entschlossen zugleich. »Aber jetzt haben wir Elben im Haus, und ihr braucht mich.«

»Davon kannst du deine Zukunft nicht abhängig machen.«

»Mutter!«, rief Philip aufgebracht und warf das Hemdchen, das er gerade in der Hand hatte, ins Wasser.

»Du musst gehen«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Es hängt sehr viel davon ab!«

»Das ist immer noch meine Entscheidung«, erwiderte er trotzig. Ihn einfach wegschicken wie ein kleines, unmündiges Kind, das ließ er nicht mit sich machen. In zwei Monaten wurde er sechzehn – also erwachsen. Es war sein Leben, und er konnte damit tun und lassen, was er wollte. In seinem Trotz vergaß er, dass er sich noch vor einer Woche nichts mehr gewünscht hatte, als in diesem Sommer nach Süden zu ziehen, um sich unter die Studenten im Monastirium Wilhelmus zu mischen.

»Friede. Wir sprechen ein andermal darüber«, sagte Phine besänftigend.

Philip wollte aber im Moment keinen Frieden, er wollte Antworten auf all das, was ihm in den letzten beiden Tagen den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. Doch seine Mutter war bereits wieder in die Küche gegangen.

Er hängte das letzte Hemdchen auf und ging dann auf den Dachboden, um zu lesen.

Seitenlang wurden die Schönheit und die Feinheit der elbischen Bauten beschrieben. Rituale und Gesänge wurden erklärt und wörtlich aufgeführt. Zum Teil jedoch nur in elbischer Sprache, so dass Philip überhaupt nichts verstand. Es wurde erwähnt, dass alle Elben die ardelanische Sprache fließend sprachen sowie sämtliche Dialekte, die in diesem Land gebräuchlich waren, dass sie aber auch die Sprachen von Mendeor beherrschten.

Der Verfasser des Buches schien ein häufiger Gast in Pal’dor gewesen zu sein. Er hatte von einigen der »Älteren«, wie er sie nannte, Stammbäume erstellt. Seitenlang nur Namen und Linien. Seine Aufzeichnungen waren sehr genau, zu genau, fand Philip. Sie waren ermüdend, langatmig, langweilig.

Hier stand (endlich einmal eine Antwort auf zumindest eine seiner Fragen), dass es viele Pfade nach Pal’dor gab, aber auch, dass sie alle durch Magie verborgen waren.

Obschon alles genauestens beschrieben war, wurde Philip aus der Erklärung der Eingangsrituale nicht schlau. Offensichtlich gab es verschiedene Pforten, die nur zu bestimmten Tageszeiten erreicht werden konnten. Es gab Bäume, die sozusagen als Landmarken galten, es gab auch Sprüche, die gesagt werden mussten. In Philips Kopf drehte sich alles.

Er las die Stellen noch einmal laut vor, in der Hoffnung, dass er sie eher verstehen konnte, wenn er die Worte hörte, und fasste sie dann für sich zusammen.

»Also bei Sonnenaufgang, nein – wenn die erste Sonne berührt das obere Blatt, streift man die Esche Verdon – man berührt sie also an der Wurzel am Stamm, man stellt sich nach links und sagt – Erlaube mir oh Schwester zu gehen den Pfad –, dann geht man vorbei, dann noch mal rechts und wieder rechts. Dann – Du Treue, du Ewige, gegrüßt sollst du sein – jetzt links an der Eiche – Eglte – stehen bleiben und warten, dass sie das Tor öffnet.« Vielleicht musste man das alles sehen, um es zu verstehen. Da standen auch noch Rituale zum Begehen des Sonnentors, der Tore zur Dämmerung und des Abendsterns. Dann gab es Rituale, die begangen wurden, wenn diese Zeiten nicht unmittelbar bevorstanden und man trotzdem in die Stadt wollte. Moos und Steine wurden berührt und versetzt. Natürlich jede Menge Bäume umrundet, und wenn Philip das richtig verstand, dann war man nach so einer Baumumrundung oft nicht an der gleichen Stelle wie vorher. Meistens stand auch nicht mehr der gleiche Baum dort.

