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Rune

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Elias gibt mir einen freundschaftlichen Knuff in die Seite, als er an mir vorbeigeht, um seinen frisch polierten Helm aufzuhängen. „Na, bereit für eine Schicht mit der Elite?"

Ach ja: Wir sind bei der Feuerwehr.

„Wenn du in meinem Team bist, kann es ja nur tödlich enden ...", grinse ich und werde sogleich mit einem Klaps auf den Hintern belohnt. „Härter, oder ich schreie", stöhne ich übertrieben.

„Alter, du bist echt ein ekliger alter Arsch!", lacht er und schüttelt den Kopf.

„Wie bitte?" Mit einem Satz bin ich über ihm und dränge ihn so vulgär und anzüglich wie möglich an den Spind, während ich seinen Hintern betatsche. „Willst du mich? Willst du meinen Schwanz? Davon träumst du doch, oder?"

Die Kollegen brechen in Gelächter aus, und selbst Elias kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Nur der Chef versteht mal wieder keinen Spaß ... Mit steinerner Miene steht er in der offenen Tür. Major Grummel, eigentlich Daniel, 45 und frisch geschieden. Seine Frau hat ganz offensichtlich seinen Sinn für Humor mitgenommen, als sie auszog. Er braucht gar nichts zu sagen, sein stechender Blick und die herabhängenden Mundwinkel sagen schon genug. Mit einem Mal ist es mucksmäuschenstill im Umkleideraum, jeder huscht zurück auf seinen Platz.

Wir sind dabei, unsere Ausrüstung zu kontrollieren, damit alles bereit ist, wenn die Sirene losgeht. Wir haben nur 60 Sekunden Zeit, um komplett angezogen zu sein, bevor das Einsatzfahrzeug aus der Fahrzeughalle rollt. Aber eigentlich sind 30 Sekunden angestrebt. Also ist es von allerhöchster Wichtigkeit, dass alles an seinem Platz hängt beziehungsweise. steht. Wenn wir mit der Kontrolle fertig sind, kommt das morgendliche Briefing mit dem Wachabteilungsführer im Besprechungszimmer, der uns über eventuelle Neuigkeiten und die Geschehnisse der vergangenen Nacht aufklärt. Meistens geht es nur um lokale Brände, aber manchmal schweift Major Grummel ab und erzählt uns von Katastrophen, die im Ausland wüten. Und auch wenn wir selbst als engagierte Profis natürlich nicht umhinkommen, uns auch in der Freizeit über die Lage im In- und Ausland zu informieren, hat der Chef meist natürlich mehr Infos als wir selbst.

Wir unterhalten uns leise, während wir die letzten routinierten Handgriffe tätigen. Ja, der Chef hat sich wieder in seinem Büro eingemauert.

Ich bin noch nicht ganz zufrieden mit meinen Stiefeln, die eigentlich mit dem Anzug zusammenhängen sollen. So kann ich die Füße direkt in die Stiefel stecken und gleichzeitig schon die Hose halb hochziehen. Muss ich natürlich nicht, aber wenn ich mich nach links und rechts umschaue, sieht es überall schon perfekt aus.

Manchmal ist es schon ein harter Job, Feuerwehrmann zu sein, aber es ist auch wahnsinnig spannend. Ja, wir sehen Dinge, die so mancher nicht sehen will oder kann, aber dieses Gefühl, wenn das Adrenalin durch den Körper pumpt, wenn wir mit Blaulicht und Martinshorn ausrücken – das macht süchtig. Ich liebe meine Arbeit und die Einsätze, die ich fahren darf. Auch, wenn es mir nicht gelingt, den Menschen zu retten, der zum Beispiel in seinem brennenden Auto eingeklemmt ist. Oder die Großbrände. Nun ist Dänemark nicht das stressigste Land für die Feuerwehr. Das weiß ich, weil ich auch schon im Ausland gearbeitet habe und auch immer wieder die Gelegenheit ergreife, wenn sie sich mir bietet. Ich spare mir immer die Hälfte meines Urlaubs auf, sodass ich bei Bedarf in das Land ausrücken kann, wo es gerade besonders an erfahrenen Kräften mangelt. Waldbrände in Brasilien sind zum Beispiel massiv, und wenn man uns ruft, reisen wir aus aller Herren Länder an. So sind wir einfach. Abgesehen davon, dass so ein Einsatz auch immer wieder einen riesigen Erfahrungsschatz bietet. Denn ganz risikofrei ist es nicht, sich dem Feuerinferno im Amazonas-Regenwald ins offene Maul zu werfen. Ich bin nicht der Einzige hier auf der Feuerwache, der immer wieder seine Hilfe anbietet, aber nicht jeder von uns ist so ungebunden und kann das Risiko so einfach auf sich nehmen. Nicht, weil die Familienmenschen unter uns nicht auch helfen würden, wenn sie könnten, aber sie müssen ja auch an die Frau denken. An die Kinder. Na gut, das muss ich so gesehen auch, aber meine Tochter ist ja nur an einem Wochenende im Monat bei mir.

