Читать книгу Kind des Lichtes - Kerstin Wandtke - Страница 5

Der Drachen

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Am späten Nachmittag fanden sie eine alte, verlassengeglaubte Drachenhöhle, die zwar nicht besonders gut roch, aber dafür groß und windgeschützt lag. Sie schlugen gemeinsam ihr Lager auf und stellten mit Erstaunen fest, das der alte, trockene Drachendung hervorragend brannte. Sie aßen die letzten Reste des Rehs und saßen sich danach noch lange gemeinsam am Feuer gegenüber. Raven hatte jetzt genauso lange mit sich gerungen. Während des Fluges hatte er hin und her überlegt, und er fand nur eine einzige Möglichkeit, nur einen einzigen Weg, den er mit ihr würde gehen können, sosehr dieser ihn auch schmerzen würde.

„Ich weiß nicht,“ begann er unruhig, „wie lange du mich noch begleiten kannst, kleine Fee. Für deinesgleichen verkörpere ich nur tot und verderben, und meine Reise zurück zu meinem Reich ist noch lang und beschwerlich. Ich muss bald das große Meer überqueren und ich weiß nicht, ob ich das mit dir schaffen werde, oder ob du überhaupt so weit mit mir kommen möchtest.“ Er sah ihr lange ins schöne Gesicht. Sie erwiderte seinen traurigen Blick nur ruhig, verstand aber nicht ganz, worauf er jetzt hinauswollte. Innerlich voller Neugier wartete sie, dass er fortfuhr.

„Du bist so ungewöhnlich. So schön. Ich könnte es nicht ertragen, dich in deinen Tot zu führen.“

Sie sah ihm jetzt ernst in die Augen, denn sie wusste, was der Tod zu bedeuten hatte.

„Weißt du,“ fuhr er versonnen fort, „auch ein Prinz der Lüfte sehnt sich manchmal nach Liebe, nach Nähe und Geborgenheit. Sehnt sich nach einem Wesen, das mit ihm gemeinsam durchs Leben zieht. Du bist noch fast ein Kind und wirst noch nicht viel von diesen Sachen wissen, aber glaube mir, es wird mir nicht leichtfallen dich zurücklassen zu müssen.“ Sie schüttelte jetzt entschlossen ihren kleinen Kopf. Er sprach für sie zwar oft in Rätseln, aber zurück lassen durfte er sie nicht.

„Doch,“ wiedersprach er jetzt ihrem Kopfschütteln,“ im Süden leben noch viele meines Volkes, dort wird man sich gut um dich kümmern. Dort wirst du in Frieden vor den Menschen leben und viele Freunde finden, glaube mir bitte, es wird so besser sein. Ich wäre über kurz oder lang nur dein tot.“ Alina war zwar entsetzt, aber nicht darüber, dass er ihr Tod sein könnte. Denn, zuerst nahm er sie mit, riss sie mit sich fort in seine Welt hinein und nun das. Dabei hatte Mutter ihr gesagt, sie solle ihm unbedingt folgen, und nun wollte er sie im Süden, was immer das war, zurücklassen? Sie war völlig verzweifelt. Wie sollte sie ihm nur klarmachen, wie wichtig es Mutter war, dass sie ihn begleitete. Sie sah hilflos zu ihm auf und erkannte einen tiefen und dunklen Schmerz in seinen braunen Augen, der sie innerlich sehr tief berührte. Sie wusste nicht was Liebe, Nähe oder Geborgenheit bedeutete, spürte aber, wie wichtig diese Dinge jetzt für ihn wurden. Sie fragte sich, in wie weit dies wohl an ihr läge und fühlte sich darum den Rest des Abends sehr klein und hilflos.

„Mutter, was ist Liebe?“ Sie lagen gemeinsam auf einer wunderschön blühenden Wiese und die Sonne schien sanft auf sie herab. Überall summten die wilden Bienen, und auch bunte Schmetterlinge flatterten fröhlich um sie herum. Mutter war bezaubernd anzusehen, wie sie so in der Sonne lag und leuchtete und Alina war sehr glücklich in ihrer Nähe.

