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Der heutige Tag

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Die Gästesessel im Saal waren so gestellt, dass die Zuschauer ungenierten, voyeuristischen Blick auf die Frontalansicht der Gäste hatten. Abi durfte als Erste in den Saal, und fragte sich, wer wohl der zweite Gast in dieser Chatshow war, den Frankly ihr vorhin so großartig mysteriös angekündigt hatte.

Sie hörte Frankly sagen: „Sie ist schlau, sie ist einfallsreich und vor allem ist sie die großartigste Schriftstellerin der letzten Jahre. Bitte begrüßt mit mir: Miss Abigail Audrun, meine Lieben!“

Applaus setzte ein, Abi ein Lächeln auf und sie betrat den Saal.

Frankly erwartete sie. Vorhin hatte er sie gebeten ihn beim Vornamen zu nennen und so gab sie ihm erneut und offiziell die Hand und ließ ihre herzlich schütteln. Küsschen links, Küsschen rechts und dann wurde sie mit einer Hand auf dem Rücken zum ersten Sessel am Moderatenpult geführt.

Abi bemühte sich weiterhin zu lächeln, obwohl sie total aufgeregt war. Ihre erste Fernsehshow!

„Willkommen, willkommen, willkommen, Abigail!“, grinste Victor fröhlich. „Kaffee?“

Abi nickte. Ihr Blick fiel auf ihr eigenes Buch, das vor Victor auf dem Tisch lag. Gespickt mit lauter bunten Mini-Post-its als Lesezeichen.

Victor goss ihr, wie es in seiner Sendung üblich war, erst einmal einen Kaffee ein und schob ihr die Tasse mit seinem Konterfei darauf zu. Die Tasse durfte man nachher behalten.

„Mir wurde geflüstert, dass dies Deine erste Talkshow ist, ist das richtig?“

Abi nickte charmant. „Ja, das ist mein erstes Mal!“

Victor und die Zuschauer lachten. „Und dann sofort vor so großem Publikum!“

„Ich gehe meist mit viel Tamtam durch mein Leben.“

Wieder lachte das Publikum.

„Schreibst Du eigentlich schon wieder an einem neuen Roman?“

Abi trank einen Schluck. „Derzeit noch nicht. Aber ich habe schon eine Idee.“

„Worum geht’s?“

Abi stellte ihre Tasse wieder auf seinem Tisch ab und legte den Kopf schief. „Das verrate ich Dir doch jetzt noch nicht!“

Das Publikum raunte enttäuscht auf. Victor grinste sie einen Moment lang verdutzt an, beließ es aber dabei. „Ich nehme das mal so hin. Nun ja. Mit Deinem Erstlingswerk hast Du ja für viel Furore gesorgt!“

Abi blickte gespielt-beschämt zu Boden.

Victor fuhr ungerührt fort: „Seit 16 Wochen bist Du auf Platz 1 der New York Times Bestseller-Liste, meine Liebe. Was hast Du dazu zu sagen?“

„Was ich dazu sage?“ Abi grinste. „Jippiie!“

Das Publikum lachte laut.

Victor nahm das Buch in die Hand und schlug es auf. „Nun, Dein Buch hat für viel Furore gesorgt in der Damenwelt. Es hat die Lager in zwei Teile gespalten. Die, die Michael Huffner bis aufs Blut verteidigt haben und die, die Dir Applaus gespendet haben. Moment mal, ich les die Stelle mal einfach vor, damit auch die Zuschauer, die das Buch leider noch nicht gelesen haben wissen, worum es in der Presse ging.“

Victor hatte eine Seite rausgesucht und las laut vor: „Chloe blickte Amber an und runzelte die Stirn. „Schatz, auch wenn Quasimodo mich schwängern würde wäre mir das immer noch lieber als Michael Huffner. Er ist androgyn und absolut unerotisch. Wer will das schon! Du spinnst wohl!“ Amber lachte. „Oh, Chloe, das ist nicht Dein Ernst! Michael Huffner ist doch unglaublich anziehend.“ Aber Chloe schüttelte traurig den Kopf. „Mein Fall ist er überhaupt nicht.““

Victor schloss das Buch wieder und legte seine Hand darauf. Erwartungsvoll sah er Abi nun an. „Also, Du bist jetzt in der Presse die Buhfrau, weil Du es als einzige Frau auf diesem Planeten gewagt hast, laut auszusprechen, dass es Frauen geben könnte, die KEIN Kind von Michael Huffner haben wollen würden. Und dann schreibst Du noch, dass Michael unerotisch ist.“ Gespielt entsetzt fuhr er fort: „Bist Du verrückt, Abigail? Du kannst doch so was nicht schreiben! Der Kerl ist ja wohl heiß! Und ich weiß was wovon ich spreche!“

Das Publikum lachte und klatschte sich zu Tode.