Ich bücke mich und kontrolliere ein letztes Mal mit geübtem Blick meine Ausrüstung, als sich draußen auf der Straße Frauenstimmen nähern. Wir sind in der Fahrzeughalle, wo die Einsatzwagen geparkt sind. Das Tor steht offen, nachdem wir die gesamte Halle gerade mit dem Schlauch ausgespült haben. Das Wetter ist noch frühlingshaft, nimmt aber bereits sommerliche Temperaturen an, und durchs offene Tor weht eine warme Brise, die den nassen Beton schnell trocknen wird. Und so hören wir eben die beiden Frauen auf dem Bordstein, und sehen können wir sie natürlich auch. Und welcher hart schuftende Mann dreht sich nicht um, wenn sich ihm eine willkommene Ablenkung bietet? Ohne mich aufzurichten, drehe ich den Kopf, um ihnen mit dem Blick zu folgen. Zunächst fummle ich noch ein wenig halbherzig an den Stiefeln herum, aber dann sehe ich sie, und mit einem Mal habe ich das Gefühl, als habe mir gerade jemand mit voller Kraft in die Magengegend geboxt.

Ich erstarre.

Die Mädels gehen am Tor vorbei. Die Eine lacht und wirft den Kopf in den Nacken. Sie hat schwarzes Haar, und ich lüge nicht, aber es reicht ihr fast bis über den Hintern, als sie den Himmel anlacht. Aber sie ist nichts im Vergleich zu der Anderen, die breit lächelt, während sie ihren Satz zu Ende bringt. Sie ist es, die mir den Atem raubt. Als hätte ich noch nie in meinem Leben eine schöne Frau gesehen, starre ich sie an wie ein Vollidiot. Ihre scheinbar so amüsanten Worte höre ich nicht. Hätte mir ihre Schönheit nicht komplett die Sprache verschlagen, hätte ich wahrscheinlich irgendwas Cleveres gesagt. Dass ich den Witz auch gern hören würde. Vielleicht würde ich sie auf eine Tasse Kaffee hereinbitten, damit wir alle beurteilen können, wie lustig der Witz in Wirklichkeit war. Das klingt jetzt vielleicht nicht gerade nach Flirten auf höchstem Niveau, aber tatsächlich habe ich in meiner Laufbahn als Feuerwehrmann auf diese Weise schon so manches leichte Date abgestaubt. Es ist fast so, als müsse man sich nicht anstrengen, wenn man sich nur in der Nähe der Uniform aufhält. Oder vielleicht ist es der Schlauch? Naja, es schadet sicher nicht, dass mein hochgewachsener Körper durchtrainiert und meine Muskeln geschmeidig sind. Mein dunkles, unzähmbares Haar, das meine grünen Augen besonders zum Strahlen bringt, tut auch das eine oder andere zur Sache. Selbst wenn ich frisch rasiert bin, sieht man immer einen Schatten von Stoppeln auf dem scharf geschnittenen Kiefer. Ja, die Mädels mögen mich, das kann ich nicht leugnen. Und ich habe keine Angst, ihnen tief in die Augen zu sehen. Und jetzt reicht es aber auch mit dem Eigenlob, wenn ich nicht als der selbstverliebteste Idiot der Welt dastehen will.

Ich bemerke es nicht einmal selbst, dass ich noch immer wie erstarrt über meine Sachen gebückt hocke. So schön ist sie. Sie hat diese Art von Schönheit, die von innen heraus alles andere überstrahlt. Sie ist wie von einem warmen Schleier umgeben. Noch nie habe ich so etwas Schönes gesehen.

Besonders groß ist sie nicht. Das Haar ist voll und leicht gelockt. Hellbraun und schulterlang, was normalerweise gar nicht meins ist. Langes Haar mag ich, langes Haar, an dem man verspielt ziehen kann, wenn sich die Gelegenheit bietet, wenn ich hinter ihr auf der Matratze knie. Sie ist schlank, aber nicht so schlank, dass man mit ihr angeben möchte, weil sie wie ein Model aussieht. Und sie kichert. Ich mag keine Frauen, die kichern. Das erinnert mich immer an Schulmädchen. Und doch fühle ich mich von diesem perlenden, vergnügten Geräusch wie magisch angezogen, und ich ertappe meinen Mund dabei, wie er ihr Lächeln imitiert, während mein Blick über ihren Körper gleitet. Sie trägt eine abgenutzte, offene Jeansjacke, ein enges Top und einen leichten, weißen Rock mit Blumenmuster. Winzige Converse Allstars. Sie ist verdammt heiß in diesem entspannten Outfit, das ihr auf merkwürdige Weise perfekt steht.

„Na, die ist ja wohl ein bisschen zu jung für dich, was, Alter?" Mit diesen Worten und einem schmutzigen Grunzen zerstört Bo meine Tagträumereien. Er wirft einen seiner Stiefel nach mir. Mir war nicht bewusst, wie offensichtlich mein Starren gewesen war.

„Naja, gucken darf man doch wohl?", kommt mir Malthe zur Hilfe.

„Oder unter der Dusche fantasieren ...", meldet sich Silas zu Wort.

Die Schwarzhaarige hat uns entdeckt, ihr Lachen wird durch einen flirtenden, schnurrenden Laut ersetzt. Natürlich sollen wir sie hören. Und natürlich hören wie sie. Sie geht langsamer, damit wir sie noch ein wenig länger beobachten können. Sollen? Ihre Freundin, die, die meine Stimme gestohlen hat, hat nichts bemerkt und spricht munter weiter, mit ihrem großen Lächeln auf den Lippen. Auf den Lippen, die ich nicht sehen kann, weil ihr Kopf im Profil ist und weil sie zu weit weg ist.