»Mein steter Begleiter auf meinem Weg nach Pal’dor war mein Freund Rond’taro, aber auch wenn ich ihn immer genau beobachtete und er mir alles zeigte, so muss ich gestehen, dass ich nie aus eigener Kraft einen Weg nach Pal’dor finden konnte.«

Geschickt gelöst, dachte Philip. Wäre da nicht Jar’jana, hätte er vermutlich das Buch spätestens jetzt zugeschlagen und es dem Lehrer Theophil als unglaubwürdig zurückgegeben. Aber Jar’jana hatte Pal’dor erwähnt. Sie musste er fragen! Sie könnte ihm zumindest eines dieser verflixten Rituale erklären, dann würde er Hilfe für sie holen und sie konnte wieder nach Hause gehen. Der Gedanke versetzte ihm einen Stich, aber dann beflügelte ihn die Aussicht, dass er als strahlender Held vor ihr stehen würde. Fast spürte er schon den zarten Kuss, den sie für ihren kühnen Retter bereithielt.

Trotzdem musste er das alles erst mit seinen Eltern besprechen, und er war sich sicher, dass seine Mutter es nicht gutheißen würde.

Er konnte nun nicht mehr weiterlesen, denn es wurde zu dunkel. Also klappte er das Buch zu und schlich die Treppe hinunter. Als er an Jar’janas Zimmertür vorbeikam, hörte er sie leise singen. Verzaubert blieb er stehen und lauschte den unbekannten Worten. Er hörte Lume’tai weinen und wollte bereits anklopfen, als Johann, in der Hand eine eigenartige Flasche, um die Ecke flitzte. »Was machst du da?«, fragte Philip, als sein Bruder die Tür aufriss.

»Ich bring ihr die Milch, ich war doch deswegen gerade bei Elvira«, antwortete er.

»Wieso?«, fragte Philip einfältig.

»Mutter hat gesagt, ich soll es tun, und das habe ich gemacht. Ist doch ganz klar.«

Ja, das passte zu Johann. Alles, was er zu erledigen hatte, tat er, ohne nachzufragen. Jetzt ging er direkt auf das Bett zu und überreichte Jar’jana die Flasche. Sie nahm sie und stellte sie beiseite.

»Danke«, sagte sie und wandte sich mit unverhohlenem Interesse aber gleichzeitig unglaublich scheu dem Jungen zu. »Wer bist du?«

»Ich bin Johann«, sagte er schlicht.

»Du bist ein Kind!« Ihre Stimme flatterte, sie wirkte zerbrechlich und doch so klar. Philips Herz zog sich innerhalb weniger Augenblick zusammen und wurde weit.

»Ja«, antwortete Johann und grinste.

»Ihr seid viele?«

»Sechs«, erwiderte Johann. »Hast du die noch nicht gesehen?«

»Nein.«

Philip hatte seinen Standort gewechselt und konnte nun einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Sie sah sehr erschöpft aus, aber sie saß in ihrem Bett.

Johann stürmte aus dem Zimmer.

»Geh rein, sie will uns kennenlernen«, sagte er und rannte die Treppe hinunter, wobei er laut die Namen seiner Brüder rief.

Philip trat unschlüssig von einem Bein aufs andere und traute sich nach den Ereignissen des Nachmittags nicht, das Zimmer zu betreten.

»Philip«, sagte sie. »Komm doch herein.«

Sie kannte seinen Namen! Sofort begann sein Herz zu rasen. Willenlos gehorchte er ihr.