Abi aber lächelte bloß. Diese Sorte von Gespräch hatte sie in den letzten Wochen schon zu Genüge geführt. Mit zahllosen Damen in ihrem Verlag, mit ihrer Mom, mit ihrer Lieblingskollegin Amanda, einer 45-jährigen zweifachen Mutter und Hausfrau aus Ealing, sowie mit vielen weiblichen Interviewerinnen.

Victor tat, als müsse er Abi wie eine 5-Jährige auf diesen Fehler hinweisen. „Abigail, man schreibt nicht, dass man mit Michael Huffner keinen Sex haben möchte geschweige denn kein Kind haben wollen würde, ja? Der Kerl ist ein Gott.“ Die Frauen im Publikum stimmten ihm mit Füßetrampeln und wildem Klatschen zu. Victor grinste sie kurz an und wandte sich dann wieder Abi zu. „Du hast Dich da echt mit dem kompletten weiblichen Teil der Weltbevölkerung angelegt, Du!“

Abi lächelte geduldig. „Da gehen die Meinungen wirklich auseinander. Ich habe schon Frauen kennengelernt, die mir beigepflichtet haben.“

„Ja, bestimmt“, sagte Victor sarkastisch. „Lesben.“

„Sehr witzig, Victor“, bemühte sich Abi freundlich zu bleiben.

Victor schien das zu merken, denn er änderte das Thema. „Abi, für was für Dinge, außer Schreiben, bist Du noch empfänglich?“

Abi grinste. „Ich zeichne sehr gerne und ich liebe Handtaschen.“

„Nein!“

„Doch.“ Und sie fügte gespielt gen Himmel hinzu. „Was hat die Natur mir nur angetan?!“

Das Publikum klatschte tobend. Victor ließ es toben und sagte nach einer Weile: „Ok, dann holen wir mal unseren zweiten Gast dazu.“

Er stand auf. „Er ist hier. Heute und frisch und gut gelaunt, wie ich eben schon hinter der Bühne feststellen durfte. Der Meister des großen Kinos, der frisch gekührte Golden-Globe-Gewinner Michael Huffner, meine Lieben!“

Die Frauen im Publikum pfiffen, grölten und klatschten sich die Hände wund.

Abi sah den Schauspieler durch die gleiche Tür eintreten durch die sie selbst auch reingekommen war. Ihr wurde unwillkürlich flau im Magen und sie bekam etwas Angst vor Konfrontation. Michael Huffner ging aber auf Victor zu und gab ihm herzlich die Hand. Er trug ein weißes Oberhemd mit offenem Kragen, blaue, enge Jeans und ein schwarzes Jackett. Es stand ihm gut, befand Abi.

Abi fand ihn nun live betrachtet recht attraktiv, aber er war bestimmt ein Lackaffe, der wusste, dass er sich auf sein Aussehen was einbilden konnte.

Huffner betrat das Podest auf dem der Tisch und die Gästesessel standen, gab Abi die Hand ohne sie wirklich anzusehen und setzte sich rechts neben sie.

Victor begann. „Michael, schön, dass Du da bist.“

„Ich freu mich auch hier zu sein“, sagte Huffner mit einer rauen, bedächtigen Stimme, die Abis Herzschlag beschleunigte.

„Du kommst gerade aus Deutschland, nicht?“

Huffner nickte. „Ja, von einem Dreh.“

„Wieso Deutschland?“, erkundigte sich Victor interessiert. „Ist das Drehen da so billig?“

Das Publikum lachte und Huffner schmunzelte. „Nein. Darum ging es nicht. Der Film spielt im Mittelalter und Deutschland hat sehr schöne alte Städte und außerdem sehr großzügige Ordnungsämter, die unsere Drehanfragen ohne mit der Wimper zu zucken genehmigt haben.“

„Du bist auch halber Deutscher, nicht?“

„In der Tat. Mein Vater kommt aus Hannover.“

„Ich kenn nur die Pferde.“

Das Publikum lachte und Huffner antwortete galant: „Ja, daher heißen sie so.“

„Worum geht es in dem Film? Erklär es uns.“

„Krieg ich erst eine Tasse Kaffee?“

Victor lachte und zückte die Kaffeekanne. „Na klar. Aber nur, wenn Du schon mal anfängst.“

„In Ordnung. Ich spiele einen Arzt, der heiraten will, sich aber dann mit Syphilis ansteckt, weil er seiner Verlobten fremdgegangen ist.“

Victor goss zu Ende ein und schob Huffner dann ernst die Tasse zu. „Du spielst oft solche Rollen wo Du entweder nackt bist oder eine Geschlechtskrankheit hast, nicht?“

Das Publikum kicherte.

