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Neue Feinde

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Sonja war am nächsten Morgen sehr beunruhigt und nach dem gemeinsamen Frühstück in der großen Halle trat sie zu Alina und schaute diese besorgt an.

„Der Dragon hat mir alles, was gestern abend geschehen ist, erzählt und ich habe ihn verflucht dafür,“ sie nahm Alina in ihre Arme, „es tut mir leid das du darüber so außer dir warst. Männer sind Trampel und besitzen die Mäuler von Rindern, entweder sie mahlen mit dem Gebiss oder sie brüllen nur dumm rum.“ Sie hielt Alina etwas von sich ab und lächelte jetzt.

„Komm, mein Schatz, du brauchst neue Kleidung,“ sagte sie wieder verschmitzt, „ich habe zwar fast nur Söhne, aber wir werden schon etwas Passendes für dich finden.“

Alina freute sich ehrlich und folgte Sonja gern durch das große, helle Schloss. Bei den privaten Gemächern blieb Sonja stehen und meinte nur kurz,

„Warte hier einen Augenblick auf mich, ich möchte noch einmal zu Sassa schauen.“ Damit betrat die große Frau einen der Räume und Alina schlich nach einiger Zeit leise näher und spähte durch die halb geöffnete Tür neugierig ins Innere des Raumes. Dieser Raum war zweifellos ein Kinderzimmer, liebevoll und hübsch Eingerichtet und dennoch spürte Alina, dass hier jetzt Dunkelheit herrschte. Langsam und still betrat sie das Zimmer und schaute sich zögernd um. Im angrenzendem Raum, dem Schlafzimmer der Kleinen, vernahm sie leise Stimmen und sie ging langsam näher.

„Samara, wie geht es ihr?“ Hörte sie Sonja grade sagen.

„Nicht besser, Mutter, ich fürchte das Fieber wird bis zum Abend noch höher,“ antwortete eine junge, sanfte Stimme und Alina betrat zögernd den sonst stillen Raum. Beide Frauen blickten sich zu ihr um, und wenn Alina jetzt nicht wüsste, dass diese Mutter und Tochter waren, würde sie beide für Schwestern halten, sosehr ähnelten sie sich. Doch strahlte Samara noch die Wildheit der Jugend aus, während ihre Mutter mehr in sich ruhte.

„Samara, das ist die Gefährtin von Raven,“ meinte Sonja ruhig, „und dies ist Samara, meine älteste Tochter.“ Beide nickten sich nur kurz zu.

„Wir waren gestern in der Halle nicht anwesend, weil Sassa, meine Kleinste, im Fieber liegt und wir bei ihr gewacht haben. Mögen die Götter diesen Fluch von ihr nehmen.“ Sonjas Blick wandte sich wieder traurig ihrer kleinen Tochter zu, die unter Fellen begraben in dem viel zu großen Bett lag. Alina ging langsam näher und betrachtete das kleine Wesen unter den Decken. Sie war nicht älter als drei Sommer. Ihre kurzen, blonden Locken klebten an ihrer feuchten Stirn und ihre kleinen, pummeligen Wangen glühten im Fieber. Die Augen wie im ewigen Schlaf geschlossen, ließ nur das sanfte heben und senken der Decke erkennen, dass dieses Kind noch lebte.

„Unsere Heilerin hat alles versucht ihr zu helfen, und wir haben die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben, aber es steht langsam immer schlechter um sie.“ Sonja wischte sich mit einer knappen Bewegung eine Träne von ihrer Wange und Alina legte mitfühlend einen Arm um deren Schulter.

