Читать книгу Projekt Phoenix - Kevin Behr - Страница 10

Dienstag, 2. September

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»Na, wie lief es?«, fragt Stacy freundlich und schaut von ihrer Tastatur auf.

Ich schüttle nur meinen Kopf. »Ich kann es nicht fassen. Er hat mich dazu überredet, einen neuen Job anzunehmen, den ich nicht haben wollte. Wie konnte das geschehen?«

»Er kann sehr überzeugend sein«, sagt sie. »Da ist er einmalig. Ich arbeite jetzt seit fast zehn Jahren für ihn und würde überall mit ihm hingehen. Gibt es irgendetwas, mit dem ich Ihnen Ihre Aufgabe erleichtern kann?«

Ich denke einen Moment nach, dann frage ich: »Es gibt da ein sehr dringendes Problem mit der Gehaltsabrechnung, das behoben werden muss. Dick Landry sitzt im dritten Stock, oder?«

»Bitte schön«, sagt sie, bevor ich meine Frage vollständig ausgesprochen habe, und drückt mir einen Notizzettel in die Hand, auf dem ich die Daten von Dick finde. Büro, Telefonnummern, alles.

Dankbar lächle ich sie an. »Vielen, vielen Dank – Sie sind fantastisch!«

Auf dem Weg zurück zum Aufzug wähle ich Dicks Handynummer. »Dick hier«, meldet er sich unwirsch, während er weiterhin am Rechner tippt.

»Hier ist Bill Palmer. Steve hat mich gerade zum neuen VP of IT Operations gemacht und mich gebeten ...«

»Herzlichen Glückwunsch«, unterbricht er mich. »Hören Sie, meine Leute haben ein Riesenproblem bei der Lohnabrechnung gefunden. Wann können Sie in meinem Büro sein?«

»Ich bin gleich da«, antworte ich. Er legt ohne weiteren Kommentar auf. Ich bin schon freundlicher begrüßt worden.

Im dritten Stock laufe ich durch Finance und Accounting, vorbei an Nadelstreifenanzügen und gestärkten Kragen, bis ich Dick an seinem Schreibtisch finde – schon wieder am Telefon. Als er mich sieht, hält er seine Hand über die Sprechmuschel. »Sie sind von IT?«, bellt er mich an.

Ich nicke, und er sagt ins Telefon: »Tut mir leid, aber ich muss los. Da ist endlich jemand, der mir helfen will. Ich rufe zurück.« Ohne auf eine Antwort zu warten, legt er auf.

Ich habe noch nie jemanden erlebt, der einfach so auflegt, und bereite mich innerlich auf ein kurzes und unfreundliches Gespräch vor – der Teil mit dem Kennenlernen wird wohl ziemlich knapp ausfallen.

Wie bei einer Geiselnahme hebe ich langsam meine Hände und zeige Dick die ausgedruckte E-Mail. »Steve hat mir gerade von dem Ausfall bei der Gehaltsabrechnung erzählt. Wie kann ich mir am besten einen Überblick über die Situation verschaffen?«

»Wir stecken tief in der Scheiße«, antwortet Dick. »Gestern fehlten beim Gehaltsabrechnungslauf alle Datensätze für die Mitarbeiter, die auf Stundenbasis bezahlt werden. Wir sind ziemlich sicher, dass das ein IT-Problem ist, und es hält uns davon ab, unsere Mitarbeiter zu bezahlen. Zudem verletzen wir damit unzählige arbeitsrechtliche Bestimmungen, und die Gewerkschaft wird uns zweifelsohne in der Luft zerreißen.«

Er murmelt noch einen Moment Unverständliches, dann sagt er: »Lassen Sie uns zu Ann gehen. Sie ist mein Operations Manager und rauft sich seit gestern Nachmittag die Haare.«

Ich muss mich ganz schön beeilen, um mit ihm Schritt zu halten, und laufe ihn fast über den Haufen, als er abrupt stehen bleibt und durch das Fenster eines Besprechungsraums schaut. Er öffnet die Tür. »Wie sieht’s aus, Ann?«

Im Raum befinden sich zwei gut gekleidete Frauen. Die eine – etwa 45 Jahre alt – steht vor dem Whiteboard, das mit Grafiken und Tabellen gespickt ist, während die andere – Anfang 30 – auf einem Laptop tippt. Überall auf dem Tisch des Besprechungszimmers liegen Tabellenausdrucke herum. Die Ältere gestikuliert mit einem geöffneten Textmarker und zeigt auf eine Liste mit potenziellen Fehlerquellen.