Huffner schnappte sich die Tasse und trank vorsichtig. „Oder beides.“

Abi musste nun selbst leise lachen und erntete dafür einen verdutzten Seitenblick des Schauspielers neben sich.

Auch Victor wurde wieder auf Abi aufmerksam.

„Abigail, schreib doch mal einen Roman ohne Nacktheit und Geschlechtskrankheiten und schick ihn an Michael, ja?“

Nun hörte Abi Huffner neben sich lachen. „Das wäre mal eine Idee!“

Abi blickte Victor an und zeigte mit ihrem Daumen nach rechts auf Huffner. „Am besten also einen Film aus der Zukunft. Wo es keine Geschlechtskrankheiten mehr gibt und Nacktheit endgültig verboten ist.“

Victor trank grinsend aus seiner üblichen Duffy-Duck-Tasse. „Es klingt so, als hättest du nichts gegen Nacktheit.“

„Nein, habe ich auch nicht.“

„Apropos. Michael“, fuhr Victor dann fort, „gibt eigentlich einen Grund für die arg kurzen Sexszenen in „Forbidden“?“

Abi sah Victor missbilligend an, und ehe Michael Huffner antworten konnte sagte sie: „Ich schätze mal, dass die Szenen den Zuschauern nicht auch noch zum Spaßhaben dienen sollten.“

Sie spürte zwei Paar Augen auf sich. Von rechts und von links und fuhr ungerührt ehrlich fort: „Ich finde es außerdem herzlich unnütz, sich über Schauspieler zu echauffieren, die in Filmen nur das normale Leben darstellen wollen. Ich würde die Meckerer gerne mal fragen, ob sie immer vollständig angezogen sind wenn sie Sex haben oder sie es sich im Bett selbst machen.“

Das Publikum brauchte einen Moment um zu überlegen, ob es lachen sollte oder nicht. Es lachte.

Victor stimmte ein. „Oh je, bei Dir bekomme ich also keine Schnitte mehr. Na gut, ich gestehe hier und jetzt, dass ich beim Sex auch nackt bin.“

Das Publikum grölte vor Lachen. Er fuhr fort: „Und ich werde nie wieder was über Michaels Filme sagen.“

„Und meine Idee zum neuen Buch steht ja auch eh schon.“

„Exakt. Michael, was sagst Du nun über die Tatsache, dass Du in Abis Buch so schlecht wegkommst?“

Michael Huffner sah Abi an. Abi fand, dass er amüsiert aussah. „Wenn sie meint.“

Aus dem Publikum kam ein aufgewühltes Geraune wegen dem großzügigen Verzeihen.

„Macht Dir das nichts aus?“, hinterfragte Victor.

„Nein. Einige Menschen mögen mich, und die Frau in Abigails Buch eben nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das ist wohl dann so.“

Die Frauen im Publikum klatschten über so viel Großmut.

Victor blickte ins Publikum. „Der öffentlich gekränkte Michael Huffner verzeiht Abigail Audrun das, meine Damen und Herren. Was sagen Sie DAZU?“

Die besagten Damen und Herren applaudierten. Victor drehte seinen Stuhl wieder in Richtung Michael Huffner. „Was ich Dich noch fragen wollte. Du kommst ja aus einer Schauspielerfamilie, nicht?“

„Genau. Meine Mutter war früher im Westend am Theater.“

„Hättest du mal Lust was fürs Theater zu schreiben, Abigail?“

Abi brauchte nicht lange überlegen. „Warum nicht?!“

Victor goss ihr ungebeten Kaffee nach. „Wie kommen die Ideen eigentlich in Deinen Kopf?“

Abi dachte nach und überlegte wie sie es erklären sollte. „Naja… es fängt mit einer Vision an. Eine bestimmte Szene in einem bestimmten Raum. Dann stelle ich mir dazu die Personen vor, die die Szene miterleben. Und wenn alles gut läuft, habe ich idealerweise in dem Moment mein Notebook in der Nähe.“

„Erklär mir das mal genauer.“ Victor schob ihr den Kaffeebecher zu.