„Sassa ist unser aller Sonnenschein,“ Samara begann leise zu schluchzen, „wir alle lieben sie von Herzen, was soll nur werden, wenn sie uns verlässt.......“

Alina taten diese großen, stolzen Frauen in ihrer Machtlosigkeit dem Tod gegenüber unendlich Leid. Und sie bedauerte auch das kleine Töchterchen, das grade am Leben, dieses schon wieder verlassen sollte. Doch, Moment, Alina hielt inne und überlegte. Hatte ihre Mutter ihr nicht gezeigt, was nötig wurde, wenn sie die ersten Anzeichen des Fiebers bei sich selbst spüren sollte. Ja, und auch die passenden Kräuter hatte Mutter ihr früher mal gezeigt.

Alina ging zum Waschzuber hinüber, nahm einige der dort liegenden Tücher und tauchte diese ins kalte Wasser um sie danach kräftig auszuwringen und zum Bett zu tragen. Die beiden großen Frauen schauten ihr dabei ungläubig zu, machten aber bereitwillig Platz. Dieses Kind schien zu wissen, was es hier tat. Alina schlug die schweren Decken über dem kleinen Körper zurück und spürte erst jetzt die große Hitze, die von ihm ausging. Es blieb nicht mehr sehr viel Zeit, das wusste sie jetzt. Samara wollte protestieren, aber ihre Mutter hielt sie zurück.

„Lass sie, mein Kind, vielleicht kann sie ihr jetzt noch helfen.“ Und beide Frauen schauten verwundert zu, als Alina die kleinen, pummeligen Beine des Mädchens, eines nach dem anderen in die feuchten, kalten Tücher einschlug. Die dicken Decken warf sie kurzerhand neben das Bett und Sonja verstand auch ohne Worte, was dies bedeuten sollte. Alina bemerkte neben dem Bett eine Schale mit einer trüben Flüssigkeit, hob diese hoch, schnupperte kurz daran um den Inhalt dann angeekelt wegzuschütten. Auch diese Botschaft war für Sonja mehr als nur deutlich. Als Alina sie dann fragend anblickte und ihr die jetzt leere Schüssel hinhielt, glaubte sie auch das zu verstehen.

„Alles was du brauchst, findest du hinter der Küche in der kleinen Kräuter-Kammer,“ sagte Sonja nicht ohne Hoffnung in ihrer Stimme, „wir werden hier auf die warten, bitte, beeile dich.“

Und Alina beeilte sich, lief schnell und ohne zögern zu Kammer, und begann dort die Inhalte der Säcke, Tiegel und Töpfe zu untersuchen, bis sie schließlich fand, wonach sie suchte. Sie ging wieder in die Küche und begann unter den scharfen Augen der dort anwesenden älteren Frauen, rasch einen Sud gegen das Fieber zu kochen.

Später betrat sie wieder das Zimmer des kranken Kindes und wurde von Sonja und Samara schon erwartet. Doch diese waren nicht mehr allein, der Dragon, Raven und einige andere waren bei ihnen und blickten Alina erstaunt entgegen. Alina hielt einen Krug in ihrer Hand und reichte diesen jetzt an Sonja weiter, nahm die kleine Schüssel und füllte eine bestimmte Menge des Sudes dorthinein. Sonja bemaß die Menge sehr genau mit ihren Augen und blickte Alina danach fest an.

„Wie oft?“ Fragte sie diese nur und Alina hob eine Faust und zeigte mit der anderen Hand drei zarte Finger.

„Einmal am Tag drei Schalen, richtig?“ Fragte Sonja nur um sicher zu gehen und Alina nickte ihr lächelnd zu.

„Und die Tücher? Wechseln, wenn sie wieder warm sind?“ Und wieder nickte Alina, und freute sich sehr darüber, dass Sonja sie verstand. Dass diese große Frau einen solch scharfen Verstand besaß und ihr hierbei gänzlich traute.

„Gut, ich vertraue dir,“ sagte Sonja freundlich, „du bist vom anderen Volk und warum sollte nicht ihr Wissen in dir schlummern. Ich danke dir sehr.“ Und noch einmal umarmte sie Alina und drückte ihr einen festen Kuss auf die Stirn. Wenig später ließen Raven und sie die Familie allein. Obwohl Alina sich vorher noch davon überzeugte, das es Sassa schon ein wenig besser ging, sie nicht mehr ganz so glühend heiß war. Als sie später ihre Gemächer erreichten, lag vor der Tür ein kleiner Berg aus Kleidung, und als sie diesen Aufhoben und rein trugen, kamen Alina erst die Tränen.