„Alina, meine kleine Tochter, das ist schwer zu erklären,“ sanft lächelnd sprach sie weiter, „wenn du jemanden sehr, sehr gern hast, dann liebst du ihn. So wie die Mutter ihr Kind, oder der Mann seine Frau. Verstehst du das, mein Kind?“ Fragte sie jetzt und Alina nickte lächelnd.

„Die Liebe macht dich glücklich,“ erklärte Mutter weiter, „sie erfüllt dein Herz mit Freude, du strahlst sie aus und es geht dir gut.“ Sie schien einen Moment zu überlegen.

„Sie verleiht dir Flügel,“ sagte sie weiter, „und du gleitest auf ihren Schwingen dahin. Für die Anderen ist die Liebe ihr wertvollstes Gut und sie kämpfen um sie, oder töten gar im Namen der Liebe.“ Mutter hob jetzt lauschend ihren Kopf und blickte versonnen in die Ferne.

„Ja, und manchmal töten sie sogar das, was sie eigentlich von Herzen lieben.“ Sie machte wieder eine Pause und lauschte noch einmal in die Ferne.

„Alina, Kleines,“ sagte sie nun, und lächelte dabei so sanft, „dein Vater ruft nach mir, ich muss dich jetzt verlassen.“ Sanftes Licht tauchte sie jetzt ein, und Alinas Herz schwoll vor Liebe zu ihr.

„Bitte Mutter, einen Augenblick noch,“ bat Alina, jetzt traurig geworden, dass ihre Mutter schon wieder gehen musste. Doch jetzt vernahm auch sie den ungeduldigen Ruf ihres Vaters.

„Es tut mir leid, Kleines, aber du weißt wie er ist. Komme wieder her, wann immer du möchtest, ich werde hier auf die warten,“ damit erhob sie sich und ging langsam über die Wiese fort.

Alina erhob sich langsam, und nur schwer gelang es ihr anfänglich, sich dem Bann des eben geträumten zu entziehen. Es herrschte noch dunkle Nacht, doch die sah das der Geflügelte ihr wach gegenübersaß und sie besorgt musterte.

„Du hast sehr unruhig geschlafen, geht es dir gut?“ Fragte dieser sie jetzt leise. Sie nickte, immer noch gefangen vom erfahrenem. Sie hatte jetzt eben einen ersten Eindruck von der Liebe bekommen, verstand aber nicht, warum sich dieser große Mann nach etwas sehnte, das für ihn bestimmt nicht schwierig zu bekommen war. Sie musterte ihn nun eingehend, und er rutschte unter ihrem Blick nur unbehaglich umher. Er war jung, groß, stark und für sie auch noch sehr gutaussehend, zudem besaß er ein ganzes Königreich, warum also war er so einsam. Das verstand sie nicht. Es musste noch mehr dahinterstecken und sie beschloss, dieser Sache irgendwann einmal auf den Grund zu gehen. Doch zu aller erst musste sie versuchen, irgendwie bei ihm zu bleiben. Mutter hatte ihr gesagt, das sie und Vater ihr folgen würden, und der Süden noch weit entfernt war. Ihr dabei aber auch noch einmal nahegelegt wie wichtig es für sie war, das Alina ihm weiterhin folgte. Binde ihn an dich, hatte sie zu ihr gesagt, du hast die Macht. Gebe ihm wonach er dürstet, liebe ihn. Auf Alinas Frage nach dem warum, schwieg sie nur lächelnd. Gut, dachte Alina, er sehnte sich nach Liebe, und wenn es Mutter so wichtig erschien, dann sollte er sie auch bekommen. Alina sah über das Feuer hinweg zu ihm, sah seinen sonderbaren Blick, mit dem er sie jetzt musterte und in diesem Augenblick begann sie ihn tatsächlich ein wenig zu Lieben. Sie stand leise auf, ging ums Feuer herum und als er einen seiner Arme hob, kuschelte sie sich eng an ihn. So saßen sie den Rest der kalten Nacht schweigend beieinander.