Abi blickte nun das erste Mal ins Publikum. „Es ist eine Vision, die plötzlich vor meinem inneren Auge hochpoppt. Sagen wir mal: Ein Bild von zum Beispiel einem Mann. Wie er aussieht. Sein Lächeln. Dann die Frau dazu...wie groß sie ist... Ich stelle mir das dann als Gesamtbild oder als Film vor und beginne das sofort aufzuschreiben, weil ich es sonst schnell vergessen habe. Wenn ich einmal angefangen habe, kann die Handlung als Film immer wieder in meinen Kopf zurückkehren.“

„Der Protagonist aus „Im Wandel der Zeit“ ist ja auch ein wahres Schmuckstück“, merkte der schwule Victor breit lächelnd an.

„Ich mag nicht 300 Seiten über einen in meinen Augen unattraktiven Menschen schreiben.“

Das Publikum lachte wieder.

„Deine Charaktere haben auch im Gegensatz zu Dir keine Tätowierungen, oder?“

Abi blickte verblüfft auf ihren linken Arm. „Nein.“

„Was bedeutet Deine Tätowierung?“

Abi drehte ihren Arm um und zeigte auf den Stern auf ihrem Oberarm. „Das ist nur ein Stern mit lauter Wörtern, die das Leben meines Erachtens lebenswert machen.“

Victor las vor: „Liebe, Glaube, Freundschaft, Respekt, Zärtlichkeit...und das letzte Wort heißt…Moment, es ist schon abgeschnitten…In...Inte...“

„Integrität.“

„Ist witzig gemacht. Hast du noch mehr?“

„Ja“, lächelte Abi.

„Wo?“

„Sag ich Dir nicht!“

Das Publikum lachte.

„Was muss ich tun, damit Du mir das verrätst?“

„Gar nichts. Sie sind extra dort, wo sie sind, damit sie nicht jeder sofort sieht.“

„Sie? Das heißt es sind mehrere?“

„Der Stern und noch zwei andere.“

Victor lachte. „Kann ich sie sehen, wenn wir mal gemeinsam schwimmen gehen würden?“

Abi lachte ebenfalls und nickte ergeben. „Ja.“

„Warum das Piercing?“ Victor nickte in Richtung Abis Mundwinkel.

„Weil es mir steht.“

Das Publikum lachte wieder und Victor schüttelte aus gespielter Verzweiflung den Kopf. „Du bist mir eine!“

„Welche?“, schoss Abi die Frage belustigt zurück.

„Eine total Nette!“

„Danke“, sagte Abi geschmeichelt, weil sie spürte, dass Victor das ernst meinte.

„Hast Du irgendwelche Tätowierungen oder Piercings, Michael?“

„Die hättest Du doch spätestens in „Forbidden“ gesehen, oder?“

Das Publikum lachte und Victor kicherte. „Du sagst es. Aber vielleicht hattest Du ja nur eine gute Maskenbildnerin.“

Mit einem Seitenblick auf Abi sagte Michael: „Nein, ich habe weder das eine noch das andere.“

„Du bist derzeit Single, Michael, nicht?“

„Jepp.“

Das Publikum, der weibliche Teil, tobte vor Begeisterung und Huffner grinste schief, wie Abi sehen konnte. „Na, ich find das nicht so toll“, sagte er zum Publikum.

„Michael, gefällt es Dir, wenn eine Frau gepierct oder tätowiert ist?“

Michael trank noch einen Schluck Kaffee bevor er antwortete: „Warum nicht? Wenn es ansprechend ästhetisch aussieht.“

Victor zeigte ihm Abis Arm. „Wie gefällt Dir Abigails Tattoo?“

„Gut.“

„Und was glaubst Du, was für zwei andere Tattoos sie hat?“

Plötzlich blickte Victor auf ein Schild neben einer der Kameras und unterbrach die Runde in dem er in eine andere Kamera sah. „Diese Frage beantwortet Michael Huffner uns gleich – nach der Werbung.“



Das Licht über den Kameras ging aus und Abi atmete erst einmal durch.

„Alles ok soweit?“, fragte Victor sie nett.

Abi nickte und blickte prüfend auf ihre glitzernden Fingernägel. Nein, kein Dreck, dachte sie erleichtert.

„Es ist sehr warm hier drin“, sagte Huffner neben ihr zu Victor, stand auf und zog sich sein Jackett aus. Vorher nahm er den Clip mit dem Mikro ab und klemmte ihn auf seine Hemdknopfreihe um. Eine Assistentin mit einem Mikro am Ohr kam und nahm ihm das Jackett ab.