Die Tage flossen dahin und langsam wurde es merklich immer wärmer.

Das Meer beruhigte sich von den Frühjahrsstürmen und alles um Avalla herum blühte jetzt langsam wieder auf. Die Tage der Stürme waren für alle immer sehr hart. Es gab zu dieser Zeit immer viel Streit und Zwietracht unter den Bewohnern und Raven und Alina verbrachten daher viel Zeit allein. Sie zogen fast täglich aus und erkundeten gemeinsam die Gegend rund um das Schloss. Dank ihrer neuen Kleidung fühlte Alina sich deutlich wohler und auch Raven spürte das zunehmend, wurde sie doch manchmal recht ausgelassen und tobte und alberte mit ihm in den Dünen oder am Strand herum. Beide waren jetzt sehr glücklich miteinander und auch die Schlossbewohner spürten dies und lächelten ihnen zu, wann immer sie ihnen angesichtig wurden. Alina haderte jetzt auch nicht mehr mit ihrem Schicksal, sondern fand sich damit ab. Raven stand immer hinter ihr, gab ihr das Gefühl, das sie ihrer doch großen Aufgabe gewachsen war, bestärkte sie und machte ihr immer neuen Mut. So begann sie jetzt, jeden Abend vor dem Schlafengehen alleine zu meditieren, um die Einsamen, die Gejagten und Vertriebenen zu sich nach Avalla zu rufen. Und nur zu dieser Stunde ließ Raven sie auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin allein. Tagsüber flogen sie oft weite Strecken hinaus, sammelten Rinden oder Kräuter auf dem Festland, oder jagten nach Fischen im Meer. Das war immer besonders lustig und machte beiden besonders viel Spaß, da Raven nur flog und Alina, die dabei ja immer unter ihm hing, die Fische schnell aus den Wellen packen musste. Das ging ziemlich oft daneben und beide wurden so immer sehr schnell nass dabei, aber es bereitete ihnen auch sehr viel vergnügen. So zogen die Tage im träumenden Schloss dahin und alle vergaßen darüber Karak oder die Gefahr durch die Menschen.

Der Tag war sehr warm und ruhig. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, aber es war bereits weit nach Mittag als Alina und Raven von einem ihrer Ausflüge nach Avalla heimkehrten und er, wie immer mit wildem Flügelschlag in mitten des Schlosshofes landete, und dabei die arbeitenden Frauen jedes Mal zutiefst erschreckte. Alina und er mussten wie jedes Mal sehr über das Gemecker derer lachen. Als er sie abgurtete lief ein kleines Mädchen mit lustig hüpfenden, kurzen blonden Locken über den Hof und sauste, geschickt die Anderen umkurvend, mit ausgestreckenten Armen auf Alina zu.

„Lina, Lina,“ rief die Kleine dabei immer wieder, und Alina wunderte sich jedes mal von neuem über Sassa. Und wie die Kleine es verstand, mit ihr, auch ganz ohne Worte, sprechen zu können. Die Kleine lief, was die kurzen Beinchen hergaben und jeder der sie sah, freute sich das es ihr wieder gut ging, sie wieder völlig gesund war.

„Lina,“ keuchte sie jetzt und flog in Alinas Arme, die sie jetzt hochhob und sich einmal, zweimal und noch einmal mit ihr im Kreis drehte. Sassa quietschte dabei fröhlich und schloss danach ihre kleinen, dicken Ärmchen um Alinas Hals. Raven sah den beiden mit glücklichem Blick zu und verstand jeden, der Sassa augenblicklich ins Herz schloss nur zu gut. Hatte die Kleine doch die Fähigkeit, jedem ins Herz zu schauen und alles Schlechte darin verblassen zu lassen. Sie hatte seiner kleinen Fee sogar einen Namen gegeben, und Lina schien auch ihr zu gefallen, vor allem wenn die Kleine den ganzen Tag lang diesen Namen plapperte.