Im Morgengrauen, er hatte sie schon früh verlassen um zu jagen, hatte sie das Gefühl als riefe jemand nach ihr. Die Stimme war leise und uralt, und obwohl sie die Worte nicht genau verstand, nahm sie ein brennendes Holzscheit, der Dung war ihnen mittlerweile ausgegangen, und folgte dieser tiefer in die Höhle hinein. Die Stimme, sie hörte sie mehr in ihrem Kopf als mit den Ohren, rief sie mit einer solch tiefen Liebe und Zärtlichkeit, dass sie ihre Ängste schließlich verwarf und ihr langsam folgte. Sie ging, ohne lange zu zögern, tiefer in den dunklen Korridor aus der sie zu kommen schien. Doch etwas unbehaglich war ihr dabei dennoch zumute.

„Komm, mein Kind, komm zu mir, habe keine Angst.“

Der Korridor weitete sich schließlich zu einer großen, matt erhellten Höhle und inmitten dieser fand sie ihn. Riesig und wirklich schon uralt lag er hier. Seine trüben Augen sahen ihr freundlich entgegen und seine rauen Schuppen glänzten matt im sanften Licht ihrer Fackel. Mutter hatte einmal von ihnen erzählt, aber Alina hatte noch nie einen der großen alten Drachen gesehen. Ehrfürchtig blieb sie vor ihm stehen und sah bewundernd zum großen Kopf auf, der sich jetzt vor ihr mächtig erhob.

„Tritt näher mein Kind,“ sagte der Drache sanft, „meine Augen sind schlecht und mein Körper alt, dir droht keine Gefahr von mir.“ Langsam und leise trat Alina vorsichtig näher.

„Bist du das Kind des Waldes, das Mädchen, das uns zur Neuen Welt führen soll?“ Wollte der Alte jetzt zärtlich von ihr wissen, und blickte sie dabei voller Liebe an.

`` Ich verstehe den Sinn deine Worte nicht, `` dachte sie, `` und ich kann nicht sprechen. ``

„Das weiß ich,“ erwiderte dieser ruhig, „aber ich höre deine Gedanken in mir, wie du meine Stimme und das soll uns erst einmal reichen.“ Der alte Drache änderte knurrend etwas seine Position und blickte Alina danach wieder sanft an.

„Hör zu, mein Kind, es gibt eine alte Prophezeiung von der ich dir erzählen will. Seid Anbeginn der Zeit wartet jedes der alten Völker auf ein stummes Kind, das alle Sprachen der Welt in sich vereint. Ein Mädchen des alten Blutes, dem wir folgen werden, fort von der Menschenwelt und der Grausamkeit in ihr. Bist du dieses Kind? Bist du vom alten Blut?“ Er blinzelte sie gütig an.

`` Ich verstehe dich nicht, alter Drache, eine Prophezeiung? Altes Blut? ....... ich bin noch so jung und wie könnte ich so mächtige Wesen wie euch führen, wo ich selbst das Ziel meiner Reise noch nicht einmal kenne? Du musst dich irren, `` dachte sie verwirrt und blickte den Alten fragend an.

„Nun irrst du, kleines stummes Mädchen, meine Augen mögen schlecht sein, aber ich erkenne das Leuchten, welches dich umgibt.“ Sanft schnaubte der Alte, und sein warmer Atem strich über sie hinweg. Alina blickte ihn nun mehr als verwirrt an.

`` Was sagst du da, alter Drache? Dein Geist muss wirr sein. Ich bin nicht die auf die du wartest, glaube mir. Ich führe nur meine Familie und ich weiß noch nicht einmal genau wohin ``

Der Alte lachte nun leise, aber schnaufend.

„Wir alle sind deine Familie,“ grunzte dieser nun immer noch lachend, „und du glaubst, du gehst allein? Nein, kleines Mädchen, wir alle haben nur auf dich gewartet und wir alle werden dir jetzt folgen.“ Alina war nun sehr ängstlich und verwirrt, drehte sich um und verließ schnell die tiefe Höhle. Fast rannte sie hinaus, doch sie hörte ihn noch sagen,

„So wie du meinem Ruf gefolgt bist, werde ich dem deinen im nächsten Frühjahr folgen.“

Damit sank er glücklich zurück in seinen tiefen Winterschlaf, begleitete von dem Wissen, das endlich das warten beendet wäre, und der Zug zu einer besseren Welt begonnen hatte.

