Читать книгу Projekt Phoenix - Kevin Behr - Страница 12
Dienstag, 2. September
ОглавлениеIch folge Patty und Wes am NOC vorbei zu den Cubicles. Wir landen in einem größeren Bereich, der den Platz von sechs Cubicles einnimmt. An einer Seite steht ein langer Tisch mit einer Tastatur und vier LCD-Monitoren – wie bei einem Wall-Street-Händler. Überall stehen Server herum, an denen kleine Lämpchen blinken. Jeder Bereich des Tischs ist mit weiteren Monitoren vollgestellt, auf denen Diagramme, Anmeldefenster, Codeeditoren, Word-Dokumente und unzählige Anwendungen zu sehen sind, die ich nicht kenne.
Brent tippt etwas in einem Fenster ein und hat dabei alles um sich herum ausgeblendet. Am Telefon ist die Telefonkonferenz zu hören, die auch im NOC läuft. Es scheint ihm offensichtlich egal zu sein, ob das laut gestellte Telefon seine Kollegen stört.
»Hey Brent, hast du eine Minute?«, fragt Wes laut und legt eine Hand auf seine Schulter.
»Kann das warten?«, antwortet Brent, ohne aufzuschauen. »Ich bin gerade ziemlich beschäftigt. Weißt du, ich arbeite an dem SAN-Problem.«
Wes stellt das Telefon leise und schnappt sich einen Stuhl. »Ja, genau darum sind wir ja hier.«
Als sich Brent herumdreht, fährt Wes fort. »Erzähl mir noch mal von letzter Nacht. Warum bist du davon ausgegangen, dass das SAN-Upgrade daran schuld ist, dass der Payroll-Lauf fehlgeschlagen ist?«
Brent verdreht die Augen. »Ich habe einem der SAN-Techniker mit dem Firmware-Upgrade geholfen, nachdem alle anderen nach Hause gegangen waren. Das hat viel länger gedauert als erwartet, und nichts lief so, wie in der Tech Note angegeben. Es war ziemlich knifflig, aber gegen 19 Uhr waren wir endlich fertig.
Dann starteten wir das SAN neu, aber alle Selbsttests schlugen fehl. Wir haben daran etwa 15 Minuten gearbeitet, um herauszufinden, was schiefging. Dann kam die E-Mail mit dem Fehler beim Payroll-Lauf. Da zog ich die Reißleine.
Wir waren einfach zu viele Versionen hintendran. Der SAN-Hersteller hat vermutlich nie den Upgrade-Pfad getestet, dem wir gefolgt sind. Ich habe dich angerufen, weil ich das Ganze abbrechen wollte. Mit deiner Zustimmung haben wir dann mit dem Rollback begonnen.
Und da ist das SAN abgestürzt.« Brent lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen. »Davon ist nicht nur die Payroll betroffen, sondern noch ein ganzer Haufen anderer Server.«
»Wir wollten die SAN-Firmware schon seit Jahren aktualisieren, haben das aber irgendwie nie geschafft«, erklärt Wes. »Einmal waren wir kurz davor, aber da gab es kein ausreichend großes Wartungsfenster. Die Performance ist immer schlechter geworden, bis zu viele kritische Anwendungen betroffen waren. Daher haben wir uns schließlich gestern dazu entschieden, in den sauren Apfel zu beißen und das Upgrade durchzuführen.«
Ich nicke. Da klingelt mein Telefon.
Es ist Ann, daher mache ich den Lautsprecher an.
»Wie von Ihnen vorgeschlagen, haben wir uns die Daten aus der Payroll-Datenbank angeschaut. Der letzte Monat war in Ordnung, aber dieses Mal sind alle Sozialversicherungsnummern für die stundenbasierten Mitarbeiter völliger Müll. Und alle Felder für Arbeitsstunden und Stundensätze stehen auf null. Das hat hier noch keiner so erlebt.«
»Nur eine Spalte enthält Müll?«, frage ich und hebe überrascht meine Augenbrauen. »Was meinen Sie mit ›Müll‹? Was steht in den Feldern?«
Sie versucht zu beschreiben, was sie auf ihrem Bildschirm sieht. »Na ja, da stehen keine Ziffern oder Buchstaben. Ich sehe Herzchen, Piks und seltsame Zeichen ... Und es gibt einen Haufen Zeichen mit Akzenten und Umlauten ... Und es gibt keine Leerzeichen. Ist das wichtig?«
Als Brent kichert, weil Ann versucht, den Unfug in den Feldern laut vorzulesen, erhält er von mir einen bösen Blick. »Ich denke, wir haben verstanden«, sage ich. »Das ist ein wichtiger Hinweis. Können Sie mir das Arbeitsblatt mit den kaputten Daten zumailen?«
Sie sagt es zu. »Ach übrigens, kann es sein, dass jetzt eine ganze Reihe von Datenbanken unten ist? Gestern Abend waren sie noch da.«
Wes murmelt etwas und sorgt dafür, dass Brent still bleibt.