Alina hielt sie auch weiterhin auf dem Arm als Sonja rasch zu ihnen kam.

„Sassa,“ sagte diese, übertrieben erbost, aber auch lachend, „du sollst doch nicht immer weglaufen, du Trollkind. Ach, du bist eine Qual.“ Damit nahm sie Alina die Kleine ab, die über die Worte ihrer Mutter aber nicht sonderlich beunruhigt war und Alina auch weiterhin fröhlich anlächelte.

„Bitte verzeiht, Raven, der Dragon möchte dich gern sprechen, und ich bräuchte in einer äußerst schwierigen Angelegenheit dringend Linas rat.“ Ihr grinst und Augenzwinkern sagte Raven alles und er verabschiedete sich übertrieben höflich und verbeugte sich noch grinsend vor ihnen.

„Meine Damen.“ Dann ging er lachend, aber nicht ohne noch dem Apfel auszuweichen, dem Sonja ihm ebenso lachend hinterherwarf, über den Hof ins Schloss. Raven betrat die große Halle wohlgelaunt, wurde aber, als er den Dragon und seine Söhne dort zusammensitzen und reden sah, etwas beunruhigt.

„Raven, endlich, komm mein Sohn und setzte dich zu uns, wir haben vielleicht schlechte Nachrichten für dich und deine Lina,“ sagte der Dragon ganz frei heraus und Ravens Unbehagen wuchs zusehends. Er blickte stumm in die Runde, konnte in ihren Gesichtern aber nichts ablesen. Der Dragon räusperte sich jetzt und man spürte, das es ihm nicht leicht viel die passenden Worte zu finden. Ernst blickte er ihn an.

„Hör jetzt gut zu, mein Sohn, ich muss dir etwas nicht sehr gutes Erzählen und wenn ihr uns danach verlassen wollt, werden wir euch zwar nicht aufhalten können, aber auch nicht sehr Erfreut darüber sein.“ Er blickte Raven immer noch ernst ins Gesicht.

„Ich möchte, dass du zuvor eines weißt. Ihr beiden, du und Lina, gehören für uns alle zur Familie und wir möchten nicht, dass ihr uns verlasst.“ Der Schlossherr strich sich über seinen vollen Bart, holte tief Luft und begann zu erzählen. Karak war fort.

Er war einfach verschwunden, wie in Luft aufgelöst. Alle Familienmitglieder hatten ihn in diesem Frühjahr überall gesucht, in den Wäldern oberhalb der Klippen, in den Mooren dahinter, die Strände rauf und runter. Im Schloss war im Laufe der Zeit jeder Raum mehrmals durchsucht worden, vom Speicher bis zum Verlies, aber sie bekamen ihn niemals zu Gesicht. Saalem machte sich schwere Vorwürfe, sollte er doch Karak seinerzeit im Auge behalten und hatte diese Aufgabe, da die Tage auf Avalla so ruhig und friedlich verliefen, schnell vernachlässigt.

Wer wähnte sich schließlich noch in Gefahr? Doch Markan, einer der mittleren Söhne des Dragons, merkte an, das Karak vor seinem Verschwinden noch zu verstehen gab, dass er wiederkommen, und das beenden wolle, was einst begonnen hatte. Raven dachte mit einem Schaudern an die kalten Blicke, mit denen sein einstiger Freund seine kleine Fee damals, beim ersten Zusammentreffen gemustert hatte. Der Dragon gab dabei noch zu verstehen, das Karak sich in den letzten Jahren sehr verändert hatte, und selbst er nicht wusste, ob man diesen Drohungen glauben schenken sollte oder nicht. Vielleicht sei dieser ja einfach nur fortgeflogen um sich einem anderen Clan anzuschließen. Auch solches sei durchaus schon vorgekommen, auch wenn sich dabei normalerweise noch verabschiedet wurde. Raven war jetzt sehr beunruhigt und schwor sich innerlich, noch vorsichtiger zu werden und zukünftig immer die Augen offen zu behalten. Auch die anderen Männer versicherte ihm, das auch sie jetzt sehr Wachsam bleiben würden, und sobald man Karak doch noch habhaft werden würde, diesen nicht mehr aus den Augen zu lassen.