Lume’tai fing wieder zu weinen an. Er hob das Kind aus der Wiege und gab es Jar’jana. Ihre Hände streiften seine. Die Berührung fuhr ihm durch den ganzen Körper. Mit hochrotem Kopf und jagendem Herzen reichte er ihr die Flasche, die Johann gebracht hatte. Ihre Spitze hatte Ähnlichkeit mit einer Ziegenzitze. Philip konnte sich nicht erinnern, dass seine Brüder je so etwas benötigt hätten.

Lume’tai hielt offensichtlich auch nichts davon. Greinend drehte sie den Kopf zur Seite.

»Ich hole meine Mutter«, sagte er, doch die stand bereits in der Tür. Ohne auf Philip zu achten, ging sie zu Jar’jana, legte ihre Hand an Lume’tais Kopf und spritzte ihr einen Tropfen Milch auf die Lippen. Als sie den Mund öffnete, schob sie den Sauger hinein.

Das zufriedene Schmatzen ihres Kindes zauberte ein Lächeln auf Jar’janas Gesicht.

Wenn Philip nicht sowieso schon Feuer und Flamme für dieses schöne Wesen gewesen wäre, spätestens jetzt wäre er ihr verfallen. Er merkte, dass er blöd grinste, war aber nicht in der Lage, damit aufzuhören oder sich abzuwenden.

Erschrocken fuhr er zusammen, als seine Mutter ihn plötzlich am Arm packte.

»Jetzt schafft sie es alleine«, sagte sie und drängte ihn zur Tür, da stürmte Johann seinen Geschwistern voran in den kleinen Raum.

»Raus hier! Alle!«, befahl Phine, und ihr strenger Blick erstickte jeden Protest.

Als alle Kinder bereits im Bett waren, saß Feodor am Tisch und rauchte seine Pfeife. Philip stand in der offenen Küchentür und starrte in die Nacht.

»Wie geht es unserer Besucherin?«, fragte Feodor seine Frau, die soeben die Treppe herunterkam.

Sie schnaubte. »Der Kleinen geht es erstaunlich gut. Obwohl ich wegen ihr die größeren Bedenken hatte. Sie hat heute sehr gut getrunken. Um ihre Mutter mache ich mir allerdings große Sorgen. Sie hat nach wie vor Fieber und keinen Appetit. Mit dem Stillen klappt es nicht, und sie ist vollkommen unbeholfen mit dem Kind. Manchmal habe dich den Eindruck, dass sie sich bereits aufgegeben hat. Zum Glück hat Elvira genug Milch für zwei Kinder.«

»Ich habe gelesen, wo Pal’dor liegt«, warf Philip ein.

»Aha«, erwiderte Phine.

»Ich glaube, in weniger als vier bis fünf Stunden könnte man die Stadt erreichen.«

»Dann hätte sie schon längst jemand gefunden«, gab Feodor zu bedenken.

»Die Stadt ist verborgen, niemand kann sie finden, wenn er nicht weiß, wo er suchen muss«, antwortete Philip. »Jar’jana hat mich gebeten, dorthin zu gehen.« Er starrte zu Boden, um seine Mutter nicht ansehen zu müssen.

»Wann?«, fragte Phine. Sie wirkte beunruhigt.

»Heute Nachmittag«, antwortete er.

»Was hat sie noch zu dir gesagt?«

»Das hab ich nicht genau verstanden«, murmelte Philip. »Sie sprach von einer Prophezeiung, die sich erfüllt hat. Dass jemandem der Faden abgeschnitten wurde. Sie glaubte …« Er brach ab.

»Was glaubte sie?«

»Dass sie mich kennt.«

»Aha«, hauchte Phine und zog die Augenbrauen zusammen. »Heute Nachmittag hatte sie hohes Fieber. Wir werden mit ihr sprechen, wenn sie weiß, wer vor ihr steht«, sagte sie entschieden.

Philip hatte das Gefühl, dass ihm der Wind aus den Segeln genommen werden sollte.