»Ähm, ja. Wir sind uns dessen bewusst und arbeiten auch daran«, antworte ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Als sie auflegt, atme ich erst einmal tief aus und nehme mir einen Moment, um welcher Gottheit auch immer zu danken, die Menschen schützt, die Feuer löschen oder Computerpannen beheben.
»Nur ein kaputtes Feld in der Datenbank? Kommt, Leute, das klingt wirklich nicht wie ein SAN-Fehler«, sage ich. »Brent, was lief gestern abgesehen vom SAN-Upgrade noch, das den Payroll-Lauf hätte stören können?«
Brent dreht sich mit seinem Bürostuhl um die eigene Achse, während er nachdenkt. »Hmm, jetzt, wo du es sagst ... Ein Entwickler von der Zeiterfassungsanwendung hat mich gestern angerufen und mir eine seltsame Frage zur Struktur der Datenbanktabelle gestellt. Ich steckte mitten in der Phoenix-Test-VM, daher habe ich ihm nur kurz geantwortet. Du glaubst doch nicht, dass er irgendetwas gemacht hat, wodurch das Programm jetzt nicht mehr läuft, oder?«
Wes dreht sich schnell zu dem Telefon, über das die ganze Zeit die NOC-Telefonkonferenz lief, und schaltet das Mikro wieder ein. »Hey Leute, Wes hier. Ich sitze mit Brent und Patty zusammen, und unser neuer Chef, Bill Palmer, ist da. Steve Masters hat ihn zum Chef von IT Ops gemacht. Hört also alle mal zu.«
Meine Hoffnung auf eine ordentliche Bekanntgabe meiner neuen Aufgabe schwindet zusehends.
Wes fährt fort: »Weiß irgendjemand von einem Entwickler, der an der Zeiterfassungssoftware gedreht hat, die in den Fabriken genutzt wird? Brent sagt, jemand hat ihn angerufen, der an einer Datenbanktabelle arbeiten wollte.«
Aus dem Lautsprecher erklingt eine Stimme. »Ja, ich habe jemandem geholfen, der Verbindungsprobleme zu einer Fabrik hatte. Ich bin ziemlich sicher, dass er ein Entwickler für die Zeiterfassungs-App war. Er installierte irgendeine Security-Anwendung, die John noch diese Woche aktiviert haben wollte. Ich glaube, er hieß Max. Irgendwo hier müssen noch seine Kontaktdaten sein ... Er sagte, er würde heute in Urlaub gehen, daher war das Ganze so eilig.«
Jetzt kommen wir der Sache näher.
Ein Entwickler, der schnell noch eine unaufschiebbare Änderung ins System schiebt, um in Urlaub gehen zu können – eventuell als Teil eines dringenden Projekts unseres Chief Information Security Officers John Pesche.
Solche Situationen bestätigen immer wieder meinen Argwohn gegenüber Entwicklern: Sie machen sich häufig keine Gedanken darüber, dass sie etwas kaputt machen könnten, bevor sie verschwinden. Und IT Operations muss dann wieder hinterherräumen.
Gefährlicher als ein Entwickler ist nur ein Entwickler, der mit der Security zusammenarbeitet. Zusammen haben sie die Mittel, das Motiv und die Gelegenheit.
Ich vermute, unser CISO hat einen Entwicklungsmanager dazu gedrängt, etwas zu tun. Das hat dazu geführt, dass ein Entwickler irgendetwas anderes tat, und dadurch blieb dann der Payroll-Lauf hängen.