Karak heulte laut und voller Inbrunst den vollen Mond an.

Nachdem Saalem es irgendwann leid wurde, ständig hinter seinem Bruder herzusuchen, war dieser eines Nachts in die Wälder oberhalb der Kippen geflogen. Er hatte sich in der kleinen Höhle, die er schon seid Kindertagen kannte, verborgen, um sich auf das vorzubereiten, was jetzt seiner Meinung nach geschehen müsste. Früher, bevor der Alte begann zu ihm zu sprechen, war er ein stolzer, harter und gerechter Mann gewesen, der gut und weise jedem in Not half. Doch dieser Mann war fort und an seiner Stelle stand nun ein schmutziges, nacktes, hasserfülltes Wesen, das durch irr funkelnde Augen in die Wälder blickte. Seine Veränderung begann schon lange Zeit vor Ravens und Alinas Ankunft, doch mit dieser beschleunigte sie sich. Als Alina am ersten Abend in diesem schönen Kleid die Halle betrat, konnte er sehen und fühlen, wie sie es darauf anlegte, ihn und alle Anwesenden zu verzaubern, sie alle zum Bösen zu Verführen.

Doch der Alte sprach zu ihm, saß in seinem Kopf und schützte ihn, riet ihm zu fliehen. Später, wenn sie sich sicher fühlten, sollte er zurückkehren und dieser Hündin geben, was sie verdiente. Ja, er würde wie der Teufel in Person über sie herfallen, würde sie zuerst gefügig machen, sich an ihr erleichtern und sie danach in Stücke reißen. Dann ist meine Familie von ihr befreit, dachte er wütend, dann bin ich von ihr befreit. Denn sie spuke noch immer in seinem Kopf herum, hier nicht mehr so stark wie im Schloss, aber immer noch verhärtete sich sein Schritt, auch wenn er nur flüchtig an sie dachte. Es machte ihn verrückt, sie machte ihn verrückt.

Er hatte vergessen, warum er seine Kleidung abgelegt hatte oder wo, es war ihm auch gleichgültig, wichtig war, einzig und allein seine Aufgabe, die ihm ständig von dem Alten in seine Ohren geraunt wurde. So kam der warme, stille Abend, an dem er ins Moor flog und sich voller Vorfreude mit dunklem Schlamm einrieb. Der Tag war richtig heiß gewesen und in der Höhle wurde es tagsüber doch recht stickig, so genoss er den kühlen Schlamm auf seinen entblößten Gliedern jetzt sehr. Doch plötzlich hielt er inne und, zum ersten Mal seit zwei Jahren, füllten klare Gedanken seinen wirren Kopf.

Was hatte sie ihm eigentlich getan? Für was sollte sie bestraft werden? Was tat er hier überhaupt, völlig entblößt und schmutzig? Er schämte sich, seiner Äußerlichkeit wie seiner Verwirrung wegen und überlegte kurz, fort von Avalla zu gehen. Fort von seiner Familie und allem anderen und noch einmal neu zu beginnen. Dieser klare Moment war kurz und hier tat sich eine Kreuzung des Weges vor Karak auf, dem ersten Sohn und Erben des Dragons. Eine letzte Möglichkeit, wieder den richtigen Weg einzuschlagen, dem Bösen in ihm zu entkommen. Doch fast augenblicklich brüllte der Alte machtvoll in seinem kranken Geist auf, und er brach, voller Schmerz und sich den dröhnenden Kopf haltend, zusammen und lag danach stöhnend im Morast des Moores. Als er sich wenig später wieder erhob und in Richtung Avalla blickte, lag wieder dieser irre, entrückte Glanz in seinen kalten, funkelnden blauen Augen. Sein Weg war für ihn nun klar, und er würde ihm begeistert folgen.