Etwas an der Art, wie sie sich kleiden, und ihr besorgter und gereizter Gesichtsausdruck sagen mir, dass die beiden von einer lokalen Wirtschaftsprüfungsfirma engagiert wurden. Ehemalige Buchprüferinnen. Vermutlich ist es gut, dass sie auf unserer Seite sind.

Ann schüttelt frustriert den Kopf. »Wir sind nicht wirklich weitergekommen. Es ist ziemlich sicher ein IT-Fehler eines der Zeiterfassungssysteme, die uns die Daten liefern. Alle Datensätze für die stundenbasierten Mitarbeiter wurden beim letzten Hochladen durcheinandergebracht ...«

Dick unterbricht sie. »Das hier ist Bill von der IT. Er soll dieses Problem lösen oder beim Versuch sterben – ich glaube, das hat er gesagt.«

Ich sage: »Hallo zusammen. Ich bin gerade erst neuer Chef von IT Operations geworden. Können Sie von vorne beginnen und mir erzählen, was Sie über das Problem wissen?«

Ann geht zum Flowchart, das an das Whiteboard gepinnt ist. »Beginnen wir mit dem Informationsfluss. Unser Finanzsystem erhält seine Payroll-Daten von den verschiedenen Bereichen auf unterschiedlichen Wegen. Wir sammeln alle Zahlen für die Mitarbeiter mit festen und stundenbasierten Gehältern und bereiten sie auf. Das klingt einfach, ist aber ausgesprochen komplex, weil jeder Bundesstaat andere Steuertabellen, Arbeitsschutzgesetze und so weiter hat.

Um sicherzustellen, dass nichts durcheinandergekommen ist«, fährt sie fort, »achten wir darauf, dass die aufsummierten Beträge zu den einzelnen Positionen aus den jeweiligen Bereichen passen.«

Ich mache mir schnell ein paar Notizen, und sie erzählt weiter. »Das ist ein ziemlich störrischer Prozess, der zum Teil per Hand geschieht. Meistens funktioniert alles, aber gestern haben wir bemerkt, dass der Register-Upload für die auf Stundenbasis bezahlten Mitarbeiter nicht durchgelaufen ist. Bei allen waren null Stunden und null Dollar eingetragen.

Wir hatten mit diesem Upload schon früher Probleme, daher haben wir von der IT ein Programm bekommen, mit dem wir manuelle Korrekturen vornehmen können und fehlerhafte Daten nicht ganz so schlimm sind.«

Ich zucke zusammen. Mitarbeiter aus der Personalabteilung, die Payroll-Daten außerhalb des entsprechenden Programms ändern. Gar nicht gut. Das ist fehleranfällig und gefährlich. Jemand könnte diese Daten auf einen USB-Stick kopieren oder per E-Mail weiterleiten, dabei sind das ausgesprochen kritische Daten.

»Sie sagen, die Zahlen für die Mitarbeiter mit festem Gehalt sind in Ordnung?«, frage ich.

»Stimmt«, antwortet sie.

»Aber die auf Stundenbasis bezahlten Mitarbeiter würden alle nichts bekommen«, hake ich nach.

»Jepp«, bestätigt sie erneut.

Interessant. Ich frage: »Warum ist der Gehaltsabrechnungslauf Ihrer Meinung nach fehlgeschlagen, wenn er doch sonst läuft? Hatten Sie schon früher Probleme?«

Sie zuckt mit den Schultern. »So etwas ist noch nie passiert. Ich habe keine Ahnung, was der Grund sein könnte. Es waren für diese Zahlungsperiode keine größeren Änderungen angekündigt. Ich habe mich das auch schon gefragt, aber sollten wir von den IT-Leuten nichts hören, stecken wir in der Klemme.«

»Wie sieht unser Notfallplan aus?«, frage ich. »Was passiert, wenn wir keine rechtzeitige Lösung finden?«

»Das steht doch in der E-Mail, die Sie da vor sich haben«, sagt Dick. »Deadline für elektronische Zahlungsanweisungen ist heute, 17 Uhr. Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir eventuell einen großen Berg Papierschecks per FedEx an unsere Standorte schicken, damit sie dort an die Mitarbeiter verteilt werden!«

Ich runzle angesichts dieser Option die Stirn, und auch der Rest des Teams will daran gar nicht denken.