Die Information Security bedrängt immer wieder die Leute mit eiligen Anforderungen und interessiert sich dann nicht für die Folgen für den Rest der Firma. Darum laden wir sie nicht so häufig zu Meetings ein. Wenn man etwas erledigt haben will, ist es am besten, wenn sie nicht dabei sind.
Sie kommen immer mit Millionen von Gründen, warum etwas, das wir machen wollen, eine Sicherheitslücke erzeugt, durch die Alien-Hacker in unsere schöne Firma eindringen und unseren Code, das geistige Eigentum, die Kreditkartennummern und die Fotos unserer Familien stehlen können. Das sind zwar alles potenziell mögliche Risiken, aber ich sehe oft keine Verbindung zwischen ihren schrillen, hysterischen und selbstgerechten Anforderungen und dem tatsächlichen Verbessern der Abwehr unserer Umgebung.
»Okay, Leute«, sage ich entschieden. »Der Fehler bei der Gehaltsabrechnung ist wie ein Tatort, und wir sind Scotland Yard. Das SAN ist kein Verdächtiger mehr, aber leider haben wir es während der Untersuchung verstümmelt. Brent, du arbeitest weiter am verletzten SAN – das müssen wir ganz offensichtlich wieder ans Laufen bringen.
Wes und Patty, unsere neuen Verdächtigen sind Max und sein Manager«, sage ich. »Tut alles, was nötig ist, um sie zu finden, festzusetzen und herauszufinden, was passiert ist. Mir ist egal, ob Max Urlaub hat. Er hat vermutlich irgendetwas durcheinandergebracht, und wir müssen das bis 15 Uhr wieder geradeziehen.«
Ich denke einen Moment nach. »Ich werde mich auf die Suche nach John machen. Möchte mir jemand dabei helfen?«
Wes und Patty diskutieren darüber, wer John mit verhören möchte. Patty sagt unnachgiebig: »Ich sollte dabei sein. Seit Jahren versuche ich, Johns Leute in der Spur zu halten. Sie folgen nie unseren Prozessen und sorgen immer wieder für Probleme. Ich würde zu gern sehen, wie Steve und Dick ihn für diesen Stunt auseinandernehmen.«
Das ist anscheinend ein überzeugendes Argument, daher sagt Wes: »Okay, er gehört dir. Er tut mir jetzt schon ein wenig leid.«
Ich bereue meine Wortwahl. Das ist hier keine Hexenjagd, und ich will keine Vergeltung. Wir müssen immer noch wissen, welche Aktivitäten zu diesem Fehler geführt haben.
Aufgrund falscher Schlussfolgerungen kam es gestern Abend zu dem SAN-Fehler. Das würde nicht wieder passieren. Nicht unter meiner Leitung.
Als Patty und ich John anrufen, muss ich meine Augen zusammenkneifen, um dessen Telefonnummer auf Pattys Bildschirm zu erkennen. Vielleicht sollte ich doch mal auf meine Frau hören und mir eine Brille anschaffen. Die Vierzig sind schließlich nicht mehr fern.
Ich wähle die Nummer, und nach einem Klingeln wird abgenommen. »John hier.«
Ich erzähle ihm kurz von den Problemen mit dem Payroll-Lauf und dem SAN und frage dann: »Haben Sie gestern irgendwelche Änderungen an der Zeiterfassungsanwendung vorgenommen?«
Er sagt: »Das klingt nicht gut, aber ich kann versichern, dass wir nichts an Ihren Midrange-Systemen getan haben. Tut mir leid, da kann ich nicht helfen.«
Ich seufze. Eigentlich hätte doch mittlerweile Steve oder Laura eine Info zu meiner Beförderung herumschicken können. Anscheinend muss ich meine neue Rolle heute jedem erklären.
Vielleicht wäre es einfacher, die Ankündigung selbst zu verschicken.
Also wiederhole ich in Kurzform meine hastige Beförderung. »Wes, Patty und ich haben gehört, dass Sie gestern mit Max irgendetwas Wichtiges ausgeliefert haben. Worum ging es da?«
»Luke und Damon sind weg?« John klingt überrascht. »Ich hätte nie gedacht, dass Steve tatsächlich beide wegen der Resultate eines Compliance-Audits feuern würde. Aber wer weiß? Vielleicht ändert sich jetzt hier mal etwas. Lassen Sie sich das eine Lehre sein, Bill. Die Operations-Leute können Security-Fragen nicht immer mit Füßen treten. Nur ein freundlicher Rat ...