Im Publikum begannen ein paar anspornende Rufe. Huffner sah sie gespielt entsetzt aber charmant grinsend an. „Oh bitte! DAS wollt Ihr nicht wirklich!“ Ein paar Frauen lachten dreckig.

„In 60 Sekunden geht es weiter“, informierte die Regieassistentin Victor. Sie war zu ihm gegangen und nestelte an seinem Jackett herum.

Michael Huffner setzte sich wieder und Abi ließ ihre Fingernägel los und leckte sich über die Lippen.

Dann gab die Regie die Ansage: „Und zurück – in 5 – 4 – 3 – 2 – 1. Go.“

Victor grinste dümmlich in die Kamera und trommelte gespielt-gewitzt auf dem Tisch herum. „Wir sind wieder da. Heute zu Gast haben wir Michel Huffner, Ihr Lieben da draußen. Und außerdem die wunderbare Bestsellerautorin Abigail Audrun.“

Er wandte sich an Michael. „Wie ich sehe, hast Du Dich schon ausgezogen, Michael!“

„Ja, denn hier ist verdammt viel Östrogen im Saal. Ganz schön heiß!“

Ein paar Frauen im Publikum lachten wieder.

„Da haben wir Frauen es besser“, mischte sich Abi ein, „wir brauchen nicht in Oberhemd und Jackett rumlaufen um schick auszusehen.“

Victor gab ihr recht. „Abigail, bist Du eigentlich in festen Händen?“

„Nein.“

„Du wohnst hier in London, richtig?“

Abi nickte. „Ja, ist nicht weit. Bin mit dem Fahrrad da.“

Einige Leute im Publikum lachten und Abi blickte sie verdutzt an. „Wieso? Parkplätze gibt es doch eh nie welche, wenn man sie braucht und die U-Bahn stinkt.“

Sie hörte Huffner neben sich leise lachen und sah zu ihm rüber. Abi blickte direkt in leuchtend grüne Augen. Aber sie konnte ihn trotzdem nicht leiden. Auch wenn Ihr Herz wieder etwas wild schlug. Außerdem hatte er etwas Androgynes an sich, von dem Abi nicht wusste ob das sexy war oder einfach nur ekelig. Aber scheinbar standen Frauen ja reihenweise auf ihn.

Abi hatte was verpasst, was Victor gesagt hatte, denn sie hörte Huffner neben sich laut auflachen.

Seine Zähne waren weiß und gerade, aber, das war doch…. Ihre Mutter war Zahnärztin – natürlich konnte Abi eine Krone erkennen! Und mit Verblüffung stellte sie fest, dass sie sich über diesen Makel an ihm diebisch freute.

„Sag mal, Abigail, Du bist auch eine begeisterte Leserin, nicht?“

„Woher hast du das denn, Victor?“

„Ich habe eine gute Redaktion.“

„Nun, das stimmt. Ich lese unheimlich gerne.“

„Was liest du?“

„Henry James, Jane Austen, Biographien und für Inspiration ab und zu Frauenromane.“

Victor grinste. „Wollen wir Michael mal dazu bringen eine Passage aus einem Jane Austen Roman zu lesen?“

„Aus welchem denn?“, fragte Huffner Victor.

Abi antwortete prompt. „Stolz und Vorurteil.“

„Welche Passage?“

„Den Korb von Elizabeth an Darcy.“

„Aber dann musst Du mitlesen, Abigail“, gab Victor zu bedenken.

Aber Abi hatte Spaß. „Natürlich.“

Victor entfuhr ein Lacher. „Na schön. Abigail liest Elizabeth Bennet und Michael Mr. Darcy. So, Ihr beiden. Hier sind die Zettel mit Euren Texten.“ Er nahm die beiden Blätter von seinem Tisch, die die Regieassistentin gerade hingelegt hatte.

Abi blickte auf ihren Zettel und wunderte sich, wie die Leutchen vom Sender das so schnell hingekriegt hatten. Huffner musste anfangen und da Abi den Text eh fast auswendig kannte, drehte sie sich zu ihm um.

Huffner begann.

Scheinbar war er sich auch recht sicher im Text, denn meist wandte er sich ihr auch beim Sprechen zu.

Das Publikum war gebannt und gab keinen Mucks von sich. Victor auch nicht.

Michael Huffner wäre ein phantastischer Mr. Darcy, fand Abi gerührt. Er hatte dieses Elegante, Hochgewachsene, Gelassene, das Mr. Darcy auch hatte.