»Das würde nicht funktionieren«, sagt Ann und tippt sich mit dem Textmarker an ihre Zähne. »Wir haben unseren Payroll-Prozess ausgelagert. Jeden Monat laden wir die Daten zu der Firma hoch, die sie dann verarbeitet. Vielleicht könnten wir im schlimmsten Fall den letzten Payroll-Lauf herunterladen, in Excel anpassen und dann neu hochladen.

Weil wir jedoch nicht wissen, wie viele Stunden jeder Mitarbeiter gearbeitet hat, wissen wir auch nicht, wie viel wir ihnen zahlen müssen!«, fährt sie fort. »Wir wollen niemandem zu viel bezahlen, aber das wäre immer noch besser, als ungewollt jemandem zu wenig zukommen zu lassen.«

Es ist offensichtlich, dass Plan B eine Menge Probleme bereiten würde. Wir müssten die Gehaltsschecks der Leute mehr oder weniger schätzen – eventuell bekommt jemand Geld, der gar nicht mehr bei uns arbeitet, während Neueinsteiger leer ausgehen.

Um Finance die notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen, könnten wir ein paar eigene Reports zusammenschrauben, dafür bräuchten wir jedoch die Anwendungsentwickler oder die Datenbankleute.

Aber damit würden wir nur Öl ins Feuer gießen. Entwickler sind noch schlimmer als die Netzwerk-Admins. Zeigen Sie mir einen Entwickler, der ein Produktivsystem nicht zum Absturz bringt. Und wenn Sie einen hätten, wäre der vermutlich in Urlaub.

Dick sagt: »Das sind beides hundsmiserable Alternativen. Wir könnten unseren Payroll-Lauf verschieben, bis wir die richtigen Daten hätten. Aber das ist nicht möglich – sind wir auch nur einen Tag zu spät, haben wir die Gewerkschaft am Hals. Es bleibt also nur Anns Vorschlag, unseren Mitarbeitern irgendetwas zu bezahlen, auch wenn es nicht der richtige Betrag ist. Nächsten Monat könnten wir dann Korrekturen vornehmen. Aber jetzt haben wir einen Fehler im Financial Reporting, den wir erst beheben müssen.«

Er reibt sich den Nasenrücken und überlegt weiter. »Wir werden einen ganzen Haufen seltsamer Journaleinträge in unserem Hauptbuch haben – gerade jetzt, wo unsere Auditoren für die SOX-404-Audits kommen. Wenn sie das sehen, werden sie gar nicht mehr gehen wollen.

So ein Mist. Ein Fehler im Financial Reporting?«, murmelt Dick vor sich hin. »Wir brauchen das Okay von Steve. Wenn die Auditoren hier ihre Zelte aufschlagen, werden sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bleiben, und keiner wird mehr seine eigentliche Arbeit erledigen können.«

SOX-404 ist die Abkürzung für den Sarbanes-Oxley-Act von 2002, den der US-Kongress als Reaktion auf die Bilanzskandale bei Enron, WorldCom und Tyco erließ. Dabei stehen CEO und CFO persönlich dafür ein, dass die Bilanzen ihrer Firmen korrekt sind.

Jeder denkt mit Wehmut an die Tage zurück, als er nicht die Hälfte seiner Zeit mit Auditoren reden und täglich neue regulatorische Anforderungen umsetzen musste. Ich schaue mir meine Notizen an und werfe dann einen Blick auf die Uhr. »Dick, ausgehend von dem, was wir jetzt haben, würde ich empfehlen, dass Sie weiterhin für den schlimmsten Fall planen und Plan B weiter ausarbeiten, damit wir ihn ohne größere Probleme umsetzen können. Zudem schlage ich vor, bis 15 Uhr zu warten, bevor wir eine Entscheidung treffen. Vielleicht schaffen wir es ja doch, die Systeme und Daten bis dahin zurückzubekommen.«

Als Ann nickt, sagt Dick: »Okay, Sie haben vier Stunden.«

Ich antworte: »Seien Sie versichert, dass wir die Dringlichkeit der Situation sehen und Sie über den aktuellen Stand unterrichtet werden, sobald ich etwas Neues weiß.«

»Danke, Bill«, sagt Ann. Dick bleibt still, als ich mich umdrehe und zur Tür hinausgehe.