„Wovon redet ihr eigentlich ...", knurre ich mit einem unschuldigen und wahrscheinlich total dämlichen Gesichtsausdruck meine idiotischen Kollegen an. „Die ist doch höchstens 20 oder so. Nicht älter als ein Kind." Kind ist vielleicht übertrieben, aber jung sieht sie aus, das lässt sich nicht leugnen. Zu jung. Für mich.

„24", konstatiert Tobias, der in dem Moment hinter dem Einsatzwagen hervorschreitet.

„Woher weißt du das denn?", fragt Silas, der ewig Neugierige.

Ich kann meinen Blick noch immer nicht von ihr abwenden.

„Hey Klara!", ruft Tobias, was die Prinzessin, so werde ich sie von jetzt an nennen, glaube ich, dazu veranlasst, sich überrascht umzudrehen und in die Halle zu spähen.

Tobias' Stimmlage ist ein wenig härter als gewohnt, als er uns klarmacht, woher genau er sie kennt: „Sie ist meine kleine Schwester. Daher weiß ich das."

Er geht an mir vorbei und hält mir seinen Mittelfinger unter die Nase, während er mir zu zischt: „Also muss ich dir Recht geben – mit ihren 24 ist sie gegen deine 33 Jahre tatsächlich nicht viel mehr als ein Kind!"

Oder mit anderen Worten: Finger weg, Meister! Und das werde ich beherzigen. Ich hab es ernst gemeint, als ich sagte, sie sei nur ein Kind.

Der Blick ebendieses Kindes blitzt immer wieder zu mir herüber, während sie ihrem Bruder entgegengeht. Und trotz meiner Behauptung, dass schulterlanges Haar, Kichern und süße Schulmädchen nicht mein Ding sind, ertappe ich mich dabei, wie ich unwillkürlich zurücklächle. Natürlich nehme ich mich sofort zurück, denn es gibt ja schließlich keinen Grund, sich unnötig in die Bredouille zu bringen. Ja, und zurück zu meinem Aussehen: Ich weiß, dass ich den Mädels gefalle, und dieses Exemplar ist offensichtlich keine Ausnahme. Die grauen Augen ähneln so gar nicht denen von Tobias, aber das liegt vielleicht daran, dass ihre vor Interesse nur so blitzen. Und, dass sie auf mich gerichtet sind. Sie versucht, es zu kaschieren, aber es ist offensichtlich. Ihr Blick sucht ununterbrochen meinen. Und nein, das hat bestimmt nichts damit zu tun, dass auch ich meinen Blick nicht von ihr abwenden kann und sie sich deswegen ein bisschen geniert.

„Hey du!", flirtet die Schwarzhaarige mich an. Sie zeigt mit dem Zeigefinger auf mich und befeuchtet unterdessen die vollen Lippen mit der Zungenspitze. Sie ist heiß, das muss man ihr lassen, und ihre sexy Attitude tut einiges dazu. Aber sie ist meilenweit entfernt von der Prinzessin. Die muss gar nichts machen, und mein ganzer Körper kribbelt vor Neugierde und Verlangen.

„Du warst doch letztes Jahr im Kalender!", sagt die Schwarzhaarige.

Sie hat Recht. Ich hab da letztes Jahr mitgemacht, habe in Uniform posiert. Beziehungsweise in einem Teil der Uniform. Die Hose war nur halb zugeknöpft gewesen und hing mir so tief um die Lende, dass man bei genauem Hinsehen den oberen Teil meiner Schambehaarung hatte sehen können. Die Jacke war offen gewesen und hatte den Blick auf meinen muskulösen Oberkörper mit dem Waschbrettbrauch, der mich Blut, Schweiß, Tränen und so manche Stunde meiner Freizeit gekostet hat, freigegeben.

Ich schüttele den Kopf. Plötzlich schäme ich mich ein wenig dafür, ein Stück Fleisch auf glossiertem Papier gewesen zu sein. Nicht, dass nicht auch andere meiner Kollegen für den Kalender posiert hätte, aber ... die Prinzessin schaut mich an und scheint nicht im Geringsten imponiert über diese frisch zu Tage getretene Information. Normalerweise ist der Kalender extrem beliebt bei den Frauen, aber gut. Die Prinzessin ist ja auch mehr ein Mädchen als eine Frau. Ein kicherndes Schulmädchen, genau genommen.

Die Schwarzhaarige nickt. „Ja, ganz sicher. Das vergesse ich nie, dieses markante Gesicht. 1,93 Meter, passend zu den 102 Kilo ..."

„Ja gut, das reicht jetzt vielleicht", unterbreche ich ihren Wortschwall, der fast so klingt, als habe sie ihn auswendig gelernt. Das braucht sie nicht zu hören, die Prinzessin.