Sie lief schnell zum Feuer zurück und dachte über die Worte des alten Drachen nach. Sie sollte sie führen, ihr würden sie alle folgen? Wer würde ihr folgen? Und warum? Das alles war totaler Unsinn. Mutter und ihre Familie, gut, aber die Drachen? Oder andere? Unmöglich.

Ich bin zu klein, zu jung und ich kenne die Welt da draußen überhaupt nicht. Ich sah nie etwas anderes als die dunklen Wälder des Nordens, und ausgerechnet ich soll sie führen? Sie verwarf diesen Gedanken, beschloss aber dennoch in der kommenden Nacht mit Mutter darüber zu reden.

„Sieh, was ich erlegen konnte.“

Raven warf einen großen, schwarzen Keiler in die Höhle und betrat diese dann Blut überströmt.

Sie stürzte hastig zu ihm und untersuchte ihn schnell.

„Nein,“ beruhigte er sie, obwohl ihre Sorge ihm gefiel, „das Blut ist von ihm, ich bin nicht verletzt.“ Und dann, plötzlich, brach alles über sie herein. Die Worte ihrer Mutter, die des Drachens, Ravens aussehen und ihr erschrecken darum, das alles wurde ihr jetzt zuviel, und sie klammerte sich einfach weinend an ihn. Behutsam und überrascht hob er sie hoch und trug sie zu ihren Fellen, legte sie dort sanft nieder und deckte sie zart zu.

„Ich werde mich kurz mit etwas Schnee reinigen, dann komme ich zu dir, der Eber kann warten.“ Damit verließ er sie und sie kroch tiefer in die warmen Felle, als könne sie so ihren Gedanken entkommen. Es dauerte nur eine weile bis sie hörte, dass er zurückkam und sich zu ihr legte. Er nahm sie in seinen Arm und sie legte ihren Kopf auf seine Brust, dankbar für seine wärme.

„Was ist nur mit dir, kleine Fee,“ sagte er zart, „manchmal bist du so heiter und ausgelassen wie ein junges Fohlen. Doch dann habe ich wieder das Gefühl, alle Last der Welt läge auf deinen Schultern.“ Er seufzte tief, „wenn ich nur wüsste, was dich quält und wie ich dir helfen könnte.“ Mit einem Ruck hob sie den Kopf und sah ihn ernst an.

„Das heißt, ich kann dir helfen?“ Er sah sie verblüfft an, „wie, kannst du mir zeigen wie?“

Sie erhob sich und dachte lange nach. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass er sie nicht zurücklassen durfte. Sie überlegte lange, doch dann, nach einer Weile, schüttelte sie nur resigniert den Kopf. Ihr fiel einfach nichts ein und leise begann sie zu weinen. Raven setzte sich jetzt behutsam auf, zog sie an sich und hielt sie danach einfach nur fest im Arm.

„Es ist gut, hörst du, alles wird gut. Sieh mich an,“ er hob ihren Kopf und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht, „wir werden einen Weg finden, um miteinander zu reden, ja?“

Sie nickt langsam, glaubte ihm aber nicht. Dennoch streichelte sie ihm zärtlich und voller Dankbarkeit über sein schönes Gesicht und bemerkte wieder dieses angenehme Gefühl, das sie eigentlich immer in seiner Nähe hatte. Doch sie wollte die Höhle jetzt so schnell wie möglich verlassen, des alten Drachen und seiner verwirrenden Geschichten wegen. So erhob sie sich jetzt rasch und begann eilig große Stücke Fleisch aus dem Eber zu trennen. Raven sah ihr einen Moment überrascht zu bis er begriff und nun seinerseits zu Packen begann. Als sie später wieder in der Luft waren, schmiegte sie ihr kleines Gesicht an seine warme Brust und je mehr Raum er zwischen ihnen und der Höhle des Drachen brachte, desto wohler begann sie sich zu fühlen.

Glücklich betrachtete sie den blauen Himmel. Atmete die kalte Luft, fühlte seinen kraftvollen Körper sich bewegen, streckte wieder ihre Hände aus, die er sofort ergriff und flog wieder mit ihm durch den stillen Winter einer ungewissen Zeit entgegen.

Kind des Lichtes

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