„Heute Nacht,“ flüsterte er und hob wie in Trance wieder eine Hand voll Morast, „heute Nacht, kleines Mädchen, werde ich kommen um mein Versprechen zu halten.“ Der Mond funkelte kalt auf ihn nieder, als er sich nach und nach in den Dämonen verwandelte, der jetzt schon so lange und tief in ihm schlummerte. Sein erneutes Heulen klang schaurig über das nächtliche Moor.

Alina hatte sich an diesem Abend schon früh von der Abendtafel verabschiedet um in ihren Gemächern, wie jeden Abend allein zu meditieren. Raven sah dies nicht gern und war entsprechend unruhig, blieb aber dennoch bei dem Dragon und dessen Familie sitzen. Er wusste das Alina gern allein war, wenn sie die anderen nach Avalla rief. Doch er schaute immer wieder zur Treppe, die nach oben führte und lauschte jedem Geräusch sensibel nach. Die anderen am Tisch unterhielten sich, wie eigentlich jeden Abend, über die große Wanderung. Der Dragon erklärte grade, das wohl auch seine Sippe ihnen nach Baruth folgen müsse, da das Leben hier zu unsicher geworden war.

„Es wird mir sehr schwer fallen, Avalla, meine Heimat, zu verlassen, doch mir liegt auch das Wohl meiner Familie am Herzen und die Menschen rücken jetzt immer weiter hierher vor.“

„Aber Vater,“ meinte einer seiner jüngeren Söhne, Ristaar, mutig, „wir können doch Kämpfen, sie einfach verjagen, wenn sie vor unseren Toren stehen. Wir sind doch starke und mutige Männer.“

„Ja,“ erwiderte der Alte ruhig, „sicher könnten wir das, aber was, frage ich dich, geschieht danach? Glaubst du, danach hätten wir wieder Frieden? Nein, sie würden wiederkommen, immer zahlreicher, immer stärker und irgendwann würden sie die Mauern einreißen und uns alle Töten. Sieh deine Mutter an,“ damit deutete er auf Sonja, die etwas entfernt mit Sassa auf dem Schoß dasaß und spiele,

„Glaubst du, ihr würde es gefallen dich sterbend in den Armen zu halten?“ Ristaar senkte beschämt seinen Blick und der Dragon sprach weiter.

„Nein, ich bin euer Familienoberhaupt, Führer des Drachenclans, ich trage die Sorge um euer Wohl und deshalb müssen wir........“

Doch er sprach nicht weiter, denn alle hoben aufhorchend ihre Köpfe als der helle, markerschütternde Schrei klar und laut durch die weiten Korridore bis zu ihnen hallte. Instinktiv erhoben sich zuerst die Frauen, klang er doch so hilflos, so verzweifelt, so kindlich einsam, das ihre innersten Mutterinstinkte geweckt wurden. Die Männer der Runde erhoben sich auch, doch sie verharrten nicht wie die Frauen, sondern stürzten ihm nach. Sie hetzten durch die finsteren Gänge, nach ihren Waffen greifend, dem Schrei entgegen. Allen voran Raven und der Dragon. Dann verstummte er plötzlich, doch Raven beschlich eine dunkle Ahnung woher er gekommen sein könnte und er rannte ungebremst weiter den Weg auf seine und Alinas Gemächer zu. Die Männer folgten ihm ohne zögern. Der Schrei erklang wieder, doch dieses mal in Todesangst und Raven wusste plötzlich, dass seine kleine Fee dort um ihr Leben schrie.

Kind des Lichtes

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