Ich habe nämlich eine zehnjährige Tochter. Nach der Trennung von der Mutter habe ich mich zurückgehalten, was ernste Geschichten mit dem anderen Geschlecht angeht. Das hat mich nämlich richtig mitgenommen, als sie mich verließ. Es ging einfach nicht mehr. Ich sei zu eifersüchtig, sie fühle sich eingeengt ... so hatte sie es mir erklärt. Und all das steht unter meinem anzüglichen Kalenderbild für den Monat April. Ein bisschen anders formuliert natürlich, versteht sich, ich soll ja nicht schwach oder gar unmännlich wirken. Da steht sie auch, die Lüge, dass ich auf der Suche nach der ganz großen Liebe sei, nach der Einen, die meine Tochter ebenso sehr lieben wird wie mich. Und so weiter und so fort.

„Tut mir leid wegen gestern", murmelt Tobias und umarmt seine Schwester, um sie hochzuheben, sodass sie mit ihrer perlenden Stimme die Decke anlacht.

Und ich? Ich starre noch immer. Jetzt scheine ich auch noch vergessen zu haben, wie man atmet, denn das Geräusch ihres Lachens haut mich fast um. Noch nie habe ich so etwas Schönes gehört. Und sie bemerkt mein verliebtes Glotzen, denn eine zarte Röte kriecht ihr den schlanken Hals hinauf und breitet sich auf ihren Wangen aus. Sie ist schüchtern. Ich bin kein Fan von schüchternen Frauen. Oder ... zumindest war ich bis zu diesem Moment kein Fan von schüchternen Frauen. Jetzt liebe ich sie offenbar.

Tobias schaut sich über die Schulter, während er seine Schwester wieder absetzt. Mit seinen großen Pranken um ihre zarten Arme dreht er sie um, sodass sie mir nun den Rücken zuwendet. Sie sieht mich nicht mehr, aber ich sehe sie verdammt noch mal noch. Zumindest ihren Körper.

Okay, vielleicht ist es an der Zeit, wieder Kontakt zur Erde aufzunehmen. Ich blinzle und versuche mit aller Kraft, die Kontrolle über meinen Körper und vor allem meinen wandernden Blick zurück zu erlangen. Stattdessen konzentriere ich mich auf meine Ausrüstung und diese vermaledeiten Stiefel, um für den nächsten Einsatz bereit zu sein.

Silas' spöttisches Gelächter trifft mich ebenso hart im Kreuz wie sein Klaps auf meine Schulter. Eine klare Geste, er hat es bemerkt. Also nicht Tobias' Versuch, seine Schwester auf andere Gedanken zu bringen, sondern meine Blicke. Mein Interesse an ihr.

Ich habe genug von dem Mist. Ich reiße ihm den Helm herunter und werfe ihn ihm zu. „Ich setz Kaffee auf, für die Besprechung."

„Mach das. Und während der durchläuft, kannst du ja vielleicht kurz kalt duschen ...", grunzt er.

Ein Kichern kitzelt meine Ohren, sodass es mir unmöglich ist, mich nicht doch noch einmal kurz umzudrehen.

Die Augen sind grau wie Stahl, aber alles anderes als kühl. Die Farbe erinnert mehr an glühende Blitze. Wie die elektrischen Vergabelungen an einem dunklen Sommerhimmel, gefolgt von mächtigem Donner und warmem Regen. Ich bin mir fast sicher, wenn ich noch länger in diese Augen sehe, bekomme ich einen kleinen Vorgeschmack auf ein echtes Sommergewitter.

Aber gut. Das wird nicht passieren, denn sie ist ja nur ein Kind. Sage ich mir.

Und dann tritt sie mit einem Mal an ihrem Bruder vorbei und kommt direkt auf mich zu. Nicht ich bin es, der die von Tobias abgesteckte Grenze ignoriert, soll an dieser Stelle kurz klargemacht werden. Sie ist es, verdammt noch mal. Ich bin unschuldig, das kann er mir nicht ankreiden.

Entschuldigend sehe ich Tobias an, der mich schon jetzt mit Blicken zu töten versucht. Aber ich habe doch gar nichts gemacht! Na gut, ich könnte theoretisch immer noch flüchten, mich umdrehen und in der Küche verschwinden, aber ... ich stehe wie angewurzelt da, unfähig, meinen Körper auch nur einen Zentimeter weit zu bewegen. Sogar das Atmen fällt mir schwer.

Mit einem vorsichtigen Lächeln bleibt sie direkt vor mir stehen. „Klara."

Dumm wie ein Schaf starre ich die kleine Hand an, die vor meiner Brust schwebt. Ohne zu wissen, was mein Arm vorhat, greife ich danach, lege meine Hand um ihre. Sie ist warm, und die Haut ist samtweich. Und sofort wirft mein lüsternes Hirn die Frage in den Raum, ob der Rest von ihr wohl genau so weich und glatt ist?

„Und das ist unser neuestes Mitglied!", lacht Silas, der sich köstlich zu amüsieren scheint. „Er heißt Rune und ist seit einem Monat dabei."

Tobias greift schon wieder nach dem Arm seiner Schwester: „Und er ist 33."

Das scheint sie nicht zu stören. Das bemerkt Tobias natürlich auch, also wirft er gleich die nächste Bombe hinterher: „Und er hat eine Tochter, die ist zehn."