Da wir gerade dabei sind – ich frage mich sowieso, wie uns die Konkurrenz immer wieder zuvorkommen kann«, fährt er fort. »Wie sagt man so schön: Einmal ist Zufall, zweimal ist Glück, dreimal muss der Feind seine Finger im Spiel gehabt haben. Vielleicht sind die E-Mail-Systeme des Vertriebs gehackt worden. Das würde erklären, warum uns so viele Abschlüsse durch die Lappen gehen.«
John redet weiter, aber ich denke immer noch über seine Vermutung nach, dass Luke und Damon vielleicht wegen einer Security-Sache gefeuert wurden. Das ist möglich – John kennt eine ganze Menge wichtiger Menschen, zum Beispiel Steve und den Aufsichtsrat, aber auch interne und externe Auditoren.
Wie auch immer, ich bin sicher, dass Steve als Grund für die Kündigung von Luke und Damon weder John noch die Information Security genannt hat – nur die Notwendigkeit, sich auf Phoenix zu konzentrieren.
Ich schaue Patty fragend an. Sie verdreht die Augen und tippt sich an die Stirn – sie ist eindeutig der Meinung, dass John spinnt.
»Hat Steve Ihnen irgendwelche Einblicke in die neue Organisationsstruktur gegeben?«, frage ich aus reiner Neugier. John beschwert sich immer darüber, dass die Information Security zu wenig Priorität besitzt. Er versucht ständig, mit dem CIO gleichgestellt zu werden, weil dadurch ein inhärenter Interessenkonflikt gelöst würde. Meines Wissens hatte er damit bisher keinen Erfolg.
Es ist kein Geheimnis, dass Luke und Damon John so weit wie möglich außen vor ließen, damit er keinen Einfluss auf die Leute bekam, die die eigentliche Arbeit erledigten. Aber trotz ihrer Bemühungen schaffte John es immer wieder, bei Besprechungen dabei zu sein.
»Was? Ich habe keine Ahnung, was passiert«, sagt er gekränkt. Offensichtlich habe ich da einen Nerv getroffen. »Ich werde wieder im Dunkeln gelassen, wie immer. Vermutlich bin ich der Letzte, der es erfährt. Bis Sie mir davon erzählt haben, dachte ich, ich würde weiterhin an Luke berichten. Und jetzt weiß ich gar nicht, wer mein Chef ist. Haben Sie das von Steve erfahren?«
»Das ist nicht meine Gehaltsklasse – ich weiß so wenig wie Sie«, antworte ich und spiele den Dummen. Schnell wechsle ich das Thema und frage: »Was können Sie uns über die Änderungen an der Zeiterfassungs-App sagen?«
»Ich werde Steve anrufen und herausfinden, was da vor sich geht. Vermutlich hat er vergessen, dass Information Security überhaupt existiert«, fährt er fort und ich frage mich, ob wir überhaupt noch über die Payroll sprechen können.
Zu meiner Erleichterung sagt er: »Ach ja, Sie haben nach Max gefragt. Wir hatten ein dringendes Audit-Problem beim Speichern von PII – also Personally Identifiable Information –, etwa bei den SSNs, also den Sozialversicherungsnummern, aber auch bei den Geburtstagen und so weiter. Das EU-Recht und mittlerweile viele US-Staaten verbieten das Speichern solcher Daten. Das war ein großes Thema beim letzten Audit. Ich wusste, dass mein Team die Firma mal wieder vor sich selbst würde schützen müssen, bevor wir erneut eins auf die Mütze bekommen. Das wäre ein gefundenes Fressen für die Medien, oder?«
Er fährt fort: »Wir haben ein Produkt gefunden, das diese Information verschlüsselt, sodass wir die SSNs nicht länger speichern müssen. Das sollte schon vor über einem Jahr installiert werden, aber trotz meines Drängens ist das nie geschehen. Jetzt ist uns die Zeit davongelaufen. Die Auditoren der Payment Card Industry – also PCI – kommen Ende des Monats, und ich habe Druck gemacht, damit das Zeiterfassungsteam endlich etwas tut.«
Sprachlos starre ich das Telefon an.