Jetzt, da ich das Problem aus Businesssicht gesehen habe, fühle ich mich besser. Zeit, unter die Motorhaube zu schauen und herauszufinden, warum die komplexe Payroll-Maschine stehen geblieben ist.

Während ich die Treppen hinuntergehe, hole ich mein Telefon heraus und überfliege meine E-Mails. Meine Konzentration ist schon wieder dahin, als ich sehe, dass Steve meine Beförderung bis jetzt nicht bekannt gegeben hat. Wes Davis und Patty McKee, bisher meine Kollegen, wissen immer noch nicht, dass ich ihr neuer Chef bin.

Vielen Dank, Steve.

Als ich Gebäude 7 betrete, trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Unser Gebäude ist das Getto des gesamten Campus von Parts Unlimited.

Gebaut in den 1950ern und zuletzt in den 1970ern renoviert, wurde es offensichtlich nur nach funktionalen Gesichtspunkten entworfen, aber nicht nach ästhetischen. Hier wurden Bremsbeläge hergestellt, bis es zu einem Data Center wurde und man Büroräume einrichtete. Gebäude 7 ist einfach nur alt und heruntergerockt.

Der Empfangsmitarbeiter lächelt mich an. »Hallo, Mr. Palmer. Wie war der Tag bisher?«

Einen Moment reizt es mich, ihn zu bitten, mir Glück zu wünschen, damit er diese Woche korrekt bezahlt wird. Aber natürlich grüße ich einfach nur höflich zurück.

Ich lenke meine Füße zum Network Operations Center – oder wie wir es nennen: dem NOC, wo Wes und Patty sehr wahrscheinlich sein werden. Sie sind nun meine beiden wichtigsten Manager.

Wes ist Director of Distributed Technology Operations. Er hat die technische Verantwortung für über 1000 Windows-Server, aber auch über die Datenbank- und Netzwerkteams. Patty ist Director of IT Service Support. Sie leitet alle Level-1- und Level-2-Helpdesk-Mitarbeiter, die rund um die Uhr Fragen am Telefon beantworten, Störungen beheben und Anfragen aus dem Business weiterleiten. Zudem ist sie verantwortlich für einige der wichtigsten Prozesse und Tools, auf denen die gesamte IT Operations-Abteilung aufbaut, wie zum Beispiel das Fehlermeldungssystem, das Monitoring und die Change-Management-Meetings.

Ich gehe an vielen Cubicles vorbei – genauso wie in den anderen Gebäuden. Nur anders als in den Gebäuden 2 und 5 blättert hier die Farbe von den Wänden ab, und im Teppich zeigen sich dunkle Flecken.

Dieser Teil des Gebäudes war früher die Werkhalle. Als es umgebaut wurde, konnte nicht das gesamte Maschinenöl entfernt werden. Und egal wie viel Grundierung unter dem Teppich aufgetragen wurde – irgendwie schafft es das Öl immer wieder, sich in den Teppich zu mogeln.

Ich notiere mir, eine Budgetanforderung für neue Teppiche und das Streichen der Wände einzureichen. Bei den Marines war es nicht nur eine Frage der Ästhetik, die Kasernen ordentlich zu halten – es ging auch um Sicherheit.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Ich höre das NOC, bevor ich es sehen kann. Es sieht aus wie ein großer Baseball-Bullpen-Bereich, mit langen Tischen an der einen Seite, auf denen der Status der verschiedenen IT-Dienste auf großen Monitoren angezeigt wird. Die Level-1- und Level-2-Helpdesk-Leute sitzen an drei Reihen mit Rechnern.

Das ist nicht ganz vergleichbar mit der Kontrollstation in Apollo 13, aber so erkläre ich es immer den Verwandten.

Wenn irgendwo etwas so richtig schiefgeht, braucht man die verschiedenen Beteiligten und Manager an einem Tisch, damit sie das weitere Vorgehen koordinieren können, bis das Problem gelöst ist. Wie jetzt. Am Konferenztisch sind 15 Leute in einer lauten und hitzigen Diskussion rund um eine spinnenartige Freisprecheinrichtung versammelt.