„Ach ja?", sie klingt überrascht, aber auch enttäuscht, oder bilde ich mir das nur ein? Warum musste das jetzt sein, das braucht sie doch nicht zu wissen? Nicht, dass ich mich für meine Tochter schäme, keinesfalls. Ich liebe sie über alles, und bin verdammt stolz auf sie. Manchmal denke ich sogar, sie ist das Einzige, was ich in meinem bisherigen Leben richtig gemacht habe. Und sie liebt mich, mit all meinen Fehlern.

Ich spüre den Widerstand, als Tobias seine Schwester von mir wegzieht, aber meine Hand kann einfach nicht loslassen. Mein Blick hat sich in ihrem verhakt, in dieser grauen, blitzenden Masse. Obwohl sie mir immer wieder versucht auszuweichen, kehrt sie doch immer wieder zurück, und ich kann den Blick nicht abwenden. Dieses Gefühl, wenn unsere Blicke sich treffen, ist atemberaubend. Als würden ihre Augen mir jedes Mal einen kleinen Stromschlag versetzen.

„Äh ...", lächelt sie. „Alles gut bei dir?"

Da wird mir erneut bewusst, dass ich aussehen muss wie ein Vollidiot, und überhaupt habe ich mich auch gar nicht richtig vorgestellt. Das haben die Anderen für mich übernommen, als ich mich aufführte, als sei ich taubstumm.

Widerstrebend lasse ich ihre warme, kleine Hand los und drehe mich mit einem Schulterzucken um, als sei es mir egal, was sie von mir hält. Irgendwas muss ich ja tun, um zu übertönen, wie peinlich mir die Situation ist.

„Naja", sage ich, „ich mach dann mal Kaffee."

„Ja, das sagtest du schon", neckt Silas. „Aber wir warten noch auf deine Entscheidung bezüglich der kalten Dusche."

Es gibt keinen Grund, mich selbst noch weiter zum Idioten zu machen, also bleibe ich ihm eine Antwort schuldig und fliehe hinaus in die Küche. Dort bleibe ich stehen wie ein Reh im Scheinwerferlicht und stiere wie gebannt die Kaffeemaschine an, als sei die das Interessanteste der Welt. Normalerweise helfen wir einander mit der Kontrolle unserer Ausrüstung, sodass wir alle gleichzeitig zum Briefing fertig sind, aber ich kann jetzt nicht da draußen sein, wo sie ist. Wo Klara ist. Das kenne ich nicht von mir, dass ich so extrem auf das weibliche Geschlecht reagiere, und ich traue meinem Körper in dieser unbekannten Ausnahmesituation nicht so ganz über den Weg. Also bleibe ich hier, allein mit meinen Hormonen, wo sie keinen Schaden anrichten können.

Als ihr perlendes Gelächter erneut an meine Ohren heranschwebt, erstarre ich. Ich kann nichts tun, es gibt keine weitere Fluchtmöglichkeit, als sie mit ihrem Bruder zusammen durch die Türöffnung hereintritt und an der offenen Küchennische vorbeigeht. Ich drehe den Kopf, und unsere Blicke prallen aufeinander wie Blitz und Baum. Sie schaut zuerst weg, aber keine Sekunde später ist sie wieder da.

„Guck halt woanders hin!", knirscht Tobias mir zu, während der Rest der Mannschaft neugierig hinterhertrottet wie ein Rudel Schafe.

Seine Worte bringen Klara erneut zum Erröten. Sie lächelt mich verlegen an, während sie sich mit der Hand durch die Haare fährt und es hinter das eine Ohr klemmt. Dadurch ist sie, wenn überhaupt möglich, noch hübscher anzusehen.

Guck halt woanders hin, wiederholt eine vernünftige Stimme aus den Tiefen meines Kopfes. Ja, am besten guck ich ganz woanders hin, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommt. Es reicht ja schließlich, wenn einer von uns dumme Gedanken hat.

Als sei einer ihrer Blitze direkt in meinem Hintern eingeschlagen, bewege ich mich ruckartig rückwärts, von der Küchentheke weg, und steuere meinen ungehorsamen Körper in Richtung Klo.

„Wenn der Chef die Beiden sieht, ist Schluss mit lustig. Ich geh kurz kacken. Kümmert ihr euch mal um den Kaffee und die Tassen."

Silas flüstert, aber laut genug, dass ich es auf jeden Fall hören kann: „Ganz schön kaffee-fixiert, der Gute, was? Und ich glaube, der hat was ganz anderes vor als kacken ..."

Das kalte Wasser spritzt ins Waschbecken und auf mein T-Shirt, sobald ich die Hände darunter halte. Ich beuge mich vor und klatsche mir mit den nassen Händen ins Gesicht. Ich kann nicht aufhören, als versuche ich, das innere Bild von ihrem Gesicht, was sich auf meine Netzhaut gebrannt hat, abzuwaschen. Unmöglich. Das bleibt jetzt so.

Die Anderen räumen derweil draußen die Tassen auf den Tisch. Ich höre Klirren, Murmeln, leises Lachen. Gleich beginnt die Besprechung, ich muss mich beeilen. Seit der Scheidung des Chefs kommt man nicht zu spät. Zu nichts.

Ich drehe mich zur Tür, noch während ich mir ein Papierhandtuch abreiße und mir das Gesicht abtrockne. Ich öffne die Tür und stürze halbblind hinaus. Und stoße im selben Moment mit der wunderbaren Klara zusammen.