Einerseits bin ich verzückt, dass wir John sozusagen noch mit rauchender Pistole in der Hand erwischt haben. Johns Beschreibung vom SSN-Feld passt genau zu Anns Beschreibung der kaputten Daten.
Andererseits: »Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe ...«, sage ich langsam. »Sie haben diese Verschlüsselungsanwendung installiert, um ein Audit-Problem zu beheben. Dadurch konnte die Gehaltsabrechnung nicht durchlaufen, und Dick und Steve gehen jetzt die Wände hoch?«
John reagiert gereizt. »Erstens bin ich ziemlich sicher, dass das Verschlüsselungsprodukt nicht die Ursache für das Problem ist. Das ist undenkbar. Der Hersteller hat uns versichert, dass es keine Probleme machen wird, und wir haben all ihre Referenzen geprüft. Zweitens haben Dick und Steve jeden Grund, die Wände hochzugehen: Compliance ist nicht optional. Es ist Pflicht. Meine Aufgabe ist es, sie aus den orangefarbenen Overalls herauszuhalten, darum habe ich getan, was ich tun musste.«
»Orangefarbene Overalls?«
»Na ja, halt das, was man im Gefängnis trägt. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass das Management alle relevanten Gesetze, Vorschriften und Verträge einhält. Luke und Damon waren viel zu sorglos. Sie haben zu viel davon ignoriert, sodass unser Audit- und unser Security-Stand ernsthaft bedroht waren. Wenn ich nicht wäre, würden wir vermutlich mittlerweile alle im Gefängnis sitzen.«
Ich dachte, wir würden hier über ein Problem mit der Gehaltsabrechnung reden, nicht über Gefängnisaufenthalte.
»John, wir haben Prozesse und Prozeduren, wie man Änderungen auf Produktivsystemen einführt«, meldet sich Patty zu Wort. »Sie haben sie umgangen und für ein weiteres großes Problem gesorgt, das wir nun beheben müssen. Warum haben Sie sich nicht an den Prozess gehalten?«
»Ha! Ein guter Witz, Patty«, schnaubt John. »Ich habe mich an den Prozess gehalten. Wissen Sie, was Ihre Leute mir gesagt haben? Die nächste Möglichkeit für ein Deployment wäre in vier Monaten. Hallo? Die Auditoren kommen nächste Woche!« Unnachgiebig fährt er fort: »Sich an Ihren bürokratischen Prozess zu halten, war einfach nicht möglich. Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, hätten Sie dasselbe getan.«
Patty wird rot. Ich sage ruhig: »Laut Dick haben wir weniger als fünf Stunden, um die Zeiterfassungsanwendung wieder zum Laufen zu bringen. Nachdem wir wissen, dass es eine Änderung bezüglich der SSNs gab, haben wir, glaube ich, alles, was wir brauchen.«
Ich fahre fort: »Max, der bei der Änderung geholfen hat, ist heute in Urlaub. Wes oder Brent werden Sie kontaktieren, um mehr über das Verschlüsselungsprodukt zu erfahren, das Sie eingesetzt haben. Ich gehe davon aus, dass Sie ihnen alles erzählen, was sie wissen müssen. Das ist sehr wichtig.«
John stimmt zu, und ich danke ihm, dass er Zeit für uns übrig hatte. »Moment, eine Frage noch. Warum glauben Sie, dass das Produkt nicht für den Fehler verantwortlich ist? Haben Sie die Änderung getestet?«
Es ist kurz still in der Leitung, bevor John antwortet. »Nein, wir konnten die Änderung nicht testen. Es gibt keine Testumgebung. Anscheinend hat Ihr Team vor Jahren Budget angefordert, aber ...«
Ich hätte es wissen müssen.
»Nun, das sind doch gute Neuigkeiten«, sagt Patty, nachdem John aufgelegt hat. »Das lässt sich vielleicht nicht einfach beheben, aber immerhin wissen wir jetzt, was passiert ist.«
»War Johns Verschlüsselungsänderung im Change-Plan enthalten?«, frage ich.