Huffner blickte ihr beim Sprechen direkt in die Augen und Abi sah Neugier darin. Aber worauf?

Beide bekamen zum Schluss tosenden Applaus und Victor deutete eine Verbeugung an. „Ein würdiger Mr. Darcy bist Du, Michael.“

„Und eine großartige Miss Bennet“, fügte Huffner hinzu und applaudierte Abi leicht.

Victor wurde durch die Regie aufgefordert die Show zu beenden. Das tat er.

Er reichte Abi die Hand und sie bekam ein Wangenküsschen rechts und links.

Huffner und Victor reichten sich die Hand und klopften sich kumpelhaft auf die Schultern und mit dem Klatschen des Publikums war die Sendung zu Ende.

Abi blickte auf ihre Armbanduhr, hatte plötzlich tierischen Hunger und befand, dass sie heim wollte. Wilks war bestimmt auch schon zu Hause und wartete mit dem Essen auf sie.

So nahm sie sich das Mikro ab und drückte es einer jungen, dunkelhäutigen Frau in die offene Hand, auf deren Silberarmspange „Monice“ stand.

Huffner entschuldigte sich bei Victor und verschwand in Richtung Make-up. Abi war entlassen.

Sie schnappte sich ihre Umhängetasche von der Garderobe und verließ das Studio.


Auf einem gesicherten Parkplatz vom Sender stand ihr altes, grünes, schäbiges Fahrrad gegen eine Wand gelehnt, weil es keinen Ständer mehr hatte.

Abi fuhr heim.

Auf dem Weg durch die abendlichen Straßen Londons dachte sie über die Show nach. Blamiert habe ich mich nicht. Glaub ich. Oder?

Hab ich irgendwas Peinliches gesagt?

Huffner ist aber auch wirklich ein Schönling vor dem Herrn! Und er ist zu dünn.

Victor aber war nett. Auffällig schwul, ja. Und total nett!

So kreisten Abis Gedankengänge um den Abend als sie das Schiebetor zur Garage ihrer Wohnung öffnete.

Sie schob ihr Fahrrad in den Fahrradständer und hörte Wilks schon in der Küche laut „Eye of the Tiger“ singen. War ja klar. Abi grinste breit.

In der Küchentür angekommen sah sie, dass Wilks sie nicht bemerkte. Er war am Kochen und sang und tanzte etwas weibisch herum. Sie stieg in den Gesang mit ein. Da drehte er sich um.

Jedes Mal wenn Abi Wilks ansah ging es ihr einfach gut und sie betrachtete liebevoll den verstrubbelten Mann mit der großen Nase und den blauen, großen Augen vor sich.

„Wie wars?“, fragte er während er sich die Hände am Trockentuch abwischte.

„Beim Essen.“ Abi lief schon wieder aus der Küche raus. „Ich muss erst aufs Klo!“, brüllte sie noch. Dann fiel die Badezimmertür ins Schloss.


Wilks hatte Fisch gebraten und Reis gekocht und Abi aß genüsslich. Dabei starrte sie auf den absolut gerechtfertigten Pokal auf dem Küchenregal, den sie Wilks mal geschenkt hatte. The worlds best cook.

„So, jetzt erzähl mal“, drängte Wilks.

„Es war ganz interessant. So’n Fernsehstudio ist echt nicht groß. Die Regieassistentin hat mir gesagt, es würden 600 Zuschauer reinpassen.“

„Das ist doch groß.“

„Naja. Das Studio sah aus wie ein Würfel. Total hoch. Victor Frankly ist auch groß, obwohl er so winzig aussieht im Fernsehen.“

Wilks lachte. „Tja Abs, ist ja auch Fernsehen. Da sehen Leute kleiner drin aus.“

„Witzig.“

„Und wer war der andere Gast?“

„Michael Huffner.“

Wilks lachte laut auf. „Oh nee, oder?“

„Oh doch!“

„Oh je. Und wie war er so?“

„Ganz ok.“

Wilks lachte auf. „Und sonst?“

„Er hat Zahnkronen.“

„Aber er war nett soweit?“

„Hm. Soweit. Er hat schon Falten auf der Stirn, obwohl er nur ein paar Jahre älter ist als wir.“

„Ich habe auch schon Falten. Schau!“

Abi blickte Wilks ins Gesicht und suchte. „Wo?“

„Um die Augen.“

Abi winkte mit der Gabel ab. „Das macht Männer eigentlich eher sexy.“

„Werds mir merken. Wollen wir uns die Sendung gleich im Fernsehen angucken?“

Abi nickte. „Gern.“


Nach dem Essen räumte Wilks das Geschirr in den Spüler während Abi sich bei offnener Zimmertür rasch umzog.