Wes und Patty sitzen nebeneinander am Konferenztisch, daher stelle ich mich hinter sie, um zuzuhören. Wes lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust – zumindest, soweit es eben geht. Mit seinen 1,90 Metern Körpergröße und über 125 Kilogramm Gewicht ist er eine recht beeindruckende Gestalt. Er scheint immer in Bewegung zu sein und hat den Ruf, zu sagen, was ihm gerade durch den Kopf geht.

Patty ist das genaue Gegenteil. Wo Wes laut und unverblümt ist und aus der Hüfte schießt, denkt Patty nach, analysiert und ist eine Verfechterin von Prozessen und Prozeduren. Wo Wes groß, streitlustig und manchmal sogar zänkisch ist, ist Patty elfenhaft, logisch und besonnen. Ihr eilt der Ruf voraus, Prozesse mehr zu lieben als Personen, und häufig ist sie diejenige, die versucht, Ordnung in das IT-Chaos zu bringen.

Sie ist das Gesicht der gesamten IT-Organisation. Geht etwas im IT-Umfeld schief, rufen die Leute Patty an. Sie ist die professionelle Apologetin, sei es bei abstürzenden Servern, zu langsam ladenden Webseiten oder – wie heute – bei fehlenden oder kaputten Daten.

Patty wird auch angerufen, wenn etwas im IT-Bereich zu erledigen ist – das Updaten eines Computers, das Ändern einer Telefonnummer oder das Ausliefern einer neuen Anwendung. Sie kümmert sich um die Planung, daher versuchen die Leute bei ihr immer, ihre eigenen Aufgaben als Erstes erledigt zu bekommen. Patty leitet dann die Aufgaben an diejenigen weiter, die die eigentliche Arbeit machen. Meist geschieht das entweder in meiner alten Gruppe oder in Wes’ Team.

Wes haut mit der Faust auf den Tisch. »Holt einfach den Hersteller ans Telefon und erzählt ihm, dass wir zur Konkurrenz gehen, wenn sie nicht schnellstens einen Techniker schicken. Wir sind einer ihrer größten Kunden! Eigentlich sollte der ganze Kram schon längst erledigt sein.«

Er schaut sich um und sagt: »Ihr kennt doch den Spruch, oder? Wie erkennt man, ob ein Verkäufer lügt? Seine Lippen bewegen sich.«

Einer der Entwickler am Tisch antwortet: »Wir haben sie gerade am Telefon. Sie sagen, es dauert mindestens vier Stunden, bis deren SAN-Techniker vor Ort sein kann.«

Ich runzle die Stirn. Warum reden sie über das SAN? Storage Area Networks bieten eine zentrale Speichermöglichkeit für viele unserer kritischen Systeme. Geht dort etwas schief, wirkt sich das meist global aus. Nicht nur ein Server würde nicht weitermachen können, sondern Hunderte.

Während Wes mit dem Entwickler diskutiert, versuche ich, nachzudenken. Nichts bei dem Problem mit der Gehaltsabrechnung hört sich wie ein SAN-Problem an. Ann war der Meinung, es wäre vermutlich irgendetwas mit den Zeiterfassungsanwendungen, die in den verschiedenen Werken im Einsatz sind.

»Aber nachdem wir versucht hatten, einen Rollback für das SAN durchzuführen, konnte man auf gar nichts mehr zugreifen«, sagt ein anderer Techniker. »Das Display zeigte plötzlich alles auf Japanisch an! Na ja, zumindest sah es wie Japanisch aus. Was auch immer es war, wir konnten uns keinen Reim auf die kleinen Bildchen machen. Da war uns klar, dass wir den Hersteller mit ins Boot holen müssen.«

Auch wenn ich erst später dazugekommen bin – meiner Überzeugung nach sind wir hier total auf dem Holzweg.

Ich beuge mich vor und flüstere Wes und Patty zu: »Können wir uns kurz alleine unterhalten?«

Wes dreht sich zu mir und sagt, ohne richtig auf mich zu achten: »Kann das nicht warten? Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest, wir haben echt ein großes Problem.«

Ich lege meine Hand fest auf seine Schulter. »Wes, das ist wirklich wichtig. Es geht um das Problem mit der Gehaltsabrechnung und betrifft eine Unterhaltung, die ich gerade mit Steve Masters und Dick Landry hatte.«

Er schaut überrascht auf. Patty ist schon aufgestanden. »Wir gehen in mein Büro«, sagt sie und führt uns dorthin.