„Autsch!", entfährt es ihr.

„Oh, entschuldige!" Reflexartig strecke ich die Hand nach ihr aus, um sie zu stützen, denn ein Zusammenstoß mit einem Schrank meiner Statur muss bei ihrer geringen Größe ziemlich heftig sein. Meine Hände legen sich um ihre Oberarme. „Alles okay?"

Sie nickt verlegen. „Ja. Und bei dir?"

Meine Augenbrauen schießen unwillkürlich in die Höhe: „Fragst du mich, ob ich mir weh getan habe?"

Sie nickt. Sie meint es ernst.

Ich muss schmunzeln. Der Gedanke, dass sie glaubt, ihr weicher, kleiner Winzlingskörper könne mir etwas anhaben, ist einfach zu amüsant. „Ja", sage ich mit bebender Stimme, „ja, mir geht's gut. Ich glaube, ich habe Glück gehabt."

Sie schaut an mir herab. „Du bist ja klitschnass. Du weißt aber schon, dass man sich normalerweise auszieht, bevor man duschen geht?"

Sie versucht, mich zu necken, und ich liebe es. Meine großen Hände liegen noch immer auf ihren Armen.

Sie strahlt mich mit ihrem breiten Lächeln an, und alles um uns herum verschwimmt plötzlich. Vielleicht ist sie eine Hexe, denn anders kann ich es mir nicht erklären, dieses Gefühl, im Nirgendwo zu schweben, nur mit ihr und einer hellen Sonne, die nur auf uns, nur für uns scheint. Woher sonst kann es kommen, dieses Blubbern im Bauch und die brennende Wärme im ganzen Körper? Und schon wieder fühle ich mich unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.

„Die Anderen sind schon im Besprechungsraum." Ihre Stimme ist leise und vorsichtig.

Ich nicke. „Ja, ich bin auch auf dem Weg, ich wollte nur eben ..." Okay, das war's. In ihrer Nähe bin ich nicht ich selbst. Ich muss mich entschuldigen, sie loslassen und meinen Arsch in den Nebenraum bewegen, zu den Anderen, wo er hingehört.

„Du wolltest nur eben in voller Montur duschen.", lächelt sie, noch immer vorsichtig.

Ich nicke erneut. Natürlich nicht, weil das stimmt, sondern weil sie mich schon wieder mit ihrem leuchtenden Blick eingefangen hat und ich unfähig bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

Zum Glück ist die Freundin noch hier, und ihre Stimme bringt mich mit einem Schlag wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: „Klara, mach hin, ich muss noch mal, bevor wir einkaufen gehen!"

Ich reiße meine Hände an mich, als habe ich mich an ihr verbrannt, und versuche mit einem verlegenen Husten, mich an ihr vorbeizudrücken, ohne sie noch einmal aus Versehen zu berühren. Aber bei meiner Größe ist ein normaler Türrahmen wie ein Nadelöhr, und so reiben unsere Körper doch kurz aneinander, als wir versuchen, in die jeweils andere Richtung zu gelangen. Ein gequältes Stöhnen entwindet sich meiner Kehle, und um meine Frustration über meinen unnützen, schwanzgesteuerten Körper zu überspielen, greife ich erneut nach ihr. Dieses Mal ist es ihre Taille. Als ich sie kurzerhand hochhebe, zur Seite trete und sie auf der anderen Seite der Türöffnung wieder absetze, entfährt ihr ein unglaublich sexy Geräusch. Ich trete einen Schritt zurück.

Aber zu spät: Abgesehen von ihren vollen Lippen, die jetzt den Großteil meiner Aufmerksamkeit in ihren Bann gezogen haben, vernebelt nun auch ihr verführerischer Duft meine Sinne.

„Hubba Bubba mit Erdbeergeschmack!", plappere ich. Kein Filter. Unglaublich.

Dieses Mal errötet sie richtig, aber sie überrascht mich und beginnt plötzlich zu kauen, als gelte es ihrem bloßen Überleben. Und während ihr Mund arbeitet und sich irgendetwas anzubahnen scheint, liegen meine Pranken noch immer auf ihrer zarten Taille. Sie macht sich bereit, und dann ... Es beginnt als winzige, hellrosa Kugel, aber innerhalb weniger Sekunden wächst sie heran zu einer durchsichtig schimmernden Blase. Sie hört nicht auf.

Ein unkontrollierbarer Drang bringt mich dazu, den Finger hineinzustecken, in die Kaugummiblase, die nun ihr halbes Gesicht verdeckt. Und sie platzt.

Sie macht einen überraschten Laut, der mich wieder zum Schmunzeln bringt, aber der Anblick der klebrigen, rosa Masse, die sich über ihre ganze untere Gesichtshälfte verteilt hat, lässt mich in schallendes Gelächter ausbrechen. Und ich kann nicht aufhören, während sie sich mit einer unbeschwerten Schnelligkeit das Gesicht saubermacht, aus der sich schließen lässt, dass ihr das nicht zum ersten Mal passiert ist. Sie ist einfach zu süß – wie soll man sich da nicht schockverlieben, bitte sehr?