Sie lacht humorlos. »Das habe ich doch versucht, dir zu erklären. John folgt nur sehr selten unserem Change-Prozess. Das machen die wenigsten. Es geht hier zu wie im Wilden Westen. Wir schießen meist aus der Hüfte.«
Verteidigend fährt sie fort: »Wir brauchen mehr Prozesse und mehr Unterstützung von ganz oben, dazu Tools und Training rund um die Prozesse. Jeder hier denkt, dass man seine Dinge nur dadurch erledigen kann, dass man sie einfach macht. So ist mein Job fast unmöglich.«
In meiner alten Gruppe sind wir bei Änderungen immer sehr diszipliniert vorgegangen. Keiner hat etwas geändert, ohne es nicht vorher allen zu sagen, und wir haben uns ein Bein ausgerissen, um dafür zu sorgen, dass unsere Änderungen nichts kaputt machten.
Ich bin es nicht gewohnt, so blind zu fliegen.
»Wir haben keine Zeit, jedes Mal solche Nachforschungen anzustellen, wenn etwas schiefgeht«, sage ich genervt. »Besorge mir bitte eine Liste mit den gemachten Änderungen – sagen wir, der letzten drei Tage. Ohne einen genauen Zeitablauf werden wir Ursache und Wirkung nicht zusammenbekommen und vermutlich gleich wieder solch einen Ausfall verursachen.«
»Gute Idee.« Sie nickt. »Falls nötig, werde ich jeden in der IT anmailen, um herauszufinden, was sie tun. So bekomme ich auch die Dinge mit, die nicht auf unserem Plan zu finden sind.«
»Was meinst du mit ›jeden anmailen‹? Gibt es kein System, in das die Leute ihre Änderungen eintragen? Was ist mit unserem Ticket-System oder dem Change-Authoriziation-System?«, frage ich erstaunt. Das ist ja so, als würde Scotland Yard jeden in London anmailen, um herauszufinden, wer in der Nähe eines Tatorts war.
»Träum weiter«, sagt Patty und schaut mich an, als hätte ich keine Ahnung – was offensichtlich der Fall ist. »Seit Jahren versuche ich, die Leute dazu zu bewegen, unseren Change-Management-Prozess und die Tools zu nutzen. Aber wie John verwendet es keiner. Genauso mit unserem Ticket-System. Alle sind total sorglos.«
Die Dinge sind ja viel schlimmer, als ich gedacht hatte.
»Okay, tu, was zu tun ist«, sage ich schließlich und kann meinen Frust kaum verbergen. »Achte darauf, dass du alle Entwickler der Zeiterfassung erwischst, aber auch die Systemadministratoren und die Netzwerkleute. Rufe ihre Vorgesetzten an und erzähle ihnen, wie wichtig es ist, über alle Änderungen Bescheid zu wissen, egal wie unwichtig sie zu sein scheinen. Vergiss nicht Johns Leute.«
Als Patty nickt, sage ich: »Sieh mal, du bist der Change-Manager. Wir müssen hier besser werden. Wir müssen wissen, was vor sich geht, und dafür brauchen wir irgendeinen funktionierenden Change-Management-Prozess. Sorge dafür, dass jeder seine Änderungen dort durchlaufen lässt, sodass wir ein besseres Verständnis dafür haben, was hier passiert.«
Zu meiner Überraschung sieht Patty niedergeschlagen aus. »Bill, das habe ich schon versucht. Ich werde dir sagen, was passieren wird. Das Change Advisory Board – das CAB also – wird ein oder zwei Mal zusammenkommen. Und in ein paar Wochen werden die Leute nicht mehr teilnehmen, weil sie ›zu beschäftigt sind‹. Oder sie ziehen ihre Änderungen einfach durch, ohne auf die Genehmigung zu warten, weil ihnen eine Deadline im Nacken sitzt. Wie auch immer, es wird innerhalb eines Monats im Sande verlaufen.«
»Nicht dieses Mal«, sage ich unnachgiebig. »Verschicke eine Meeting-Aktualisierung an alle Technologiemanager, in der steht, dass die Teilnahme verpflichtend ist. Und wenn sie nicht können, müssen sie eine Vertretung schicken. Wann ist das nächste Treffen?«
»Morgen.«
»Ausgezeichnet«, sage ich ehrlich begeistert. »Da freue ich mich drauf.«
Als ich schließlich nach Hause komme, ist es nach Mitternacht. Ein langer Tag mit vielen Fehlschlägen hat mich ausgelaugt. Im Flur liegen Luftballons herum, und auf dem Küchentisch steht eine halb leere Flasche Wein. An der Wand pinnt ein Bild, auf dem mit Wachsmalstiften steht: »Herzlichen Glückwunsch, Daddy!«
Als ich nachmittags meine Frau Paige angerufen hatte, um ihr von meiner Beförderung zu erzählen, war sie viel glücklicher als ich. Sie bestand darauf, die Nachbarn einzuladen, um das Ganze zu feiern. Doch weil ich jetzt erst zu Hause bin, habe ich meine eigene Party verpasst.