Wilks strahlte als er Abi sah. „Das mag ich so an Dir, Abs.“

„Was denn?“

Er zeigte auf ihre Jogginghose und das Shirt. „Du siehst total schmuddelig aus und absolut stilvoll.“

„Danke. Ich hol den Wein, Du die Gläser.“


Die beiden setzten sich vor den Fernseher und sahen sich noch eine Weile Micky-Maus-Filmchen auf dem Kinderkanal an bevor Wilks umschaltete auf BBC One.

Nun sah Abi sich das erste Mal selbst. Und war total erschrocken und dann tief traurig.

„Ich bin eine fette Kuh“, weinte sie leise.

Wilks tätschelte ihren Oberschenkel. „Du bist keine fette Kuh. Du wiegst nur etwas zu viel.“

„20 Kilo.“

Wilks lächelte milde. Abi zeigte tragisch auf den Fernseher. „Schau mich doch nur an, Wilks. Neben Huffner sehe ich echt jubba-the-hut-artig aus.“

Wilks wusste, dass er das Kommentieren jetzt sein lassen musste um den Abend nicht zu vermiesen und so änderte er das Thema. „Dass die den eingeladen haben! Aber er hat ja ganz cool reagiert, nicht?“ Er wischte ihr die Tränen mit seinem Ärmel ab.

Abi war dankbar für den Themenwechsel und nickte. „Ja, das war schon ok. Aber ganz ehrlich hatte ich auch nichts anderes erwartet.“

„Warum hast Du das eigentlich geschrieben, Absi?“

Abi zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich war beim Schreiben an dem Tag ein wenig anti-alles. Ich habe mir nur vorgestellt, wie es sich schreibt, dass mal eine Frau ihn nicht haben wollen würde. Und das ist es dann geworden.“

Wilks lachte. „Naja, das hat auf jeden Fall die Verkaufszahlen in unbekannte Höhen getrieben.“



Victor unterhielt sich grad mit Huffner über dessen Geburtsort Hannover. Wilks lachte. „Da war ich auch schon mal.“

„Echt?“

„Hm. Moms Schwester Desiree wohnt da. Das ist die, die mit diesem Versicherungsfritzen Boris verheiratet ist.“

Abi fiel es wieder ein, sie nickte und blickte wieder auf den Fernseher. Sie sah Michael Huffner an. Er war in der Tat sehr hübsch. Das kam aber erst durch den Fernseher. In Wirklichkeit war er fast nur ein normaler Kerl. So von Nahem.

Ein Kerl mit horizontalen Falten auf der Stirn, einer Krone im Mund und einer länglichen Narbe auf dem linken Handrücken.

Abi fand es sehr unhöflich, dass Huffner sich nach der Sendung nicht mehr von ihr verabschiedet hatte. Aber sie war sich auch sicher, dass sie nicht der Typ Frau war, die es in seinen Augen überhaupt verdiente Höflichkeit von ihm zu bekommen. Der Mann ging mit Supermodels aus!

„Woran denkst Du?“, fragte Wilks neben ihr.

Sie sagte es ihm.

„Naja…tja…wirklich höflich war das nicht“, gab Wilks zu. „Er hätte sich ja höflichkeitshalber noch verabschieden können.“



An einem anderen Ende der Stadt fuhr Michael Huffner mit seinem BMW in die Tiefgarage des Hauses in dem er sein Appartment hatte.

Er stellte das Auto auf dem Parkplatz ab, an dessen Kopfwand ein Schild mit einer „31“ montiert war und sah, dass neben seinem Auto der Fiat von Rosie stand. Sie war also zu Hause.

Der Lift fuhr ihn in den 14. Stock wobei die Aufzugtür als Wohnungstür diente. Im Flur brannte Licht und aus Rosies Schlafzimmer drang eine Stimme. Mick legte seine Schlüssel in die Schale neben der Eingangstür. Er öffnete Rosies angelehnte Zimmertür nachdem er geklopft hatte.

Rosie lag telefonierend auf ihrem Bett. Als sie ihn sah, freute sie sich und winkte leicht. „Mom“, deutete sie mit ihren Lippen an. Michael verstand. Er verließ sie wieder und hörte noch beim Weggehen „Die Tischsets waren aber braun und nicht grün, Mom“.

Mick grinste und zog sich um.