Als ich Patty in ihr Büro folge, sehe ich dort an der Wand ein Foto ihrer Tochter, die wohl um die elf Jahre alt ist. Ich bin beeindruckt, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelt – furchtlos, unglaublich klug und beeindruckend –, so sehr, dass es bei solch einem süßen kleinen Mädchen schon fast ein bisschen beängstigend wirkt.

Unwirsch fragt Wes: »Okay, Bill, was ist so wichtig, dass du deswegen einen aktuellen Sev-1-Ausfall unterbrichst?«

Das ist eine gute Frage. Severity-1-Ausfälle sind ernst zu nehmende Zwischenfälle, die den Geschäftsbetrieb beeinflussen und so kritisch sind, dass wir normalerweise alles stehen und liegen lassen, um sie zu beheben. Ich atme tief durch. »Ich weiß nicht, ob ihr es schon gehört habt, aber Luke und Damon arbeiten nicht mehr für die Firma. Offiziell haben sie sich dazu entschieden, eine Auszeit zu nehmen. Mehr weiß ich leider auch nicht.«

Die Überraschung in ihren Gesichtern bestätigt meinen Verdacht. Sie wussten es nicht. Ich fasse die morgendlichen Ereignisse kurz zusammen. Patty schüttelt den Kopf und gibt ein missbilligendes »ts, ts« von sich.

Wes ist verärgert. Er hat viele Jahre mit Damon zusammengearbeitet. Mit rotem Gesicht sagt er: »Jetzt hast du also das Sagen? Ich will dich nicht beleidigen, aber ist das nicht eine Nummer zu groß für dich? Du hast die Midrange-Systeme betreut, die schon seit Jahren mehr oder weniger veraltet sind. Du hast dir eine angenehme kleine Aufgabe eingerichtet. Und weißt du was? Du hast keine Ahnung, wie man mit modernen, verteilten Systemen arbeitet – für dich sind die 90er doch immer noch Zukunftsmusik!«

»Ganz ehrlich«, fährt er fort, »ich glaube, dir würde der Kopf explodieren, wenn du mit der unbarmherzigen Geschwindigkeit und Komplexität zurechtkommen müsstest, mit der ich tagtäglich zu tun habe.«

Ich zähle ruhig bis drei. »Möchtest du Steve vorschlagen, meinen Job zu übernehmen? Gerne. Dann sorge aber dafür, dass die Geschäftsbereiche das bekommen, was sie brauchen, und dass jeder pünktlich bezahlt wird.«

Patty antwortet schnell: »Ich weiß, du hast mich nicht gefragt, aber ich denke auch, dass wir uns vor allem um das Problem mit der Gehaltsabrechnung kümmern müssen.« Sie macht eine kurze Pause, dann sagt sie: »Meiner Meinung nach hat Steve eine gute Wahl getroffen. Meinen Glückwunsch, Bill. Wann können wir uns über ein größeres Budget unterhalten?«

Ich lächle ihr kurz dankbar zu, dann schaue ich wieder zu Wes.

Er scheint noch mit sich zu hadern, und ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich entziffern. Aber schließlich gibt er nach. »Okay, in Ordnung. Aber auf das mit dem Gespräch mit Steve werde ich noch zurückkommen. Er wird mir einiges zu erklären haben.«

Ich nicke. Angesichts meiner Erfahrung mit Steve wünsche ich Wes ernsthaft Glück, wenn er ihn wirklich zur Rede stellen will.

»Danke für eure Unterstützung. Die ist mir sehr wichtig. Also, was wissen wir über den – oder die – Fehler? Was ist mit diesem SAN-Upgrade von gestern? Gibt es da einen Zusammenhang?«

»Das wissen wir nicht.« Wes schüttelt den Kopf. Wir haben gerade versucht, das herauszufinden, als du kamst. Gestern waren wir dabei, eine neue SAN-Firmware einzuspielen, als der Payroll-Lauf fehlschlug. Brent dachte, dass das SAN die Daten zerschießt, daher hat er vorgeschlagen, die Änderungen wieder zurückzunehmen. Das klang sinnvoll, aber wie du weißt, gibt es nun ein kleines Problem.«

»Ein kleines Problem« – das ist wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Hier geht es ja nicht darum, dass ein Smartphone nach einem Update nicht mehr läuft.