Um 14 Uhr konnte Patty erfolgreich zeigen, dass von den 27 Änderungen der letzten drei Tage nur Johns Verschlüsselungsänderung und das SAN-Upgrade mit dem Payroll-Problem in Verbindung stehen konnten. Aber Wes und sein Team waren immer noch nicht so weit, das SAN wieder ans Laufen zu bringen.
Um 15 Uhr musste ich Ann und Dick die schlechte Nachricht überbringen, dass wir keine andere Wahl hätten, als auf Plan B zurückzugreifen. Ihre Frustration und ihre Enttäuschung waren nicht zu verbergen.
Die Zeiterfassungsanwendung war um 19 Uhr wieder lauffähig und das SAN erst um 23 Uhr wieder im Netz.
Kein sehr erfolgreicher erster Tag für einen VP of IT Operations.
Bevor ich nach Hause fuhr, schrieb ich noch eine E-Mail mit dem Status an Steve, Dick und Ann und versprach, alles Nötige zu veranlassen, damit solch ein Fehler nicht wieder geschieht.
Ich gehe nach oben, putze mir die Zähne und schaue noch einmal kurz auf mein Telefon, bevor ich ins Bett gehe. Ich fluche, als ich eine E-Mail von unserem PR-Manager sehe mit dem Betreff: »Schlechte Neuigkeiten. Wir sind wohl morgen auf der Titelseite ...«
Ich sitze auf der Bettkante und lese mit zusammengekniffenen Augen den Text.
Elkhart Grove Herald Times
Parts Unlimited verpfuscht Gehaltsschecks, Gewerkschaftsvorsitzender nennt Fehler »unverschämt«
Der Automobilzulieferer Parts Unlimited kann seine Arbeiter nicht korrekt bezahlen, manche Mitarbeiter bekommen sogar gar kein Gehalt. Das geht aus einem internen Memo hervor. Die in Elkhart Grove beheimatete Firma hat zugegeben, dass es Probleme mit dem korrekten Erstellen der Gehaltsschecks für manche ihrer auf Stundenbasis bezahlten Arbeiter gab, während andere gar kein Gehalt bekommen. Parts Unlimited bestreitet, dass dies mit Liquiditätsproblemen zu tun hätte, vielmehr hätte es einen Fehler im Gehaltsabrechnungs-system gegeben.
Die früher bis zu vier Milliarden Dollar schwere Firma musste in den letzten Quartalen mit sinkenden Einnahmen und steigenden Verlusten kämpfen. Diese Finanzprobleme, die manche der oberen Führungsebene zuschreiben, haben unter den Arbeitern im Ort zu deutlich wachsenden Ängsten um ihren Arbeitsplatz geführt, weil sie Sorge haben, ihre Familien nicht mehr ernähren zu können.
Laut dem Memo kann es unabhängig von der Ursache für den Fehler Tage oder Wochen dauern, bis die Mitarbeiter ihren korrekten Lohn erhalten. »Das ist nur die letzte in einer langen Reihe von Management-Fehlentscheidungen, die die Firma in den vergangenen Jahren getroffen hat«, sagt Kelly Lawrence, Chief Industry Analyst bei Nestor Meyer.
Der CFO von Parts Unlimited, Dick Landry, hat auf Nachfragen der Herald Times zu den Problemen mit der Gehaltsabrechnung, den Buchungspannen und Führungsqualitäten nicht geantwortet.
In einer Erklärung, die Parts Unlimited veröffentlichte, entschuldigte sich Landry für die »Panne« und gelobte, dass so etwas nicht wieder vorkommen würde. Die Herald Times wird weiter berichten.
Zu müde, noch irgendetwas zu tun, schalte ich das Licht aus und mache mir eine gedankliche Notiz, mich morgen bei Dick persönlich zu entschuldigen. Ich schließe die Augen und versuche, einzuschlafen.
Eine Stunde später liege ich immer noch wach und starre an die Decke.