Als er fertig war hatten Rosie und ihre Mutter tatsächlich schon aufgelegt und Rosie kam ihm in Slip und Unterhemdchen entgegen. „Essen kochen oder bestellen?“, fragte sie und umarmte ihn kurz.

„Bestellen“, brummte Mick und ließ sich in seinen Sessel fallen.

„War’s gut?“

Irritiert blickte Mick seine beste Freundin an. „Ja“, entgegnete er. Aber es hatte schon zu lange gedauert um Rosie davon abzuhalten weitere Fragen zu stellen.

„War der Frankly doof zu Dir?“

„Nein. Der ist in Ordnung.“

„Was war es dann? Ach, wer war übrigens Dein Nebengast?“

„Abigail Audrun.“

Rosie lachte. „Oh je!“ Sie holte eine Dose Handcreme zu sich. „Und?“

„Sie war nett.“

„Hat also Frankly sich mehr über das Buch aufgeregt als sie.“

„Sie hat sich gar nicht über mich aufgeregt. War ganz lässig.“

Rosie zückte einen kleinen Stapel Bestellflyer aus der Küchenschublade. „War sie also nett, ja?“

Michael sah sie nachdenklich an. „Ja, sie war nett.“

Irgendwas musste in seinem Ton gewesen sein, denn Rosie fragte nicht mehr nach.

Dann bestellten sie beim Mexikaner.


Als das Essen da war und beide in ihren Sesseln im Schneidersitz saßen und futterten, fragte Rosie aber doch noch mal nach. „Worüber habt ihr gesprochen?“

Michael stach in eine rote Bohne und blickte Rosie an. „Er hat sich ein bißchen lustig gemacht über „Forbidden“ und hat mich nach dem neuen Film befragt…ehm… und wir haben über Deutschland gesprochen…“

Rosie lachte. „Schon wieder?“

Michael nickte. „Ja, als ob was dabei wäre, dass ich da geboren wurde.“ Er nahm die Bohne in den Mund und kaute. „Und dann mussten Abigail und ich noch eine Szene aus Stolz und Vorurteil vorlesen.“

„Warum?“

„Weil sie das Buch scheinbar mag.“

„Ich mag das Buch auch. Mr. Darcy ist eine Vision eines perfekten Mannes.“ Rosie sah gedankenverloren auf den schwarzen Fernsehbildschirm. „Gucken wir gleich mal in die Show rein?“

„Na klar.“ Michael lachte. „Und ich glaube, ich habe 5 Mal nach gefühlt, ob der Reißverschluss der Hose zu war.“

Rosie grinste. „Kauf Dir endlich eine Neue.“

„Ich liebe diese Hose!“

„Du sollst sie ja auch nicht sofort wegschmeißen!“

Beide grinsten sich zufrieden an und fühlten sich einfach pudelwohl.

Nach dem Essen warf Rosie die Styroporverpackungen in den Müll und dann setzten sich beide vor den Fernseher. Mick hatte einen gigantischen Fernseher haben wollen obwohl Rosie das unnütz gefunden hatte, und so hatte Mick den Fernseher eben alleine bezahlt.

Die Einspielmusik lief schon als Mick auf den Sender schaltete. Victor begrüßte das Publikum und erzählte ein paar Witzchen um die Stimmung aufzuheitern. Dann begrüßte er Abigail Audrun.

Rosie sah eine junge Frau hereinkommen und musste unwillkürlich lächeln. Die war so süß! Sie hatte weißblonde, strohig geföhnte Haare mit einem witzigen, schnurgeraden Pony, extrem dick geschminkte schwarze Augen und einen Piercingring im linken Mundwinkel. Es sah toll aus. Ihre blauen, engen, aufgekrempelten Jeans, die roten Chucks und das Ringelshirt machten sie sehr jung. In der Nahaufnahme sah Rosie allerdings, dass Abigail Audrun aber nicht mehr ganz jung war. Besonders spannend fand Rosie aber die aufmerksamen, blass-grünen Augen der Frau.

Mit Verlauf der Sendung musste Rosie ein paar Mal herzlich über Abigail Audruns trockenen Humor lachen. „Sie ist witzig.“

„Ja, ich fand ihren Humor auch klasse.“

„Hast aber nicht gelacht!“

Plötzlich sah Michael sich im Fernsehen lachen. „Siehst Du?“

„Was hat sie da gesagt?“

„Sie sagte, sie wäre mit dem Rad gekommen weil es eh nie Parkplätze gäbe wenn man sie braucht und die U-Bahn stinken würde.“

Rosie grinste breit. „Wo sie recht hat….“


Der Funken Liebe

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