„Zum Glück ist es Hubba Bubba!", kichert sie und steckt sich das Kaugummi zurück in den Mund.

„Warum zum Glück?", keuche ich. Endlich gelingt es mir, mein Lachen unter Kontrolle zu bringen.

Sie macht noch eine Blase, aber dieses Mal nur eine kleine. Mit geübten Bewegungen schließt sie sie ab, sodass die Luft eingeschlossen ist, pflückt sie sich von den Lippen und ...

Platsch!

Mein Gesicht ist voller Kaugummi.

Was zur Hölle?

Sie greift mir ins Gesicht und ... das Kaugummi ist weg.

„Siehst du?", grinst sie. Sie untersucht mein Kinn mit kritischem Blick: „Oh, nein, Moment ..."

Ihr hübsches Gesicht kommt meinem gefährlich nahe, und ich kann das feine Muster in ihren grauen Augen erkennen. Sind das tatsächlich kleine Blitze? Das Muster passt. Es fehlt nur das elektrische Knistern, die Verzweigungen, die den Sommerhimmel erleuchten. Verdammt, sie ist heiß, und hübsch, und süß und ... ich bin vollends verloren.

Sie zupft mir ein kleines Stückchen Kaugummi aus den Bartstoppeln. „Und ... fertig!"

Ihre Finger streifen meine Unterlippe, und der Blitz schlägt ein. Ich habe ihn nicht kommen sehen. (Oder?) Er ist mir direkt in Leib und Seele gefahren und hat mir beinahe den Boden unter den Füßen weggezogen. Es fühlt sich an, als würde die Erde beben, so kraftvoll ist der Einschlag gewesen.

„Schon gut", murmele ich, ein wenig außer Atem. „Ich muss jetzt los ... die Besprechung ..."

Und wie ein kleines Kind mache ich auf dem Absatz kehrt und renne davon. Lieber nehme ich 20 verbale Arschtritte vom Chef in Kauf, als noch eine Sekunde mit der verführerischen Klara zu verbringen.

Und direkt nach der Besprechung verstecke ich mich in meinem Zimmer, bis es Zeit wird, zu kochen. Wir wechseln uns ab. Jeden Tag macht ein anderes Zweierteam das Mittagessen. Ich hoffe inständig, dass Klara weg ist, wenn ich die Steaks braten muss, sonst wird's heute mal blutig. Damit ich mich schnellstmöglich wieder verziehen kann.

Ich lasse mich aufs Bett fallen, lege einen Arm unter den Kopf und den anderen über mein Gesicht. Sowohl mein Körper als auch meine Gedanken sind ein großes Chaos-Knäuel. Tobias' kleine Schwester sollte mich nicht so leicht so sehr beeinflussen dürfen. Sie ist ja nicht einmal mein Typ. Tatsächlich ist sie das genaue Gegenteil von dem, was ich sonst mein Beuteschema nenne. Und zudem mindestens sieben Jahre zu jung für mich. Naja, und außerdem ist sie Tobias' kleine Schwester. Und es gibt eine goldene Regel: Man vergreift sich nicht an den Frauen, Freundinnen oder Geschwistern von Kollegen. Und vor allem nicht, wenn man der Neue ist.

Ich ließ mich versetzen, weil ich ein Haus gefunden hatte, das mir erlaubt, meine Tochter öfter zu sehen. Dass ich jetzt bis über beide Ohren verschuldet bin, ist dabei egal. Denn ich weiß, dass mich die Kleine jederzeit besuchen kann, wenn sie das will, denn wir wohnen jetzt in fußläufigem Abstand zueinander. Das mit dem Geld wird schon gehen. Es geht immer irgendwie.

Überrascht schlage ich die Augen auf und lausche. Ich höre Gelächter, und nicht das meiner Kollegen. Die Frauen sind noch immer hier! Das muss bedeuten, dass der Chef nach Hause gefahren ist. Na, das ist ja wirklich fantastisch. Es ist entschieden: Die Steaks werden heute blutig, die Pasta sehr, sehr al dente.

Ich strecke mich und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Eigentlich hatte ich gar kein Nickerchen machen wollen, aber das passiert nun mal, wenn man sich im dunklen Zimmer versteckt und versucht, das süße Kichern einer gewissen Person zu ignorieren.

Ich atme tief ein. Was zur ...? Der Geruch von Zwiebeln, die angebraten werden, lässt mich aufstehen, um meine kleine Höhle zu verlassen.

„Was ist denn hier los?", frage ich und kratze mich verschlafen am Kopf. Klara lächelt verlegen und beugt sich dann wieder über die Karotten, die sie schnippelt, und die ich auf jeden Fall nicht eingekauft hatte.

„Schon gut. Meine Schwester hilft heute mit dem Essen", erwidert Tobias.

Ich grunze, ein wenig beleidigt, denn niemand kann kochen wie ich. Nur um ihr zu beweisen, dass das nicht nur ein Gerücht ist, wasche ich mir die Hände und will schon nach einem zweiten Messer greifen, als Tobias weiterspricht: „Sie macht eine Ausbildung zur Köchin."

Meine Hand schnellt zurück, hoffentlich noch bevor sie bemerkt hat, was meine Absicht war. Na toll! Ich habe ein Talent für Gewürze, aber gegen das Allround-Know-How einer ausgebildeten Köchin kann ich nicht anstinken.