»Sie hat zu mir gesagt, ich soll für sie nach Pal’dor gehen«, beharrte er energisch. Dabei wich er dem Blick seiner Mutter aus und sah seinen Vater an. »Dort können sie ihr bestimmt helfen.«

»Ich werde mit ihr darüber sprechen«, entschied Phine. »Jetzt sollten wir lieber über dein Studium im Monastirium Wilhelmus reden.«

Philip straffte kampfbereit seine Schultern. Er hatte nicht vor, sich wegschicken zu lassen.

»Es ist natürlich deine Entscheidung, ob du gehen willst oder nicht, aber ich hatte bisher immer den Eindruck, dass du das sehr gerne tun würdest«, sagte seine Mutter und erstickte damit seinen stillen Protest. »Du musst dich für uns nicht verantwortlich fühlen. Es ist immer noch die Pflicht der Eltern, für ihre Kinder zu sorgen, und solange wir das können, solltest du in erster Linie an dich denken. Es ist dein Leben. Vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem du dich wirklich um uns kümmern musst, aber der ist noch fern.« Sie sah ihn eindringlich an.

»Aber es ist viel zu teuer. Wie wollt ihr das bezahlen?«, stotterte Philip halbherzig.

»Dafür ist schon lange gesorgt«, brummte sein Vater und sah dabei stur auf die zerkratzte Tischplatte.

»… und euer Kind?«, fragte Philip weiter.

»Unsere Kinder? So ein Unsinn. Jacob wird sich wahrscheinlich demnächst eine Lehrstelle suchen, und ich fürchte, im nächsten Jahr wird Johann ihm folgen. Unsere Kinder …«

»Nein, das meine ich nicht«, unterbrach Philip seine Mutter. »Ich meine …« Auf einmal fehlten ihm die Worte, »du hast doch … beim Waschen … du sagtest … sieben, und ich dachte …«

Jetzt verstand Phine, was er meinte, und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein. Du hast da was missverstanden. Es wird keine weiteren Geschwister geben.«

»Du hast aber sicher sieben gesagt«, beharrte Philip.

»Lumi, sie ist die Siebente. Jedes Kind, das unter diesem Dach lebt, ist auch mein Kind …« Ihre Stimme war nur ein Hauch, und sie lächelte schon wieder so eigenartig wie am Nachmittag. Feodor sah sie ernst an, er kannte diesen Ausdruck in ihren Augen. Er senkte seine Lider und starrte erneut auf die Tischplatte.

Die Luft schien schon den ganzen Tag zu flimmern. Philip beschloss, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

»Wenn das so ist«, begann er nüchtern und beruhigte die flimmernde Luft, »dann muss ich nur noch dafür sorgen, dass Jar’jana und Lume’tai sicher in den Wald kommen. Wenn das geschehen ist, sprechen wir über Wilhelmus.«

»Mit Jar’jana spreche ich«, betonte Phine energisch. »Morgen!« Damit stand sie auf und strich ihre Röcke gerade. »Ich geh jetzt ins Bett.«

»Ich komme gleich nach«, sagte Feodor.

»Du weißt nicht, worauf du dich einlässt«, warnte er Philip, sobald sie alleine waren. »Du warst noch nie so weit im Wald, du würdest dich verlaufen. Die Pfade, sofern es überhaupt welche gibt, sind tückisch. Es gibt keine verlässlichen Merkmale.« Feodor neigte nicht dazu, abergläubisch zu sein. Er war ein bodenständiger und vernünftiger Mensch, der auch auf das Gerede anderer Leute nicht viel gab. »Wenn du wirklich gehst, dann nimm jemanden mit, der sich auskennt.«

»Willst du mitgehen?«

»Und mir den Zorn deiner Mutter zuziehen?« Er grinste. »Sie hat recht, lass uns morgen noch mal darüber sprechen. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.« Philip war noch nicht müde. Sein Schläfchen am See war sehr erfrischend gewesen. Gedankenverloren starrte er in das Licht der flimmernden Kerze.

Hinter verborgenen Pfaden

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