Brent arbeitet für Wes. Er ist bei den wichtigen IT-Projekten immer voll dabei, und ich habe schon häufig mit ihm zusammengearbeitet. Er ist echt pfiffig, aber er kann auch einschüchternd wirken, weil er so viel weiß. Und das Schlimme ist: Meist hat er recht.

»Du hast es ja gehört«, sagt Wes und weist auf den Konferenztisch, an dem die Diskussion unvermindert weitergeht. »Das SAN startet nicht, rückt keine Daten raus, und wir können nicht einmal die Fehlermeldungen entziffern, weil sie in irgendeiner seltsamen Sprache ausgegeben werden. Jetzt sind eine ganze Reihe von Datenbanken unten, natürlich einschließlich der Payroll.«

»Um an dem SAN-Problem zu arbeiten, mussten wir Brent von einer Phoenix-Aufgabe abziehen, deren Erledigung wir Sarah versprochen hatten«, sagt Patty unheilvoll. »Das wird uns noch teuer zu stehen kommen.«

»Oh, oh. Was genau haben wir ihr versprochen?«, frage ich alarmiert.

Sarah ist Senior Vice President of Retail Operations, und sie arbeitet ebenfalls für Steve. Sie hat die unheimliche Begabung, immer anderen Leuten die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn bei ihr etwas schiefgeht – insbesondere den IT-Leuten. Schon seit Jahren drückt sie sich vor jeder Form von echter Verantwortung.

Auch wenn ich Gerüchte hörte, dass Steve sie als seine Nachfolgerin aufbauen will, habe ich sie immer als völlig ausgeschlossen abgetan. Ich bin sicher, dass Steve sie durchaus durchschaut.

»Sarah hat von irgendwem gehört, dass wir Chris einen Haufen virtueller Maschinen zu spät liefern würden«, antwortet sie. »Wir haben alles stehen und liegen gelassen, um das fertigzubekommen – bis wir uns um das SAN kümmern mussten.«

Chris Allers, VP of Application Development, ist für die Anwendungen und den Code verantwortlich, den die Geschäftsbereiche brauchen. Wir kümmern uns dabei um Betrieb und Wartung. Bei Chris dreht sich im Moment alles um Phoenix.

Ich kratze mich am Kopf. Unsere Firma hat viel in Virtualisierung investiert. Auch wenn das Ganze verdächtig nach den Mainframe-Umgebungen der 1960er aussieht, hat die Virtualisierung in Wes Welt viel geändert. Man musste plötzlich nicht mehr Tausende realer Server verwalten. Nun sind es logische Instanzen innerhalb eines fetten Servers oder sogar irgendwo in der Cloud.

Das Erstellen eines neuen Servers beschränkt sich auf einen Rechtsklick in einer Anwendung. Verkabelung? Nur eine Anpassung der Konfiguration. Aber trotz der Versprechen, dass die Virtualisierung all unsere Probleme lösen würde, schaffen wir es gerade nicht, eine virtuelle Maschine pünktlich an Chris zu liefern.

»Wenn Brent am SAN-Problem arbeiten muss, dann lassen wir ihn da. Ich kümmere mich um Sarah«, sage ich. »Aber wenn das Payroll-Problem durch das SAN verursacht wurde – warum sehen wir dann nicht mehr Fehler und Ausfälle?«

»Sarah wird definitiv nicht erfreut sein. Weißt du, plötzlich möchte ich deinen Job doch nicht haben wollen«, sagt Wes und lacht laut. »Lass dich bloß nicht gleich am ersten Tag feuern. Denn dann werden sie mich fragen!«

Er denkt einen Moment nach. »Aber mit dem SAN – da hast du recht. Brent arbeitet gerade daran. Lass uns bei ihm vorbeischauen und ihn fragen, was er davon hält.«

Patty und ich nicken. Das ist eine gute Idee. Wir müssen genau herausfinden, was wann passiert ist. Und bisher basiert alles nur auf Hörensagen.

Das reicht aber nicht, um Kriminalfälle zu lösen, und erst recht nicht, um IT-Probleme zu heben.

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