Ich traue meinen Augen kaum, aber dieses sogenannte Kind schaut mich an ... während sie weiter Karotten schnippelt ... ohne das Tempo zu zügeln ... was ohnehin schon wahnsinnig schnell ist. Als habe jemand auf den Fast-Forward-Knopf gedrückt.

„Zur Köchin?", bellt Silas vorlaut und schnappt sich ein Stück Wurzelgemüse.

„Ganz ehrlich, dass du da noch Bock hast zu kochen, wenn du frei hast? Versteh ich nicht ..."

Er knabbert an der Pastinake, glaube ich zu erkennen, und kaut zwischen den Sätzen: „Wenn ich frei habe, will ich nicht mal Kerzen auspusten, bevor ich schlafen gehe!"

Sowohl ich als auch Tobias starren ihn verständnislos an.

Er errötet. „Naja, also, ich meine ..."

An dieser Stelle soll erwähnt sein, dass Silas Single ist und allein lebt.

„Du machst dir Kerzen an, wenn du zu Hause sitzt?", grinst Tobias. „Also, wenn du allein zu Hause sitzt? Also, ohne ein Date?"

„Nee, also, so habe ich das gar nicht gemeint. Das war doch nur ein Witz ...", versucht Silas die Situation zu retten.

Aber da gibt es nichts mehr zu retten, schon bricht das Gelächter der gesamten Mannschaft über ihn herein, und zwei der Kollegen, Bo und Tobias, umschwirren ihn nun mit einer kleinen Tanzeinlage, Gesang inklusive: „Nimm mich in die Arme ... Schau mir ins Gesicht ... Versuch mir zu sagen ... Ich liebe dich nicht!", grölt Tobias.

„Nein, warte kurz!", unterbricht Bo und wirft sich zwischen die Beiden. Tobias demonstriert ein erstaunliches Schauspieltalent, als er Bo mit überraschter Miene ansieht und fragt: „Was ist denn das Problem, der Herr?"

Und der Eine schwingt den Anderen herum, wie man nur eine Tanzpartnerin umherschwingt, während Bo weitersingt: „Es wird dir nicht gelingen ... Der Preis wäre zu hoch ... Du bist für mich geboren ... Silas! Du wirst mich nie mehr los!"

Mit einem aufgesetzten Stöhnen lässt er Tobias los, der auf dem Boden landet und vor Vergnügen quietscht. Dann singen sie zusammen weiter: „Weil ich dich liebe ... Silas!"

Aber Silas ist schon längst geflüchtet. Natürlich kann er nicht umgehen, das schallende Gelächter, das jetzt erneut die Küche erfüllt, zu hören.

Mit einem breiten Grinsen noch immer im Gesicht gehe ich zu Tobias und helfe ihm auf, als dieses magische Geräusch meine Ohren erreicht. Klara steht da über den Tisch gebeugt, das Messer in der einen und eine Pastinake in der anderen Hand, und als es ihr endlich gelingt, sich vor lauter Lachen aufzurichten, laufen ihr Tränen übers Gesicht.

Verdammt, ist sie heiß!

Mein Lachen vermischt sich mit ihrem. Ich weiß auch nicht ... so lustig war es ja nun auch wieder nicht, aber ihre Freude ist ansteckend, und ihr Lachen ist wie Feenstaub auf meiner Seele. Es ist nicht laut oder schallend, sondern fast ein bisschen zu leise. Als wolle sie nicht, dass wir mitbekommebekommen, wie sehr sie sich über unsere albernen Blödeleien amüsiert.

„Also magst du Amateurtheater!", grinse ich und setze mich auf einen der beiden Barhocker, die auf der anderen Seite des Tisches stehen. Direkt ihr gegenüber.

Sie blinzelt die Tränen weg, während das perlende Lachen durch ein charmantes Lächeln ersetzt wird, das ihr ganzes hübsches Gesicht erleuchtet.

Ja, ich bin vollkommen verblendet von ihrer Schönheit, ich gebe es zu.

„Hey!", macht mich Tobias von der Seite an, und ich drehe mich überrascht zu ihm um. „Schluss damit!"

„Schluss womit?"

Wo ist denn seine gute Laune plötzlich hin?

„Das billige Geflirte kannst du direkt wieder einstecken. Das ist meine Schwester!"

Ich blinzele erstaunt und starre abwechselnd sie und ihn an.

„Ich flirte doch gar nicht, und erst recht nicht billig. Und schon gar nicht mit ihr!"

Und nur, weil er mich bei etwas ertappt hat, von dem ich selbst nicht wusste, dass es gerade passiert, stehe ich auf und schlurfe von dannen, während ich schlecht gelaunt, oder wohl eher peinlich berührt, knurre: „Sie ist doch nur ein Kind, Mann."

Ich verziehe mich ans andere Ende des großen Aufenthaltsraums und lasse mich aufs durchgesessene Sofa plumpsen, um die Glotze anzumachen. Ich sitze unbequem. Beziehungsweise liege unbequem, denn würde ich mich aufsetzen, wäre ich im Stande, in die Küche zu sehen.

Nope, niemals. Ich setze mich nicht auf.

Hand aufs Herz

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